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Politik, Wissenschaft, Demokratie, Freiheitsrechte - zur Debattenkultur in der Corona-Krise

Stellungnahmen der Epidemiolo-gen und ViroloEpidemiolo-gen in aller Welt die Stars der Nachrichtensendungen und Talkshows und galten sie als Garanten objektivierbarer Regie-rungsentscheidungen, machte sich im Verlauf neben Ermüdungser-scheinungen auch immer mehr Kri-tik an deren Rolle breit. Sollten wir wirklich immer das eigene Handeln auf die Ansagen der Epidemiologen ausrichten? Irren sich nicht auch die besten Wissenschaftler und füh-ren uns damit in die Irre?

Dazu meint die Schriftstellerin Eva Menasse in der NZZ am Sonntag:

«Die Arbeit eines Wissenschafters strebt nicht danach, die eigenen An-nahmen einzubetonieren, sondern sie hart zu überprüfen. Wie ein Schachspieler, der gegen sich selbst spielt, wie ein Hacker, der die eige-ne Firewall attackiert: Wie kommt man rein, wo ist mein Leck?» (NZZ a. S., 28.02.2021) Eva Menasse lobt die Besonnenheit, Präzision, Selbst-kritik der Wissenschaftler und nennt als Beispiel dafür den «Co-ronavirus-Update» des Virologen Christian Drosten, als Podcast beim NDR, der seit mehr als einem Jahr gesendet wird. Chrisitan Drosen Quellen: NZZ am Sonntag, 28.02.2021; NDR.de, 25.03.2021; DLF, 24.03, 28.03.2021; tagesschau.de, 12.04.2021; br.de, 15.05.2020; fr.de, 09.02.2021;

Der Standard, 26.20.2021

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war sich aufgrund von Forschungs-ergebnissen sicher, dass auch Kin-der und Jugendliche das Virus übertragen können, auch wenn sie zum Glück fast nie daran sterben.

Die veröffentlichte Meinung sah das anders, z.B. die «Bild-Zeitung», die ihn aufforderte, «zu irgendwelchen Vorwürfen innerhalb einer Stun-de Stellung zu nehmen. Drosten schrieb: ‘Ich habe Besseres zu tun.’

Dass die folgende Schlagzeile ‘Dros-ten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch’ ihn hätte diskreditieren können, wies er mit einem Satz zu-rück, aus dem die ganze Überlegen-heit der Ratio strahlte: ‘Um mich als Wissenschafter zu diskreditieren, müssten ja andere Wissenschafter glauben, dass stimmt, was in der

‘Bild-Zeitung’ steht.’ Zack.» Wissen-schaftliche Besonnenheit kann also gegen Hysterie helfen. Das Fazit der Autorin: «Zu den paar guten Nach-richten des vergangenen Jahres gehört: Das vernunftgetriebene, fakten basierte Denken könnte an-steckend sein.» (ebd.)

und Eingriffen.

Aufruf zu versachlichter Diskussion

«Das Manifest der offenen Gesell-schaft», am 25.03.2021 veröffent-licht, fordert eine versachlichte Dis-kussion und einen Raum für eine freien Dialog, unterschieben haben WissenschaftlerInnen, Künster-Innen, SchauspielerKünster-Innen, Politi-kerInnen, PublizistInnen. Zu den

UnterzeichnerInnen gehören z.B.

die Regisseurin Caroline Link, die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenber-ger, der Galerist Johann König, der Schauspieler Jan Josef Liefers oder der Historiker René Schlott.

Einige der Grundfragen lauten:

Werden die Grundrechte leicht-fertig ausgehebelt und ist die Mei-nungsfreiheit in Gefahr?

Es wird viel Kritik geübt an der ein-seitigen Betrachtung der Corona-Pandemie aus Sicht nur der Viro-logen und EpidemioViro-logen, während Soziologen, Psychologen, Bildungs-forscher oder Philosophen kaum Gehör finden. Eine der Unterzeich-nerinnen des «Manifests», die Pu-blizistin Franziska Augstein, meint in einem Interview mit dem NRD:

«Der Mangel an Interesse daran, was andere Wissenschaften als die Virologen und Epidemiologen zu sagen haben, hat sich von der Bun-desregierung aus durch die ganze Gesellschaft fortgepflanzt und hat zu einer Hysterisierung der Gesell-schaft geführt.» Zur Frage, ob ein weiterer strenger Lockdown nicht doch zum gewünschten Ergebnis, der Viruseindämmung, führt, sagt sie: «Prinzipiell mag das sein, aber ob das in der Praxis funktioniert, wissen wir nicht. Aus mehr als ei-nem Jahr Covid-19 haben wir aus diversen Ländern der Welt die ver-schiedensten Ergebnisse. Wir ha-ben keine Ahnung, ob ein Lockdown dazu führt, dass in dem Moment, wo

er aufhört, auf einmal die Inzidenz-zahl wieder steigt. Wir haben keine Ahnung, ob es nicht vielleicht mehr Kranke gibt, wenn man es ein biss-chen langsamer und offener laufen lässt.» (NDR.de, 25.03.2021)

