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Revolutionäre Realpolitik und sozialökologischer Umbau

Im Dokument Radikale Realpolitik (Seite 107-121)

Eine Frage zur Einstimmung: Woher kommt es, dass Millionen Frauen und Män-ner und insbesondere zahlreiche junge Menschen eine solch starke emotionale Bin-dung zu Rosa Luxemburg entwickeln?

Jahrzehnte nach ihrer Ermordung erreicht Rosa Luxemburg immer noch und im-mer wieder neu Bürgerinnen und Bürger mit »linken Einstellungsmomenten«, eint die Linken mit ihren unterschiedlichen Traditionen, Positionen und Kulturen in ih-ren Sehnsüchten nach »einer andeih-ren Welt«: Ungebrochen verkörpert sie rückhalt-losen Einsatz für Gerechtigkeit, kompromisslose Kapitalismuskritik, den unge-stümen Willen und das unaufhaltsame Drängen nach einem Sozialismus, der vor allem durch die heute Gedemütigten erkämpft und geschaffen wird. Sie steht für bedingungslose Ehrlichkeit und Prinzipientreue, für Leidenschaft und Warmherzig-keit, für Liebe – »voll und ganz«, für Verbundenheit mit der Natur und »allem Schönen«. Sie ist die »wahre Sozialdemokratin«, die Kommunistin, die Inter-nationalistin, die »wirkliche Marxistin«, die Polin, die Jüdin, die begehrenswerte Frau und Idealistin. Sie ist die Kritikerin der »orthodoxen« Marxisten, Lenins und der bolschewistischen Politik, die mit der deutschen Sozialdemokratie gebrochen hatte. Sie ist die von Lenin Geschätzte und von Leninisten Geachtete, die sie nicht verstanden, fürchteten und bekämpften. Sie ist die von der SED Gebrauchte und durch deren rechte Gegner Missbrauchte. Sie ist Symbol sozialistischer Kritiker/in-nen am so genannten Sozialismus, die ihre Werte in Auseinandersetzung sowohl mit dem Kapitalismus als auch mit dem Stalinismus ent wi ckeln.

Rosa Luxemburg ist und bleibt die liebenswerte konsequente Kämpferin für de-mokratischen Sozialismus, frei von stalinistischem Makel. Ihr Erbe ist eine Kultur, die im Kampf für das Ziel nur Mittel gebraucht, die dem Ziel entsprechen – solida-risch und demokratisch sein, um eine humanistische Gesellschaft zu schaffen. Die Kultur, das heute Mögliche in das Verhältnis zum Ziel setzen und darum kämpfen, dass das Mögliche auch als Schritt zum Ziel Wirklichkeit wird – sozialistische Poli-tik als revolutionäre RealpoliPoli-tik.

Was die Einstimmung mit sozialökologischem Umbau zu tun hat

Das Konzept vom sozialökologischen Umbau setzt bei Marxschen Grundideen an, die Luxemburg aufgenommen und bereichert hat: das Verständnis von Gesell-schaft, das Ziel sozialistischer Bewegung, die materialistische Dialektik als

Me-thode. Demokratischer Sozialismus als Transformationsprojekt und sozialökolo-gischer Umbau gehören zusammen. Sie können gelingen, wird revolutionäre Realpolitik betrieben, was nicht zuletzt auch Fantasie, Einfallsreichtum und Unter-nehmungslust verlangt.

Wenn das Ziel eine Gesellschaft ist, in der die freie Entfaltung einer und eines jeden als Bedingung für die freie Entfaltung aller gilt, dann muss die gesellschaft-liche Entwicklung an individueller Freiheit und Streben nach Selbstvervollkomm-nung, an sozialer Gleichheit und solidarischem Miteinander ausgerichtet werden.

Die Assoziation der Freien und sozial Gleichen setzt den Erwerb individueller und kollektiver Fähigkeiten und Verhaltensweisen voraus, eine neue Qualität gesell-schaftlicher Arbeitsteilung, der Produktions- und insbesondere Arbeitsmittelent-wicklung und daher der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse an Produktions-mitteln. Sie kann nur entstehen und sich erneuern, wenn die natürlichen Lebensbedingungen erhalten und fortwährend verbessert werden, die öffentliche Gesundheit kontinuierlich gehoben und dabei die individuellen Stoffwechselpro-zesse der Menschen von Umweltgiften befreit werden. Die gesellschaftliche Ent-wicklung muss also an Vernunft und Verantwortung im Umgang mit der Natur orientiert werden.

