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Geflüchtete Menschen erleben grundsätzlich viele Arten von Gewalt, auch im Aufnahmeland Deutschland. An dieser Ausgangssituation müssen Präventionsstrategien ansetzen. Dazu gilt es auch, bereits vorhandene Erfahrungen im Umgang mit Gewalt zu nutzen, also die Ressour-cen geflüchteter Menschen einzubeziehen.

Prävention im Kontext Flucht umfasst daher über allgemeine Präventionsstrategien hinaus folgende Punkte:

• Initiativen von Geflüchteten aufgreifen

• Gemeinsames Mobilisieren gegen º Kriminalisierung von Geflüchteten º Abschiebung

º koloniale Ungerechtigkeit

Abb. 4: Gewaltrisiko im Kontext Flucht (TeuberT 2016)

6. Prävention im Kontext Flucht 62

• Einsatz für Frauenrechte und Solidarität zum Beispiel durch Aktionen von The VOICE Refu-gee Forum Germany (vgl. auch bInISIK & zuCKer 2016)

• Vernetzung professioneller und ehrenamtlicher Arbeit, auch unter Einbezug migranti-scher Selbstorganisationen (vgl. Goltz 2015)

Strukturelle Änderungen müssen im Austausch mit Betroffenen bewerkstelligt werden. Da-bei gilt es, international erprobte Verfahren der KonfliktbearDa-beitung und -bewältigung zu berücksichtigen.

Im Kontext Flucht macht es Sinn, zielgruppenübergreifend anzusetzen. Daher wird die Auf-teilung in universelle, selektive und indizierte Prävention aufgelöst. Eine Unterscheidung in verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen erscheint stattdessen zielführender.

Die Verhältnisprävention beinhaltet Maßnahmen, die eher im Bereich der universellen Prä-vention angesiedelt sind und daher zielgruppenübergreifend ausgerichtet ist. Sie setzt vor allem an den strukturellen gesamtgesellschaftlichen Bedingungen für ein gewaltfreies Zu-sammenleben an.

Abb. 5: Gewaltprävention im Kontext Flucht (TeuberT & sauer 2016)

6. Prävention im Kontext Flucht 63 Mit der Verhaltensprävention sind die Zielgruppen der selektiven und indizierten Prävention angesprochen. Sie richtet sich an so genannte Risikogruppen, die sowohl im Zusammenhang mit Flucht als auch in anderen Zusammenhängen von Gewalt betroffen sein können oder waren.

Beide Bereiche der Prävention verbindet eine gemeinsame Haltung, die geprägt ist durch Kultursensibilität und eine Orientierung am jeweiligen Individuum. Dies wird ermöglicht durch einen Zugang über einfache Sprache, DolmetscherInnen und MultiplikatorInnen.

Im Folgenden werden die Bestandteile universeller, selektiver und indizierter Prävention mit Beispielen aus der internationalen Präventionsarbeit dargestellt (s. Tab. 2).

6. Prävention im Kontext Flucht

Versöhnungsarbeit, z. B. “Healing of Memories” (HoM) als Verfahren zur geschichtlichen Aufarbeitung kultureller, religiöser und ethnischer Spannungen und Konflikte (vgl. branDeS 2014: S. 75 und s. Anhang).

Fortbildungen von MultiplikatorInnen (MiMi-MediatorInnen) und Ehrenamtlichen, z. B. MiMi – Gewaltprävention mit Migrantinnen für Migrantinnen

Schaffen von

Rahmenbedingungen (Gesetze) für selbstwirksames Handeln in der Gemeinschaft

Kommunale Integrationskonzepte zum Zusammenleben in der Region (vgl. teubert, Sauer, GöGerCIn & Sauter 2016)

Herstellen von Kontakten zu lokalen Schlüsselpersonen, z. B.

VertreterInnen religiöser Gemeinschaften (vgl. KIzIlhan 2016a) Initiativen in den Herkunftsländern, z. B. Friedensarbeit für Frauen in Krisen- und Kriegsregionen von Amica e. V. Freiburg Aufbau von Schutzmöglichkeiten

in Organisationen wie Kitas, Schulen und Behörden

Thematisierung von Möglichkeiten zum Schutz vor Gewalt (z. B. Grauzone e. V.)

Obligatorisches Führungszeugnis für Mitarbeitende Anpassung gesetzlicher

Regelungen zum Schutz vor Gewalt

Unterstützung von Kampagnen, Petitionen, Initiativen (z. B. The Voice Refugee Forum Germany)

Schaffen sicherer Orte für einheimische und geflüchtete Menschen

Unterstützen und Aktivieren von persönlichen Kontakten zum Auf- und Ausbau primärer und sekundärer sozialer Netzwerke

Arbeit im Gemeinwesen zum Aufbau sozialer Netzwerke für Bewohnerinnen eines Quartiers

Schaffen von Gelegenheiten zum Austausch (Frauentreffs, Männerrunden, Familien- und Generationentreffs)

Gemeinsame (informelle) Lernangebote, z. B. Kindertrainings Motivation potentieller AkteurInnen

Fallspezifische Arbeit Biographiearbeit, stabilisierende Arbeit (z. B. OMID Caritasverband Stuttgart e. V.) Traumatherapie (z. B. Refugio e. V.) Täterarbeit

Tab. 2: Internationale/nationale Beispiele universeller, selektiver und indizierter Prävention

6. Prävention im Kontext Flucht 65

EXEMPLARISCHE DARSTELLUNG VON

KONFLIKTBEWÄLTIGUNGSSTRATEGIEN MIT BEZUG AUF VERHALTENS- UND VERHÄLTNISPRÄVENTION

Healing of Memories (HoM) als post-conflict-process ist Teil eines nachhaltig orientierten Gesamt-Friedens- und Versöhnungsprozesses:

• Conflict Transformation

• Transitional Justice

• Culture of Remembrance (branDeS 2014: S. 75).

