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Projektarbeit und Schulentwicklung Die konkreten innerschulischen Leistungsbereiche

4.4 Gemeinsam Schule entwickeln als gezielter Prozess

4.4.2 Projektarbeit und Schulentwicklung Die konkreten innerschulischen Leistungsbereiche

der sozialpädagogischen Fachkraft wurden zu Be-ginn ihrer Tätigkeit schulintern kontraktiert. Ihr Ar-beitsauftrag zielte darauf, mittels offener Angebote und Projekte ‚Präventionsarbeit’ zu leisten für die Klassen 5 - 7, für die Klassen 8 und 9 Angebote mit dem Schwerpunkt ‚Übergang Schule-Beruf’ zu ent-wickeln und in sehr begrenztem Umfang in diesen Klassen auch für Einzelfallunterstützungen bereit zu stehen. Diese Anfangskoordinaten haben sich im

Laufe der praktischen Umsetzung immer wieder verschoben, je nach dem, was sich an schulspezifi-schem Bedarf entwickelt hatte und dem, was ange-sichts des knappen zeitlichen Deputats an der Schule auf Dauer gestellt werden konnte. So wurde nach zwei Jahren des Austarierens eine Balance gefun-den zwischen offenen Angeboten und Projekten, die realisiert werden konnten, und Einzelfallarbeit, die geleistet werden musste.

Sowohl Offenheit und kommunikative Aushandlung als auch begründete Vorstellungen über Zielperspek-tiven, die entsprechende Gewichtungen in Bezug auf das Gesamtangebot der Schulsozialarbeit nach sich zogen, charakterisierten die Anfangsphase dieses Jugendhilfeangebots an dieser Schule. Ein wichtiges Ergebnis innerhalb dieses schulinternen Abstim-mungsverfahrens war die Übereinkunft, die Mög-lichkeiten des Jugendhilfeangebots so auszuschöp-fen, dass alle Schüler/innen dadurch erreicht wür-den.55 Konzeptionell ausgearbeitete Projektstruktu-ren und offene Angebote (z. B. ein Schülercafé) wa-ren demzufolge die wesentlichen Säulen dieses An-gebots.

Als zweiten Baustein von Schulentwicklung an die-sem Standort werten wir den Aufbau einer Struk-tur der Projektarbeit, die in weiten Teilen in Koope-ration zwischen Schulsozialarbeit und Lehrer/innen durchgeführt wurde. Neue Lernfelder und neue didaktisch-methodische Möglichkeiten wurden auf diese Weise erschlossen.

In den folgenden Abschnitten gehen wir auf diese Erweiterung von Lernfeldern durch offene Ange-bote und Projekte ein, kennzeichnen ihren Stellen-wert als Infrastruktur des sozialen Lernens in schu-lischen Kontexten, zeigen darin ihren Gebrauchs-wert für das biographische Bewältigungshandeln der Schüler/innen und verweisen schließlich auf re-stringierende Momente durch die Rahmenbedin-gungen des ‚Stuttgarter Modells’.

Entwicklung neuer Lernfelder

Mit der Ausweitung von Projektarbeit war intendiert worden, systematisch zum Unterricht ein Pendant zu erarbeiten, das, wie das unterrichtliche Curricu-lum, Inhalte an Altersstufen beziehungsweise

Klas-55 Dies stand im Zusammenhang mit der Abwägung, dass nicht nur diejenigen Schüler/innen, die auffällige Verhaltensweisen zeigen und darüber in der pädagogischen Einschätzung als ‚Einzelfall’ deklariert werden, in ihrem Bedarf an Unterstützung ‚bedient‘ wer-den sollten. Insofern durfte Einzelfallarbeit nicht zum Kern der Arbeit werwer-den, konnte statt dessen immer nur notwendiger Bestand-teil sein. Dies hieß dann dennoch, solchen Schüler/innen, die deutlich Unterstützung einforderten, diese Unterstützung auch ver-bindlich zu gewährleisten.

