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Prozesse, Werkzeuge und Mechanismen der externen Europäisierung – im

Zwang und Legitimität

Im Gegensatz zu den Aussagen und Hoffnungen von Habermas/Derrida, Rifkin und Leonard (siehe Kap. 2.2), kann vor dem Hintergrund der bisherigen Schilderungen nicht davon gesprochen werden, dass die EU die Globalisierung mit der Idee sozialer Solidarität verknüpft. Vielmehr scheint sich die Union auf Grundlage einer Interessenkonvergenz maßgeblicher politischer und ökonomischer Akteure einer Agenda verpflichtet zu haben, die die bestehende Form der neoliberalen Globalisierung sowohl intern über Europäisierungsprozesse als auch extern über multilaterale und bilaterale Abkommen eher vorantreibt als sie einzuschränken.

„Far from representing a social model, the European project is actively dismantling that model within its own borders and seeking to globalise a neoliberal vision of world order, […]“ (Storey 2004: 10)

Somit sind keine Unterschiede zwischen Europäisierung und Globalisierung zu erkennen:

„We can conclude that both Globalisation and Europeanisation are processes, both constitute a tentative to get over the logic of traditional trade inter-state and they aim to expand trade and spread the market model of economy.” (Akrimi 2002)

Die Idee der EU als tamer of globalisation und force for good in the world erscheint daher fragwürdig. Welche Schlussfolgerungen aber lassen sich hinsichtlich der eingangs erläuterten politischen Identität der EU ziehen?

• Die Identität als Friedensgemeinschaft nach innen ist nach wie vor gegeben. Ob die EU auch nach außen die Identität einer Friedensgemeinschaft besitzt, ist jedoch zumindest fraglich, da die EU in zunehmendem Maße militärische Kapazitäten aufbaut und sich mit diesen weltweit an so genannten Friedensmissionen beteiligt.

• Die Identität der EU als Wirtschaftsgemeinschaft ist hinsichtlich einer gemeinsamen Wohlfahrts-, Wachstums-, und Sozialpolitik de facto nicht vorhanden. Hier dominieren die neoliberalen Prinzipien, wie sie durch das Binnenmarktprogramm und die WWU implementiert wurden und im acquis communautaire fest verankert sind. Es lässt sich somit von einer neoliberalen ökonomischen Identität sprechen.

• Bezüglich der Identität als Wertegemeinschaft stehen, wie in den Kopenhagener Beitrittskriterien formuliert, politische und ökonomische Werte nebeneinander. Ausgehend von den bisherigen Schilderungen liegt der Schluss nahe, dass das neoliberale ökonomische Paradigma zumindest genauso bedeutend ist wie die proklamierten politischen Werte, bzw.

diese politischen Werte von der neoliberalen Agenda überformt werden.

• Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass die internationale Identität der EU von der neoliberalen Orientierung überdeterminiert ist, die somit den maßgeblichen Parameter hinsichtlich der Beziehungen zu Drittstaaten darstellt.

Innerhalb der EU wird das spezifische Modell über Prozesse der Europäisierung durch die EU-Institutionen vermittelt. Dies bedeutet, dass die EU-Mitgliedstaaten den acquis communautaire auf nationaler Ebene annehmen, implementieren und auch durchsetzen müssen. Dieser enthält in Gestalt des Binnenmarkt-acquis die maßgeblichen Bestandteile der neoliberalen europäischen Agenda, wie sie sich vor allem im Binnenmarktprogramm und der WWU manifestieren. Die Europäisierungsprozesse beziehen sich jedoch nicht nur auf die Mitgliedstaaten. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die EU vor allem den Binnenmarkt-acquis durch externe Europäisierung auf benachbarte Staaten ausdehnen will. So stellt auch die Europäische Kommission fest, dass sich der Binnenmarkt so positionieren müsse, „dass die Bürger und Unternehmen Europas die Chancen der Globalisierung nutzen können, indem er Qualitätsvorschriften und -standards hervorbringt, die weltweite Normen prägen.“ (Europäische Kommission 2007a: 4) Ferner heißt es: „Die EU muss global denken – Europa braucht einen funktionierenden Binnenmarkt, um auf dem Weltmarkt konkurrieren und die Globalisierung zum eigenen Vorteil nutzen zu können. [...] Die Prioritäten des Binnenmarkts müssen mit der globalen Agenda verknüpft werden, [...]“ Aus diesem Grund sollte die EU unter anderem „bestimmte Aspekte der Binnenmarktpolitik im Wege der

Nachbarschaftspolitik ausbauen“ (ebd.: 10). Somit liegt der Schluss nahe, dass das primäre Ziel der Europäischen Nachbarschaftspolitik darin besteht, die Nachbarstaaten durch ökonomische Europäisierung zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition in das europäische Regionalismusmodell einzubeziehen. Dieser Vermutung steht jedoch die Tatsache entgegen, dass die EU im Rahmen der ENP in bisher nicht da gewesenem Maße die geschilderten Werte (siehe Kap. 2.1) hervorhebt. Aus diesem Grund sollte nicht einfach unterstellt werden, dass es das ausschließliche Bestreben der EU ist, die neoliberale ökonomische Agenda auf ihre Nachbarstaaten zu übertragen. Obwohl hier die These vertreten wird, dass die ökonomische Europäisierung im Zentrum der ENP steht, muss zunächst analysiert werden, ob die EU mit der ENP nicht vielleicht doch eine neuartige, wertebasierte Politik verfolgt und sich somit von ihrer neoliberalen Verfasstheit distanziert oder aber ob die stark betonte Wertedimension lediglich politische Rhetorik darstellt und sich die ENP nahtlos in das bestehende europäische Projekt einreiht.

