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Public Eyesore \ Eh? (San Francisco)

Im Dokument NO FREAKSHOW NO ARTROCK NO FESTIVAL (Seite 62-65)

Free Improvisation, Avant Rock, Electroacoustic, Concrete;

Progressive & Regressive; Insider & Outsider. Kurz: Abnor-male Sounds seit gut 20 Jahren. Das Mutterlabel offeriert sie auf CD und brachte es mit "Gaze Emanations" von Pet The Tiger, einem wilden Oktett mit David Samas, Tom Djll, Gino Robair und PE-Macher Bryan Day, auf # PE145. Halt, da wäre ja schon wieder Isopleths (PE146) von EUPHOTIC, mit wieder Bryan Day mehr oder weniger perkussiv und klangskulptural an invented instruments (wie Displacement Rails, Rotowhisker, Sonic Marionette, Sound Mouse, Junk Kalimba oder Zithselqier), die er solo einsetzt als Eloine, für elektroakustische Improvisationen mit Bad Jazz, für toben-des Gedröhn und metallischen Krach mit Collision Stories oder freie Improvisationen mit Shelf Life. Dazu wieder Tom Djll an Trompete & Electronics und Cheryl Leonard, die Treibholz, Sand, Steinen, Federn, Schilf, Pinguinknochen, Kiefernnadeln und Muschelschalen Geräusche entlockt. Für elektroakustische Surrealismen, zum Borromäischen Kno-ten geschlungen aus natürlich, physikalisch und imaginär.

Wer kann, der mag sich da an Anomalous Records erinnert fühlen, an Eric Lanzilotta, Richard Lerman, Points Of Friction, Dave Knott... mein Gott, auch schon wieder über zwanzig Jahre her. Djll würgt, saugt und pustet aus der Trompete rück- und querwärts die unmöglichsten Klänge, stöhnend und gurgelnd, dumpf oder brodelig und oft so, dass man außer der Trompete auch noch das Mundwerk bezweifelt. Und die sirrenden, zwitschernden, irrwischen-den Impulse, das ist ja wohl auch er? Beidseits bekrims-kramst, sind Day die metallischen Akzente, Leonard die raschelige Finesse zuzutrauen. Die Stichwörter 'Sulfolobus' und 'Lithotroph' evozieren Archaebakterien, Prokaryoten und brodelige Smoker am Meeresboden und jene natürli-chen Tiefen, in denen sich auch der 'Histioteuthis bonnellii', der Segelkalmar, rumtreibt, ominös überrauscht, dumpf umraunt und beblubbert. Die imaginäre Unterwelt, in der 'Pluton' herrscht, ist gleich um die Ecke, da wo's Steine gibt und wenig Brot. Da, wo man vielleicht nicht 20.000 Meilen, aber doch tief unter dem Meer ins Dunkle staunt und das mit stammelnden Funksprüchen nach oben meldet. Heute noch der Lebesraum Bosch'scher Bizarrerien, vor 3,77 Milliarden Jahren aber die Ursuppe, aus der dann ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor hervorgehen würde. Und etwas später Borstenmäuler ('Bristlemouth') wie Sigmops bathyphilus oder Groucho Marx. In diesem submarinen Phantasia werden Kakteenstacheln gepluckert, Seepferden galoppieren, Djll nöckt Wassermusik, Day klap-pert und dongt als Blechmann sehr weit weg von Kansas.

Alle drei verheddern sich in kakophoner 'Echolocution', ja, EK oh lo koo shun. Tropfen plätschern, Steinchen scharren, ein Gong dongt, der Kraken schnarcht. Ich würde ja gern mit ihm träumen, wenn nur nicht die euphotische Zone in den USA so mit Jauche besudelt wäre.