sen bindet. So wurden für die Klassen 5 und 6 spezifi-sche Projekteinheiten entwickelt, die sich beispiels-weise mit Teamarbeit und Konfliktmediation be-schäftigten; in Klassenstufe 7 wurde eine Mädchen-AG sowie die Projekteinheit ‚Gewaltprävention’ ge-staltet. In den Klassenstufen 8 und 9 standen be-rufsbezogene Projektangebote im Vordergrund so-wie Mädchen-Projekte zur Selbstbehauptung. Eine weitere Reihe von Projektinhalten wurde für den fle-xiblen Einsatz im Bedarfsfall entwickelt, wie zum Beispiel ein Kriseninterventionsprojekt, das beim Aufkommen besonderer Klassendynamiken zur An-wendung kam.

Projektarbeit ist eine der zentralen Handlungsfor-men der Jugendarbeit und hat sich im außerschuli-schen Bereich als breit akzeptierte Methode, um Lernprozesse einzuleiten, etabliert (vgl. Hafeneger/

Schröder 2001: 848 f.). Die aktive Bearbeitung eines Gegenstandsbereichs, reflektiert als soziales Gesche-hen in einer Gruppe, betont gegenüber institutio-nalisierten Formen des Lernens, die vorwiegend über Planinhalte und indirekt über den Tätigkeitsbereich des Lehrens (vgl. Kunert 2001: 745 f.) zielbestimmt werden, ganzheitliche, gruppengesteuerte Aneig-nungsformen sozialer Realität. Während die Themen des Unterrichts eine Mischform aus lebensprakti-schen Inhalten und fächerdidaktischem Spezialwis-sen beinhalten, stellen die Themen der Projektarbeit i. d. R. Anschlussstellen an biographisch zu bewälti-gende Aufgaben oder gesellschaftspolitisch ins Be-wusstsein gerückte Entwicklungen her. In dieser Perspektive verstanden, wurden die Inhalte der Pro-jekte als ‚Präventivstoff’ gekennzeichnet, entspre-chend den Unterrichtsinhalten, die einen ‚Lernstoff’

vorgeben.

Unter der Perspektive von Schulentwicklung be-trachtet, zielen Projekte auf zweierlei;

(1) sie fungieren zum einen als erweiterte Lern- und Erfahrungsarrangements für die Schüler/innen:

• Über Projekte können neue und andere Inhalte in den Kontext schulischen Lernens eingebunden werden (Erweiterung der Inhalte).

• Zudem kann die Schule mit anderen Orten des Lernens verknüpft werden, zum Beispiel konnten durch die Zusammenarbeit mit einem haus und dessen Mitarbeiter/innen im Jugend-haus schulische Projekte stattfinden (Erweiterung der Lernorte).

• Weiter zeichnen sich Projekte durch offenere For-men der pädagogischen Arbeit mit einer Gruppe aus, zum Beispiel hinsichtlich der Partizipations-und Steuerungsmöglichkeiten der Jugendlichen (Erweiterung der Lern- und Beteiligungsformen).

• Weil ein großer Teil der Projekte gemeinsam von der Schulsozialarbeiterin und von Lehrkräften rea-lisiert wurde, waren die Lehrkräfte für die Schü-ler/innen nun auch im Kontext weiterer, nicht un-terrichtsbezogener Sozialformen erlebbar (Erwei-terung der Lehr-Lernbeziehungen).

(2) Gemeinsam Projekte zu planen und durchzufüh-ren stellt zudem einen Modus der Erweiterung, Ver-tiefung und Routinisierung der Kooperation der bei-den pädagogischen Professionen innerhalb der Schule dar. Projekte sind also – anders als in der Ein-zelfallhilfe, die auf einer arbeitsteiligen Hilfekette beruht – eine Handlungskulisse, in der die Lehrer/

innen wie die Sozialarbeiter/innen gleichermaßen und gemeinsam themenbezogen (inter)agieren kön-nen.

