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Creative Sources Recordings (Lisboa)

Im Dokument NO FREAKSHOW NO ARTROCK NO FESTIVAL (Seite 27-30)

Welche Temperatur misst das Fieberthermometer bei der Musik (CS 658) von WERCK-MEISTER? Und wodurch wurde sie infiziert? Durch die Musicalischen Paradoxal-Discourse des barocken Tonkabbalisten Andreas Werckmeister? Oder durch Die Werckmeisterschen Harmonien, Béla Tarrs denkwürdige Verfilmung von László Krashnahorkais "Melancholie des Widerstands"? Die vier Werckmeister hier gehören wohl eher zu denen, die mit dem Briefträger János um einen Walkadaver kreisen, während die Stadt vom Fieberwahn einer Revolte geschüttelt wird. Definitiv gehören sie nicht zu den Stümpern und musikalischen Quack-Salbern, die, statt improvisieren zu können, an den Fliegenschissen einer Tabulatur hängen. Nein, Markus Eichenberger, der Atemwerker aus der Schweiz, hat seine Klarinet-te, Carl Ludwig Hübsch seine Tuba, Etienne Nillesen seine Snare und Philip Zoubek seinen Synthesizer im Kopf. Um zusammen ex tempore Musik zu fabrizieren, die, Adagio molto - Allegro con brio... Andante cantabile con moto... Allegro molto e vivace, schatten-weise die Harmonie der Sphären abbildet. Während Hübsch mit Longrun Development Of The Uni-verse oder Artblau gezielt dem Master-Plan der Schöpfung eigene oder artblaue Wendun-gen hinzufügt, während Nillesen bei States Of Play Renovierungspläne von Sebastian Gramss und in Emiszatett zusammen mit Zoubek Verbesserungsvorschläge von Elisabeth Cadoux umsetzt, entäußert sich Werckmeister seiner elektroakustischen Kopfgeburten nur auf unmittelbarste Weise. Mit durchwegs extended Techniques und so dicht am ur-suppigen Tohuwabohu wie es nur geht. Halb Erzeuger von, halb wie Medien für uranfäng-lich aus ihnen emanierende Noiseschwaden, quallende Dunkelwolken und zwieuranfäng-lichtige Gespinste, gestaut brodelnde dicke Luft, steinige oder rostige Schleifspuren. Grollender, brütender Rumor geht einher mit klackenden Murmeln, keckerndem Kreischen, Sternen-staub senkt sich aufs Wüste und Leere. Erste Herzen pochen, Krallen scharren, Fleisch-berge murren und tuten, Klangwellen pulsen. Der Wind spielt Akkordeon, spielt Alphorn, Schilfrohr bebt, Pan döst. Siebter Schöpfungstag? Oder Ruhe vor dem Sturm?

Rieko Okuda, die ist doch mit Quasi Stella oder Hanna Schörken auf Umland und in Berlin eine Spielgefährtin von Mia Dyberg? Der jedoch am häufigsten an ihrer Seite auftaucht, ist Antti Virtaranta, der immer wieder mit ihr Bass spielt, als Pillow, bei Electric Anthillman, Opta,h, Wave Bender, im Akvariet Trio oder im TAKATSUKI TRIO QUARTETT mit Joshua Weitzel an E-Gitarre & Shamisen. Einem komischen Trio, das erst zu viert vollständig ist, wobei die drei sich dafür z. B. schon Conny Bauer, Tobias Delius, Axel Dörner oder Silke Eberhard angelacht haben. Live in Hessen (CS 682) zeigt sie mit Matthias Schubert am Tenorsax bei einem Heimspiel für Weitzel in Kassel, der sich nun aber, solange Kon-zertveranstaltungen auf Eis liegen, ganz auf seine Stelle als Künstlerisch-Wissenschaft-licher Mitarbeiter für Klangkunst und Klangforschung an der HfM Mainz konzentriert. Er ist, mehr als Okuda an Piano oder Viola, derjenige, der Zen-Akzente setzt, während die andern mit extented techniques in der Improv-Wildniss umeinander spotzen, hacken, wischeln, fiedeln, klopfen, keckern, knören und quäken. Wobei Schubert bei der Rückkehr vom Mississippi lange in Entenhausen hängenbleibt. Okuda hämmert und klimpert eigene Markierungen ins deterritorialisierte Schauerfeld, während sich Schubert aus der Gieß-kanne zwängt wie ein zu fett gewordener Dschinn und Weitzel als halber Japaner schrappt. Bis sich Okuda hartnäckig auf einen bestimmten Fleck versteift, um darauf zu saxofonistischem Tirili eine dröhnende Klangsäule zu errichten. Ein halbes Jahr später spielt in Wiesbaden Dirk Marwedel als vierter Mann, ebenfalls mit Saxofon. Anfangs lyrisch zu monoton plinkender Shamisen und turbulent arpeggierter Bewegung, aber zunehmend ebenfalls spotzend und heiser, bis ihm nichts als Spucke bleibt. In verunklartem Pianissimo aus kleinen Saitensprüngen, rumorendem Bass und träumerischer Gitarre. Klimpernd und mit surrendem und tirilierendem Sopranino kommt Bewegung und Tempo ins Spiel, Okuda klirrt, Shamisen und Basspizzicato eifern mit, Weitzel zieht es nach Kyoto, öffnet aber vorerst nur eine Lichtung für ominös peitschende, knarrende, ploppende Kürzel. Okuda redet wie in Trance, Marwedel reiht leise Pfiffe, Lippen mümmeln an der ppp besummten Hörschwelle. Oh Volk der Mäuse.

