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Produktiver Umgang mit Texten: Schreiben

3.3 Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik

3.3.3 Produktiver Umgang mit Texten: Schreiben

Die Schreibforschung ist eine vergleichsweise junge Disziplin, deren Entstehung etwa auf die 1980er-Jahre zurückzudatieren ist (vgl. Steinhoff et al. 2017, S. 9).

Doch selbst seit PISA steht vor allem das Lesen im Fokus der Debatte um Sprach-förderung. „Darüber darf die Bedeutung des Schreibens nicht vergessen werden, weil erst Lesen und Schreiben gemeinsam die literale Kompetenz ausmachen“

(Becker-Mrotzek et al. 2015, S. 200). Im Gegensatz zum Sprechen und Zuhören

ist Schreiben ein mittelbarer Prozess, der den Denk- und Lernvorgang entschleu-nigt – dem*r Lernenden Zeit gibt (vgl. Pertzel/Schütte 2016, S. 13). Die Möglich-keit, über sprachliche Aussagen nachzudenken, eröffnet ihm*r die Gelegenheit, sich tiefer mit der entsprechenden Materie auseinanderzusetzen, da schriftli-che Äußerungen vorliegen und das Schreiben „Gedächtnisbilder schafft“ (Müller 2005, S. 1). Ein*e schwache*r Sprecher*in muss deshalb nicht automatisch ein*e schwache*r Schreiber*in sein und umgekehrt. Schreiben ist ein komplexer Pro-zess, der eine Fülle an Teilkompetenzen erfordert (vgl. u. a. Budde et al. 2012;

Geist/Krafft 2017; Lange/Weinhold 2010; Mathiebe 2018; Ossner 2006; Stei-nig/Huneke 2015). Neuland/Peschel (2013, S. 104) definieren Schreibkompetenz als die Fähigkeit zur Textproduktion, die einerseits den eigenen Zielen gerecht werden und andererseits die Bedarfe der Rezipierenden erfüllen soll. Dabei wer-den sowohl Sprache als auch Inhalt bewusst wahrgenommen, immer wieder neu formuliert, optimiert und präzisiert, bis schließlich ein Schreibprodukt entstanden ist. Simpel zusammengefasst gliedert sich der Prozess in Planen, Formulieren, Überarbeiten (vgl. Mathiebe 2018, S. 17–18; Steinig/Huneke 2015, S. 138).

Innerhalb dieser Phasen sind allerdings verschiedene reziprok aufeinander bezo-gene Elemente zu beachten. Einen Eindruck in die Komplexität der Anforderung Schreiben gibt das Schreibprozessmodell von Hayes/Flower (1980). Dieses ist zwischenzeitlich mehrfach überarbeitet worden und gilt „als Referenzmodell für die etablierten Schreibprozessmodelle“ (Bachmann/Becker-Mrotzek 2017, S. 34).

Dem Kompetenzmodell nach Hayes/Flower (1980) bzw. dessen Fortführung sowie der Kompetenzgliederung nach Fix (2008) und Becker-Mrotzek/Schindler (2007) zufolge lässt sich Schreibkompetenz in Teilkompetenzen gliedern, die Pohl (2014) wie folgt zusammenfasst:

• Planungskompetenz (Textentwicklung: von eigenem Wissen zu differenzierter Nutzung externer Wissensspeicher, z. B. Internet, Lexika)

• Formulierungskompetenz (Entwicklungsprozess sprachlicher Struktur- und Ausdrucksformen)

• Überarbeitungskompetenz (Überarbeitungshandlungen, z. B. orthographische Korrekturen)

• Ausdruckskompetenz (z. B. Textsortenspezifität, Adressatenbezug)

• Kontextualisierungskompetenz (Textverständnis durch Kontextualisierung)

• Antizipationskompetenz (Entwicklung von Ich-bezogener Textwahrnehmung zu einem erweiterten, generalisierten Adressatenbezug)

• Textgestaltungskompetenz (Entwicklungstendenzen von assoziativ-reihender Textgestaltung zu schema- oder textsortengestalteter Textordnung) (vgl. Pohl 2014, 114 ff.).

3.3 Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik 83 Besonders herausgestellt wird für erfolgreiches Schreiben neben dem Textwissen, also dem Wissen über Textsorten und Formen des Schreibens, das Schreibbe-wusstsein, was neben der Reflexion von Schreibzielen auch die Bereitschaft zur Textverbesserung und -überarbeitung sowie metakognitive Komponenten bein-haltet, die den gesamten Schreibprozess auf übergeordneter Ebene steuern (vgl.