Die Individuen sind immer Mädchen und Jungen, Männer und Frauen, die in Geschlechterverhältnissen und Geschlechterverhältnisse leben.

Individuelle Freiheit, soziale Gleichheit, solidarisches Miteinander und Ver-nunft im Umgang mit der Natur gehören zusammen – ein spezifisches »magisches Viereck« der Ziele. »Magisches Viereck« (nicht zuletzt, um Anhänger/innen von Herrn Keynes freundlich zu foppen), weil kein Ziel auf Kosten der anderen drei erreicht werden soll. Es gibt nur die individuelle Freiheit für jede und jeden bei ihrer sozialen Gleichheit, ihrer Solidarität und ihrem rationalen Umgang mit der Natur. Dieser Zusammenhang bestimmt die Prinzipien in den Kämpfen um die neue Gesellschaft.

Der zu meisternde sozialökologische Umbau ist eine tiefgreifende Transforma-tion von gesellschaftlichen Verhältnissen und gesellschaftlichen Naturverhältnis-sen, in der sich die Individuen, die Verhältnisse zwischen ihnen und zur Natur grundlegend wandeln.

»Sozialökologischer Umbau« ist ein theoretisches Konzept, das auch und ins-besondere Marxsches Erbe nutzt, eine programmatische und strategische Orien-tierung für demokratische Sozialistinnen und Sozialisten, die Herausforderung für linke Politik im Alltag.

Die Ironie oder auch Tragik der Geschichte besteht darin, dass gegenwärtig die größten Herausforderungen für linke Politik gerade in der Abwehr jener zerstöre-rischer Prozesse bestehen, deren Durchsetzung individuelle Freiheit, soziale Gleichheit, solidarisches Miteinander und Vernunft im Umgang mit den natür-lichen Lebensgrundlagen unmöglich machen:

• Armut, soziale Ausgrenzung – darunter Arbeitslosigkeit –, (wachsende) soziale und territoriale Spaltungen;

• Natur- und Kulturzerstörung, vor allem globale Erwärmung, Artensterben;

• Entdemokratisierung, Überwachung und Repression, Verlust demokratischer Gestaltungs- und politischer Steuerungsmöglichkeiten (insbesondere durch Pri-vatisierung öffentlicher Leistungen, Verarmung von Kommunen und Regionen), Fundamentalismen/Extremismen;

• Militarisierung und Kriege, bewaffnete Konflikte und Attacken.

Das Zurasen auf den Klimakollaps und die Verknappung von natürlichen Ressour-cen, insbesondere von fossilen und – was oft übersehen wird – atomaren Energie-trägern, und die Verquickung mit den anderen zerstörerischen Prozessen drohen, die Menschheit in die Katastrophe zu reißen. Da ist bereits ein großer Teil von ihr:

Millionen tragische Einzelschicksale, die global Schwächsten leben (schon) nicht mehr, sondern vegetieren. Weitere Millionen stehen am Rande des Abgrundes und werden massenhaft in das Loch fallen, in die Hölle stürzen – jede Formulierung mutet zynisch an.

Es kann keine Allianz geben, die »Falsche« mit einschließt oder »die guten Sit-ten und Normen« sprengt, wenn es darum geht, den global SchwächsSit-ten wirklich zu helfen, die humane Katastrophe menschlich zu bannen.

Revolutionäre Realpolitik bedeutet insbesondere, sich-zurück-zu-nehmen, was eigene Ängste und Unwillen gegen solche Bündnisse anbelangt, und gleichzeitig sich-voll-zu-engagieren für die Schwächsten und die »großen Ziele«. Die Schritte im Sinne des »magischen Vierecks« (Herr John Maynard Keynes würde über den Be griffs klau erhaben schmunzeln) müssen aus der gesellschaftspolitischen Defen-sive eingeleitet werden, gesellschaftspolitische Reformalternativen müssen in Abwehr kämpfen gegen die zerstörerische Politik der Herrschenden entwickelt werden.

