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2.4 Kontrollierte radikalische Polymerisation

2.4.4 Reversibler Additions-Fragmentierungs-Kettentransfer, RAFT

Schema 2.9Das RAFT-Vorgleichgewicht.[37,38]

RAFT steht für „Reversibler Additions-Fragmentierungs-Kettentransfer“ und basiert auf dem degenerativen Kettentransfer (siehe Schema 2.6, rechts). Er wurde im Jahr 1998 von Moad, Rizzardo und Thang erstmals publiziert.[37,38]Zeitgleich erschien ein Patent aus Frankreich von Corpartet al.,[39]das die kontrollierte Polymerisation von Blockco-polymeren mittels „MADIX“ („Macromolecular Design via the Interchange of Xantha-tes“) schützt. Wie aus dem Akronym ersichtlich, beschränken sich Copartet al.dabei auf Xanthate (Z = Alkyloxy). Moad, Rizzardo und Thang verwendeten hingegen an-fangs nur Dithioester, die an Alkyl- oder Arylgruppen binden. Der Mechanismus ist jedoch der gleiche, da der Dithioester selber die tragende Rolle spielt. Heute ist die

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2.4 Kontrollierte radikalische Polymerisation

Polymerisationsart fast ausschließlich unter dem Namen RAFT verbreitet und umfasst ein weites Spektrum an RAFT-Agenzien, das die Xanthate einschließt.[12,40–43]

Die Grundstruktur ist in Schema 2.9 im Kasten dargestellt. Die Z-Gruppe ist die stabili-sierende Gruppe, die das Intermediat (Schema 2.9, Mitte) stabilisieren soll und die Ad-dition eines Makroradikals an das RAFT-Agenz beeinflusst. R ist die Abgangsgruppe, die im Vorgleichgewicht abgespalten wird. Somit enthalten manche Polymerketten die Abgangsgruppe R und andere das initiierende Initiatorfragment als Endgruppe. Für ei-ne effiziente RAFT-Polymerisation müssen die folgenden Punkte erfüllt werden:[12]

• Das RAFT-Agens enthält eine reaktive Schwefel-Kohlenstoff-Doppelbindung (schnelle Addition des Radikals an das RAFT-Agens).

• Die Intermediat-Radikale fragmentieren (schwache S-R-Bindung), ohne eine Ne-benreaktion einzugehen.

• Das Intermediat des Vorgleichgewichts soll bevorzugt die Abgangsgruppe ab-spalten und nicht das angreifende Radikal.

• Die Radikale R·sollen gut reinitiieren.

Somit ist eine RAFT-Polymerisation eine radikalische Polymerisation, deren Schritte

Initiierung,

Propaga-tion und Terminierung um das RAFT-Vor- und -Hauptgleichgewicht ergänzt werden (Schema 2.10). Ein reversibler Transferschritt führt zu einem Gleichgewicht zwischen aktiven und inaktiven Ketten und sorgt so für ein gleichmäßiges Wachstum. Terminie-rung ist im gleichen Maße möglich wie in einer freien radikalischen Polymerisation, außerdem ist die Propagationsgeschwindigtkeit (im Gegensatz zu NMP und ATRP) nicht herabgesetzt. Der „Persistent Radical Effect“ tritt nicht auf.

Das verwendete Monomer beeinflusst die Wahl des RAFT-Agens. Während z. B. Di-thioester (Z = Aryl oder Alkyl) oder Trithiocarbonate (Z = Alkylthio) für Monomere wie Styrol und Methylacrylat geeignet sind, führen sie in einer Vinylacetat-Polymerisation zu Inhibierung oder Retardierung (z. B. durch Kupplung zweier RAFT-Radikale). Um-gekehrt sind Carbamate (Z =N,N-Dialkyl oderN-Alkyl-N-Aryl) und Xanthate (Z = Al-kyloxy), die sich für Vinylacetat eignen, für Styrol und Acrylate ineffizient.[44] Ei-ne Übersicht, die gängige R- und Z-Gruppen und ihre Einsatzgebiete darstellt, ist in Schema 2.11 abgebildet. Für die Z-Gruppen nehmen die Additionsgeschwindigkeiten und Transferkonstanten von links nach rechts ab, während die Fragmentierungsge-schwindigkeit zunimmt. Bei den R-Gruppen nimmt die

