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Resümee: Die Diktatur der Rollenbilder

3.2 Familiäre Rollenmuster und Geschlechterkonstruktionen

3.2.4 Resümee: Die Diktatur der Rollenbilder

Die Analyse der Rollenverteilung zwischen männlichen und weiblichen Cha-rakteren in den untersuchten Video-on-Demand-Serien fördert wenig innovative Strukturen zu Tage. Dass weibliche Protagonistinnen innerhalb der untersuchten Weltmodelle zumeist die Rolle der Mutter oder Tochter einnehmen, ist ebenso wenig verwunderlich wie die äquivalente Positionierung männlicher Charaktere als Väter und Söhne. Vor allem dann, wenn die Kernfamilie als Zentrum der Hand-lung fokussiert wird, kann es innerhalb einer solchen kaum andere Rollen geben.

Dennoch ist es auffällig, dass es in den analysierten Formaten keine nennens-werte Anzahl an Mitgliedern der erweiterten Familie wie Großmütter, Großväter, Onkel, Tanten, Cousins oder Cousinen gibt, die explizit in dieser Rolle in Erschei-nung treten. Auch wenn Charaktere eine entsprechende Funktion einnehmen, wird diese zugunsten der kernfamiliären Funktion zurückgestellt. Obwohl z. B. Maura und Shelly Pfefferman sowie Grace Hanson Großmütter sind, treten sie vor allem als Mütter in Erscheinung. Bereits hier kann konstatiert werden, dass eine klare Beschränkung auf den engsten kernfamiliären Verband stattfindet.

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Innerfamiliär wird eine lang bekannte Struktur fortgeführt: Männer sind fast ausnahmslos berufstätig und versorgen als Ehemänner und Väter die Familie allein, während Mütter und Ehefrauen klar dem häuslichen Bereich und der Erzie-hung der Kinder zugeordnet sind. Vor allem in Bezug auf Serien, die in der heutigen Zeit spielen, entspricht dies nicht der US-amerikanischen Lebensrea-lität. Liberale Tendenzen der jeweiligen Epochen bzw. Abweichungen von der Norm werden marginalisiert oder negativ konnotiert. Die Notwendigkeit, diese geschlechtsspezifischen Rollen einzunehmen, ergibt sich aus den dargestellten Weltmodellen nicht. Daraus ergibt sich der Eindruck eines langlebigen Kontinu-ums. Die Opferbereitschaft und das Einstehen des Mannes für die Familie sowie der Wunsch der Frau nach Mutterschaft sind als mythische Biologismen angelegt, ebenso der aktive Part des Mannes bezüglich der Anbahnung einer Beziehung.

Damit einhergehend sind männliche Charaktere tendenziell emotional zurückge-nommen und rational – Eigenschaften, welche die in den Texten als hart und schutzlos dargestellte berufliche Welt ihnen abverlangt. Dies geben sie nur dann auf, wenn die Familie konkret bedroht wird. Weibliche Charaktere dagegen sind deutlich emotionaler und zeigen mehr Empathie, wie es bei der Fürsorge um Heim und Familie als notwendig klassifiziert wird. Besonders abweichende Frauen, die nicht nach Familie, Kindern oder zumindest einer Beziehung streben, bestätigen diese Struktur, da sie als negative Opponenten oder glücklose, angreifbare Figuren dargestellt werden.

In der Jugendphase bzw. dem Leben als Sohn ist es männlichen Figuren erlaubt, emotional und impulsiv zu agieren und konsequent ihre Träume und Wünsche zu verfolgen. Agieren weibliche Charaktere auf diese Art wird dies, vor allem wenn sie keine baldige Paarbindung anstreben, als burschikoses bzw. mas-kulines Verhalten betrachtet. Hier wird Zurückhaltung erwartet. Mit dem Wechsel in die Ehe wandeln sich die gesellschaftlichen Erwartungen in den Weltmodellen, so dass Männer stets in einer privilegierten bzw. dominanten Position sind.

Außerfamiliäre Frauen, die der Familie in irgendeiner Weise assoziiert wer-den, lassen sich recht deutlich schematisieren und stehen, handelt es sich nicht um Opponentinnen, häufig im romantischen Interesse anderer zumeist männlicher Charaktere. Eine ähnliche Rollenverteilung lässt sich im Falle der männli-chen, außerfamiliären Figuren nicht feststellen. Diese treten in diverseren, häufig professionellen bzw. beruflichen Rollen auf. Im Vergleich zu den weiblichen Charakteren ergibt sich hieraus eine klare Verortung weiblicher Charaktere im amourösen oder sexuellen Bereich. Eine vergleichbare Korrelation zwischen dem Beziehungsstatus weiblicher Charaktere und deren Charakterisierung als Oppo-nentinnen lässt sich bei männlichen Charakteren definitiv nicht feststellen. Ebenso

wird diesen eher ein Leben außerhalb einer Paarbeziehung zugestanden als weiblichen Figuren.

Sowohl auf emotionaler Ebene als auch aufgrund finanzieller Verfügungsge-walt – und damit zu einem nicht geringen Teil gesellschaftlichen Einfluss – sind weibliche Charaktere nach wie vor der Autorität männlicher Charaktere unter-stellt. Dies wird nicht explizit in dieser Form geäußert, lässt sich aber klar aus den Strukturen und Zusammenhängen der analysierten Weltmodelle erschließen.