Projektarbeit als Infrastruktur des sozialen Lernens Die Sozialpädagogin hob als eine zentrale Perspek-tive ihrer Arbeit hervor, allen Schüler/innen die Mög-lichkeit zu vermitteln, im Bedarfsfall Hilfe und Un-terstützung im Rahmen der Schule und darüber hi-naus auch im Rahmen der Mobilen Jugendarbeit in Anspruch nehmen zu können. Aufgrund dieser Über-legung war es für sie sehr wichtig, sich in offenen Räumen der Schule bewegen zu können, insbe-sondere dem Schülercafé sowie auf den Pausen-höfen.56

Sie setzte hier nicht auf kurzfristige Aktivitäten son-dern auf Langfristigkeit: Sie hatte hier zum einen die fünfjährige Schulzeit einer Schüler/innengeneration im Blick und zum anderen ihre fachliche Intention

56 Die Bedeutung von Räumen erschloss sich im Rahmen dieser Standortanalyse auch durch eine Negativbestimmung: Durch Raum-probleme an der Schule musste das etablierte Schülercafé kurzfristig aufgegeben werden. Die fachliche Bewertung dieser Situation durch die sozialpädagogische Fachkraft verdeutlichte, wie zentral dieser durch die SMV organisierte öffentliche Raum für ihr Wirken war: „Dass das Schülercafé nicht mehr da ist, das hat mir den Boden weggenommen mit den Schülern.“ Das Angebot, für alle Schü-ler/innen ansprechbar zu sein, realisierte sich gerade über die Präsenz in ‚offenen’ Räumen der Schule. Das Schülercafé als von den Schüler/innen selbstorganisierter (Frei-)Raum erfüllte als Kontaktstelle eine herausragende Funktion. Es ist wichtig zu erkennen, dass Schülercafés über ihre Funktion als Kontaktorte hinaus zugleich bedeutsame neue und erweiterte Lernorte darstellen, sofern sie in (angeleiteter) Selbstverantwortung der Schüler/innen organisiert werden (vgl. Bolay u. a. 1999: 114 f.).

zur – auch personenunabhängigen – Verstetigung des Projektangebots. Deshalb wurde ein Rahmen für Projektarbeit institutionalisiert. Projektarbeit zum schulischen Standard zu qualifizieren bedeutete auch, variabel zu planen und sich dabei am Bedarf der Lehrkräfte und der Schulklassen auszurichten, die nicht im Sinne einer gleichbleibenden Masse je-des Schuljahr gleiche Potenziale, Spannungen und Bedürfnisse in die Schule hineintragen.

Die Perspektive der Schulsozialarbeit, über ein strukturiertes Projekteangebot potentiell alle Schü-ler/innen erreichen zu können, ist damit eng ver-knüpft mit dem Anliegen aus der Rahmenvereinba-rung im ‚Stuttgarter Modell’, nämlich ‚präventiv’ wir-kende Arbeitsformen in und um Schule auf- und auszubauen. Prävention als eine der Strukturmaxi-men der modernen Jugendhilfe lässt mindestens zwei Auslegungen des Begriffs zu (vgl. BMFSFJ 1990:

85): Erstens bezieht sich Prävention hier auf die Ge-staltung von Schule als positivem Lebensort auch im Interesse der Schüler/innen (primäre Prävention verstanden als Veränderung der subjektiven Verhält-nisse). Zum zweiten zielt Prävention hier auf kriti-sche Lebensereignisse von Schüler/innen, die ent-weder vorhersehbar sind, weil einem spezifischen Entwicklungsschritt korrespondierend, oder nicht vorhersagbar, in jedem Fall aber subjektive Belastun-gen bedinBelastun-gen. Kinder und JuBelastun-gendliche sollen insbe-sondere in diesen Situationen vorausschauend un-terstützt werden im Sinne einer ‚Begleitung des Aufwachsens’.

