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3.3 Familiäre Beziehungsmodelle

3.3.1 Eheliche Charakterverhältnisse

Betrachtet man die Beziehung zwischen den Eheleuten in den analysierten Forma-ten, so fällt auf, dass die überwiegende Mehrzahl der Verhältnisse eine deutliche negative oder zumindest ambivalente Wertung erhält. Von 26 Verhältnissen erwe-cken 12 einen intradiegetisch negativen Anschein, 12 sind ambivalent in ihrer Darstellung und nur zwei deutlich positiv.86

Die zwei positiven Beziehungen bestehen zwischen Sol und Frankie Berg-stein sowie zwischen Sol BergBerg-stein und Robert Hanson. Die eheliche Beziehung zwischen Sol und Frankie endet zwar durch sein Outing, nach wie vor besteht

86Für die folgenden Angaben vgl. die Tabelle in Anhang 1.1 im elektronischen Zusatzmate-rial.

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aber eine enge emotionale Bindung. Selbst nach der Trennung spenden sie sich Trost und schlafen im selben Bett (vgl. Grace and Frankie I/1: 9:00).

Er will, dass sie möglichst gute Bedingungen bei ihrer Scheidung aushandelt (vgl. Grace and Frankie I/2: 16:00). Das Verhältnis ist von großer Zuneigung und Offenheit gekennzeichnet. Die Beziehung zwischen Robert und Sol ist ebenso recht harmonisch. Es herrscht gegenseitiges Verständnis, Probleme werden ausgehandelt.

Die Negativdarstellung der anderen ehelichen Verhältnisse ergibt sich hand-lungslogisch entweder aus einer Scheidung, einem Ehebruch oder der Koinzidenz beider Faktoren. Im Fall der Familie Murphy (F is for Family) oder der Fami-lie Hayward (The Romanoffs I/6) liegen entsprechende Ereignisse nicht vor.

Hier besteht ein anderweitiger Konflikt zwischen den Eheleuten. Die Haywards haben unterschiedliche Standpunkte bezüglich der angemessenen medizinischen Behandlung ihres Sohnes, wobei Philipp einer Weiteführung der von Victoria vor-angetriebenen fruchtlosen Behandlungsversuche widerspricht. Hier treffen kühle Rationalität und emotionales Agieren aufeinander und sind der Grund für einen massiven Konflikt, der offensichtlich für beide Seiten belastend ist. Frank Murphy wiederum nimmt seine Frau Sue in ihren Ambitionen und Wünschen nicht ernst und beschränkt sie auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter. Eine dennoch vor-handene gegenseitige sexuelle Anziehung und die Liebe zwischen den Eheleuten reicht daher nicht aus, um das allgemein negative Weltbild des Formats aufzu-wiegen. In beiden Fällen tritt eine Scheidung nicht ein, da die Haywards wie die Murphys ihr/e Kind/er weiterhin versorgen müssen. InF is for Family lässt sich dies auch auf die genretypische Konsistenz des Weltmodells zurückführen.

Ehebrüche und Scheidungen haben in den analysierten Weltmodellen diverse Ursachen, welche aber im Kern Gemeinsamkeiten aufweisen. Die am wenigsten problematische Scheidung, d. h. die, die mit der geringsten Entfremdung der Ehe-partner einhergeht, ist die zwischen Sol und Frankie Bergstein. Deren Ursache sind nicht mangelnde Zuneigung oder ähnliche Faktoren, sondern die bewusste Abkehr des Ehemannes von der Ehe. Robert und Grace Hansons Ehe war bereits vor der Scheidung wenig glückbringend: Beide Ehepartner führen eher eine ein-gefahrene Beziehung als eine, die tatsächlich auf Liebe oder Zuneigung basiert (vgl.Grace and FrankieI/1: 7:00). Dabei ist folgendes Gespräch kennzeichnend:

Robert: „Let’s be honest. Were you ever really happy with me?“ – Grace: „I was happy enough. So we didn’t have the romance of the century. But I thought we were normal.

I thought we were like everybody else. I thought this is live.“ – Robert: „And I thought there was more.“ (Grace and FrankieI/1: 7:00)