Berning 2011, S. 12; Philipp 2017, S. 197). Im Kontext von Mehrsprachigkeit von Relevanz ist der Hinweis, dass die Schreibentwicklung in der Forschung als sprachenunabhängig definiert ist. Das heißt mehrsprachige Schüler*innen durch-laufen dieselben Phasen des Schreibentwicklungsprozesses (vgl. Geist/Krafft 2017, S. 99).

Nicht nur der Prozess allein ist als komplex und vielschichtig zu beschreiben, auch die Operatoren, die einer Schreibaufgabe zugrunde liegen, sind vielsei-tig. Benennen, notieren, definieren, beschreiben, darstellen, berichten, erzählen, erklären, erläutern, bewerten, beurteilen und argumentieren sind die zentralen Operatoren (vgl. Pertzel/Schütte 2016, 18.20). Mit den verschiedenen Operato-ren werden teilweise auch die verschiedenen Funktionen von Schreibaufgaben deutlich, die bereits in den obigen Ausführungen impliziert sind. Schreiben kann erstens Merkhilfe sein (z. B. Hefteinträge). Zweitens kann Schreiben kommu-nizierende Funktion haben. Drittens ist das epistemische Schreiben zu nennen (vgl. Becker-Mrotzek et al. 2015, S. 200). Für den Fachunterricht ist der Ein-satz epistemischen Schreibens von besonderem Interesse, nicht zuletzt durch das entschleunigende Moment von Schriftsprachlichkeit. Dadurch können Zeit und Anlass für vertiefte kognitive Verarbeitung von Wissen entstehen (vgl.

Pertzel/Schütte 2016, S. 13–15; Steinhoff 2007, S. 56–59). Die empirische Stu-dienlage allerdings zeigt, dass der Einsatz von epistemischem Schreiben im Fachunterricht kein Selbstläufer ist. Zahlreiche Faktoren entscheiden darüber, ob und wie förderlich es ist. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Schrei-ben – richtig eingesetzt – ein großes Potenzial für fachliche und sprachliche Lernprozesse enthält, wie Ergebnisse einer Studie zum Schreiben im Mathe-matikunterricht nahelegen (Stephany et al. 2013). Eine weitere Untersuchung stellt reflexive Schreibaufgaben als besonders gewinnbringend heraus (Wäschle et al. 2015). Als vielversprechend bewertet die Schreibdidaktik eine Kombination kommunikativen und epistemischen Schreibens, in dem auch Reflexionsprozesse angeleitet werden. Damit Schreibaufgaben ihr Lernpotenzial ausschöpfen, müs-sen sie sorgfältig geplant, authentisch und motivierend sein. Dies kostet Zeit, was eine mögliche Erklärung für die Diskrepanz zwischen dem möglichen Nutzen von Schreiben auf der einen Seite und dem geringen Einsatz in der Unterrichtspraxis auf der anderen ist (vgl. Petersen 2017, S. 120–121).

Dass Schreiben erlernbar ist, wird vielen Schüler*innen erst bewusst, wenn sie erkennen, dass der Schreibprozess in Teilbereiche untergliedert ist, die für sich geübt werden können. Ebenso wie bei einer Matheaufgabe muss gelernt werden, wann welche Formel eingesetzt wird, welche Möglichkeiten der Umformulie-rung es gibt oder in welchem Kontext eine bestimmte Variable (Begriff/Struktur) passt. Die Schreibkompetenz wird bei ständigem Üben besser, wobei insgesamt von einer Kernzeit des Erwerbs zwischen dem 8. und dem 16. Lebensjahr aus-gegangen wird (vgl. Mathiebe 2018, S. 31). Der Prozess von der Planung des Textes über den ersten Textentwurf bis zum fertigen Produkt ist lang und verläuft selten fehlerfrei. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Schreiben auch im Fach-unterricht zu fördern, was sich lohnt, denn Schreiben ermöglicht in doppelter Hinsicht sinnvolles Lernen im Fach. Zum einen fördert es allgemein sprachli-che Kompetenz, zum anderen kann durch das Schreiben Erkenntnisgewinn im Sinne epistemischen Schreibens generiert werden (vgl. Beese/Roll 2015, S. 53).

