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III. Empirische Untersuchung

III.3. Auswertung der Ergebnisse und theoretische Interpretation

III.3.3. Revision des konzeptionellen Zusammenhangs

Die obige Darstellung zeigte, dass aus dem Populismus-Begriff entwickelte Aspekte eine Erklärung für diejenigen Sachverhalte bieten, welche die Arbeitsthese belegen.

Erstaunlich ist allerdings die Möglichkeit, gleichermaßen mit den die These widerle-genden Beobachtungen verfahren zu können. Welche Rückschlüsse lassen sich ange-sichts dieses Widerspruchs für das Populismus-Konzept und für den konzeptionellen Zusammenhang zwischen Populismus und governance ziehen?

Das Bestehen einer doppeldeutigen Erklärungskraft des Populismus-Konzeptes wird begreiflicher, wenn man zwischen zwei Taktiken populistischer Herrschaft differen-ziert: der a) Absicherung der Machtposition und den b) Legitimationsstrategien.

a) Im Zuge der Absicherung der Machtposition des Führers im politischen System können vielfach Praktiken verfolgt werden, die zu poor governance führen, was v. a. im Bereich des public sector management der Fall ist. So garantiert die Entmachtung der PDVSA die Kontrolle über die Erdöleinnahmen und stellt das Fundament derjenigen Politiken von Chávez dar, die auf die Sicherung seiner Machtbasis zielen, wie z. B. im Feld der Sozialpolitik vermittels der von der PDVSA direkt finanzierten misiones (PDVSA 2005*). Klientelistische Ämtervergabe, deren Folge u. a. die Aufblähung des Staatsapparats darstellt, konsolidiert gleichermaßen die Kontrolle über den Staatssektor;

Intransparenz sowie fehlende Kontrolle staatlicher Finanztätigkeit sichert die Hand-lungsspielräume für eine diskretionäre Verwendung öffentlicher Mittel. Die einer Zent-ralisierung von Macht zuwiderlaufenden dezentralisierten Strukturen, ein Element von accountability, werden gleichfalls folgerichtig „beseitigt“.

b) Will ein populistisches Regime Legitimität erzeugen, so kann unter Umständen auch GG ein Ergebnis darstellen. Eine poor governance von zu großem Ausmaß unter-gräbt Legitimität (HALDENWANG 2004: 193, 202), was nicht im Interesse eines Populis-ten sein kann, der trotz etwaiger autoritärer Züge des politischen Systems üblicherweise immer noch auf die Unterstützung der Bevölkerung bei Wahlen angewiesen ist. Folgen-de Definitionselemente populistischer Herrschaft könnten als Legitimationsstrategien aufgefasst werden: Anti-Politik, hauptsächlich in ihrer Funktion als Symbolpolitik, die die explizite Abgrenzung zu vorangegangenen Regimes manifestieren soll, sowie (kurz-fristige) Generierung von support. Dass in Ersterer tatsächlich ein solches Potential ruht, thematisierte bereits indirekt die WELTBANK (1997: 15-17), indem sie postulierte,

GG bzw. Staatsreformen hätten eine Chance, wenn sich eine neue Regierung von frühe-ren Missständen distanziefrühe-ren will. GG könnte also ein Element der Anti-Politik darstel-len, wenn es darum geht, eine ererbte governance-Krise zu überwinden95. Die Durch-führung einer Justizreform wäre hier als eine Abgrenzung zu der „Justiz-Misere“ frühe-rer Jahre zu interpretieren. Im Rahmen der zur support-Generierung dienenden Pro-gramme wurden wiederum Partizipationsräume geschaffen. Darüber hinaus kann Parti-zipation an sich – wenn sie denn dort stattfindet – Legitimität fördern.

Allerdings fällt auf, dass dabei etwaige Verbesserungen von governance nicht be-wusst und explizit verfolgt werden: GG wäre vielmehr nur als ein (zufälliges) Neben-produkt anderer Intentionen zu werten – sei es die Abgrenzung zum vorangegangenen Regime oder die Durchführung von Sozialprogrammen. Davon könnte auch die Tatsa-che zeugen, dass Symbolpolitiken ebenso poor governance zur Folge haben können: So wurde sowohl gezeigt, dass die Wiedererlangung der Kontrolle über die PDVSA von symbolischen Charakter sein könnte, als auch dass durch Gründung neuer Institutionen politischer Wandel symbolisiert werden könnte. Es ist somit weder davon auszugehen, dass GG eine Priorität der venezolanischen Entwicklungspolitik darstellt – was jedoch von der Weltbank gefordert wird – noch dass solche zufälligen Ergebnisse nachhaltig wirken können, v. a. wenn sie im Kontext kurzfristig ausgelegter Programme entstehen.

