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Quantitative Bestimmung der Dynamik von 2 in Lösung

Die quantitative Auswertung des Inversionsvorgangs erfolgt analog zu Verbindung 1 mittels Koaleszenzexperimenten, Linienformanalysen und 2D-EXSY-Spektroskopie.

2.1.6.1 Analyse des Koaleszenzverhaltens

Die Vergrößerung des sterischen Anspruches durch die Substitution einer der PPh2-Gruppen in 1 durch einen P(o-Tol)2-Substituenten in 2 sollte sich in den NMR-Spektren durch eine bei höheren Temperaturen eintretende Einschränkung der freien Tolylrotation bemerkbar machen.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in den beiden Verbindungen nur Kernpaare mit ähnlichen Signalabständen miteinander verglichen werden können (vgl. 2.1.3.1). Mit Ausnahme des Paares Me2o/Me3o erfüllen alle in Tabelle 5 aufgeführten Signalgruppen diese Voraussetzung.

31P-NMR: P1/ P2 1H-NMR: Me1o / 4o, Me2o / 3o 1H-NMR: To2m/ To3m Frequenz TC kC ∆GTc TC kC ∆GTc TC kC ∆GTc

[MHz] [K] [s–1] [kJ·mol–1] [K] [s–1] [kJ·mol–1] [K] [s–1] [kJ·mol–1]

500 297 438 57.8 299 448 58.0 293 273 58.0

276 92 57.0

300 287 274 56.8 293 270 58.1 281 175 56.6

268 50 56.7

200 282 202 56.5 287 181 57.8 277 114 56.9

261 24 56.7

Tabelle 5 Kinetische Daten aus der Auswertung des Koaleszenzverhaltens von 2

Die entsprechenden Koaleszenztemperaturen liegen mindestens 10 K über denen, die für 1 beobachtet wurden (vgl. Tabelle 2), sodass der Komplex 2 eine höhere Inversionsbarriere aufweisen sollte. Die mit Hilfe der Näherungsformeln (Gl. 1 und Gl. 2) berechneten ∆G -Werte bestätigen dies, allerdings ist für einen absoluten Vergleich eine Analyse der Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten notwendig

2.1.6.2 Linienformanalyse der 31P{1H}-NMR-Spektren

Auch für Verbindung 2 bietet sich der 31P-Kern als Sonde zur Bestimmung der Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten an. In den 31P-NMR-Spektren lässt sich das Verhalten des Spinsystems, bestehend aus den drei diastereotopen Phosphoratomen,

ohne störende Signalüberlappungen über den gesamten Temperaturbereich verfolgen. Die Simulationen wurden erneut für alle auf den drei zugänglichen Spektrometern erhaltenen 31 P-NMR-Spektren durchgeführt. Im Unterschied zu 1 wies die an einem DRX300-Spektrometer aufgenommene Messreihe dabei das größte Temperaturintervall auf (T = 234 – 322 K).

In Abb. 13 sind ausgewählte 31P-NMR-Spektren dieser Messreihe, sowie die simulierten Spektren, die unter Verwendung der angegebenen Geschwindigkeitskonstanten erhalten wurden, dargestellt. Im Vergleich zu den 31P-NMR-Spektren von 1 (Abb. 3, Abb. 7) ergibt sich für 2 ein invertiertes Bild mit einem hochfeld- und zwei tieffeldverschobenen

Dublett-von-Dublett-Signalen, entsprechend einer PPh2- und zweier P(o-Tol)2 -Gruppen (Abb. 13, unten). Während letztere bei Erhöhung der Temperatur langsam zu einem Dublett verschmelzen, geht das hochfeldverschobene Signal des

Abb. 13 Vergleich zwischen experimentellen (links) und simulierten (rechts) 31P{1H}-NMR-Spektren von 2 bei verschiedenen Temperaturen (Messfrequenz: 121.495 MHz)

ln(k/T) = – 6230.1·(1/T) + 21.31

Abb. 14 Eyring-Diagramm erhalten aus den Ergebnissen der Linienformanalyse der 31P{1H}-NMR-Spektren von 2 bei verschiedenen Feldstärken

(CD2Cl2) die maximale Temperatur auf 323 K begrenzt, sollte der Gesamtverlauf bei möglichst niedrigem Feld, d.h. mit einem 200 MHz-Spektrometer, verfolgt werden, da sich die hier die Dynamik schon bei tieferer Temperatur auf die Linienform auswirkt (vgl.

Tabelle 5). Im Fall von 2 zeigen die 31P-NMR-Spektren allerdings eine zu geringe Dispersion, um die Resonanzlinien in drei separate Multipletts auflösen zu können. Weil dadurch die Bestimmung der für die Simulation benötigten statischen Parameter erschwert wird, wurde auf die nächsthöhere Feldstärke ausgewichen. In Abb. 14 sind die Ergebnisse der Linienformanalysen von insgesamt 32 31P-NMR-Spektren in Form eines Eyring-Diagramms dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die einzelnen, zu verschiedenen Feldstärken gehörenden Messwerte sehr gut miteinander übereinstimmen. Dies geht auch aus Tabelle 6 hervor, in der die Aktivierungsparameter, die man für die einzelnen Messreihen erhält, aufgeführt sind.