Rudi Fischerlehner - Farai-Records ...

(Berlin)

Von OLAF RUPP und Audiosementics (BA 107) ist es nicht weit zu seinem Mit-Xenofox, dem Drummer RUDI FISCHERLEHNER. Der hat nämlich, nachdem gligg Records seinen Betrieb hat einstellen müssen, auf seinem Label Farai-Records [https://farai-records.bandcamp.

com] Tingtingk (frec9, digital) neu aufgelegt. Bad Alchemysten klingeln da die Ohren, denn das Titelstück, mit noch MATTHIAS MÜLLER an der Posaune, war 2012 aus der gligg-CD 017 ausgekoppelt gewesen als Sonderedition zu BA 72. Dazu hat Fischerlehner, der an sich als Trommler bei Gorilla Mask, dem Julie Sassoon Quartet, Fiium Shaarrk, La Tourette sowie mit Xenofox & Joke Lanz gut zu tun hätte, nun in der Corona-Zwangspause mit 'Liklik Kaikai' einen Bonustrack ausgegraben, bei dem er, während Rupps Gitarre stöhnt und ächzt und die Posaune wuppert, faucht und sich in einen zirkularbeatmeten Dauerton verbeißt, lakonisch muschelt, klackt, tickelt, tockelt, ticktockt, aufs Becken nadelt, etwas schüttelt, kratzt und schließlich alleingelassen über Blech und Fell hagelt. Woraufhin Mül-ler vollmundig zu tuten und tröten beginnt und Rupp von unten bis oben klangvoll die Sai-ten beprickelt und beschrappt, während F. taubeneiergroße Körner übers Fell tanzen lässt.

Vom defensiven Einstieg bis zum brillanten Finish bestes Training, um im Jungle out there den Pfeil 'und Schleudern des wütenden Geschicks besser trotzen zu können.

Die dänische Saxofonistin MIA DYBERG hat in Berlin in RUDI FISCHERLEHNER einen be-sonders interessierten Spielgefährten gefunden, als Duo, im Trio mit dem Bassisten Asger Thomsen oder - am 3.7. bei Sommerjazz@ Koncertkirken in Kopenhagen - mit dem Pianis-ten Søren Kjærgaard (The Living Room, Frands Rifbjerg Quartet). Zu zweit haben sie schon mit "Leger" & "Berg" das 6. und das 8. (Digital)-Album in Dybergs Duoscrapbook-Serie eingespielt, die mit der Pianistin Rieko Okuda und "Naboer" im Juni zum Abschluss kam [https://miadyberg.bandcamp.com]. Pause (frec8, digital) steht im Zeichen von Atommei-lern und einer kafkaesken Dohle. 'Cage' heißt im Kontext mit 'Shut Down' wohl Käfig, und 'Shut Up' spricht dann ja für sich. Ebenso wie das klopfende "Lasst uns raus!" als Einstieg.

F. klopft Zahlen, Dyberg kippt zwischen Monotonie und Vogelsang. Aber auch F. kann flat-tern, während es in die Töpfe regnet, er schüttelt Schellen, er holzt klapprig und tockend, er lässt Stöckchen und Knüppel knattern, Besen federn, während sie schwankt zwischen zagem und eintönigem Trübsinn, rau gepresstem Tremolieren und trotzigem Doch. Er dep-pert mit Schrott, sie spotzt und kiekst, er dongt und gongt, sie pfeift, es dröhnt. Zuletzt, 'Tempo', von F. knattrig gekurbelt und gepaukt. Dyberg spielt dazu Sisyphos, treppauf, treppab, ganz unverdrossen, auffallend beschwingt. Ich weiß nicht, wer ihnen da über die Schultern schaut, aber einen guten Spiritus rector haben sie allemal.