Sozialökologischer Umbau als Herausforderung für sozialistische Alltagspolitik

»Magisches Viereck« im Alltag von Sozialistinnen und Sozialisten bedeutet u. a., dass es keine prinzipielle Rangfolge der Eckpunkte nach ihrer Wichtigkeit gibt:

Ihre Umweltpolitik wird nie soziale Nöte und demokratische Grundrechte gering schätzen. Moderne Sozialistinnen und Sozialisten sehen immer von der Warte je-ner auf die einzelnen Viereck-Winkel, denen das jeweilige Ziel am stärksten ver-stellt ist. Sozialistische Kommunalpolitiker/innen – auch im ärmsten oder reichs-ten deutschen Bundesland – müssen immer die global Ärmsreichs-ten (insbesondere die Frauen und Kinder) mitdenken, die am empfindlichsten unter den von zerstöre-rischen Akteuren – auch und insbesondere in der Bundesrepublik lebenden –

ge-machten Katastrophen leiden. Wird das »magische Viereck« den vier zerstöre-rischen Prozessen bzw. Tendenzen gegenübergestellt, werden Zusammenhänge zwischen diesen, zwischen ihren Verursachern und die verschiedenen Problemdi-mensionen deutlicher sichtbar. Das betrifft insbesondere die Konzerne der Ener-giewirtschaft einerseits und mögliche Allianzen wider die Interessen und Strate-gien der Energiekonzerne andererseits.

a) Zur Illustration für den individuellen Alltag: 1. Der Arbeitslosen, die sich vielleicht erstmalig zu sozialem Protest gedrängt sieht, würde sicher kaum »ein/e Linke/r« erklären: »Ohne Frieden ist alles nichts. Geh lieber zur Demo gegen die Bundeswehr in Afghanistan oder mach beides.« Vielmehr wäre ihr zu sagen: »Du hast recht mit Deiner Wut. Es wird soviel Arbeit gebraucht, die nicht geleistet wird. Hingegen werden Bomben produziert. Konversion ist arbeitsintensiv. Man hat errechnet, dass mindestens vier Mal mehr Arbeitsplätze für die Rüstungskon-version als für die Rüstungsproduktion gebraucht werden. Geh auf jeden Fall zur Arbeitsloseninitiative. Ich gehe morgen zur Demo gegen die deutsche Afghanistan-Politik. Komm doch mit!« 2. Der Hartz-IV-Bezieherin, die darüber klagt, dass aus Geldnot ihr Kind nicht mit ihren Freundinnen ins Kino gehen kann, hilft kein Hin-weis auf die armen Kinder in Afrika, die nicht einmal erfahren, was ein Kino ist.

Es könnte ihr erwidert werden: »Es ist ein Unding, dass Kindern sogar der Gang ins Kino unmöglich wird, zumal im Moment richtig gute Kinderfilme (...) gezeigt werden. Im Kiezzentrum können Kinder donnerstags um 17.00 Uhr unentgeltlich Filme sehen. Das Zentrum soll zugemacht oder privatisiert werden, weil die Be-triebskosten zu hoch sind und wegen der Energiepreise weiter steigen. Es rechnet sich nicht. Am Mittwoch gibt es eine Versammlung von Bürger/innen gegen die Schließung. Wenn man bedenkt, wie viel für die Rüstung oder allein die Protz-bauten am B-Platz ausgegeben wird, kann man die Toblust kriegen. Da könnte Deine Tochter täglich 100 vernünftige Filme sehen. Und wenn man dann noch weiß, dass in der Bundesrepublik Kinderflüchtlinge in Haft sind und abgeschoben werden und dass weltweit eine halbe Milliarde Kinder nur vegetiert, kann man richtig rasend werden. Ich habe hier eine Postkarte von ›Pro Asyl‹. Sieh sie Dir mal an. Du kannst sie unterschreiben und mir wieder geben. Ich schicke sie dann mit meiner ab.« 3. Zur Armen, die sich mit Blick auf die Energiepreise vor dem Winter fürchtet, könnte bemerkt werden: »Ja, da muss etwas geschehen. Ich weiß von einer Petition zur Sicherung von Energie als Grundversorgung. Die gebe ich Dir zum Unterschreiben. Und nimm die bitte mit zur Arbeitsloseninitiative und wo sonst Du noch hingehst. Und dann sollte man sich mal ansehen, wer die Preistrei-ber sind und was sie so tun. Die asozialen Energiekonzerne werben für ›Lecker-Strom‹, statt endlich dafür zu sorgen, dass die Leute zu vernünftigen Preisen öko-logisch produzierten Strom bekommen. Aber nein, sie bekämpfen Ökostrompro-duzenten, vernichten Klima und Umwelt, verstehen sich aufs beste mit der Rüstungsindustrie und solchen wie Herrn Bush. Ich habe dazu ein Infomaterial.