Fragmentierungsgeschwindig-2 Theorie

Schema 2.10Mechanismus der RAFT-Polymerisation.[40]

keit von links nach rechts ab. Eine gestrichelte Linie indiziert eingeschränkte Kontrolle, bedingt durch z. B. Retardierung.[45]

RAFT-Agenzien eignen sich zur Kontrolle fast jeden Monomers, welches sich radika-lisch polymerisieren lässt. Neben den in dieser Arbeit verwendeten Vinylmonomeren (Styrol und Vinylacetat), dem Dien 1,3-Butadien und Acrylaten (Bsp. Methylacrylat) können auch Methacrylate, Acrylamide, Methacrylamide und Acrylonitrile verwendet werden. Eine Vielzahl ungeschützter Funktionalitäten an Lösungsmittel- oder Mono-mermolekülen wird toleriert (z. B. OH, COOH, NR2, C(O)NR2, SO3H).[12] Die Reakti-onsbedingungen können ebenfalls flexibel an den Bedarf angepasst werden.[46] So ist es möglich, die Polymerisation in Substanz, in wässriger oder organischer Lösung oder in Emulsion durchzuführen.

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2.4 Kontrollierte radikalische Polymerisation

Schema 2.11Schematische Darstellung potenzieller R- und Z-Gruppen und ihrer Einsatzmöglichkeiten.[45]

Schaltbare RAFT-Agenzien

RAFT-Agenzien eignen sich hervorragend für die Synthese von Blockcopolymeren. Das Makro-RAFT-Agens, welches bereits einen Block von Monomer 1 trägt, kann erneut mit Initiator und einem neuen Monomer versetzt werden. Der Block des Monomers 2 wird zwischen die RAFT-Einheit und Block 1 eingebaut. Dies funktioniert aber nur dann, wenn die Monomere und die entsprechenden Radikale ähnliche elektronische Eigen-schaften haben, das Intermediat unter Abspaltung des ersten Blockes fragmentiert und das abgespaltene Makroradikal in einer Polymerisation von Monomer 2 gut reinitiiert.

Styrol und Butadien zählen ebenso wie die Acrylate zu der Klasse der sogenannten

„more activated monomers“ (MAM), wohingegen z. B. Vinylacetat zu den „less acti-vated monomers“ (LAM) gerechnet wird. RAFT Agenzien, die die Polymerisation von MAMs effektiv kontrollieren (wie z. B. Dithioester oder Trithiocarbonate), inhibieren oder retardieren die Polymerisation von LAMs. Umgekehrt sind Dithiocarbamate und Xanthate, die sich in der Polymerisation von LAMs bewährt haben, für eine MAM-Polymerisation ungeeignet.[44]

Verschiedene Forschungsgruppen[47,48]haben unterschiedliche kontrollierte Polymeri-sationen kombiniert, um ein PolyMAM-block-polyLAM zu synthetisieren. Dabei wird z. B. der erste Block mittels ATRP hergestellt, anschließend wird die ATRP-Initiator-Funktionalität (ein endständiges Bromatom) in eine Xanthat-Endgruppe

umgewan-2 Theorie

delt und der zweite Block (in diesem Fall der Vinylacetat-Block) in einer RAFT-Polymerisation synthetisiert.

Sollen beide Blöcke mittels RAFT hergestellt werden, um z. B. sicherzustellen, dass das Polymer restlos metallfrei ist, gibt es die Möglichkeit sogenannte „switchable RAFT agents“,[49–51]also schaltbare RAFT-Agenzien, zu benutzen. Diese RAFT-Agenzien bie-ten die Möglichkeit, durch Protonierung bzw. Deprotonierung die elektronischen Ei-genschaften so zu verändern, dass entweder LAMs oder MAMs kontrolliert werden können.

In Schema 2.12 ist das Grundprinzip dargestellt. Die von Benagliaet al. vorgestellten RAFT-Agenzien gehören zu den Dithiocarbamaten. In die Z-Gruppe ist ein Pyridinrest integriert, der am Stickstoff protoniert werden kann und somit die elektronische Struk-tur und die Eigenschaften des RAFT-Agenzes ändert.