Die Routine, welche Grace als Normalität wahrnimmt, ist ein Grund für Roberts Trennung und seinen Ehebruch mit Sol. Damit ähnelt er anderen Ehemännern, welche die Ehe aufgrund der Einengung in Bezug auf bestimmte Pflichten hin-ter sich lassen. Auch Joel Maisel (The Marvelous Mrs. Maisel) begeht Ehebruch aufgrund eines Gefühls mangelnder Selbsterfüllung. Hier ist es aber die Ehefrau, welche die Scheidung nutzt, um die Beziehung zu beenden. Joels und Miriams Ehe und die daraus resultierende Familie sind zwar in sich nicht unglücklich, beide Ehepartner empfinden nach wie vor Zuneigung zueinander. Es handelt sich dennoch um ein Produkt gesellschaftlicher Zwänge. Somit stellt die Ehe eine Belastung dar, die außerdem zwischen den Charakteren und deren Selbst-verwirklichung steht. Leroy O’Neil, der sich in Everything Sucks! trotz eines gemeinsamen Kindes von Sherry trennt, um seinen persönlichen, aber frucht-losen Zielen nachzugehen, ähnelt in seinen Handlungen Joel Maisel. Auch Michael Romanoff begeht Ehebruch, um aus der Routine seines Lebens auszu-brechen (vgl.The RomanoffsI/2), während George Burrows schlicht aus sexueller Anziehung zu Ondine handelt (vgl.The RomanoffsI/8).

Bei einer durch männliche Charaktere angestrebten Trennung steht in der Regel das Paradigma der Verantwortungslosigkeit und des Wunsches nach rück-sichtsloser Selbstverwirklichung im Vordergrund. Ehebruch ist dabei nie eine probate Handlungsweise, egal ob er von der Ehefrau oder dem Ehemann begangen wird. Wenn er die Stabilität der familiären Struktur bedroht, wird er als ver-antwortungslos und selbstsüchtig dargestellt. Dennoch wird der Ehebruch durch weibliche Charaktere als nachvollziehbar inszeniert, auch wenn er dadurch intra-diegetisch nicht entschuldbar wird. Wendy Byrde und Elsa Gardner leiden unter der familiären Einengung und der Ignoranz des Ehemannes. Elsas Ehemann wirft ihr wortwörtlich vor, sich allein über die Rolle als Mutter zu definieren. Eine Trennung vom Ehemann wie in Grace and Frankie, The Marvelous Mrs. Maisel oderEverything Sucks!ist durchaus legitim, solange diese auf einem Ehebruch des Ehemannes basiert. Wenn – wie inRed Oaks– keine Kinder mehr zu versorgen sind und dadurch die Familie als Schutzraum nicht mehr unmittelbar bedeutend ist, ist dies ebenso möglich. Einen Sonderfall stellt The Get Down dar: Hier erwehrt sich Lydia Cruz ihres gewalttätigen und despotischen Ehemannes, dessen Verhalten Ehebruch und Trennung legitimiert.

Am Beispiel von Sue Murphy, aber auch anhand von Elsa Gardner, Sherry O’Neil, Sue Murphy, Wendy Byrde, Judy Myers, Lydia Cruz, Miriam Maisel, Shelly Romanoff, Victoria Hayward, Natalie Burrows und Sarah Pfefferman zeigt sich ein zentrales Charakterisierungselement ehelicher Beziehungen: Zwar sind einige Serien-Ehemänner ebenso unglücklich mit ihrer Ehe, vor allem aber sind es die Ehefrauen, die unter den geschilderten Strukturen leiden. Es ist dabei nicht

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– wie man vielleicht vermuten könnte – die Überpräsenz des Ehemannes und eine gezielte Ausübung patriarchaler Strukturen, welche problematisch ist, sondern deren Absenz. Eigennützige Selbstbezogenheit des Ehemannes, dessen emotio-nale Abwesenheit oder Kälte, oft eine Konsequenz des harten Arbeitslebens, haben negative Auswirkungen auf die eheliche Beziehung. Die wirtschaftliche Abhängigkeit und die bereits oft erwähnte Rollenbindung tragen ebenfalls dazu bei.

Die Einschätzung von Ehen als ambivalent ergibt sich zum einen aus einer mangelhaften Datenlage, die keine exakte Einordnung zulässt. Dies ist bei Mitch und Mallory Hanson in Grace and Frankie der Fall. Vor allem für Mallory ist das Leben als Mutter zwar nicht stressfrei, es wird aber doch positiv inszeniert.

Mitch ist dabei eher absent. Ebenso erfährt man wenig mehr über die Beziehung von Moishe und Shirley Maisel in The Marvelous Mrs. Maisel,als dass es sich wohl um eine routinierte und langjährige Ehe handelt. Julia Wells wird in der vierten Folge von The Romanoffs von ihrem Ehemann zwar mit geringfügiger Herablassung behandelt, doch auch hier lassen sich keine exakten Aussagen über die Qualität ihrer Ehe fällen. Auch über Justin und Ella Hopkins aus derselben Folge lässt sich wenig mehr sagen, als dass der Ehemann häufig geschäftlich absent ist und die Ehefrau ihre häusliche, passive Rolle freiwillig annimmt.

