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III. Empirische Untersuchung

III.2. Governance in Venezuela

III.2.8. Accountability: Dezentralisierungsfortschritte

Da die Weltbank in den hier zugrunde liegenden GG-Publikationen weder ihre Auf-fassung vom Dezentralisierungsbegriff noch die wünschenswerten Maßnahmen im De-tail darstellt, müssen die Inhalte des Begriffs, wie sie von anderer Seite formuliert wer-den, knapp eingeführt werden. In der Politikwissenschaft wird Dezentralisierung defi-niert als der „Vorgang der Verlagerung von Zuständigkeiten vom Zentralstaat auf un-tergeordnete Ebenen der gebietskörperschaftlichen Staatsorganisation“ (THIBAUT 2004:

146). LA CRUZ (2004: 182-185) weist darauf hin, dass in Staaten mit gefestigten födera-len Strukturen darunter die Reform einer solchen verstanden wird. In zentralistischen Staaten, wie z. B. vielen lateinamerikanischen, handelt es sich hingegen zunächst dar-um, das Gewicht von Regionen und Kommunen gegenüber der Zentralregierung zu stärken. Letzteres könne über Maßnahmen erfolgen wie Direktwahl regionaler und kommunaler Autoritäten, was zur Steigerung ihrer Verantwortlichkeit gegenüber ihren Gebietseinheiten beiträgt, oder über die Verlagerung öffentlicher Kompetenzen auf die regionale und kommunale Ebene85. Dementsprechend soll hier nicht die Beschaffenheit der föderalen Organisation Venezuelas im Vordergrund stehen, sondern etwaige Fort-schritte hinsichtlich der beiden letztgenannten Maßnahmen.

84 Hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit der Partizipationsforen wäre zu überlegen, ob sie nicht letztlich gleichermaßen dem Aufbau klientelistischer Beziehungen dienen, wie dies für die Parteien der „IV.

Republik“ zutraf.

85 Eine weitere Maßnahme stellt die Aufteilung fiskaler Verantwortlichkeiten bzw. der Zuständigkeiten der Steuererhebung dar. Dies soll hier allerdings nicht untersucht werden, da auch in diesem Fall die Materiallage sehr spärlich ist.

Dezentralisierungsmaßnahmen vor der Regierungszeit Chávez’

Traditionell war der venezolanische Staat stark zentralistisch ausgerichtet: „Until the end of the 1980s, concentration of political power and the political-administrative centralization of the state were the defining characteristics of the Venezuelan political prosess.“ (GARCÍA-GUADILLA /PÉREZ 2002: 97). Auch dieser Missstand wurde als eine der Ursachen der Krise der „IV. Republik“ von der COPRE erkannt, weshalb Dezentra-lisierungsreformen in den Fokus ihrer Arbeit rückten86 (LA CRUZ 2004: 187f, 198, MCCOY 2004: 268f). Man hoffte, über dezentralisierte Strukturen das Repräsentations-prinzip im politischen System wieder etablieren zu können, und setzte 1989 einen Re-formprozess87 in Gang, der unter der Regierung CAP vehement verfolgt, von Caldera allerdings bereits 1994 ausgebremst wurde.

Einen der wesentlichen Inhalte der Reform stellte die Einführung der Direktwahl von Gouverneuren, Bürgermeistern und Stadträten dar, was zunächst die sehr politische Motivation offenbart, die Krise der Repräsentation in Venezuela zu überwinden (KORNBLITH 1998: 12f, MORA 2005: 224f). Das Gesetz Ley Orgánica de Decentraliza-ción, Delimitación y Transferencia de Competencias del Poder Público, in dem Modus und Ziele der Übergabe verschiedener Kompetenzen festgeschrieben wurden, bildete einen weiteren Fortschritt (KORNBLITH 1998: 12f, LA CRUZ 2004: 190f). Beide Elemen-te88 entsprechen den oben formulierten Maßnahmen zur Stärkung der untergeordneten staatlichen Ebenen und wurden letztlich auch positiv beurteilt, da sie das Institutionen-gefüge bzw. die polity des Landes in beachtlichem Ausmaß zu ändern vermochten (KORNBLITH 1998: 12, LA CRUZ 2004: 199). Sogar die Weltbank hebt den venezolani-schen Reformprozess in „Governance and Development“ explizit hervor (WORLD BANK

1992: 22).

86 Bemerkenswerterweise argumentieren GARCÍA-GUADILLA /PÉREZ (2002: 97), der Trend zu Dezentrali-sierungsreformen habe in Lateinamerika zu einem Zeitpunkt stattgefunden, als die jahrzehntelang vorherrschenden populistischen Modelle ausgedient hätten.