Von Eh?, das 2016 nach eh?88 umstieg von CDr auf Audio Repository Tapes, erreichten mich vier davon, darunter gleich mal Joyous Junctures (eh?107, C-60 in Purpur) von JAAP BLONK. Mit der losesten Zunge weit und breit taucht er in elektronisch wobbeln-de Wellen, er lässt spitze Wooshes umeinanwobbeln-der jaulen, er flüstert, zischt, keucht, maul-trommelt, ganz Chatterboxer, Geräuschebrutzler, Schlabbergosch, Klimperheini, kas-pernder Kinder- und Spießerschreck. Er bringt KIs Kannitverstan bei, er schmachtet als Crooner, kakophont, brrrrät Duckburger, lässt Mike Patton mit Phil Minton schar-mützeln. Er käseorgelt, schnappt und hechelt Umlaute und dreht die hühnerbeinigen Sirenen in Hypergeschwindigkeit schwindlig. Er klöppelt zu einem träumerisch gedehn-ten Zeitlupensong, lässt die Luft aus einem Luftballon brausen, hurzt unisono mit R2-D2, furrrzt auf Deklarationen in fernöstlichen Dialekten. Cling-Yin hin, Yang-Clang her, Blonk gurgelt cholerisch mit gurrenden Friedenstauben, er singt, pianoumtobt, gaga à gogo und, zu Stabspieldingdang, einen Lovesong, er kämpft Zungenkungfu mit einem aggressiven Reißverschluss, lässt eine Computerstimme näseln. Gegen Blonks Sturm- und Dachschaden gibt es keine Hagelversicherung.

Nisip Noaptea (eh?110, C-60 in Schwarz), rumänisch für 'nächtlicher Sand', entspringt der Phantasie von GUIDO HÜBNER von Das Synthetische Mischgewebe und JOHAN-NES BERGMARK, einem Skeptiker und Neosurrealisten, der, Jg. 1963, in Stockholm schon dem Fylkingen vorstand. Er macht elektroakustische und Text-Sound-Stücke oder improvisiert, mittlerweile mit etwas, das er 'Platform' nennt, einem Tisch voller tönender Gimmicks. Pure Psychic Automatism ist mit das Entscheidende, an dem er sein Lebenswerk aufhängt. Mit seinem Sammelsurium von verstärktem Krimskrams kitzelt er den Teufel in tausend Details, und Hübner folgt ihm in die molekularen und granularen Strukturen knisternder und knarrender Schichten. In klirrenden und be-benden Winkeln mischen sich, kaum unterscheidbar, perkussive mit elektronischen, kontaktmikrophonierte mit geloopten Spuren. Drahtige Reibung kreuzt sich mit hol-ziger, blechernes Touchieren mit dem Zirpen von Saiten, mit körnigem Rieseln, kur-vendem Surren. Wenn man sich zur Hörschwelle runterbückt oder in der Nacht große Ohren macht, tun sich entropische Abgründe auf, in der unaufhörlich die winzigen satanischen Mühlen der Auflösung stampfen und hämmern.

Mein Favorit als Reisemuffel ist Indochina Soundscraps (eh?112, C-44 in Weiß), O-Ton aus Vietnam, Laos und Cambodia, die ABIGAIL SMITH in Santa Fe zu einem Eastern für die Ohren geschnitten hat. Aus Fahrten in klapprigen Zügen, dem Sprechchor von Erst-klässlern, dongender Ritualmusik, einer zarten Flöte allein, einem Karaoke-Schmacht-fetzen in Low-Fi, Verkehrslärm, mehr Getrommel, Saxofonschmus und Entenquak, Katzenpop in schrägen Gelbtönen und einem Mahamantrachor a capella. Und zuletzt ächzt nochmal der Zug.

Bei For Eternity (eh?113, C-30 in Blau) sitzen Frans De Waard & Sindre Bjerga im Februar 2019 im Rotterdamer Worm und angeln nach dem Leviathan. Der eine aus Nijmegen, der andere aus Stavanger, fischen schon eine ganze Weile als TECH RIDERS im Ocean of Sound, selbst wenn's ihnen in die Suppe hagelt oder ein Hubschrauber die Anglerruhe stört. In der Hoffnung, dass eine kleine Melodie anbeißt, die einem ja nicht zufliegt, wenn man kein Vogel ist. Was sie jedoch herausziehen aus trübem Wasser, sind Schlingpflanzen, ein alter Schuh und verrauschte Tonbänder, mit Stimmfetzen, Gewisper, surrig brodelndem Noise. Ein Fußgänger streift vorbei, drumrum markieren Vögel lauthals ihr Revier. Die Bänder sind zerknittert, die Stimmen verzerrt, durch Fast Forward zu Dünnpfiff verhuscht, ruckartig zerblitzt, ins Paranormale und Xenophone überdreht, und zudem pläddert auch noch Regen. Doch zu den Wummer- und Dröhnwellen, zu der zu fernem Turmuhrschlag sirrenden Tonspur, glimmt immer noch das ewige Licht am bemoosten Denkmal der Tape- und Sound Art, an dem Bjerga & De Waard mit pochenden Herzen ihre Blumen hinlegen - "From Eternity With Love".