Frequenz Anzahl T ∆G298 ∆H ∆S

[MHz] Messwerte [K] [kJ·mol–1] [kJ·mol–1] [J·K–1·mol–1] R2 500 9 270 – 307 58.1 51.9 ± 2.4 – 21 ± 8 0.986 300 14 234 – 322 57.8 52.4 ± 0.6 – 18 ± 2 0.998 200 9 258 – 304 57.6 52.3 ± 1.4 – 18 ± 5 0.995

Gesamt 32 57.9 51.8 ± 0.7 – 20 ± 2 0.995

Tabelle 6 Aktivierungsparameter erhalten aus der Linienformanalyse der 31P{1H}-NMR-Spektren von 2

Die Datensätze für die drei Feldstärken zeigen nicht nur eine sehr gute interne Konsistenz (R2 > 0.98), sondern die Werte für die Aktivierungsenthalpie und Aktivierungsentropie sind innerhalb der Fehlergrenzen für die einzelnen Messreihen jeweils gleich. Dementsprechend bleiben die Aktivierungsparameter auch beim Übergang zu dem alle Werte beinhaltenden Datensatz konstant (Tabelle 6).

2.1.6.3 Quantitative Auswertung der 1H,1H-EXSY-Spektren

Zusätzlich zur Aufklärung des Austauschmechanismus lassen sich die EXSY-Spektren erneut dazu nutzen, den bisherigen Datensatz zur Kinetik des chemischen Austauschprozesses von 2 bei tiefen Temperaturen im Bereich des langsamen Austausches um weitere Werte zu ergänzen (Tabelle 7). Die drei in Tabelle 7a aufgelisteten Geschwindigkeitskonstanten entsprechen wiederum Mittelwerten über alle ausgewerteten Signalpaare. Die EXSY-Daten wurden zusammen mit den Ergebnissen der Koaleszenzmessungen und der Linienformanalysen zu einem Gesamtdatensatz vereinigt, dessen Aktivierungsparameter in Tabelle 7b angegeben sind.

Die aus dem Gesamtdatensatz erhaltenen Aktivierungsparameter weisen deutliche Unterschiede zu denen der Linienformanalysen auf. Die Aktivierungsenthalpie besitzt mit

H = 48.7 kJ·mol–1 einen um 3 kJ·mol–1 kleineren Wert und auch die Aktivierungsentropie ist mit ∆S = –31 J·K–1·mol–1 etwa 10 J·K–1·mol–1 kleiner (vgl. Tabelle 6).

(a) 1H,1H-EXSY (b) Kompletter Datensatz

Frequenz T τm k ∆G Intervall Eyring-Diagramm

[MHz] [K] [ms] [s–1] [kJ·mol–1] T [K] Aktivierungsparameter R2 500 224 200 0.77 54.8 218 – 322 ∆G298 57.9 kJ·mol–1 0.990 300 218 75 – 200 0.33 55.0 ∆H 48.7 ± 0.7 kJ·mol–1

200 227 200 0.91 55.2 ∆S – 31 ± 3 J·K–1·mol–1

Tabelle 7 a: Ergebnisse der quantitativen Auswertung der 1H,1H-EXSY-Spektren bei verschiedenen Messfrequenzen; b: Aktivierungsparameter für den Datensatz, der alle mit den verschiedenen Methoden bestimmten Werte enthält.

Worin die Ursache dieser Diskrepanz liegt, geht aus dem zugehörigen Eyring-Diagramm hervor (Abb. 15). Während die Ergebnisse der Koaleszenzmessungen und Linienformanalysen im Bereich mittlerer Geschwindigkeitskonstanten gut übereinstimmen, führen die Daten aus den EXSY-Messungen zu einer Änderung der Steigung der Eyring-Geraden, woraus letztlich die kleineren ∆H- und∆S-Werten resultieren. Die aus den EXSY-Messungen erhaltenen Geschwindigkeitskonstanten sind also entweder zu groß oder die mit Hilfe der Linienformanalyse bestimmten Werte für k bei tiefen Temperaturen sind zu klein.