Conflict Transformation wird unmittelbar nach einem Waffenstillstand angewandt oder zur aktuellen Verhinderung bevorstehender oder im Anfang befindlicher Konflikte. Sie ergänzt “military strategies” zur Deeskalation von Gewalt in aktuellen Konflikten (vgl.

ebd.).

Transitional Justice etablierte sich nach dem Ende der südamerikanischen Militärdikta-turen, den politischen Umbrüchen in Ostblockstaaten, dem Ende der südafrikanischen Apartheid und nach Genozid in Ländern wie Ruanda, Sri Lanka oder Kambodscha in Form von Prozessen, Praktiken und Organisationsformen im Umgang mit Verbrechen, die vor einer politischen Transition vom Vorgängerregime oder während eines Bürger-kriegs begangen worden waren. Mittlerweile werden die Instrumente von Transitional Justice auch mit traditionellen Prozessen der Konfliktbearbeitung verbunden. Beispiele hierfür sind die Gacaca-Tribunale in Ruanda, die Community Reconciliation Processes in Osttimor oder die „mato oput”-Zeremonien in Uganda (vgl. ebd.).

Unter Culture of Remembrance werden „alle denkbaren Formen der bewussten Erinne-rung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse“ verstanden, sowohl von Individuen wie von religiösen, kulturellen oder ethnischen Gruppen (vgl. CornelISSen

2012). Dieser Begriff umfasst sowohl historische als auch ahistorische Erinnerungen (z. B.

Mythen) in Formen von kollektivem Gedächtnis, wie etwa Denkmäler, Museen, Feierta-ge, Texte, Lieder, Bilder, Forschungsprojekte, etc.

„Erinnerungs-Zentren wie Yad Vashem in Jerusalem und das Kigali Genocide Memorial verbinden zwei Gedenkformen: Es wird sowohl der Orte des Genocid (sic) besonders gedacht wie auch – in eigens eingerichteten Räumen – der persönlichen Geschichte der einzelnen Opfer“ (branDeS 2014: S. 77).

Dem Gedenken an einzelne persönliche Schicksale mit der Zuordnung von Opfer-Na-men und Daten widOpfer-Na-men sich in westeuropäischen Ländern inzwischen zunehOpfer-Na-mend pri-vate Bürger-Initiativen mit dem Setzen von „Stolpersteinen“ (vgl. rönnePer 2010).

6. Prävention im Kontext Flucht 66

In diese Richtung müssten auch weitere Strategien für künftige Präventionskonzepte gehen.

Es geht dabei um die Verzahnung der Integrationsbestrebungen der Bundesregierung auf struktureller Ebene mit der Stärkung der Schutzfaktoren aller Individuen, die in Deutschland leben und von Gewalt betroffen sein können oder waren.

Salutogene Narration zur Biographie- und Identitätsarbeit bei Menschen mit einem Migrationshintergrund

Durch Narration wird eine Rekonstruktion der Vergangenheit betrieben. Diese Rekons-truktion kann auf der Suche nach dem Ich zu einer neuen integrativen Identität führen, indem verdrängte, nicht ganz erinnerbare oder bruchstückhafte Erinnerungen ganz all-mählich Raum einnehmen, zu Vorstellungen und Worten werden. Um eine Verarbeitung der Vergangenheit mit möglichen erlittenen Verlusten und der fehlenden Verortung zu ermöglichen und eine Anerkennung der jetzigen Realität zu erreichen, ist ein kultursen-sibler-narrativer Ansatz der Biographie- und Identitätsarbeit notwendig.

Viele Menschen kommen aus kollektiven Kulturen und/oder „Erzähl-Gesellschaften“, in denen unterschiedliche Konzepte von Identität und Problemlösestrategien vorherrschen.

Die Narration stellt in diesen Kulturen ein wichtiges Element einer stabilen Ich-Identität dar und kann im Sinne der Salutogenese als eine kultursensible Coping-Strategie zu einer positiven Verstärkung der SOC (“sense of coherence”) in der Behandlung führen.

Narration ermöglicht, vergangene und neue Lebenserfahrungen miteinander sinnhaft zu verbinden, um die Entwicklung eines starken Kohärenzgefühls zu begünstigen und, stärker als bisher, bewusst Einfluss auf die eigene Gesundheitsentwicklung zu nehmen.

Die salutogene Narration ist nicht nur bei Menschen mit Migrationshintergrund an-wendbar, sondern bei allen Menschen, die durch die Biographie- und Identitätsarbeit eine bessere integrierte Identität erlangen können (vgl. KIzIlhan 2013).