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Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung

5 Handlungsfelder sozial-ökologischer Transformation

5.3 Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung

Unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts erfordert nachhaltige Entwicklung eine Umorientierung des Handelns in allen gesellschaftlichen Bereichen und in allen Län-dern: Es ist ein Prozess, der sehr viel leichter vorangetrieben werden kann, wenn dies nicht isoliert in einzelnen Ländern und Regionen oder Politikfeldern geschieht. Damit stellt nachhaltige Entwicklung hohe Anforderungen an die Kohärenz von Politik: Bei der Konzeption von gesetzlichen Regelungen, Programmen und Maßnahmen müssen Risiken für und negative Auswirkungen auf andere Politikfelder und Länder von vorn-herein mitbedacht und möglichst vermieden werden. Dies betrifft nicht nur Entwick-lungsländer, sondern auch unsere Nachbarn in Europa und unsere Beziehungen zu anderen Industrieländern.

Ein weiterer Bereich von Politikkohärenz bezieht sich explizit auf die internationalen Wirkungen, die von nationalen Politiken ausgehen und die durch Machtungleichge-wichte verschärft werden. So wird der Handlungsspielraum, den Entwicklungsländer für eine nachhaltige Entwicklung nutzen können, in einer globalisierten Welt auch dadurch begrenzt, wie andere Industrie- und Schwellenländer ihre Politik gestalten.

Die direkten oder indirekten Auswirkungen politischer Entscheidungen wirtschaftlich und politisch mächtiger Staaten können die Entwicklungsmöglichkeiten schwächerer Regionen erheblich einschränken. Sowohl Staaten als auch wirtschaftliche Akteure beeinflussen den Raum anderer Staaten häufig, ohne diese Einwirkungen abzuwägen.

Dies wird an zahlreichen Beispielen deutlich: So beeinträchtigt die mangelnde Regu-lierung der Finanzmärkte in den Finanzzentren des Nordens die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer. Dies trifft auch auf die Art und Weise zu, wie die Industrieländer in der Finanzkrise die Wirtschaftsstabilisierung betrieben. Eine Vielzahl von »Steueroasen« eröffnet wirtschaftlichen Akteuren in den Entwicklungs-ländern die Möglichkeit, sich der Besteuerung zu entziehen. Neue globalisierte Produktions- und Lieferketten, z. B. in der Textil- und Bekleidungsindustrie, nutzen ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse in den Lieferländern.

In wirtschaftlicher Hinsicht werden Entwicklungsländer – wenn sie sich nicht erfolg-reich in globale Wertschöpfungsketten integriert haben – nach wie vor eher auf ihre Rolle als Rohstoffexporteure reduziert oder mit Handelsbarrieren konfrontiert. Kauf oder Pacht von umfangreichen Flächen, z. B. zur Produktion von Agrarrohstoffen für Industrieländer, gefährden die Ernährungssicherung und die natürlichen Lebens-grundlagen der Menschen in den betroffenen Ländern. Ausmaß und Art der Energie-produktion und -versorgung sowie die Übernutzung von Rohstoffen führen weltweit zu massiven Klima­ und Umweltveränderungen, unter denen zunehmend die Ärmsten leiden. Die Industrieländer schotten sich einerseits gegenüber Flüchtlingen und Hil-fesuchenden aus den ärmeren Ländern ab, versuchen aber andererseits, qualifizierte Fachleute aus diesen Ländern zu gewinnen, z. B. im Gesundheitswesen. Diese Fach-kräfte werden jedoch in ihren Heimatländern dringend gebraucht.

Inkohärenzen dieser Art prägen die internationale Politik auf vielen Ebenen. Darüber hinaus zeigen sich deutliche strukturelle Ursachen von Ungerechtigkeit, z. B. die un-gleiche Verteilung des Zugangs zu Ressourcen, die unun-gleiche Beteiligung an den Märkten, der ungerechte Zugang zu Bildung und Gesundheit. Und in vielen Fällen verhindert undemokratische Regierungsführung die Beteiligung der Menschen an politischen Prozessen.

Es ist daher erforderlich, den Raum für nachhaltige Entwicklung des Globalen Südens durch eine kohärente entwicklungsfreundliche Gestaltung der strukturellen Rahmen-bedingungen zu erweitern. Dafür ist es notwendig, dass die politisch Verantwortlichen in Deutschland und in der Europäischen Union dazu beitragen, schädliche Rahmen-bedingungen zu verändern, entwicklungspolitische Auswirkungen von Entscheidun-gen frühzeitig zu reflektieren, eine – häufig auch konfliktreiche – Abwägung der Inte-ressen zu vollziehen und Handlungen zu unterlassen, die das Risiko schädlicher Auswirkungen in sich bergen.