Es wäre zu folgern, dass manche dem Populismus inhärenten Muster unter Umständen good oder zumindest better governance fördern können – sie müssen es aber nicht zwingend tun.

Alternative Erklärungen

Zum Abschluss ist eine Interpretation vorzubringen, die auf den Umstand verweist, dass die Performanz auf dem Feld der governance nicht ausschließlich durch populisti-sche Herrschaftsstrukturen bedingt sein müsse: Eine strukturell bedingte poor gover-nance wurde konstatiert, die nicht ausschließlich auf Populismus und seine Wirkungen

95 Das Ausmaß „ererbter“ struktureller poor governance könnte so gravierend sein, dass der Populismus explizit eine Antwort darauf zu bieten sucht. Dementsprechend merkt HALDENWANG (2004: 193, 202) an, auf Regimes, deren mangelnde governance zu einer Legitimitätskrise führte, seien hin und wieder neopopulistische Projekte gefolgt, und nennt dabei explizit Venezuela unter Chávez. So interessant dieser Zusammenhang auch ist, kann er hier dennoch nicht weiter ausgeführt werden, da er eine um-gekehrte Wirkungskette impliziert – Qualität der governance als Ursache bzw. unabhängige Variable und Populismus als Folge bzw. abhängige Variable –, welche zwar durchaus bestehen mag, für die vorliegende Untersuchung jedoch ausgeschlossen wurde.

zurückzuführen ist, sondern tiefer liegende Ursachen hat96 und länger währende Dyna-miken umfasst. Es könnte z. B. argumentiert werden, das public sector management weise gerade in Lateinamerika eine dauerhaft schlechte Performanz auf. In diesem Zu-sammenhang wäre zur Verdeutlichung als einer unter vielen Faktoren, obgleich in der Forschung nicht immer etabliert, das „Kulturargument“ anzuführen: Wenn beispiels-weise in Teilen des öffentlichen Sektors die seit der Kolonialzeit währende „se acata pero no se cumple“-Mentalität97 (GIROLA 2000: 96, MORENO 1967) fortbesteht, kolli-diert sie mit den dem GG-Konzept inhärenten westlich geprägten Implikationen einer beinahe dem Weberischen Ideal von „bürokratischer Herrschaft“ entsprechenden Ver-waltung.

Das letztgenannte Faktum offenbart eine von zweien weithin bekannten Problemati-ken des GG-Konzepts: Zum einen ist es die Unvereinbarkeit der modernen Auffassung von formalen Institutionen mit traditionellen Formen informeller Institutionen wie Klientelismus und Patronage (HALDENWANG 2004: 194-197) – welche eben in Venezu-ela weiterhin Bestand haben – und die daraus resultierenden Schwierigkeiten in der Umsetzung von GG-Normen. Zum anderen handelt es sich um den inhärenten Wider-spruch, der von der im Konzept impliziten Annahme rührt, „dass jener Staat, der good governance herbeiführen soll, bereits über die erforderliche governance verfügt, um die häufig sehr komplexen Reformen umzusetzen und nachhaltige Verbesserungen herbei-zuführen“ (HALDENWANG 2004: 191, Hervorhebungen im Original). Angesichts all des-sen ist GG kein einfaches Unterfangen – und das nicht nur für populistische Regime.

96 Aus wissenschaftstheoretischer Sicht wären solche Ursachen in Bezug auf die Arbeitsthese als interve-nierende Variablen aufzufassen.

97 Diese Formel verweist auf den in der Kolonialära verhafteten Widerspruch zwischen den hehren Zielen der von römischem Idealbildern geprägten Rechtsprechung im Mutterland und deren Wirklichkeit in den weit entfernten Kolonien (MORENO 1967). Die im Mutterland formulierten und durch hierarchi-sche Strukturen weitergereichten Gesetzesvorgaben wurden zwar akzeptiert und übernommen, aber de facto nicht angewandt. Ermöglicht wurde diese Praxis durch die legale „se cata pero no se cumple“-Klausel, die den Autoritäten in den Kolonien erlaubte, sich gegen Gesetze, die sie als ungerecht auf-fassten, zu sperren und sich mit ihren Beschwerden direkt an die Krone zu wenden. Diese gesell-schaftliche Anomie, die Nicht-Einhaltung von Normen, existiere in Lateinamerika noch heute, so GIROLA (2000: 96).