Das gebe ich Dir gerne mit. Vielleicht guckst Du auch mal auf die angegebene

Website.« 4. Und dann gibt es Leute, denen es richtig gut geht, die Hartz IV in Ordnung finden, die die Nahost-Politik der Regierungen von Bundesrepublik und USA als alternativlos ansehen, aber die herrschende Energiepolitik als ökologisch kontraproduktiv. Auch sie sind ansprechbar: Haben Sie schon mal was von der Aktion »Stromwechsel« gehört? Es gibt auch ganz Interessantes in Sachen »Ener-giegenossenschaften«. Dazu sagen die beiden Webseiten www. .... de mehr. Und dann sollte man nicht vergessen, dass die Preise für Strom und Wärme wirklich für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich sind. Ich kenne Hartz-IV-Beziehe-rinnen, die sich vor dem Winter fürchten und ihren Kindern nicht einmal Geld für das Kino geben können. Es läuft da eine Petition zur Sicherung von Energie als Grundversorgung. Und dann soll man sich doch mal ansehen, was die Energiekon-zerne in der ›Dritten Welt‹ machen und wie sie im Nahen Osten mitmischen. Dazu bringt ›Arte‹ morgen Abend eine Sendung.«

Zweifellos ist es vor allem eine Kulturfrage, ob sich Menschen das Denken in Zusammenhängen – auch und insbesondere in Bezug auf die vier Winkel des »ma-gischen Vierecks« – aneignen, anderen – in verschiedenen sozialen Situationen und Zusammenhängen mit unterschiedlichen politischen Positionen – Einsichten mitteilen und versuchen, sie zu Aktivitäten zu motivieren. Die konkrete Antwort hat mit Fähigkeiten, Interessen, Mentalitäten und letztendlich mit Wissen, Aktivi-tät und sozialer Verankerung zu tun. Alltagserfahrungen belegen ferner, dass die Probleme und lokal auslösbaren Aktivitäten verschiedene gesellschaftliche Ebe-nen betreffen, die alle für praktische Politik wichtig sind. Die Analyse macht deut-lich, dass die Energieproblematik und die Bewertung bzw. Organisation gesell-schaftlich nützlicher/gesellgesell-schaftlich notwendiger Arbeit Schlüsselfragen in der Auseinandersetzung mit den vier zerstörerischen Tendenzen und im Eintreten für das »magische Viereck« sind. Es ist von hohem Stellenwert, wie sich die kollek-tiven Akteure zur thematisierten Kulturfrage stellen, inwiefern sie befördern, dass ihre Mitglieder selbstbestimmt und selbstbewusst agieren und inwiefern sie ihre Politik ausgehend von den Erfahrungen und Einsichten ihrer Mitglieder entwi-ckeln.

b) Zur Illustration für den kollektiven Alltag: Wird gefragt, welche der unter a) genannten Probleme sowohl die sozial Schwächsten als auch andere besonders treffen, so wären das die Schließung des Kiezzentrums und die konkreten Auswir-kungen der Energiepolitik. Den verschiedenen kollektiven Akteure wäre daher ge-raten, sich beiden zuzuwenden und auf die Verteidigung sowie den Umbau des Kiezzentrums zu fokussieren. Schließlich haben die hohen Betriebskosten mit den Energiepreisen zu tun und bietet sich das Kiezzentrum an, zum Modellprojekt für eine sozial und ökologisch vernünftige Energieversorgung zu werden. Das Kiez-zentrum wäre eine Herausforderung für friedens-, sozial-, umwelt- und demokra-tiepolitisch Engagierte und ihre Organisationen, ein Gradmesser für deren Kom-munikations- und Kooperationsfähigkeit. 1. Die Friedensengagierten: »Wir tagen seit Jahren im Kiezzentrum und haben hier verschiedene Veranstaltungen