Der Historiker René Schott mahnt:

«Maßnahmen, Disziplin, Verord-nungen, Abstand und „die Zahlen“

drohen zur Signatur unserer Ge-sellschaft zu werden. Der Notstand wird mehr und mehr zur Gewohn-heit. Fatalismus, Lethargie und Empathielosigkeit machen sich breit. Nichts aber ist so gefährlich für unsere Demokratie wie Gleich-gültigkeit.» (freitag.de, Ausgabe 12/2021)

Bildungshistoriker Jürgen Overhoff von der Universität Münster, ein weiterer Unterzeichner des «Mani-fests» meint, dass wir eine Rhetorik brauchten, die Mut macht und kei-ne Reden, die noch mehr Angst ver-breiten.

Die Gesellschaft für Aerosolfor-schung (GAeF) hat in einem öffent-lichen Brief die Bundesregierung aufgefordert, die geltenden Corona-Massnahmen neu zu überdenken und die Ansteckungen in Innenräu-men mehr in den Fokus zu nehInnenräu-men.

In dem Schreiben vom 11.04.2021 heisst es, dass in der Wissenschaft Konsens darüber herrsche, dass die Übertragung der SARS-CoV-2-Viren fast ausnahmslos in Innenräumen stattfinde. Die Schutzmassanhmen

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müssten daher angepasst werden, im Freien bestehe kaum Anste-ckungsgefahr, Innenräume müssten dagegen gelüftet, die Luft gereinigt, fähige Schutzmasken getragen wer-den und generell der Aufenthalt in Innenräumen so kurz wie möglich sein. Die gezielteren und nachvoll-ziehbareren Massnahmen könnten besser eingehalten und kontrolliert werden, der ständige Alarmzustand ermüde die Bevölkerung nur, sei aber im Sinne der Pandemiebe-kämpfung nicht zielführend.

Wie man Vertrauen verspielt, einige Beispiele

Thesenpapier: COVID-19 wird mas-siv überschätzt

Im Mai 2020 verbreitete Stephan Kohn, Referent im Innenministe-rium, ein 83-seitiges Thesenpapier, in dem er der Bundesregierung pu-ren Alarmismus in der Corona-Pan-demie vorwirft. Der Lockdown be-ruhe auf einem Fehlalarm, es würde durch die verordneten Schutzmass-nahmen zu vermeidbaren Todes-folgen kommen. Die Gefährlichkeit von COVID-19 werde massiv über-schätzt, dass brauchbare Daten fehlten. Bereits einen Tag nach der Verbreitung per E-Mail im Innen-ministerium und in den Innenmi-nisterien der Bundesländer griffen rechtsgerichtete Medien die Ana-lyse des BMI-Mitarbeiters auf und feierten dessen Autor als Helden, als mutigen Whistleblower. Ste-phan Kohn hatte für seine private Meinung allerdings den Briefkopf und die Kommunikationswege des

Innenministeriums genutzt, was ihr die Suspendierung einbrachte.

Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen – ein bestelltes Horror-szenarium?

In dem 17-seitigen internen Pa-pier des Innenministeriums mit dem Titel «Wie wir covid-19 unter Kontrolle bekommen» das seit Ap-ril 2020 in den Medien kursierte, wurden weitreichende Massnah-men zu Eindämmung der Pandemie vorgeschlagen. Zentrale Punkte in diesem Papier waren die verschie-denen von Wissenschaftlern prog-nostizierten Szenarien zum Verlauf der Pandemie. In einem Worst-Ca-se-Szenario wurden 57.4 Millionen Infizierte und mehr als eine Millio-nen Corona-Tote (2 Prozent der In-fizierten) prognostiziert, sollte die Regierung tatenlos bleiben. Nach Recherchen der «Welt am Sonn-tag» wurde dieses Papier zwar bei Wissenschaftlern in Auftrag gege-ben, doch das gewünschte Ergeb-nis wurde direkt mitgeliefert: Man wünsche sich ein Rechenmodell, auf dessen Basis sich «Massnahmen präventiver und repressiver Natur»

rechtfertigen liessen. Im Papier zählen etwa Ausgangsbeschrän-kungen über mehrere Wochen, die Ortung von Kontaktpersonen und Massentests zu diesen repressiven Massnahmen.

«Was ist, wenn die Politik der Wis-senschaft das gewünschte For-schungsziel vorab mit auf den Weg gibt? Dass genau das im Frühjahr 2020 geschehen ist (…). Demnach

bat das Bundesinnenministerium (BMI) Forscher, ein Modell zu erar-beiten, auf dessen Basis „Maßnah-men präventiver und repressiver Natur“ geplant werden könnten.