Schreibförderansätze weisen eine große Affinität zum Scaffolding auf, in dem der Schreibprozess in seine einzelnen Phasen zerlegt und geübt wird. So wird eine Reduktion der komplexen Schreibaufgabe ermöglicht. Anschließend werden je nach Lernziel Schwerpunkte gesetzt und einzelne Bereiche des Prozesses fokus-siert. Die Vorbereitungsphase beispielsweise kann insbesondere der Ideenfindung dienen, in der Vorwissen aktiviert wird und mit Methoden wie dem Cluste-ring oder Mindmapping gearbeitet werden kann (vgl. Handt/Weis 2015, 78). Am Ende der Vorbereitungsphase können auch verschiedene Verfahren zur Strukturie-rung eines Textes gezeigt und geübt werden, um schließlich in der Entwurfphase Text zu produzieren. Dieser wird dann in der Überarbeitungsphase, die auch mit zeitlichem Abstand auf die Entwurfphase folgt, mithilfe von Feedback (der Lehr-person oder der Mitschüler*innen) überarbeitet. Auch für diese Umsetzung gibt es diverse Methoden. Oft rezipiert wird die eher komplexe Möglichkeit der Schreib-konferenz (vgl. Steinig/Huneke 2015, S. 138–139). Wichtig ist das schrittweise Vorgehen, um Überforderung zu vermeiden (vgl. Budde et al. 2012, S. 109–113).

An dieser Stelle kann sich auch die Kombination von mündlichen und schriftli-chen Phasen als fruchtbar erweisen, wobei mündliche Phasen den schriftlischriftli-chen im Sinne einer Vorentlastung vorausgehen. Auf Metaebene wird immer wieder die Bedeutsamkeit von Selbstbeobachtung, -reflexion und -beurteilung hervor-gehoben (vgl. Schneider et al. 2013, S. 56). Dies sind wichtige, motivierende und lernfördernde Bestandteile des Schreibens vor allem in der Phase der Text-überarbeitung. Deshalb kann das Führen von Lernberichten, -tagebüchern oder Portfolios das Fachlernen positiv begleiten (Müller 2005, S. 2). Ganz im Sinne des Scaffoldings werden dadurch die verschiedenen Teilprozesse des Schreibens

3.3 Erkenntnisse aus der Sprachdidaktik 85 sowie dessen Lernziele für die Schüler*innen transparent gemacht, was die Moti-vation steigern kann (vgl. Beese et al. 2014, S. 58). Verwiesen sei an dieser Stelle auf Jost (2017), der verschiedene Fördermöglichkeiten für Schreibkompetenz lis-tet. Abschließend seien noch die Schritte für ein empfohlenes Schreibarrangement nach Steinhoff (2018) vorgestellt, in denen sich erneut die Prozesshaftigkeit des Schreibprozesses widerspiegelt:

1. Angemessenes Lernziel formulieren | Im Geographieunterricht bedeutet das, dass das Ziel der Schreibaufgabe aus den Curricula entwickelt wurde.

2. Funktionsspezifische Situierung | Schreiben soll in einem Handlungszusam-menhang passieren; es muss also deutlich werden, warum, für wen, worüber, wie und womit geschrieben wird.

3. Sequenzierter Schreibprozess | Den Schüler*innen muss deutlich werden, dass der Schreibprozess in einzelne Schritte gegliedert werden kann.

4. Konstruktive Rückmeldung | Mit Rückmeldung ist ein solches Feedback gemeint, dass es den Schüler*innen ermöglicht, auf dieser Grundlage, die Texte sinnvoll und qualitätsverbessernd zu überarbeiten.

5. Sinnstiftende Textform | Es muss sinnvoll begründbar sein, warum eine bestimmte Textsorte in der Schreibaufgabe gefordert wird. Qualitätskriterien der Textsorte sollten bestenfalls an konkreten Beispielen erkannt werden.

Im Rahmen der vorliegenden empirischen Arbeit wird aufgrund der Bedeutsam-keit sowie der guten PlanbarBedeutsam-keit von Schreibaufgaben mit Unterstützungsaufga-ben auf diesen Sprachbereich fokussiert. Die Unterrichtsreihe enthält neUnterstützungsaufga-ben Lese-und Sprechaufgaben eine Reihe an gestuften Schreibaufgaben (vgl. Kap.4). Auch für die Datenerhebung wurde mit der Profilanalyse ein Instrument gewählt, das auf schriftliche Textproduktion abzielt (vgl. Abschn.6.2).