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Die Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 85-88)

1. Einleitung

7.3 Die Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse

Was lässt sich nun für die Krisenhaftigkeit des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Natur in den drei Ansätzen konstatieren?

Zunächst: Weder Blühdorn noch Eckersley würden von einer Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse sprechen. Beide konzeptualisieren das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur als zwei getrennte Sphären (vgl. Kapitel 4.8 und 5.9). Daher sprechen beide eher von ökologischer Krise. Aus Sicht kritischer Gesellschaftstheorie wäre die ökologische Krise nur ein Moment einer umfassenderen multiplen Krise. Grundsätzlich gemein ist allen jedoch

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zunächst, dass sie die ökologische Krise als Problem anerkennen. Auch die Krisendiagnose ist bei allen drei Ansätzen ähnlich. Es wird davon ausgegangen, dass die kapitalistische Ökonomie, insbesondere der modernen Wohlfahrtsstaaten, auf der Zerstörung der Natur und der Ressourcenausbeutung beruht und dadurch die ökologische Krise im Wesentlichen verursacht hat (vgl. Kapitel 2.1) Die Schlussfolgerungen dieser Diagnose sind nun aber sehr verschieden.

Wie in Kapitel 4.7 gezeigt, konstatiert Blühdorn in modernen Konsument*innendemokratien eine Nachhaltigkeit der Nicht-Nachhaltigkeit. Und diese Nicht-Nachhaltigkeit könne nur so lange aufrechterhalten werden wie sich, erstens, „neue Wege finden lassen, seine unvermeidbaren Konsequenzen zu reduzieren und zu externalisieren“ (v.a. also solange es eine „Außen“ gibt, wohin die Kosten verlagert werden können), zweitens, sich gesellschaftliche Werte so anpassen können, dass die Konsequenzen daraus weiterhin ertragbar bleiben (z.B.

Neudefinition von Gerechtigkeit oder Verantwortung) und drittens, „gesellschaftliche Strategien entwickelt werden, um die sozialen Konflikte (…) politisch beherrschbar zu machen“

(z.B. durch neue sicherheitspolitische Gesetzte) (Blühdorn 2013a: 271f.). Er argumentiert also, dass die sozialen und ökologischen Auswirkungen der ökologischen Krise durch die simulativen Verfahren der postdemokratische Politik entweder externalisiert oder zumindest prekär bearbeitet werden können und die simulative Demokratie stabilisiert: „in heutigen Konsumgesellschaften ist (…) die Feststellung von Umweltproblemen und das Bemühen um deren Behebung zum (…) Mainstream geworden, doch sowohl das Gefühl der grundlegenden Entfremdung durch die technologisch-industrielle Moderne als auch die Sehnsucht nach einer grundsätzlich anderen Lebens- und Gesellschaftsform sind weitgehend verflogen.“ (ebd.: 242)

Hier muss aus Sicht der kritischen Gesellschaftstheorie vehement widersprochen werden. Denn Blühdorn blendet hier einerseits aus, dass auch im Globalen Norden eben nicht alle in der Gesellschaft gleichermaßen von der, wie er es nennt, Konsumdemokratie profitieren. Auch in den Wohlfahrtsstaaten sind die subalternen Klassen von den Auswirkungen der Krise betroffen. Außerdem vernachlässigt er hier auch die realen Folgen der ökologischen Krise, die sie bereits auch schon für viele Menschen im Globalen Süden hat.

Zu argumentieren, dass die modernen westlichen Gesellschaften die Kosten ihrer Nicht-Nachhaltigkeit in Raum und Zeit externalisieren ist zwar durchaus richtig, genau das soll ja auch mit dem Begriff der imperialen Lebensweise verdeutlicht werden. Aber aus kritisch-emanzipatorischer Perspektive darf dieser Zustand definitiv nicht so bleiben und kann es auch nicht, da schon jetzt deshalb Menschen ihre Heimat verlassen müssen oder von Dürren, Hochwasser etc. bedroht sind.

Blühdorns Diagnose hilft uns also zwar zu verstehen, warum die Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse derzeit gerade auch von Ländern im Globalen Norden nur unzureichend

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bearbeitet wird. Aber sie hilft uns nicht unbedingt bei der Frage, wie sie nun tatsächlich gelöst werden könnte.