Nicht irgendwelche Forscher, son-dern solche des Robert-Koch-Insti-tuts, des Leibniz-Instituts für Wirt-schaftsforschung, des Instituts der Deutschen Wirtschaft, der Stiftung Wissenschaft und Politik und meh-rerer Universitäten. Sie alle mach-ten gerne mit.» (Welt, 07.02.2021) In dem Papier heisst es: «Um die gesellschaftlichen Durchhaltekräfte zu mobilisieren, ist das Verschwei-gen des Wort Case keine Option.

Wer Gefahr abwenden will, muss sie kennen.» (S. 2)

Wissenschaftsleugnung und Wissenschaftskommunikation Noch einmal der Virologe Christian Drosten in seinem NDR-Podcast (Folge 82: «Die Lage ist ernst»). In dieser Folge erläutert er die Grund-motive der Wissenschaftsleugnung anhand des Akronyms PLURV mit konkreten Bezügen zur Corona-De-batte.

«P» steht in diesem Begriff für Pseudoexperten, die gerne in den Medien präsentiert werden. Oft-mals treten diese Pseudoexperten für bestimmte politische Entschei-dungen ein oder äussern sich sehr bestimmt zu Corona-Massnahmen, sie tragen oft auch vertrauenser-weckende akademische Titel, stam-men aber aus sachfremden Wissen-schaftsgebieten.

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Bild: Screenshot YouTube -Kanal maiLab bei Funk, ARD und ZDF

«L» steht für Logikfehler. Dabei werden oft irreführende Analogien verwendete, z.B. wenn im Zusam-menhang mit der Corona-Pandemie von einer Grippe gesprochen wird.

Oder wenn mehrdeutige Begriffe wie «mit dem Virus leben lernen»

oder «Dauerwelle» (der Begriff ge-höre in den Frisiersalon, nicht in die Epidemiologie) unkritisch verwen-det werden. Oder wenn «Blendgra-naten» als Totschlagsargumente benutzt werden wie «Schirmen wir die Altersheime ab, dann kann man den Rest laufen lassen», obwohl nur 15 Prozent der besonders vulnera-blen Alterskohorte in Heimen lebt und die anderen Hochbetagten aus Angst vor Ansteckung kaum noch aus dem Haus gehen.

«U» meint unerfüllbare Erwar-tungen. Mit Scheinargumenten wird aufgezeigt, dass Dinge nicht perfekt sind und dass damit eine ganze Argumentation hinfällig wäre. Das betrifft z.B. PCR- oder An-tigen-Tests, die auch falsch negativ oder positiv ausfallen können und damit ja gar keine Sicherheit bö-ten. Dabei wird unwissenschaftlich ausgeklammert, mit wie geringer Wahrscheinlichkeit falsche Tester-gebnisse auftauchen. Oder der Lo-gikfehler, der mit dem Begriff Prä-ventionsparadox beschrieben wird.

Dabei werden wissenschaftlich ent-wickelte Szenarien nicht mehr als mögliche Entwicklungen, die sie ei-gentlich darstellen, sondern als fixe Voraussagen genommen. Wenn sich dann andere Entwicklungen zeigen, waren die Voraussagen also falsch.

«R» meint die Rosinenpickerei,

also die selektive Auswahl einzel-ner weniger Studien, um eine These zu untermauern und grosse Studien dabei gekonnt ignorieren. Ein popu-läres Beispiel war die These, Kinder seien kaum Überträger des Corona-Virus, man habe sie ja schliesslich kaum als Patienten im Krankenhaus erlebt. Wohingegen grosse nationa-le statistische Erhebungen zeigen, zu welchem Prozentsatz Kinder in einer bestimmten Altersgruppe in-fiziert sind.

Link zum «Corona-Update» des NDR, Start-seite mit allen verfügbaren Folgen:

«V» steht für Verschwörungs-mythen. Die können auch in sub-tileren Formen in der Öffentlich-keit verbreitet werden. So wird z.B. moniert, dass Wissenschaftler unangemessen viel mit ihren For-schungsaussagen verdienten. Oder dass sich angegriffene Wissen-schaftler nicht in der Öffentlichkeit gegen Vorwürfe wehren, die sie für lächerlich halten, also müssten die-se Vorwürfe auch stimmen.

Als Schlusswort soll hier der Appell der Chemikerin und Wissenschafts-journalistin Mai Thi Nguyen-Kim stehen, die in ihrem Podcast maiLab die Wissenschaftskommunikation drei der derzeit bekanntesten Virologen/

Epidemiologen Deutschlands analysiert (Drosten, Streek, Kekulé) und am Ende ihres Podcasts meint: «Also, liebe Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler, wir brauchen gute Wissenschaftskommunikation, teilt eure Ex-pertise, tragt zur Aufklärung bei.»

https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html#items

Link zum Download des BMI-Papiers «Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen», pdf.

481KB:

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/corona/szena-rienpapier-covid19.html

Link zum YouTube-Kanal maiLab, Virologen-Vergleich:

https://www.youtube.com/watch?v=u439pm8uYSk

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Bilder: Screenshots von Versandapotheken

Digitale Plattformen für Apotheken als