Da die Linienform der eindimensionalen NMR-Spektren in den Extrembereichen nur sehr unempfindlich auf die Austauschgeschwindigkeit reagiert und die natürlichen Linienbreiten im vorliegenden Beispiel nur aufgrund von Extrapolationen abgeschätzt werden können, sollten sich mit dem EXSY-Experiment die Geschwindigkeitskonstanten bei tiefen

ln(k/T) = – 6230.1·(1/T) + 21.31 R2 = 0.995

– 8.1 – 5.6 – 3.1 – 0.6 1.9

0.0030 0.0035 0.0040 0.0045 1/T

ln(k/T)

Linienformanalyse Koaleszenz

1H,1H-EXSY

Abb. 15 Eyring-Diagramm erstellt aus einem Datensatz mit allen aus Koaleszenzmessungen, Linienformanalysen und 1H,1H-EXSY-Experimenten erhaltenen Geschwindigkeitskonstanten

Temperaturen mit größerer Genauigkeit bestimmen lassen als mit der Linienformanalyse. Die quantitative Auswertung der EXSY-Spektren beruht nur auf der Integration von Kreuz- und Diagonalsignalen, d.h. zur Berechnung der Geschwindigkeitskonstanten müssen keine zusätzlichen Annahmen gemacht werden.

Damit ergibt sich als Fazit, dass die Aktivierungsbarrieren ∆G298 bzw. ∆H des Inversionsprozesses für 2 (Tabelle 7) um jeweils 3 kJ·mol–1 höher liegen als für 1 (Tabelle 4), wobei beide Umwandlungen negative Aktivierungsentropien in der gleichen Größenordnung zeigen.

2.1.7 CH3C(CH2P(o-Tol)2)3Mo(CO)3 (3)

Die formale Ersetzung der verbleibenden PPh2-Einheit in 2 durch eine weitere P(o-Tol)2-Gruppe führt zu dem vollständig tolylsubstituierten Komplex CH3C(CH2P(o-Tol)2)3Mo(CO)3 3, dessen Struktur zuerst mit molekülmechanischen Verfahren vorhergesagt und später durch eine röntgenstrukturanalytische Charakterisierung bestätigt werden konnte.[31] Das Molekül nimmt im Festkörper eine annähernd C3-symmetrische

Konformation ein, in der die Methylgruppen der ortho-Tolylsubstituenten bezüglich einer Ebene gebildet durch die drei P-Atome abwechselnd nach vorn und nach hinten stehen (Abb. 16). Die konstitutionelle C3-Symmetrie der Verbindung kommt auch in ihrem

NMR-spektroskopischen Verhalten zum Ausdruck, denn in den 31 P-NMR-Spektren erscheint über den gesamten Temperaturbereich nur ein Singulett-Signal für die drei Phosphoratome und auch die Protonenspektren zeigen nur einen Satz von Signalen für die drei symmetrieäquivalenten CH2P(o-Tol)2 -Gruppen im Molekül (Abb. 17). Das für alle Vertreter der Verbindungsreihe charakteristische Strukturmotiv, dem-zufolge die beiden ortho -Methyl-gruppen eines P(o-Tol)2-Substituenten in Lösung in entgegengesetzte

Abb. 16 Kristallstruktur von 3 mit der Benennung der H-Atome; aufgrund der konstitutionellen C3-Symmetrie der Verbindung ist nur ein Teil der Atome mit Bezeichnungen versehen.

P Mo

CO P

P CO

CO oTol2

oTol2 oTol2

3

Richtungen weisen, konnte auch für 3 mit Hilfe der 1H,1H-NOESY-Spektroskopie qualitativ nachgewiesen werden (Abb. 17).[40] Für die Phosphoratome würde sich sowohl das Vorliegen einer statischen Struktur gemäß Abb. 16 (C3-symmetrisch, P-Atome homotop), als auch eine auf der NMR-Zeitskala gemittelte Struktur mit frei rotierenden ortho-Tolylgruppen in Form eines Singulett-Signals in den 31P-NMR-Spektren bemerkbar machen. Im Gegensatz dazu bilden sich diese beiden Extremfälle in den Protonenspektren auf unterschiedliche Weise ab, sodass die vorliegende Dynamik mit Hilfe temperaturabhängiger 1H-NMR-Experimente analysiert werden kann. Die Messungen für 3 wurden in CDCl3 durchgeführt, wodurch sich die Obergrenze des untersuchten Temperaturintervalls auf 343 K erhöhte. Ein bei dieser Temperatur aufgenommenes 1H-NMR-Spektrum ergibt für die tolylischen Methylgruppen ein gemitteltes, noch deutlich verbreitertes Singulett-Signal (Abb. 19), hervorgerufen durch den sich beschleunigenden Äquilibrierungsprozess der Tolylgruppen. Beim Abkühlen beobachtet man eine kontinuierliche Verbreiterung dieses Signals, bis unterhalb von 309 K eine Aufspaltung in zwei Singuletts erfolgt (Abb. 19), deren Linienbreiten bei weiterer Temperatursenkung deutlich abnehmen. Ähnliche Beobachtungen ergeben sich auch für die Methylenprotonen (Me1A/Me1B, Abb. 16) und die Protonen im aromatischen Bereich. Dies belegt, dass auch der Komplex 3 dem von 1 und 2 bekannten konformativen Umwandlungsprozess unterliegt (Abb. 18).