N N SR

S

N N SR

S

H H+

Base

Schema 2.12Schematische Darstellung eines schaltbaren RAFT-Agenzes.[49,50]

Schema 2.13 zeigt die Verwendung am Beispiel eines RAFT-Agenzes mit einer Methylacrylat-Abgangsgruppe. Aus dem neutralen RAFT-Agenz wird durch Protonie-rung das geladene Pendant gebildet, durch DeprotonieProtonie-rung mittels einer Base (z. B.

Filtration durch Natriumcarbonat oder stöchiometrische Zugabe 4-(Dimethylamino)-pyridin (DMAP)) wird wieder das neutrale RAFT-Agens oder Makro-RAFT-Agens wonnen. Eine mögliche grafisch-darstellbare Grenzstruktur für das neutrale bzw. ge-ladene RAFT-Agens ist ebenfalls gezeigt. In einer RAFT-Polymerisation von LAMs wie Vinylacetat findet das ungeladene Agens Verwendung, in einer RAFT-Polymerisation von MAMs wie Styrol wird hingegen die geladene Spezies verwendet.

In der Praxis hat es sich bewährt, zuerst den MAM-Block zu polymerisieren, da termi-nale LAM-Gruppen schlechtere Radikalabgangsgruppen als termitermi-nale MAM-Gruppen sind (siehe Schema 2.14).[49]

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2.4 Kontrollierte radikalische Polymerisation

Schema 2.13Darstellung der Resonanzstrukturen der schaltbaren RAFT-Agenzien am Beispiel von Methyl-2-(methyl(pyridin-4-yl)carbamothioyl)thiopropanoat.[49]

N

Schema 2.14Synthese eines PolyMAM-block-polyLAM. Das Umschalten (englisch:

„switch“) des RAFT-Agens erfolgt mit Natriumcarbonat.

2 Theorie

Molmassenberechnungen bei RAFT-Polymerisationen

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das zu erwartende Molmassen-Zahlenmittel einer RAFT-Polymerisation zu berechnen.

Ein einfacher, allgemeiner Ansatz wurde im Jahr 2005 von Moadet al.vorgestellt:[12]

Mtheon = [M]0−[M]t

[RAFT]0 ·MM = U ·[M]0

[RAFT]0 ·MM (2.37) Hierbei wird das verbrauchte Monomer, also die Differenz zwischen der Ausgangs-konzentration [M]0und der Konzentration zur Zeitt, [M]t, mit der Molmasse des Mo-nomersMM multipliziert und durch die Anzahl der Ketten, welche der RAFT-Agens-Ausgangskonzentration [RAFT]0 entspricht, dividiert. Um sinnvolle Ergebnisse zu er-halten, muss zu der Molmasse, die über o.g. Formeln berechnet werden kann, die Molmasse des RAFT-AgenzesMRAFT hinzuaddiert werden, da jede Polymerkette ein RAFT-Molekül enthält und bei einem Umsatz null die Molmasse des Produkts der Mol-masse des RAFT-Agens entspricht.

Es ergibt sich für die theoretische Molmasse ohne Berücksichtigung der Initiatorkon-zentration:[12]

Mtheon = U·[M]0

[RAFT]0 ·MM+MRAFT (2.38) Zeitgleich zu Moadet al.[12]veröffentlichten Aritaet al.[52]und Monteiro[53]eine etwas ausführlichere Variante, in der die Terminierung und die dadurch entstehenden Poly-merketten berücksichtigt werden:

Mtheon (T)= [M]0−[M]t

[RAFT]0+d·f ·([I]0−[I]t) ·MM+MRAFT (2.39) Wenn die Geschwindigkeitskoeffizientkd bekannt ist,[54] kann die Molmasse mit fol-gender Formel berechnet werden:

Mtheon (T)= U·[M]0

[RAFT]0+ [I]0·f·d·(1−exp(−kd·t))·MM+MRAFT (2.40) Neben dem verbrauchten Monomer und RAFT-Agens spielt der bis zum Zeitpunktt zerfallene Initiator und die Polymerketten, die daraus gebildet wurden, eine Rolle. Die Inititatoreffizienzf und d als Maß für den Terminierungsmechanismus werden eben-falls berücksichtigt (f = 0,6 für AIBN als Initiator bei 60C;[55]d= 1,0 für Styrol[55]und d= 1,67[12]bzw. 1,70[56]für MMA).

Diese Erweiterung beinhaltet Polymerketten, die keine RAFT-Gruppe tragen und nur

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