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Relevanz der energetischen Bausanierung für berufsbezogene Tätigkeiten

4.5 Angebotsorientierte Analyse der Aus- und Weiterbildungsprozesse und -strukturen

4.5.2 Relevanz der energetischen Bausanierung für berufsbezogene Tätigkeiten

Die Frage, ob die energetische Bausanierung ein derart relevantes Tätigkeitsfeld ist, dass sich be-rufliche Qualifizierung zu verändern und darauf auszurichten hat, wird von den Befragten sehr un-terschiedlich beantwortet. Generell wird die Bedeutung der Bausanierung gerade vor dem Hinter-grund energetischer Lösungen für das Bauen im Bestand gesehen. Ein Teil der Befragten verweist auf die zukünftig sich weiter verschärfenden technischen Anforderungen der

Energieeinsparver-ordnung (EnEV), wodurch unmittelbar noch weiter erhöhte personale Kompetenzanforderungen entstehen, insbesondere mit Blick auf die Notwendigkeit eines noch stärker ausgeprägten techni-schen Verständnisses. Die höheren Anforderungen verteilen sich zwar unterschiedlich auf die Ge-werke und sind für sie auch unterschiedlich zu gewichten. Sie betreffen aber prinzipiell jedoch alle Bauberufe (vor allem vor dem Hintergrund, dass die Anwendung moderner Baustoffe und Sanie-rungsverfahren häufig unterbleibt oder misslingt). Entweder sind die Facharbeiter(innen) nicht hin-reichend geschult worden oder die Bauleistungen wurden von fachlich nicht qualifizierten Arbeits-kräften oder gar von ungelernten Mitarbeiter(inne)n ausgeführt, wie folgende Interviewaussage verdeutlicht:

„Energieaspekte spielen mittlerweile in allen Bereichen eine immens wichtige Rolle. Die Dicht- und Dämmtechnik wird ganz groß geschrieben, vor allen Dingen die Verfahrens-techniken beim Einbau der Materialien. Die Anwendungsfehler sind nach wie vor immens hoch, das ist ja auch der Grund, weswegen Anwender so massiv in Schulungen investie-ren ... weil sie merken, dass der Fehler nicht in ihrem Material liegt, sondern immer in der Anwendung.“ (Ausbilderin, überbetriebliche Ausbildungsstätte)

Andere der befragten Expert(inn)en verweisen auf den großen Bestand an Altbauten, der substan-ziell unabhängig von den Anforderungen der Energieeinsparverordnungen zu sanieren ist.

„Unsere Wohnungen und Gebäude sind ja zu 70 % Altgebäude: Und da ist Energieein-sparung ein ganz großes Thema für die Gebäudehülle ... Das wird jetzt auch kommen für die Ausbildung hier.“ (FH-Lehrer, Bauingenieurwesen)

Neben Argumenten, die sich auf den aktuell hohen Anteil an Altbauten und deren Zustand bezie-hen, stehen auch solche Überlegungen, die stärker betriebs- bzw. immobilienwirtschaftlich anset-zen. So spielt die Sanierung im Vergleich zum Neubau eine zunehmend wichtige Rolle und macht, wie an anderer Stelle erwähnt, bereits heute den überwiegenden Teil der Bauaktivitäten aus. Wenn saniert wird, werden Fragen des Energieverbrauchs laut Aussagen eines Mitarbeiters der Hand-werkskammer allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen immer öfter mitbetrachtet. Die Ausrich-tung auf Sanierung sei für viele Betriebe ein entscheidender Faktor geworden.

In dieser Sichtweise auf die Relevanz der energetischen Bausanierung stellt sich auch die berech-tigte Frage nach der Notwendigkeit von neuen oder zumindest stark veränderten Bauberufen und Berufsausbildung. Die Befragung ergab durchgängig, dass energetische Bausanierungen zuneh-men werden, die Bauwirtschaft deshalb entsprechend qualifizierte Mitarbeiter(innen) benötigt und ggf. auch ausbilden würde. Es ist jedoch zu beachten, dass energetische Bausanierungen aber nur einen Teil der berufsbezogenen Tätigkeiten und Handlungen in der Bauwirtschaft abbilden und auch zukünftig nur ein Teil der berufsbezogener Tätigkeiten und Handlungen sein werden.

