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Prädiktiver Wert von Rehabilitationsergebnissen

2.3 Wirksamkeit der Rehabilitation & Rückkehr zur Arbeit

2.3.5 Prädiktiver Wert von Rehabilitationsergebnissen

Um Behandlungsstrategien und die Zuweisung in unterschiedliche Behandlungssettings, sowie die abschließende sozialmedizinische Leistungsbeurteilung zu optimieren, erscheint eine Identifikation von Prädiktoren zur beruflichen Wiedereingliederung, zunächst anhand der Exploration vorhandener Literatur, notwendig. Denn trotz dargestellter Ergebnisse rehabilitativer Behandlungen (von Patienten mit Dorsopathien) profitieren nicht alle hin-sichtlich der Rückkehr zur Arbeit.

In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Studien publiziert, die ihr Augenmerk auf Prädiktoren einer erfolgreichen Rehabilitationsmaßnahme richteten. Hofreuter (2005) stellt hierzu eine Literaturübersicht von Studien zusammen, die zum einen Prädiktoren für den generellen Behandlungserfolg chronischer Rückenschmerzpatienten überprüfen und die zum anderen nur Prädiktoren hinsichtlich des Zielkriteriums „Rückkehr zur Arbeit“ zur Er-folgsbeurteilung heranziehen. Die dabei konstatierten Ergebnisse gehen zum größten Teil konform mit den Ergebnissen der Literaturübersicht zur WIR-Studie und ihren Resultaten (vgl. Kap. 2.4.4). Es stellt sich heraus, dass für den generellen Behandlungserfolg von chronischen Rückenschmerzen Psychosoziale Faktoren (Depressivität, schmerzbezogene Kognition, individuelles Coping-Verhalten, Kontrollüberzeugungen („Fear-Avoidance-Beliefs“), Körperfunktionen und -strukturen (somatische Faktoren, Psychische Komorbidi-tät, Schweregrad und Dauer der Rückenschmerzen, hohe Funktionsbehinderung) und so-zio-ökonomische Faktoren (Arbeitsunzufriedenheit, Arbeitsunfähigkeitsdauer, Beziehungs-probleme am Arbeitsplatz) als Prädiktoren mehrfach bestätigt werden. Dahingegen werden sozio-ökonomische Faktoren, wie niedrige berufliche Qualifikation, nierdriger Bildungs-stand und körperlich anstrengende Tätigkeiten, sowie sozio-demographische Faktoren, wie das Alter und Geschlecht nur bedingt in ihrem prädiktiven Wert für den generellen Be-handlungserfolg bestätigt. Die nach dem Outcome „Berufliche Reintegration“ katego-risierte Forschungslage zeigt, dass Körperfunktionen und -strukturen für die Rückkehr zur Arbeit generell prädiktiv weniger bedeutsam sind. Neben den sozialen, arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Bedingungen, so Hofreuter, seien insbesondere der beruflichen Stellung und der ökonomischen Situation des Patienten Aufmerksamkeit zu schenken (S.

58; 3.Abs.). Als Prädiktoren für die berufliche Wiedereingliederung werden der Studienre-vision zufolge nachgewiesen: psychosoziale Faktoren (Fear-Avoidance-Beliefs, Depressi-vität, subjektives Beeinträchtigungsempfinden), sozio-ökonomische Faktoren (subjektive Arbeitsplatzwahrnehmung, berufliche Stellung, ökonomische Situation, Arbeitsunfähig-keitsdauer, Rentenwunsch, subjektive Arbeitsprognose, Bildung), sowie sozio-demo-graphische Faktoren (Alter und Geschlecht).

Bei Untersuchungen zum Erfolg einer Reha-Maßnahme werden generell solche Angaben bevorzugt, die auf Selbstauskunft beruhen (z. B. das subjektive Schmerzempfinden) anstatt

„objektiv“ messbare Parameter heranzuziehen (z. B. die in der Orthopädie gängige stan-dardisierte Messung des Finger-Boden-Abstands zur differenzialdiagnostischen

Untersu-chungen (Müller, Strube, 2005)23). Für die Präferenz der Selbstauskunft von Patienten spre-chen zahlreiche empirische Hinweise, die gut belegen, dass objektivierbare gesundheitlich-medizinische Befunde in vielen Fällen nicht mit dem von den Patienten erlebten tiven Leistungsvermögen korrespondieren (Bürger, 1997). Zusätzlich besitzen die subjek-tiven Patientenangaben eine vergleichsweise hohe messtheoretische Güte im Sinne der Re-produzierbarkeit (Reliabilität) sowie prädiktiver Validität, und sie decken oft eine höhere Varianz auf (vgl. Hildebrandt 2003; Kohlmann, 2003). Die Forschung verfügt inzwischen über eine internationale Sammlung standardisierter Instrumente zur Erhebung subjektiver Patientenangaben (vgl. Kap.2.3.3, S. 32f.).

Es folgen beispielhaft die Forschungsergebnisse einer retro- und einer prospektiven Studie.