Für die Steigerung der Kohärenz nationaler Politik und die Verbesserung der interna-tionalen strukturellen Rahmenbedingungen können zwei Instrumente genutzt werden:

Eine Risikoabschätzung von Gesetzesvorhaben, die auch internationale Wirkungen und die Interessen zukünftiger Generationen in den Blick nimmt, und die Erweiterung der europäischen Berichte zur Politikkohärenz aus der Sicht der Entwicklungspolitik um den Blick auf globale Ziele und Wirkungen. In Deutschland hat der Parlamentari-sche Beirat für nachhaltige Entwicklung die Möglichkeit, mit dem Instrument der Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzesvorhaben eine derartige erweiterte Risikoab-schätzung durchzuführen. Aus Sicht dieser Studie müssten in die Prüfung Risiken eingehen, die sich für die Menschenrechte, die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, die Umwelt und für die Friedenssicherung ergeben könnten. Die eu-ropäische Kohärenzberichterstattung könnte auch um ein »conflict and peace assess-ment« sowie um eine Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung europäischer Politiken ergänzt werden.

Eine Chance könnten auch die Vereinbarungen sein, die für die Rechenschaftslegung und den Überprüfungsmechanismus der neuen Post-2015-Agenda getroffen werden müssen. Zentrale Voraussetzung für die Umsetzung der Post­2015­Agenda ist, dass Verantwortlichkeiten und Umsetzungsstandards der vielfältigen Akteure (internatio-nale Organisationen, Staaten, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft etc.) benannt werden.

Alle VN­Mitgliedstaaten werden nationale Umsetzungsstrategien erarbeiten müssen, zu denen sie dann regelmäßig Bericht erstatten, sowohl ihren nationalen Parlamenten als auch auf der Ebene der VN. Da die Post-2015-Agenda breit angelegt sein wird, wird diese Berichterstattung nicht nur Verbesserungen zu sozialen Indikatoren menschlicher Entwicklung enthalten – wie bei den MDGs –, sondern auch Bereiche wie Umwelt, Ressourcen, Handel, Technologietransfer, Migration, Investitionen und Steuern umfassen.105

Unabhängig davon kann ein internationales Monitoring sowie eine Bewertung von

»entwicklungsfreundlichem Verhalten« der Industrieländer mehr Transparenz und Steuerung ermöglichen. Die entwicklungsfreundliche Kohärenz der Politiken von In-dustrieländern müsste sich demnach nicht nur an der Einhaltung der finanziellen Zusagen für die ärmeren Länder messen lassen. Zusätzlich sollte bewertet werden, wie sich die Industrieländer in anderen Bereichen, z. B. der Handelspolitik, der

Inves-105 Vgl. J. A. Ocampo, N. Gómez Arteaga (2014): Accountable and effective development cooperation in a post-2015 era. Background Study 3 for the Symposium »Accountability for Development Cooperation«;

http://www.un.org/en/ecosoc/newfunct/pdf13/dcf_germany_bkgd_study_3_global_accountability.pdf.

titionen, der Sozial- und Gesundheitsstandards, in der Warenproduktion – z. B. im Tex-tilsektor –, der Migration, in der Umwelt­ und Energiepolitik und der menschlichen Si-cherheit, verhalten. Immer wichtiger wird auch die Frage, inwieweit die wohlhabenden Staaten dieser Welt durch ihre Wirtschaftsweise und ihren Konsumstil natürliche Res-sourcen und Biokapazitäten über das ihnen zustehende Maß hinaus beanspruchen und somit jetzigen wie zukünftigen Generationen notwendige Lebensgrundlagen entziehen.

Wenn mit der einen Hand gegeben und gleichzeitig mit der anderen den Menschen im Globalen Süden die Zukunft durch Handelshindernisse oder eine klimaschädliche Politik genommen wird, muss dies eine öffentliche Bewertung finden. Eine solche komplexe Bewertung der Entwicklungsfreundlichkeit eines Landes und ein entspre-chendes Ranking könnte sich beispielsweise am »Commitment to Development«-Index (CDI) des Centers for Global Development orientieren. Die Publizierung und Messung von Official Development Assistance bleibt davon unberührt.