Der Blick auf die Relevanz energetischer Bausanierungen ändert sich aber, wenn diese in einen Zusammenhang mit sich langfristig erheblich verkürzenden Lebenszyklen von Bauten gestellt und eine sich darauf einstellende dynamische Bauwirtschaft, in der ständig komplexitätssteigernde Lö-sungen entwickelt und vermarktet werden, mitbedacht wird. So kann sich ein Mitarbeiter der Handwerkskammer vorstellen, dass zukünftig wieder mehr neu gebaut wird. Energieeinsparung hat in diesen Zukunftsszenarien zwar immer noch einen hervorragenden Stellenwert. Dieser ergibt sich

aber dann eher durch neue konstruktive Lösungen von so genannten „schlauen Häusern“ und we-niger durch die Sanierung von alter Bausubstanz.

„Ich denke schon, dass wir Häuser haben werden, die kaum noch Energie verbrauchen, und sehr viel mit Elektronik zu tun haben ... wenn automatisch bestimmte Jalousien rauf und runter gehen oder die Kollektoren sich immer der Sonne anpassen ... Vielleicht wird auch ganz anders gebaut werden, nicht mehr Häuser für 100 Jahre ... und ich kann mir schon vorstellen, dass man dann eher neu baut als nochmals renoviert.“ (Bildungsrefe-rent, Handwerkskammer)

In diesem Zusammenhang wurde das Argument hervorgebracht, dass solche technisch sehr an-spruchsvollen Lösungen insbesondere bei nachträglicher Installation im Rahmen einer Sanierung teurer sein können als ein Neubau mit entsprechendem Energiestandard. Mit dem Blick auf die ge-genwärtigen Entwicklungen in der Bauwirtschaft lässt sich dieses Szenarium zumindest schon in Ansätzen bestätigen. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es immer mehr spezifische, technisch konfektionierte und intelligente Lösungen für alle möglichen Baudetails gibt, die auf ein in weiten Teilen industrialisiertes Bauen hinauslaufen. So haben die Befragten mehrfach den Hinweis gege-ben, dass die Bauindustrie schon jetzt Details oder auch Komplettsysteme als notwendige Voraus-setzung für nachhaltiges Bauen anbietet. Die Aussage eines Lehrers der beruflichen Fachrichtung beschreibt recht anschaulich, dass diese industriellen Angebote „…ökologisches Bauen richtig fun-dieren, hoffähig machen und auf einem technisch hohen Niveau umsetzen lassen“. Damit stellt sich aber das aktuelle Qualifizierungsproblem nicht mehr so sehr in der Frage nach zusätzlichen Qualifikationen für die sach- und fachgerechte Durchführung von Maßnahmen der energetischen Sanierung von Altbauten, sondern viel grundsätzlicher als eine politische Frage der Ordnung von Berufen.

Zusammenfassend muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Expert(inn)en-Befragung kein in sich abgerundetes Bild von der Relevanz der energetischen Sanierung für berufsbezogene Tätigkeits- und Handlungsfelder ergab. Generell wird zwar ein Bedeutungszuwachs der energeti-schen Bausanierung erkannt. Die vorgetragenen Gründe hierfür sind jedoch sehr unterschiedlich und es ergeben sich daraus unterschiedliche Akzente in den Konsequenzen für berufsbezogene Qualifizierungen: Gefordert werden eine fundierte Ausbildung in den Grundlagen von Bauphysik und Bautechnik, verbesserte fachliche und handwerkliche Fähigkeiten zur qualitativ hochwertigen Ausführung von Sanierungsarbeiten besonders in den Übergangsbereichen der Gewerke, die Be-förderung von systemischem Denken und Handeln für die Objektprüfung und Auftragsplanung, be-triebswirtschaftliche Grundkenntnisse zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen sowie kommunikative Fähigkeiten für gewerkeübergreifende Kooperation und Kundenberatungen.

Die Frage, ob sich über veränderte Tätigkeits- und Handlungsfelder auch eine Forderung nach neuen Berufen für die Bauwirtschaft begründen lässt, scheint bei den befragten Expert(inn)en eher Zweifel aufkommen zu lassen. Die Zweifel lassen sich einerseits mit der Unsicherheit über das tat-sächlich zu erwartende Auftragsvolumen energetischer Bausanierungen und der damit verknüpften Sinnhaftigkeit einer berufsbezogenen Spezialisierung und Professionalisierung für diese Tätigkeits- und Handlungsfelder begründen. Andererseits passen in die Bilder vom Trend zu industriellen Konstruktionen und Entwicklungen von „schlauen Häusern“ auch neue Bauberufe, für die Energie-effizienz als Konstruktionsmerkmal von Neubauten sehr bedeutend ist, die energetische Sanierung von Altbauten jedoch zurücktritt.

4.5.3 Arbeitsmarktchancen durch Qualifizierungen in der energetischen