Für ihre Auswahl spielte die Diagnose, die zur Rehabilitationsmaßnahme führte keine Rolle. Es geht vielmehr um die prognostische Aussagekraft des Reha-Erfolges, die Identifikation von prognostischen Faktoren, sowie um die Vergleichbarkeit der Selbstein-schätzung des Patienten mit der EinSelbstein-schätzung des Arztes.

Prognostische Aussagekraft kurzfristiger Erfolgsparameter

Küpper-Nybelen et al. (2003) untersuchen in einer retrospektiven Kohortenstudie die pro-gnostische Aussagekraft von kurzfristigen Erfolgsparametern der stationären Rehabilitation sowie zusätzlichen Angaben aus dem Reha-Entlassungsbericht im Hinblick auf langfristige Indikatoren des Reha-Erfolgs, wie z. B. Frühberentung durch Erwerbs- oder Berufsunfähig-keit (EU/ BU). Ihre Analyse basiert auf routinemäßig erhobenen Daten aller Rehabilitanden im Alter von 30-59 Jahren, die zwischen Juni 1997 und Juli 1999 eine stationäre Rehabili-tationsmaßnahme in Anspruch nehmen (insgesamt 6 823 Patienten). Die Basisdaten um-fassen die Merkmale aus dem Reha-Entlassungsbericht, die Variablen aus dem Qualitätssi-cherungsprogramm, sowie dem Versichertenkonto. Während des Follow-up-Zeitraums (mittler Follow-up-Dauer: 1,8 Jahren) werden demzufolge 13,3% aufgrund einer EU/ BU berentet. Die Variablen mit der größten prognostischen Aussagekraft sind die Beurteilung des Gesundheitszustandes durch den Arzt und durch den Patienten und die Beurteilung des Leistungsvermögens im Beruf. Eine um eine Note bessere Beurteilung des Gesundheitszu-standes auf einer von 1 bis 6 reichenden visuellen Analogskala durch den Arzt bzw. den Patienten geht mit einem um 53% bzw. 40% verminderten Risiko einer Frühberentung

23 Auch die in der Orthopädie gängigen medizinischen Messungen entsprechen nicht den Kriterien einer Objektivität. Der Finger-Boden-Abstand beispielsweise ist arzt- und (patienten-)tagesformabhän-gig und daher nicht reliabel.

einher. Die bedeutungsvollste Variable im Hinblick auf eine Frühberentung stellt „Die Arbeitsfähigkeit bei Entlassung“ dar. Sie ist im Vergleich zur Arbeitsunfähigkeit mit einem 78%ig geringeren Frühberentungsrisiko assoziiert. Der Studie nach sind ebenfalls prognos-tisch relevant das positive Leistungsbild und die Arbeitsunfähigkeitszeiten im Jahr vor An-tritt der Rehabilitation. Die Autoren postulieren, dass kurzfristig erzielte Reha-Erfolge durchaus mit einer Verminderung des Risikos einer EU/ BU-Frühberentung assoziert seien und deshalb auch prognostische Relevanz hätten. Ebenso verweisen die Ergebnisse dieser Studie auf die Wertigkeit der Selbsteinschätzung durch den Patienten, die im Durschnitt einen ähnlich guten prädiktiven Wert erlangen wie die Fremdbeurteilung durch den Arzt.

Studie zu Prädiktoren einer nicht-erfolgreichen Rückkehr zur Arbeit

In einer Studie von Bürger et al. (2001) werden in einer multiperspektivischen Ein-schätzung verschiedene praktikable Möglichkeiten getestet, bei Versicherten in medi-zinischer Rehabilitation die Gefahr einer nicht erfolgreichen beruflichen Wiedereinglie-derung vorherzusagen. Hierzu werden für die Selbseinschätzung der Patienten u. a. vier (bis zu dem Zeitpunkt noch nicht publizierte) Items eingesetzt. Die Patienten werden darin zu Beginn der Reha-Maßnahme nach der Einstellung der zukünftigen Erwerbstätigkeit, zu einem Rentenantrag, nach dem vermuteten Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Berufstätig-keit und der Erwartung, angesichts des derzeitigen Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit bis zum Rentenalter erwerbstätig sein zu können, gefragt. Dieselben Items -ausgenommen die Frage nach der Einstellung zur zukünftigen Erwerbstätigkeit - werden den Patienten kurz vor ihrer Entlassung nochmals vorgelegt. Die Patienteneinschätzungen gewinnen dabei am Ende der Reha-Maßnahme an prognostischer Güte. Der Autor legt die Vermutung nahe, dass es daran läge, dass die Patienten den Erfolg der Maßnahme in ihrer Einschätzung mit berücksichtigen konnten. Betrachten Bürger et al. die Ergebnisse der so-zialmedizinischen Beurteilungen, der beruflichen Leistungsfähigkeit und Erwerbsprognose der Patienten zum Abschluß der Rehabilitationsmaßnahme durch den Reha-Arzt, dann hal-ten diese in drei Viertel aller Fälle zwar eine vollschichtige Arbeit möglich. Gleichzeitig gehen sie aber auch bei substantiellen Anteilen der Patienten davon aus, dass Ein-schränkungen bei der Arbeit bestünden und z. B. nur noch leichte Arbeiten verrichtet werden könnte. Sehr selten geben sie an, dass keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt werden könnte. Die niedergelassenen, behandelnden Ärzte bewerten die Erwerbsfähigkeit der rehabilitativ behandelten Patienten ein halbes Jahr später deutlich pessimistischer. In immerhin 16% der Fälle gehen sie davon aus, dass keine Erwerbstätigkeit mehr möglich

sei.

