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Hessische Verhältnisse – oder vom Versuch des Schwanzes, mit dem Hund zu wackeln 1

Im Dokument Radikale Realpolitik (Seite 53-57)

Der Wahlausgang im Januar 2008 hat DIE LINKE. Hessen in eine Schlüsselposi-tion im hessischen Landtag gebracht. Bei äußerst knappem Einzug (5,1 Prozent) in das Landesparlament sind die sechs Stimmen der LINKEN entscheidend für die mögliche Abwahl der im Land äußerst unbeliebten konservativen Koch-Regierung.

Umso wichtiger ist es auszuloten, welche faktischen Veränderungen für einen Po-litikwechsel – im Gegensatz zu einem bloßen Regierungswechsel – durchsetzbar sind von einer mit Abstand kleinsten Fraktion in einer parlamentarischen Konstel-lation, in der es eine knappe Mehrheit (maximal zwei Stimmen, wegen des Abwei-chens einer Sozialdemokratin nur eine Stimme) links von den konservativen Frak-tionen gibt.

Fraktion und Partei versuchen dies nach einem im Landesverband breit ange-legten Diskussionsprozess in der Form einer Unterstützung einer rot-grünen Re-gierung, die aus eigener Kraft keine Mehrheit im Landtag hat und deswegen bei jeder Entscheidung auf die Stimmen der LINKEN-Abgeordneten angewiesen ist.

Die Unterstützung einer rot-grünen Regierung wird dabei an Bedingungen und Forderungen gebunden. Bedingungen sind, dass es keine weiteren Privatisierun-gen, keine Verschlechterungen beim Umweltschutz, keinen Sozial- oder Personal-abbau geben wird. Ebenso wird klar gestellt, dass die LINKE eine Zustimmung der Hessischen Landesregierung im Bundesrat zu Kriegen, zum Sozialabbau oder zur Vermögensumverteilung zugunsten der Reichen nicht mittragen wird.

Darüber hinaus werden in einer »Erklärung der Partei und Landtagsfraktion DIE LINKE. Hessen zur Unterstützung einer Rot-Grünen Regierung« dreizehn zentrale Punkte eines Politikwechsels benannt, von denen wir nach Gesprächen mit SPD und Grünen davon ausgehen, dass die neue Regierung sie in ihr Regie-rungsprogramm aufnimmt und, soweit haushalterisch relevant, auch finanziell ab-sichert. Insbesondere Letzteres ist zum Zeitpunkt einer heftigen Krise des finanz-marktgetriebenen Kapitalismus von besonderer Brisanz. Umso wichtiger wird jetzt und in Zukunft die Standhaftigkeit sein, keinen Sozial- oder Stellenabbau zu-zulassen. Hierfür hat sich die LINKE nicht gegründet und wird einen solchen – auch volkswirtschaftlichen – Schwachsinn in Hessen nicht mittragen.

1 Dieser Beitrag wurde im Sommer 2008 vorbereitet. Im Herbst 2008 wurde deutlich, dass es für einen Regierungs-wechsel in Hessen bei Duldung durch die Partei DIE LINKE und auf der Basis des zwischen SPD und GRÜNEN ausgehandelten Koalitionsvertrags in der SPD-Landtagsfraktion von Hessen an der notwendigen Unterstützung fehlt.

Im Fokus der Projekte für einen Politikwechsel in Hessen stehen u. a.:

• Schaffung von 25.000 sozialversicherungspflichtigen und tariflich bezahlten Arbeitsplätzen durch Investitionen des Landes in die Bereiche Bildung, Um-welt und Soziales;

• neue Perspektiven auch für Langzeitarbeitslose durch eine bessere Förderung beim Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt;

• Umwandlung von Ein-Euro-Jobs in reguläre Stellen im Rahmen eines öffent-lich geförderten Beschäftigungssektors;

• Entwicklung eines Anti-Armuts-Programms, um auch wirtschaftlich schwachen Men schen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, und

• flächendeckendes Angebot und Förderung von längerem gemeinsamem Lernen bis zum 10. Schuljahr.

Die Überlegungen in Partei und Fraktion sind dabei auch, dass wir bei diesen rich-tigen Schritten in die richtige Richtung immer zeigen, dass es anders und vor allem viel, viel besser geht. Brangsch2 hat dazu vorgeschlagen, den Charakter von Ein-stiegsprojekten an fünf Funktionen zu beurteilen:

1. Vermittlung zwischen Reform und Revolution einerseits sowie Protest und Ge-staltung andererseits mit dem Ziel nachhaltiger Verschiebung von Machtverhält-nissen und Neugruppierung/Neugewichtung von Akteuren in der Gesellschaft;

2. Ausrichtung auf Erfolg und Umgang mit Erfolg;

3. Vermittlung zwischen Lokalität, Regionalität und Globalität;

4. Vermittlung zwischen Ganzheitlichkeit von Lebensweise, kultureller und ge-schichtlicher Identität;

5. Prozesse bewussten sozialen Lernens in Einheit von Veränderung und Selbst-veränderung.

An dieser Stelle will ich für die hessischen Projekte diese Funktionen (Vermittlung zwischen Protest und Gestaltung sowie Prozesse bewussten sozialen Lernens) an zwei Stellen etwas detaillierter betrachten. Inhaltlich ist insbesondere in dem Gleich klang von Sozialpolitik im Sinne von Antiarmutspolitik (Arbeit statt Armut sowie HessenCard für Transferleistungsbezieher) und Schulpolitik (mit der Ziel-setzung Herstellung gleicher Bildungschancen und einer optimalen Förderung eines jeden Kindes) die Funktion der Aufnahme von Protest (z. B. Montagsdemos und Schulkampf) in die Gestaltung einerseits und damit weitergehender Unterstüt-zung bzw. Auslösung von erneutem weitergehendem Protest andererseits berührt.