Verblüffend, mit welch leichtem Händchen Rudi Fischerlehner bei LA TOURETTEs Future Kids (Selbstverlag) zur unheimlichen 'Birthday Party' der Singer-Songwriterin Tonia Reeh aufspielt, die Piano klimpert und ihre Krallen gegen einen ungebetenen Gast ausfährt. Sie haut nicht gerade zimperlich in die Tasten, und von ihrem 'Miauauau' sollten sich auch nur coole Tomcats aufs heiße Blechdach locken lassen, von balzenden Herzensbrechern will sie nichts wissen. Sie macht kein Hehl daraus, dass eher sie sich für die Herzensbrecherin hält und eine lebensverändernde Erfahrung, bei der nur harte Hunde nicht wimmernd auf-jaulen, und der klar ist, dass sie im Knast enden wird. Bei 'Repeating times' schleppt sie sich auch wie in einer Chain Gang. Nie zum scheuen Pflänzchen taugend, hat sie genau das auf dem Kerbholz, vor dem ihre Mutter gewarnt, aber sie damit nur noch mehr in Rage gebracht hat. Was sie auch wählt, es ist garantiert radioaktiver Regen oder saure Traufe.

When the rain comes, don't let your children out. Dazu klopft und rührt Fischerlehner lako-nisch das Trommelchen. Denn nur in der Nase bohren nutzt ja auch nichts. Er kennt sie und kennt ihre Freunde, nichts als Jerks und Pillenschluckerinnen, deren Niedergang sich nur im Tempo unterscheidet, wobei das Gasgeben selbst noch bergab dominiert. Nein, das sind nicht die Hellsten. Auch der auf dem Motorrad ist einer dieser Träumer, die von 'Dol-lars and brands' träumen, die allzu empfänglich für Einflüsterungen sind, sogar denen, die Jungfrauen im Paradies versprechen. Everything is OK? Mir klingeln die Ohren vor diesem Mantra, Losern und Junkies geht es besonders leicht von den Lippen, oder RiotGirls, die sich für unverwundbar halten. Reehs bevorzugter Duktus ist ein aufgeratztes '¡Arriba!', pingpingpingping pongpongpongpong, ¡Andale! Schon Minnie Mouse war ein Flapper, Reehs Protagonistin ist eher noch Speedy Gonzales oder Ignatz - mit Titten.

ZSOLT SŐRÉS, 1969 in Budapest geboren, spielt sozusagen Table-Viola & Electronics auf dem weiten Feld aus Improv und Noise. Mit Landsleuten wie Én (Pál Tóth) und Zsolt Ko-vács, seit den Nuller Jahren auch mit internationalen Spielgefährten wie Franq De Quengo (in Budapastis), Thanos Chrysakis, Jean-Hervé Peron alias Art-errorist, Franz Hautzinger (in The Abstract Monarchy Trio), Hilary Jeffery (in Inconsolable Ghost), Jean-Michel Van Schouwburg & Adam Bohman (in I Belong To The Band), seit 2013 auch schon mit RUDI FISCHERLEHNER. Attention Span Reset (Hinge Thunder, HT-002) bringt den Auftritt der beiden bei der No Wave Night im Auróra, Budapest am 6.9.2015. Eine freakische Bratsche mutiert durch aus der Steckdose gesaugte Energie ins kakophon Raptorische, und dazu Tamtam, das, kollernd, zischend, tremolierend und rasselnd, schrottig verwildert. Aufge-laden mit Spirit, mit dem die Hunnen - oder waren's die Husaren? - einst ihren Pferdchen die Sporen gaben. Sőrés braust und jault und geht bis auf Feedbackanschlag zu Fischer-lehners Gepolter und schamanisch geschabtem und geschütteltem Blech. Während der da die Stöckchen hageln und Glöckchen schellen lässt, mit Becken crasht oder Eisen dengelt und zerhackt, setzt Sőrés den Bohrer an eine Wall of Noise, also quasi an den vor Furor bebenden eigenen Schädel, aus dem sie hervorgeht. Als ein nicht mehr zu bändigender Erich Zann, dessen Kratzebogen nichts mehr von einer Sandstrahl-Bazooka unterscheidet.

Bis die beiden auf einmal ganz groovy zu einem wahnwitzigen Moshen anstacheln, mit holzig pickendem Beat und dreschendem Psychrockgetrommel, mit Gefiedel, das in seiner Eskalation ständig zu entgleisen droht. Womit sie sich so fertig machen, dass nur noch schleifender Nachhall leise weiterloopt zu einigen perkussiven und klingelnden Überbleib-seln der schamanischen Verausgabung. Tekeli-li!

Im Dokument NO FREAKSHOW NO ARTROCK NO FESTIVAL (Seite 27-30)