87 Zum gesamten Reformprozess siehe: ALVAREZ 2003: 147, 155-157, KORNBLITH 1998: 12f, LA CRUZ 2004: 189-195, MCCOY 2004: 268-272, MORA 2005: 224.

88 Die Reform umfasste des Weiteren u. a. ein Gesetz zur Stärkung der Rolle von Gemeinden (Ley Or-gánica de Régimen Municipal), die Schaffung eines Fonds zur Koordinierung des Prozesses (Fondo Intergubernamental para la Descentralización, FIDES), und schließlich diverse Änderungen des Steuerwesens und fiskaler Zuständigkeiten (LA CRUZ 2004: 189-195).

Rezentralisierungsmaßnahmen unter Chávez

Die neue Verfassung schreibt weiterhin den föderalen Status des Landes fest (REPÚBLICA BOLIVARIANA DE VENEZUELA 1999: Art. 4) und beinhaltet einige Elemente, die Dezentralisierung fördern könnten, z. B. die Stärkung lokaler Strukturen und die besagte Partizipation innerhalb der Gemeinden über Foren wie CLPP, denen nominell auch die Aufgabe zuteil wird, die Durchführung von Dezentralisierungspolitiken zu koordinieren (CARIOLA / LACABANA 2005: 27, MORA 2005: 242). Es wird jedoch Kritik vorgebracht, die Regierung würde über diese Kanäle de facto indirekt Zentralisierung forcieren (ALVAREZ 2003: 156f). Die Eliminierung der zweiten Parlamentskammer, der Vertretung der Einzelstaaten, unterstreicht eine solche Tendenz noch viel deutlicher – denn „[i]nstitutionelle Arrangements und formale föderale Struktur passen nun nicht mehr zusammen, da die Einzelstaaten nicht mehr adäquat auf nationalstaatlicher Ebene repräsentiert werden“ (RÖDER /RÖSCH 2004: 194f). Anstelle der Länderkammer wurde der Föderale Regierungsrat (Consejo Federal del Gobierno) gegründet, welcher die Übertragung von Kompetenzen steuern soll und vom Vize-Präsidenten geführt wird (WELSCH / CARRASQUERO 2001: 6-8). Da dieser vom Präsidenten ernannt wird, übt Letzterer indirekte Kontrolle sowohl über den Rat als auch über den Dezentralisie-rungsprozess im Allgemeinen aus.

Chávez’ Anliegen, die Dezentralisierung umzukehren, zeigt sich nicht nur in solch indirekter Form, sondern auch anhand expliziter Maßnahmen sehr deutlich. Bereits er-folgte Dezentralisierungsmaßnahmen wurden revidiert und keine weiteren Reform-schritte unternommen (LA CRUZ 2004: 197). Durch administrative Hürden, verspätete Finanztransfers an Einzelstaaten und Kommunen oder Dekrete, die Geldzuweisungen weiter reduzieren sollen, wurden laufende Prozesse ausgebremst (BOECKH 2000: 93, BURCHARDT 2005a: 106, LA CRUZ 2004: 197f).

Poorer governance?

Vergleicht man diese performance mit der auf Dezentralisierung zielenden Reform-dynamik Anfang der 1990er, die zu den fortschrittlichsten auf dem Kontinent gezählt worden ist (LA CRUZ 2004: 181), ist der Regierung Chávez’ diesbezüglich poorer go-vernance zu attestieren. Wenn auch – im Gegensatz zu LA CRUZ (2004: 181, 199, 201), der sich in Bezug auf die Reformen der 1990er durchwegs positiv äußert, – MORA

(2005: 224-226) argumentiert, Dezentralisierung habe in Venezuela nie wirklich stattge-funden, so ist doch der Umstand, dass unter Chávez von einer dezidierten Umkeh-rung des Reformprozesses hin zu einer RezentralisieUmkeh-rung gesprochen werden kann, als poorer governance zu werten.

Einzig beachtenswert unter der aktuellen Regierung ist die im Rahmen der Förde-rung partizipativer Elemente erfolgende Stärkung lokaler Strukturen. Zwar wurden dort, wie bereits dargelegt wurde, Partizipationsräume geschaffen. Inwieweit dadurch den Gemeinden mehr Gewicht verliehen werden kann, muss sich jedoch noch zeigen. Bis jetzt würden zum einen die Lokalregierungen die Handlungsspielräume, die ihnen zur Verfügung stehen, gar nicht wahrnehmen (MORA 2005: 240). Zum anderen ist fraglich, wie groß diese sein mögen, wenn in Folge der Rezentralisierung ihnen immer weniger Finanztransfers zukommen (MCCOY 2004: 280).