Die Rollenverteilung ist dabei intradiegetisch durchaus problematisch. Die Mehr-zahl der Probleme weiblicher Charaktere ergibt sich aus dem häuslichen Bereich, während Männer meist von der Arbeit belastet werden. Weibliche Figuren leiden unter einem Mangel an Selbstwertgefühl, der Einengung in einen zu kleinen und monotonen familiären Raum und vor allem unter der Abwesenheit charakterlicher und gesellschaftlicher Individualität. Männliche Figuren neigen dazu, den Druck, dem sie in der Arbeitswelt ausgesetzt sind, auf negative Weise auf die Familie zu übertragen. Die Grundlage für diese Problematik wird bereits in der Jugendphase gelegt, in der Söhnen eher ein Ausbruch aus familiären Strukturen zugestan-den bzw. dieser emphatischer hervorgehoben wird als die Selbstfindungsphase weiblicher Charaktere, die zumeist mit einer raschen Paarbindung einhergeht.

Weibliche Charaktere erhalten weniger die Möglichkeit zur Selbstfindung oder legen diese rasch ab, um eine Familie zu gründen. Der Druck, den männliche Cha-raktere erdulden müssen, wird von einer ‚feindlichen‘, außerfamiliären Außenwelt ausgeübt. Weibliche Problematiken ergeben sich einerseits aus dem Ennui des familiären Lebens, andererseits – und das dominant – aus dem Charakter selbst.

Handelt ein Mann aufgrund beruflicher Belastungen destruktiv gegenüber der Familie, so handelt er aufgrund äußerer Zwänge, die originäre Schuld liegt nicht bei ihm. Entsprechende Handlungen weiblicher Charaktere ergeben sich stets aus deren eigener Verantwortung. Männliche Destruktivität, so lässt sich schließen, ist in den Zusammenhängen der analysierten Erzählungen verzeihlicher als weib-liche Destruktivität. Die Verfehlungen eines Vaters und Ehemannes werden somit moralisch weniger hart verurteilt als die einer Ehefrau.

Auch bei der Darstellung homo und transsexueller Charaktere verliert das Machtgefälle zwischen männlichen und weiblichen Charakteren nicht seine Gül-tigkeit, rückt jedoch zugunsten anderer Thematiken in den Hintergrund. Der Prozess der Selbstfindung und der Kampf gegen gesellschaftliche Ressentiments stehen hier im Vordergrund. Vor allem wird durch die Inszenierung der Cha-raktere deren Existenz am Rande der Gesellschaft deutlich. Zwar werden sie generell als differenziert und positiv dargestellt, bewegen sich aber außerhalb der dominanten Norm und müssen um Akzeptanz und Anerkennung kämpfen

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– ebenso mit dem Außenraum wie mit der eigenen Persönlichkeit und verinner-lichten Wertvorstellungen. Nicht selten streben die Charaktere dementsprechend nach Normalität bzw. Angleichung an konservative und heteronormative Struktu-ren und damit an zuvor genannte Schemata der männlichen Dominanz und der weiblichen Unterordnung.

Unabhängig von der sexuellen Orientierung der Charaktere halten die ana-lysierten Video-on-Demand-Serien an einer langjährig tradierten, konservativen Rollenverteilung fest. Die Alternativlosigkeit der Rollenbilder und insbesondere der Wunsch der Frauen aus häuslichen Strukturen auszubrechen und darüberhin-ausgehende Lebensinhalte zu finden ist dabei eine Problematik, die bereits Anfang der 1960er Jahre von der Feministin und Publizistin Betty Friedan in die Kri-tik genommen wurde: „We can no longer ignore the voice within women that says: ‚I want something more than my husband and my children and my home‘“

(Friedan 1963: 20, vgl. Friedan 1963: 44). Friedan führt aus, dass in zahlreichen Narrativen der 1950er und 1960er Jahre, Mutterschaft für weibliche Figuren unab-dingbarer Teil des „femininen Mythos“ („feminine mystique“) ist (vgl. Friedan 1963: 30, 45). Hier zeigen sich deutliche Parallelen zu den analysierten Serien, die eben diese Strukturen fortführen. Somit kann die Familiendarstellung der Video-on-Demand-Serie im Kern als antifeministisch bezeichnet werden. Dieser Antifeminismus ist wohl kaum Produkt einer bewussten politischen bzw. media-len Agenda und reicht nicht mehr so weit, dass Bildung und Berufstätigkeit von Frauen generell abgewertet werden (vgl. Friedan 1963: 49). Vielmehr handelt es sich bei dem von Friedan beschriebenen „feminine mystique“ um ein verhärtetes mediales Dogma, das unreflektiert reproduziert wird. Auch wenn diese Strukturen in der Darstellung der Serien kein Ideal, sondern vielmehr eine Belastung darstel-len, werden sie dennoch weiterhin als alternativlos repräsentiert. Der mystifizierte Gedanke der Frau als Mutter und Hausfrau lebt hier fort und die von Friedan geforderte unbedingte Loslösung der Frauen von ihrer entpersonalisierenden und standardisierenden Rolle (vgl. Friedan 1963: 249) wurde auch über 50 Jahre später nicht umgesetzt.

Dabei gibt es prominente Ausnahmen und Formate (u. a.The Marvelous Mrs.

Maisel), die versuchen, abweichende Wege zu beschreiten – diese bestätigen jedoch angesichts der Mehrzahl normkonformer Charaktere lediglich die Regel.

Die genannten Strukturen werden durch deutliche Bestrebungen relativiert, diese zu dekonstruieren, zu problematisieren und nicht mehr als Ideal darzustellen.

Indes bleiben sie in der Tiefenstruktur der Serien verankert und behalten ihren Status als Mythos bzw. als weitgehend alternativlos.