Sofa

(Oslo)

Wenn die Geigerin Vilde Sandve Alnæs und die kürzlich erst wieder bei Martin Taxts "First Room" begegnete Kontrabassistin Inga Margrete Aas, kurz VILDE&INGA, ihr drittes Album auf Sofa nach dem Aufsehen erregenden Buch des Anthropologen Eduardo Kohn How Forests Think (SOFA584, 2xCD) nennen, dann wohl wegen dessen 'ecology of selves', die Menschsein sich nicht losgelöst vom 'Nichtmenschlichen' vorstellt, sondern immersiv, eingebettet in lebendige, animierte, signifikante Selbstheiten. Statt Descartes "Ich denke, also bin ich" gilt "Ich bin, also bin ich irgendwo". Kein Dasein ohne Wosein. Kein Wosein ohne Silence & Sound. Die beiden Norwegerinnen unterstreichen das mit der Philosophie von Raum und Zeit von Edward S. Casey, wie er sie in "Getting Back into Place: Toward a Renewed Understanding of the Place-World" und "The Fate of Place" entfaltet hat. To be at all - to exist in any way - is to be somewhere... Place is as requisite as the air we breathe, the ground on which we stand, the bodies we have. Peter V. Swendsen, Kom-ponist von etwa "Allusions to Seasons and Weather", windet dazu poetische Zeilen und bringt Vilde&Inga disko- & bibliografisch in einen mit Stichworten wie Echolocation, Eco-feminism, Aural Landscape, Natural Soundscape, Deep Listening, Tuning of the World ver-fädelten Verbund mit John Luther Adams, Alvin Curran, Katherine Norman, Pauline Olive-ros, Maggi Payne, Éliane Radigue, R. Murray Schafer, Hildegard Westerkamp, Jana Winte-ren... Die beiden bringen ihr In-der-Welt-sein an vier Ortsterminen zum Klingen: Drinnen im Emanuel Vigeland Mausoleum und im Newtone Studio und draußen am Spikertjern, einem kleinen Waldsee in Oslos Hinterland, bzw. am Hafenufer mitten in der Stadt. Aller-dings, wenn ich recht höre, so durchmischt, dass das Wo verwischt. Es beginnt mit einem helldunklen Gewebe aus flimmernden und diskanten Strichen sowie angeraut sonoren.

Die Basstöne driften mit einem Schleierschwanz an Sustain dahin, den der französische Soundtechniker Benjamin Maumus dazuzaubert. Aber dann beginnt die Geige zu urigen Tieftönen auch col legno zu beben und zu flattern. Die beiden Instrumente 'atmen' gemein-sam harmonische, leicht zwielichtige Dröhnwellen. Sie knistern oder sie klopfen, wie knat-ternde Geigerzähler, wie Regentropfen, sie fauchen wie Wind in stillgelegten Tunneln. Und finden zurück in eine halbwegs harmonische Spur, wenn auch mit melancholischem und diskantem Anstrich. Und einem Vogel, die ihnen was pfeift. Vögel gestalten die IX. Szene sogar lange ungestört unter sich, bevor Vilde&Inga sich in bruitistischer Camouflage und vorsichtig schleifendem und wummerndem Pianissimo dazu tasten. Auch in die XI. Szene, die ans lappende und tickende Ufer führt, zu Möven und Motorengeräuschen im Hinter-grund, fügt sich die 'Musik' unauffällig tappend ins Bild. Dann beginnt der Bass, windum-rauscht, zu surren, Alnæs macht zahnradfeine Geräusche, gefolgt von melodisch picken-dem Pizzikato zu Bassbogenstrichen und Vogelgezwitscher. In weiterhin leise rauschende Outdooratmo setzen die beiden zuletzt nochmal klangvoll gestrichene Diskanzen, surrend und sirrend in gespalten und windschief hohen und knurrig tiefen Lagen, Strich für Strich, meditierend und lauschend. Mit Swendsens Worten: Generosity of absence. Continuing variations. Invocations... breathing in local stillness... Momentary and ephemeral.

Foto © Peter Ganushkin

Im Dokument NO FREAKSHOW NO ARTROCK NO FESTIVAL (Seite 62-65)