Robyn Eckersley würde diese Kritik an Blühdorn wohl weitgehend teilen. Ebenso wie Blühdorn geht sie analytisch zwar auch von der Gesellschaft und der Natur als zwei getrennte Sphären aus. Anders als er verfolgt sie aber eine internationalere Perspektive. Daher ist für sie auch die Externalisierung der Kosten der ökologischen Krise keine Möglichkeit der Stabilisierung der Verhältnisse wie bei Blühdorn. Darüber hinaus geht sie auch davon aus, dass gerade der moderne Wohlfahrtsstaat die Möglichkeiten einer nachhaltigen Lösung der ökologischen Krise in sich birgt. Derzeit sei dieser aber in einer Legitimationskrise aufgrund des ökonomischen Drucks der Globalisierung und eben die scheinbare Unfähigkeit die ökologische Krise adäquat lösen zu können. Sie argumentiert daher, durchaus normativ, dass die ökologische Nachhaltigkeit und der Schutz der Natur stärker in politischen Verfahren und Strukturen, z.B.

in Verfassungen, verankert werden muss. Der Staat spielt für sie bei der Lösung der ökologischen Krise insofern eine zentrale Rolle, da dieser ein Garant für den Schutz der Natur darstellen könnte, wenn es gelingt, den Staat hin zu einem „Green State“ zu transformieren.

Sie argumentiert außerdem, dass die globale kapitalistische Ökonomie wesentliche Ursache dieser ökologischen Krise sei, plädiert aber dann gerade nicht für die Überwindung des Kapitalismus, sondern geht davon aus, dass durchaus ein „Grüner Kapitalismus“ etabliert werden, könnte, der wirtschaftliches Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit vereinbar machen würde.

Aus der Perspektive kritischer Gesellschaftstheorie kann den normativen Forderungen von Eckersley zwar viel abgewonnen werden, jedoch wäre man wohl sehr skeptisch, ob die Realisierung dieser Forderungen so einfach ist, wie es Eckersley in ihrem Ansatz darlegt.

Die ökologische Krise wäre aus dieser Perspektive nicht nur eine ökologische Krise, sondern spezifischer eine Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse, die in ihrer Verbindung und Abhängigkeit von gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen analysiert und bearbeitet werden muss. Die ökologische Destruktivität ist tief in der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise verankert, die wiederum durchzogen ist von ökonomischen, sozialen usw. Ungleichheitsstrukturen. Daher wird auch die Idee des grünen Kapitalismus, den Eckersley vertritt abgelehnt (vgl. dazu auch Kapitel 6.6).

Es gibt durchaus mächtige Interessen an der Aufrechterhaltung der bestehenden Konstellation und mit Gramsci kann argumentiert werden, dass Zugeständnisse an die Subalternen nur soweit gemacht werden, wie die materielle Basis der Herrschenden nicht angegriffen wird. Mit dem Begriff der imperialen Lebensweise kann argumentiert werden, dass zwar Gesellschaften insbesondere im globalen Norden von den derzeitigen Verhältnissen massiv profitieren, allerdings nicht im gleichen Maße und viele Menschen, nicht nur im globalen Süden, hätten auch viel zu gewinnen, wenn die imperiale Lebensweise überwunden werden würde. Dies

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setzt aber auch voraus, dass die zugrunde liegenden strukturellen Bedingungen verändert und transformiert werden. Dies schließt nun auch den Staat mit ein. Eckersley argumentiert zwar zweifellos für eine Veränderung des Staates, geht aber aus Sicht materialistischer Staatstheorie nicht weit genug und übersieht die Rolle des Staates bei der Absicherung kapitalistischer gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Interesse der herrschenden Klasse.

Welche Schlussfolgerungen lassen nun die drei Ansätze für die Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Wandels zu? Welche Hindernisse eines solchen Wandels können auch konstatiert werden? Und/oder: Haben die Ansätze (auch) eine normative Auffassung der Transformation, im Sinne eines politischen Projekts? Diesen Fragen soll nun im nächsten Teil nachgegangen werden.

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