durchge-führt, zu denen auch Bürgerinnen und Bürger gekommen sind, die sonst nicht mit uns zusammenarbeiten. Wir sagen immer wieder, dass Friedenssicherung und eine Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien zusammengehören. Wir sind bereit, uns an Aktionen zur Verteidigung des Kiezzentrums und an Arbeiten für seinen Umbau – insbesondere seiner Energieversorgung – zu beteiligen. Dafür können wir sicher auch noch andere gewinnen.« 2. Die sozialpolitisch Engagier-ten: »Das Zentrum muss bleiben. Wir wissen um seine Bedeutung für das Leben im Kiez, insbesondere für die Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Hier findet multikulturelles Leben statt. Hier machen wir unsere Mieten- und Renten-beratungen, hier tagt die Arbeitsloseninitiative. Wir haben immer wieder betont, wie wichtig es ist, dass kommunale Infrastruktur in öffentlicher Hand und erhalten bleibt. Und nicht zuletzt hängen am Kiezzentrum sinnvolle Arbeitsplätze, hoch en-gagierte Mitarbeiter/innen. Wir sind bereit, uns an Aktionen zur Verteidigung des Kiezzentrums und an Arbeiten für seinen Umbau – insbesondere seiner Energie-versorgung – zu beteiligen.« 3. »Die Umweltpolitisch Aktiven: Wir haben hier viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern geführt und ihnen aufgezeigt, wie Soziales, Ökonomie und Umweltbewusstsein zusammengehen. Was macht es für einen Sinn, wenn das Kiezzentrum geschlossen oder privatisiert wird, wenn dann die einen mit dem Auto zu einer anderen Einrichtung fahren und die ohne Auto auf der Straße mit Getränkedosen Fußball spielen? Wir sind bereit, uns an Aktionen zur Verteidigung des Kiezzentrums und an Arbeiten für seinen Umbau – insbeson-dere seiner Energieversorgung – zu beteiligen. Wir kennen da auch regionale Un-ternehmen, die vielleicht helfen würden.« 4. Die Streiter/innen für Demokratie:

»Wir haben im Kiezzentrum für eine Senkung der notwendigen Quoren für Bür-gerbegehr und Bürgerentscheid geworben. Für die Schließung oder Privatisierung gibt es kein demokratisches BürgerInnenvotum. Ganz zu schweigen davon, dass die Kinder und Ausländer/innen nicht abstimmen können, aber die Hauptnutzer/

innen sind. Wir sind bereit, uns an Aktionen zur Verteidigung des Kiezzentrums und an Arbeiten für seinen Umbau – insbesondere seiner Energieversorgung – zu beteiligen. Über die Nutzung müssen künftig stärker die Bürger/innen und vor allem die Nutzer/innen mitentscheiden.«

Gemeinsame Erfahrungen und gemeinsam genutzter Raum begünstigen zwei-fellos die Kooperation der verschiedenen kollektiven Akteure. Aber entscheidend sind das individuelle Verhalten der Mitglieder, das Gewicht ihrer Stimmen bei den Entscheidungen zu Positionen und Aktionen ihrer Zusammenschlüsse.

Interessiert sie die Einflussnahme auf die Energiepolitik und die Organisation gesellschaftlich nützlicher/gesellschaftlich notwendiger Arbeit, müssen sie sich wesentlich mit dem Einsatz öffentlicher Ressourcen, dem Erhalt und Gebrauch des öffentlichen Eigentums auseinandersetzen.

Schließlich könnte das Szenario auch anders aussehen, z. B.: 1. Die Friedensi-nitiative: »Unser beschlossener Schwerpunkt ist der Bundeswehreinsatz in Afgha-nistan. Unser Vorstand sagt, dass alle Aktivitäten dem unterzuordnen sind.« 2. Die

Gewerkschaft: »Die Mitarbeiter/innen sind keine Gewerkschaftsmitglieder.« Oder:

»Uns interessiert vor allem der Sozialplan. Wir kennen die Probleme und haben daher mit der Verwaltung einen Interessenausgleich vereinbart.« Die Arbeitslosen-initiative: »Der Pfarrer hat uns die Gemeinderäume für unsere Zusammenkünfte angeboten.« 3. Der Umweltverband: »Die Wärmedämmung und die Heizung des Zentrums sind ja auch wirklich das Letzte.« 4. Die Demokratie-Initiative: »Zu un-serer Veranstaltung kamen sowieso nur wenige. Im Jugendclub des Kiezzentrums sollen Rechte gesehen worden sein.« 5. Die (Fraktion/en der) linke/n Partei/en):