Projektangebote als Bestandteil von Schulentwick-lung zielen nicht allein auf ihre Funktion als neue kognitive Lernfelder. Mit ihren Möglichkeiten zur Erweiterung der sozialen Kompetenzen von Schü-ler/innen erhalten sie eine erhebliche Bedeutung hinsichtlich dessen, was in der sozialpädagogischen Fachterminologie ‚subjektives Bewältigungshan-deln’ genannt wird: In spezifischen, zumeist kriti-schen Lebensereignissen und biographikriti-schen Situa-tionen produktiv handlungsfähig sein zu können (Böhnisch 2002: 199 ff.).

Strukturelle Grenzen der Projektarbeit

Variabel und bedarfsangemessen planen zu können, stieß sich immer wieder an den begrenzten perso-nellen und zeitlichen Ressourcen im ‚Stuttgarter Modell’:

• Eine erste pädagogisch drastische Einschränkung wurde folgendermaßen beschrieben: Es entstand das Dilemma, dass durch erfolgreiche Projektar-beit bei den Schüler/innen Interessen an weiter-gehenden Projektangeboten geweckt wurden, die dann allerdings angesichts der begrenzten Zeitkapazität nicht weiterverfolgt werden konn-ten. Dieses aufkeimende (Bildungs-)Interesse und Engagement der Schüler/innen, Lernformen oder Inhalte selbstbestimmt einzufordern, muss an sich schon als Erfolg bewertet werden, unabhän-gig davon, ob die Schüler/innen Inhalte der Pro-jekte für sich in positiver Weise nutzen konnten.

Gerade angesichts der hohen Anerkennung von Projektarbeit, die zuvor unter dem Stichwort des

‚Projekte-Curriculums’ besprochen wurde, konn-ten Schüler/innen in diesem Sektor gegenüber dem Unterricht andere und insgesamt wichtige Erfahrungen der Partizipation und Mitentschei-dung machen.

• Eine weitere Grenze in Bezug auf die Institu-tionalisierung von Projektarbeit ergab sich da-durch, dass nicht genügend Zeit reserviert wer-den konnte, um Projektkonzeptionen im einzel-nen weiter auszufeilen und zu verbessern sowie neue Projektideen in einem gemeinsamen krea-tiven Prozess mit den kooperierenden Lehrkräf-ten und außerschulischen Profis zu generieren.

Projekte nachzubereiten und zu dokumentieren, musste ebenso vernachlässigt werden – Wissen ging dabei verloren.

• Schließlich machte sich die fehlende Zeit auch in der Vorbereitung und in Bezug auf konkrete Pla-nungsschritte bemerkbar. Ursprünglich einge-plante Phasen des Entwickelns reduzierten sich mitunter auf punktuelle Momente bloßer Abspra-chen. Dies wiederum wirkte sich hemmend auf die Ideengenerierung aus, wie eine Lehrerin be-stätigte: „Ideen entwickeln zu müssen, genau an dem Zeitpunkt, an dem sie [sozialpädagogische Fachkraft] ihre Planung macht...“, verhindert spontanes kreatives (Weiter-)Entwickeln.

• Korrespondierend zur Forderung, die sozialpäda-gogische Fachkraft mit mehr Zeitressourcen für die Schule auszustatten, wurde auch eine zeitli-che Entlastung für Lehrkräfte eingefordert. Lehr-kräfte sollten mit einem speziellen Zeitdeputat für die Kooperation mit der sozialpädagogischen

Fachkraft zum Vorantreiben der Projektarbeit frei-gestellt werden, damit auch ihre Mehrarbeit und ihr Engagement professionell anerkannt und qua-litativ gesichert werden könnte.

4.4.3 Erweiterung der Handlungsoptionen für