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Politisch-Strategische vs. kritisch-analytische Perspektive auf Transformation

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 18-21)

1. Einleitung

2.2 Die Debatte um die sozial-ökologische Transformation

2.2.2 Politisch-Strategische vs. kritisch-analytische Perspektive auf Transformation

Fokus auf die Analyse von gesellschaftlichen Strukturen, Institutionen und Prozessen. Diese dürfen nicht als gegeben betrachtet werden, sondern vor dem Hintergrund kritischer Staats- und Governance-Forschung als soziale Verhältnisse begriffen werden (Hirsch 2005;

Demirović/Walk 2011). Der Staat wird oftmals als neutrale Instanz betrachtet, die ein Interesse an der Herstellung des Allgemeinwohls hat. Aus kritischer Perspektive dagegen wird der Staat als eine Terrain „verdichteter Kräfteverhältnisse“ (Poulantzas 2002) betrachtet, auf dem um Hegemonie gerungen wird. Somit kann auch nicht angenommen werden, dass der Staat es

„schon richten wird“, da es den Staat in dem Sinne gar nicht gibt. Es geht vielmehr darum, die Umkämpftheit des Staates anzuerkennen und in den Blick zu nehmen. Neben der Kritik am Staatsverständnis können aus kritischer Perspektive weitere Probleme an der der politisch-strategischen Perspektive genannt werden. So läuft die Transitions-Transformation-Debatte, gerade auch durch die unpräzise Verwendung von Begriffen wie Transition, Transformation, Adaption, Resilienz usw., Gefahr ein Business-As-Usual zu fördern, da die Begriffe bei

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genauerem Hinsehen recht unterschiedliche Dinge bedeuten und bei der synonymen Verwendung oft unklar bleibt, was genau wie verändert werden soll.

Einen wesentlichen Bezugspunkt in der kritischen Transformationsforschung stellt dabei Karl Polanyi und dessen Werk „The Great Transformation“ (1944) dar (Brand et al. 2020). Dieser analysierte den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus im 19. Jahrhundert als transformativen Prozess, der die bestehende wirtschaftliche und soziale Ordnung grundlegend änderte. Im Zuge dieser Transformation setzte sich das System der „selbstregulierenden Märkte“ durch. Dabei war diese Transformation keineswegs ein Selbstläufer, sie war keinem Automatismus unterworfen oder unveränderlich. Wie Polanyi selbst schreibt:

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, daß das Entstehen nationaler Märkte keineswegs die Folge der langsamen und spontanen Emanzipation des ökonomischen Bereichs von staatlichen Kontrollen war. Der Markt war, im Gegenteil, das Resultat einer bewußten und oft gewaltsamen Intervention von seiten der Regierung, die der Gesellschaft die Marktorganisation aus nichtökonomischen Gründen aufzwang. (Polanyi 2017: 330f.)

Auch wenn Polanyis Analyse nicht eins-zu-eins auf heutige Verhältnisse angewendet werden kann, so regen seine Begriffe dennoch zum Nachdenken über aktuelle Verhältnisse und Herausforderungen an. Ein Beispiel hierfür ist der Begriff der „Doppelbewegung“, also das Gegenübertreten von widersprüchlichen Kräften innerhalb der Gesellschaft. Die eine Seite hat die Ausweitung der Marktorganisation im Sinn, die andere Seite stattdessen aber den Selbstschutz der Gesellschaft (Polanyi 2017: 182ff.). Polanyi zeigt sehr gut, „dass Transformationsprozesse etwas mit gesellschaftlichen Kräften und Kräfteverhältnissen, mit Interessen, Macht und Herrschaft zu tun haben und dass Staat und Politik nicht per se die (welt-)gesellschaftlichen Probleme lösen“ (Brand 2014b: 251).

Ein großer Teil der Transition-Transformation-Debatte übersieht jedoch genau diesen Umstand. Die Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen zu Grunde liegen und damit auch mitverursachend für Krisenerscheinungen sind, werden oft nicht beachtet oder als unveränderlich akzeptiert. Ebenso wird oft implizit angenommen, es gäbe eine universelle Lösung. Aus kritischer Perspektive gibt es für die Transformation keinen Masterplan, die Zukunft ist offen und muss gestaltet werden (Rilling 2014). Eng verbunden damit erscheint in der politisch-strategischen Transformationsdebatte die Transformation quasi als Lösung für alles. Die damit auch einhergehenden Konflikte und Widerstände bleiben dadurch oft unterbelichtet, sowohl der Widerstand der Subalternen, wie auch jener der herrschenden Klassen. „Whether opposition entails grassroots social movements or the inertia of powerful fossil fuel actors, we argue that resistance is a critical component of transformative change that needs to take a central position in transformationresearch and practice.” (Blythe et al. 2018: 1215f.) Ebenso bleibt in der