»Beim Haushalt muss man immer Kröten schlucken. Uns war der Erhalt der Kita wichtiger. Das Kiezzentrum wird zu wenig genutzt, und außerdem treffen sich da Chaoten, die nach ihren linksradikalen Treffen nicht mal aufräumen. Es soll Inte-ressenten an einer Privatisierung geben, so dass das Zentrum erhalten bleiben könnte.«

Das Kiezzentrum wird also im Negativszenario nicht als eigenes und zugleich mit anderen gemeinsames Problem angesehen. Es könnte aber auch ein 2. Nega-tivszenario geben: Die meisten Mitglieder der Organisationen sind für ein Engage-ment für das Kiezzentrum, werden aber in der eigenen Organisation nicht gehört (weil z. B. im »Sommerloch« keine Versammlungen einberufen werden). Ein drit-tes Negativszenario könnte auch wie folgt aussehen: Friedensinitiative, Gewerk-schaft, Arbeitsloseninitiative, Umweltverband, Runder Tisch, »Demokratie« schrei-ben eine Presseerklärung, in der sie die Bedeutung des Kiezzentrums für das Leschrei-ben in der Kommune hervorheben und die linke Partei bzw. deren Fraktion in der Kom-mu nalversammlung auffordern, sich nachhaltig für den Erhalt des Zentrums ein-zusetzen, für seine Erhalt zu sorgen.

Weitere öffentliche Unternehmen und Einrichtungen werden geschlossen oder (zunächst) privatisiert, wenn nicht die Nutzer/innen gemeinsam mit anderen Bür-ger/innen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren dagegen erfolgreich aufbe-gehren. Damit bleiben Chancen ungenutzt, Öffentliches zu demokratisieren und zu ökologisieren, wodurch zum einen neue Einsichten und kulturelle Zusammen-hänge, neue soziale und politische Erfahrungen entstehen könnten. Es werden zum anderen Möglichkeiten verspielt, nachhaltig Einfluss auf gesellschaftliches Leben zu nehmen, dem sozialen, ökologischen, demokratischen und friedenspolitischen Engagement neue Impulse und konkrete Gemeinsamkeit zu geben.

Positivszenario: Das Kiezzentrum bleibt in öffentlicher Hand. Jene, die sich für seinen Erhalt eingesetzt haben, bestimmen wesentlich über seine konkrete Nut-zung. Sie bieten mehr eigene Veranstaltungen an, tagen in erster Linie nur noch hier, kommunizieren und kooperieren untereinander stärker als zuvor und vor allem mit den verschiedenen Nutzer/innen. Das Zentrum wurde umgebaut. Kleine und mittlere Unternehmen aus der Region waren daran beteiligt und haben zusätz-lich dafür gesorgt, dass alles billiger wurde. Sie haben geholfen, geeignete Fach-leute zu gewinnen, die die optimale Lösung günstig konzipierten. Das Kiezzen-trum verkörpert nicht nur sehr Modernes in Sachen ökologischer und ökonomischer

Energieanwendung, sondern ist ein »Schmuckstück« – die Verbindung von Kunst der »Hochkultur«, Ergebnissen der lokalen Keramik- und Malgruppe bis hin zu den von Schul- und Kita-Kindern bemalten Flurwänden. Die in- und ausländischen Partner/innen der Organisationen werden eingeladen, die nächste Tagung hier zu veranstalten. Die Nutzer/innen des Zentrums erleben eine »größer gewordene Welt«, erfahren von ähnlichen Projekten, von Menschen in scheinbar auswegs-loser Lage, die dringend konkrete Hilfe brauchen. Die beteiligten Bürger/innen bzw. Mitglieder von kollektiven Akteuren bzw. Organisationen haben neue Be-kanntschaften gemacht, Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen ge-knüpft.

1. Die Friedensinitiative: »Wir haben gar nicht gedacht, dass es hier so viele

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Im Dokument Radikale Realpolitik (Seite 107-121)