Die ökonomische Europäisierung würde dabei vor allem die rechtliche Harmonisierung zur Erleichterung des Handels und zur Schaffung eines günstigen Investitionsklimas betreffen. Sollte die ökonomische Europäisierung tatsächlich den zentralen Parameter der ENP darstellen, ist die entscheidende Frage, auf welche Art und Weise die EU versucht, ihr ökonomisches Modell auf benachbarte Staaten zu übertragen. Dies bedeutet konkret: Auf welchen Bedingungen beruht eine erfolgreiche ökonomische Europäisierung der Nachbarstaaten zur Einbeziehung in den europäischen Regionalismus?

Haukkala (2007: 8) bemerkt hierzu, dass die Fähigkeit der EU, andere Staaten erfolgreich zu europäisieren, „in a delicate nexus of attraction, coercion and legitimacy“27 liege. Somit stehen der EU möglicherweise Mittel und Wege zur Verfügung, ihre Agenda international zu projizieren.

Diese Möglichkeiten des Einflusses der EU sind jedoch durch die Notwendigkeit begrenzt, dass das Agieren der EU von den betroffenen Staaten als legitim angesehen wird (vgl. ebd.: 8f). Hierbei könne die Aussicht auf die Mitgliedschaft in der EU als die maßgebliche Quelle der Anziehung und der Legitimität charakterisiert werden:

„The experience so far has shown that the only way the Union can legitimately project its normative power in Europe is by offering a full stake in European institutions and identity, i.e.

membership in the European Union itself.” (Haukkala 2007: 9)

27 Dies erinnert wiederum an den Hegemoniediskurs Antonio Gramscis, wobei ein Akteur versucht, seine eigenen Interessen als allgemeine Interessen zu definieren „and in using this concept to formulate general ideas on the order and development of society“ (Brand 2005: 171, zitiert nach Haukkala 2007: 8). In diesem Kontext resultiert erfolgreiche Hegemonie aus einer Situation ohne offene Anwendung von Gewalt, wobei die Ideen, Werte und Institutionen des Hegemons sowohl als natürlich als auch als legitim angesehen werden (vgl. Haukkala 2007: 8).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Prozess der Übertragung des EU-Modells frei von der Anwendung von Macht und Zwang ist:

„In fact, the reverse is the case with the EU and its member states often bargaining very hard and forcing the applicants to conform to a process that entails deep-ranging societal reforms, partial erosion – or at least pooling – of sovereignty, and accepting accession treaties that do not necessarily meet their short-term economic interests. Crucially, however, it is the expectation of future benefits associated with the full membership and the possibility to have a voice in the EU and its institutions that makes this process legitimate, or at least bearable, for the applicants.”

(Haukkala 2007: 8)

Obwohl also auch Zwangselemente eine Rolle spielen, ist nach Haukkala (ebd.) die wahrgenommene Legitimität der entscheidende Faktor, der über Erfolg oder Misserfolg der externen Europäisierung entscheidet.

Um beantworten zu können, ob diese Einschätzung zutrifft, sollen – bevor auf die Europäisierungsprozesse der ENP eingegangen werden kann – in einem nächsten Schritt die Hintergründe und die Prozesse der Europäisierung der Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOEL) im Rahmen des Beitrittsprozesses untersucht werden, da hier von der EU prinzipiell die gleichen Mechanismen angewandt wurden, wie sie nun bei der ENP anzutreffen sind. So lässt sich eindeutig feststellen, dass bei der Osterweiterung die ökonomische Europäisierung im Zentrum der EU-Agenda stand und diese auch erfolgreich durchgesetzt wurde. Ob die ökonomische Europäisierung auch bei der ENP das Hauptanliegen der EU ist, muss jedoch erst noch unter Beweis gestellt werden. Unabhängig davon besteht der entscheidende Unterschied zwischen der Osterweiterung und der ENP darin, dass der Europäisierungsprozess im Rahmen der ENP im Gegensatz zur Erweiterung nicht durch den EU-Beitritt gekrönt wird. Sollte also die These zutreffen, dass das Hauptziel der ENP die ökonomische Europäisierung zur Einbindung in den europäischen Regionalismus ist, kann bei der späteren Analyse genauer beurteilt werden, welche Rolle die Perspektive der Mitgliedschaft als Legitimitätsquelle bei der Europäisierung benachbarter Staaten tatsächlich spielt. Falls die Beitrittsperspektive den entscheidenden Faktor für eine erfolgreiche ökonomische Europäisierung darstellt, stellt sich die Frage, ob die EU bei der ENP andere Anreize setzen kann, die ihr Handeln in ähnlichem Maße legitimieren können. Ist dies nicht der Fall, könnte dies im Umkehrschluss bedeuten, dass im Rahmen der ENP die Zwangselemente zur Durchsetzung der Agenda – wie auch immer dieser Zwang aussehen könnte – stärker in den Vordergrund rücken würden. Bei allen Überlegungen darf jedoch nicht vergessen werden, dass es letzten Endes vor allem der politische Wille der Regierungen der betroffenen Staaten ist, der über Erfolg oder Misserfolg der Europäisierungsbestrebungen der EU entscheidet.

6. Die Osterweiterung der EU – selektive Einbindung der