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strategischen Perspektive der gesellschaftliche Gehalt der ökologischen Probleme meist unberücksichtigt. Es geht häufig um „die Umwelt“ oder „die Natur“ die in der Krise ist und die Gesellschaft müsse nun adäquat handeln, um diese Krise zu überwinden. Kritisch-analytisch lässt sich hier einwenden, dass es nicht die Natur ist, die in der Krise ist, sondern die Gesellschaft in ihrem Zusammenhang zu Natur, also die gesellschaftlichen Naturverhältnisse (Görg 1999; Becker/Jahn 2006; Wissen 2011). Die Perspektive der Sozialen sowie der Politischen Ökologie sind hier hilfreich, da sie Gesellschaft und Natur nicht als getrennte Sphären konzeptualisiert, sondern als zwei sich gegenseitig beeinflussende Sphären, ohne aber das die eine Sphäre auf die andere reduziert werden könnte (vgl. auch Kapitel 6.2f.). „Das was sich uns heute als ‚Natur‘ darstellt, ist in weiten Teilen von Menschen gestaltet worden, etwa durch Flussbegradigungen, das Trockenlegen von Sümpfen oder das Roden bzw.

Anlegen von Wäldern.“ Im Kapitalismus nimmt die Vermittlung zwischen Gesellschaft und Natur darüber hinaus eine besondere Form an, die der Warenförmigkeit. Entscheidend ist damit nicht die „Natur“, sondern ihre gesellschaftliche Aneignung, die Herrschaftsverhältnisse, die in diese Aneignung eingeschrieben sind und auch die damit verbundenen Verteilungsfragen. Wer hat wo Zugriff auf welche Ressourcen? Wer trägt die Kosten von Umweltzerstörung? Wer trägt die Kosten von Naturkatastrophen? Wer ist in der Gesellschaft stärker, wer weniger von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen usw.?

Zentral für einen kritischen Transformationsbegriff ist also die Frage nach sozialen Verhältnissen, insbesondere den kapitalistischen und der Zusammenhang von Gesellschaft und Natur. „Die historisch entstandenen, durch Handeln reproduzierten sozialen Verhältnisse treten den Menschen als sachliche Verhältnisse bzw. als Strukturen gegenüber“ (Brand 2014b:

259) und erscheinen oftmals als mehr oder weniger natürlich und unveränderbar. Ebenso können aber auch Politik und Staatlichkeit als Verhältnisse verstanden werden. Nicos Poulantzas spricht vom Staat als eine „materielle Verdichtung von Kräfteverhältnisse“

(Poulantzas 2002: 159). Der Staat ist demnach keine neutrale Instanz, sondern bevorzugt bestimmte Interessen und setzt diese auch gegen Widerstände durch. „Nicht-nachhaltige Entwicklungsdynamiken sind tief in die staatlichen Apparate, ihr Personal und ihre Regeln, ihre Funktionsweisen und ihr Wissen, ihre Modi und Praxen eingelassen.“ (Brand 2014b: 261) Gleiches gilt letztlich ähnlich für andere gesellschaftlichen Bereiche, nicht zuletzt für die Ökonomie. Möchte man deren Transformationsfähigkeit und -potentiale analysieren, müssen die jeweiligen Verhältnisse in den Blick genommen werden. Es müssen insbesondere auch die oft unkritisch verwendeten Begriffe wie Technologie, Innovation oder eben auch Demokratie hinterfragt werden.

Aus kritischer Perspektive kann Transformation daher auch „als umfassender sozioökonomischer, politischer und soziokultureller Veränderungsprozess verstanden [werden], in den auch politische Steuerung und politische wie gesellschaftliche Strategien

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eingehen, der darauf aber nicht reduzierbar ist.“ (Brand 2014b: 249f.) Transformation beinhaltet durchaus auch transitorische Prozesse, geht aber darüber hinaus und wirkt demnach auch umfassender. Rolf Reißig definiert Transformation als besonderen Typ sozialen bzw. gesellschaftlichen Wandels, der mehrere Merkmale aufweist (Reißig 2016: 43):

Es handelt sich um einen gesellschaftlichen Pfadwechsel statt bloßer Modifikation des herkömmlichen Pfades. Durch gestaltendes Handeln verändern sich Grundstrukturen und Institutionen der Gesellschaft, sowie die Lebensweise der Menschen. Dabei gibt es auch eine Orientierung auf die Zukunft als offener Suchprozess (und nicht als rationale Umsetzung von feststehenden Plänen). Es handelt sich demnach um einen „Prozess der Selbstveränderung der Gesellschaft und tiefgreifender wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller Veränderung und Neuschöpfung der Gesellschaft, der zugleich eine Sache von Konflikten und gesellschaftlichen Kämpfen ist.“ (ebd.)

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