Weitere ambivalente Beziehungen haben deutliche problematische Elemente, die allerdings durch andere Faktoren ‚aufgewogen‘ werden. Zudem liegt in der Regel keine konkrete Gefährdung der familiären Situation vor: Ken Messners Ehefrau ist verstorben bzw. hat Suizid begangen (Everything Sucks!). Die Ehe per se scheint glücklich gewesen zu sein, denn Messner trauert seiner Ehefrau nach.

Dies hindert ihn jedoch nicht an dem Versuch erneut eine Partnerin zu finden und somit eine stabilere Situation zu etablieren. Insofern liegt keine Negativcharak-terisierung vor. Auch Doug und Fay Getty in Red Oakslieben sich, obwohl Fay offensichtlich als Nutznießerin den Wohlstand ihres Ehemannes genießt. Abraham und Rose Weissman (The Marvelous Mrs Maisel) führen ebenfalls keine unproble-matische Beziehung: Abraham ist gegenüber seiner Ehefrau ebenso ignorant wie gegenüber seiner Tochter, ist aber dennoch keine explizit negative Figur. Beide Ehepartner haben sich mit den Launen des jeweils anderen arrangiert. Beau und Maggie Bennett (The Ranch) empfinden zwar Zuneigung füreinander und Beau wünscht sich – trotz der Scheidung – erneut ein gemeinsames Leben. Maggie zieht es allerdings vor, ihren Freiraum außerhalb der Ehe zu genießen und kann die emotionale Vernachlässigung durch Beau nicht vergessen. Joe und Anka Gar-ner (The RomanoffsI/7) wollen ein gemeinsames Kind adoptieren. Die Beziehung scheint dementsprechend stabil. Dennoch sind die Adoption und die daraus resul-tierenden Konflikte ein Prüfstein für ihre Beziehung. George und Ondine Burrows

(The RomanoffsI/8) führen zwar eine in sich glückliche Ehe, diese verliert aber insofern an positiver Grundwertung, da ihr Verhältnis aus dem gewaltsamen Ende von Georges vorheriger Ehe hervorging. Die Ehe von Maura und Shelly Pfef-ferman (Transparent) endete bereits vor Einsetzen der Handlung. Die Scheidung wurde wohl mit beiderseitigem Einverständnis vollzogen. Zudem befinden sich beide Charaktere nach wie vor in einem Dialog, haben sich also nicht vollkom-men voneinander distanziert. Sarah Pfeffermans und Tammy Cashmans Ehe hat zwar die Spaltung ihrer vorherigen Ehen zufolge und ist in sich nicht nur har-monisch, sie stellt aber insbesondere für Sarah eine Befreiung und Selbstfindung dar.

Hier lassen sich also keine klaren Tendenzen ableiten außer einer Bestätigung der Merkmale der Hausfrauen- und Mutterrolle. Das Idealbild der Ehe mit abso-luter Harmonie und unzerbrechlicher Zuneigung zwischen den Ehepartnern findet in den Serien des Korpus keine Anwendung mehr. Nur in den seltensten Fällen werden Ehen bzw. die Beziehungen zwischen den Eheleuten klar positiv bewertet.

Meist handelt es sich um negative Verhältnisse, die durch einen massiven Kon-flikt bestimmt werden, der häufig zu Ehebruch, Scheidung oder beidem führt. Ein ebenso großer Prozentsatz an Ehen ist zwar nicht entsprechend problematisch, weist aber Konflikte auf. Während Ehebruch dabei stets negativ und destruktiv gewertet wird, ist Scheidung in einigen Fällen – z. B. aufgrund eines Ehebruchs – ein probates Mittel. Destruktive Handlungen in Bezug auf die Familie sind dann besonders problematisch, wenn die Kinder noch jünger und dementspre-chend schutzloser sind. Die Ehe ist folglich ein Raum des Konfliktes, der zwar eindeutig durch Liebe und Zuneigung gekennzeichnet ist – denn den meisten Ehepartnern des Analysekorpus kann eine entsprechende Zuneigung zugespro-chen werden –, aber auch deutliche Belastungen mit sich bringt. Ebenso ist sie weiteren äußeren Einflüssen wie dem Arbeitsleben oder dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck ausgesetzt. Brechen sich entsprechende Belastungen Bahn, so geschieht dies meist in einem egoistischen Akt. Dieser kann so schwerwiegend sein, dass er zu einem Bruch der Ehe führt, der – tritt er während der Handlung ein – zentrales Thema ist. Die Beziehung zwischen Eheleuten, so die ableitbare Aussage, muss auf gegenseitiger Rücksichtnahme basieren, die zumindest einen Ausgleich zu negativen Aspekten der Ehe ermöglicht. Das Ende einer Ehe und somit einer Familie ist stets ein höchst problematisches Ereignis.

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