Ein Jahr nach Abschluss der Rehabilitation werden die Patienten schließlich gefragt, ob und wann sie ihre Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen haben, wie ihre gegenwärtige Erwerbssituation (erwerbstätig, berentet, arbeitslos etc.) war, ob, wie lange und weshalb sie im letzten Jahr krank geschrieben waren und ob sie zwischenzeitlich einen Rentenantrag gestellt hatten oder dies beabsichtigten. Demnach können insgesamt 70% der Patienten als erfolgreich wieder ins Erwerbsleben eingegliedert bezeichnet werden. Wird die Wiederein-gliederung getrennt für arbeitsfähig und arbeitsunfähig aufgenommene Patienten betrachtet, ergeben sich Quoten von 81% beziehungsweise 58%. Etwa 2/3 der Rehabilitanden nehmen ihre Erwerbsfähigkeit direkt im Anschluss an die Maßnahme wieder auf, ein weiteres Viertel innerhalb der ersten drei Monate. Fast die Hälfte der Befragten mit Rentenwunsch haben ein Jahr später keinen Antrag gestellt und planen dies auch nicht mehr. Den Pati-entenangaben zufolge hing die erfolgreiche Rückkehr ins Erwerbsleben in geringerem Aus-maß auch von dem subjektiv erlebten Erfolg der Reha-Maßnahme ab. Jedoch unabhängig vom erlebten Erfolg der Maßnahmen ist offenbar der Zeitpunkt des Wiedereintretens ins Erwerbsleben. Die Patienteneinschätzungen zur Frage, wann nach Abschluss der Rehabili-tation eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit erwartet wird, korreliert dennoch am höchsten mit dem Kriterium der Wiedereingliederung und gemeinsam mit den Fehlzeiten im Jahr vor der Reha-Maßnahme auch am besten mit dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit. Die sozialmedizinischen Einschätzungen der Ärzte in den Reha-Ein-richtungen haben eine bessere prädiktive Validität als die Einschätzung der niederge-lassenen Ärzte. Mit Hilfe des häufig angewandten Fehlzeitenkriteriums (mehr als sechs Wochen ununterbrochen) lassen sich lediglich 44% der nicht erfolgreich eingegliederten Patienten identifizieren. Die von Patienten geäußerte Intention zu Rentenantragstellung erlaubt dagegen praktisch nicht, diejenigen zu selegieren, die ein erhöhtes Risiko für eine nicht erfolgreiche Wiedereingliederung aufweisen.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Patientenbefragungen neben den Fehlzeiten und den sozialmedizinischen Urteilen der Ärzte der Reha-Einrichtungen eine geeignete Metho-de darstellen, um Risikopatienten für eine nicht erfolgreiche WieMetho-dereinglieMetho-derung zu identifizieren. v. a. die Frage, wann Patienten eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit planen, eignet sich diesbezüglich neben der direkten Frage nach der Intention, ein Rentenantrag zu stellen, als Screening-Frage, so Bürger et al.. Insgesamt erscheinen die Einschätzungen der Rehabilitanden zur Rückkehr ins Erwerbsleben durchaus realistisch, wenn sie mit den Quo-ten der tatsächlich WiedereingegliederQuo-ten verglichen werden. Festgestellt wird weiterhin, dass im Durchschnitt die Urteile der niedergelassenen Ärzte unter einer

sozialmedizinisch-prädiktiven Perspektive gegenüber dem Fehlzeitenkriterium keinen wesentlichen Informa-tionsgewinnung darstellen. Auch die Korrelation zwischen den Einschätzungen der nie-dergelassenen Ärzte zur Erwerbsfähigkeit und den sozialmedizinischen Entlassungsurteilen der behandelnden Reha-Mediziner sind sehr gering. Gerade in kritischen Fällen könnten solche widersprüchlichen Haltungen der Fachleute Patienten irritieren beziehungsweise die Motivation zur Rückkehr untergraben und sie seien sicher ein weiterer Beleg für die Not-wendigkeit einer besseren kommunikativen Vernetzung zwischen der Rehabilitation in Versorgung und der ambulanten Weiterbehandlung, so das abschließende Fazit von Bürger et al.. Offen bleibt bei dieser Erhebung wie hoch die Korrelation der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung durch den Reha-Arzt mit den Selbsteinschätzung des Patienten ist und inwiefern man diese erweitern kann, um ihren prädiktiven Wert zu steigern.