Die mangelnden revolutionären Anteile sind dabei leider auch unter dem Eindruck der Stärke (oder doch besser: Schwäche) der (außer parlamen tarischer) Bewegung zu bewerten. Ausgesprochene Zielsetzung ist auf jeden Fall die Stärkung sowohl der gewerkschaftlichen Bewegung als auch die Erleichterung (Ermöglichung) der

2 Siehe den Beitrag von Lutz Brangsch in diesem Buch.

Teilnahme am gesellschaftlichen Leben für wirtschaftlich Schwa che. Damit fo-kussieren diese Projekte auf zwei (Haupt-) Zielgruppen linker Politik.

Insbesondere zielt die Umwandlung von Ein-Euro-Jobs in reguläre Stellen im Rahmen eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors darauf ab, der Agenda 2010 auch durch landespolitische Aktivitäten die Spitze zu nehmen. Als erstes ist es selbstverständlich ein hohes Gut, wenn die ca. 15.000 hessischen Ein-Euro-Job-ber wieder Arbeitsverhältnisse angeboten bekommen, von denen sie auch leben können. Darüber hinaus ist es aber wichtig, den politischen Druck auf ganze Be-triebsbelegschaften zu minimieren, die angesichts der ganz realen Gefahr, inner-halb von 12 Monaten nach Verlust ihres Arbeitsplatzes unter die Armutsgrenze zu fallen, immer weiter geknebelt und geknechtet werden.

Problematischer ist die Umsetzung des Anspruchs auf bewusstes soziales Ler-nen und damit die Entwicklung unserer Partei als lerLer-nender Organisation. Und wie immer geht es dabei vor allem um den Gegensatz zwischen Basisdemokratie und Repräsentation – sowohl in Fraktion als auch Landesvorstand. Tendenziell gefähr-det dabei der Anspruch auf (rasche) Handlungsfähigkeit die Transparenz und of-fene Diskussion. Zwei Hauptkonfliktebenen sind dabei von Bedeutung. Funktio-näre und Mitglieder aus der Quellpartei PDS hatten sich (zu) lange darauf ein gerichtet, dass ihre Entscheidungen und Positionierungen sowieso nur äußerst schwer (mediale) außerparteiliche Aufmerksamkeit erzielten. Von daher war es nicht so schwerwiegend, einen Beschluss auf die nächste Sitzung zu verschieben oder dort die Diskussion mit einem veränderten Ergebnis wieder aufzunehmen.

Funktionäre und Mitglieder aus der Quellpartei WASG sind größtenteils auch aus Misstrauen gegenüber ihren früheren Parteifunktionären aus ihrer Ursprungspartei ausgetreten und übertragen diese Erfahrungen häufig auch auf die neue Partei DIE LINKE. Aus beiden Effekten erwächst ein enormer Informations- und Kommuni-kationsbedarf, der andererseits durch ehrenamtliche Mitglieder zeitlich nur einge-schränkt verwirklicht werden kann. Vollkommen verständlich ist, dass ehrenamt-liche Funktionäre, zumal wenn sie berufstätig sind, an einer täglich oder im 48-Stun den -Rhythmus tagenden Verhandlungsgruppe nur eingeschränkt teilneh-men können – von den finanziellen Belastungen ständiger Reisetätigkeit zu Sit-zungen ganz abgesehen. Diese objektiven Beschränkungen der gleichberechtigten Teilhabe aller am Entscheidungs findungs prozess kann nur unvollständig durch verstärkte elektronische Kommuni kation ausgeglichen werden – zumal in wirt-schaftlich härter werdenden Zeiten ein Internetzugang tendenziell zum Luxusgut wird. Undenkbar für unseren Anspruch ist aber auch, die Teilhabe am Parteileben und den Parteientscheidungen vom Geldbeutel bzw. der Verfügbarkeit moderner Kommu nikationstechnik abhängig zu machen.

Getreu der Maxime, dass in jedem Ding mehrere sich widerstreitende Ten-denzen angelegt sind und es darauf ankommt, die befreienden Elemente jeweils zu stärken, sind Anspruch und Notwendigkeit des organisationalen Lernens unserer Partei entscheidend für die Entwicklung einer systemverändernden Alltagspolitik.

Parlamentarische Arbeit ersetzt keine Politik; diese mit allen (möglichst vielen) Mitgliedern gemeinsam zu entwickeln und parlamentarisch wie außerparlamenta-risch umzusetzen bleibt Aufgabe – nicht nur unter hessischen Verhältnissen.

Im Dokument Radikale Realpolitik (Seite 53-57)