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Was ist Politik und welche Rolle spielen die Medien?

Medienbildung als politische Bildung?

2. Was ist Politik und welche Rolle spielen die Medien?

Damit ist das Verhältnis von Medien- und politischer Bildung zunächst oberflächlich gemäß gewisser Vorverständnisse umrissen. Aus welchen Hintergründen das jeweils so ist und ob sich dabei begriffliche Schemata verschieben, das gilt es anhand gängiger Politikverständnisse zu untersuchen.

Dazu differenziere ich die Modelle von Politik etwas anders als zuvor. Denn in der Tradition der politischen Philosophie wird vornehmlich aus politischer Perspektive gedacht, nicht aus ökonomischer. So möchte ich auf das platonische Modell der Politik als Polizei oder Verwal-tung zurückgreifen; auf das konsensorientierte Modell im Anschluss an Rawls und Habermas;

auf das am Krieg orientierte Modell von Carl Schmitt und Max Weber; auf das Konflikt-Modell im Anschluss an Dahrendorf, Lyotard und Rancière. Die beiden ersten Konflikt-Modelle unter-stellen, dass sich politische Konflikte durch Ordnungs- und Verfahrensstrukturen lösen lassen.

Die letzteren gehen von einem nicht konsentierbaren Konflikt aus. Das dritte Modell will den Konflikt daher gewaltsam beenden. Das vierte will ihn aufrechterhalten und auf verschiedene Weise moderieren.

Beim ersten und beim dritten entfaltet sich Demokratie höchstens in elitärer Perspektive. Das zweite und das vierte betrachten sich selbst als originär demokratisch. Der Neoliberalismus lässt sich dem Platon’schen Modell zuordnen. Denn politische Probleme löst der Neoliberalis-mus autoritär durch ein bestimmtes Prinzip, das Gesetz des Marktes. In diesem Sinn entspricht er allen monokausal operierenden klassischen Utopien. Die Weisen sitzen dann aber nicht mehr wie bei Platon in den Schaltzentralen der politischen Institutionen, sondern in denjenigen der Konzerne. Neoliberal wäre Platons untere Ebene des Nährstandes die wichtigste, während

sich Wächter und Herrscher in Nachtwächter transformieren, abgesehen davon, dass manche Radikalliberalen die Nachtwächterfunktion des Staates privatisieren möchten.

2.1. Politik als Polizei oder Verwaltung

Das Platon’sche Modell geht von einer straffen Ordnung aus, die von erleuchteten Eliten ge-lenkt wird. Politik besteht nicht aus konfligierenden Interessen, sondern heißt Verwaltung oder Polizei mit einem Programm, das bei Platon bis in die Züchtung der Nachkommenschaft reicht.

Es gibt keine Teilhabe der ungebildeten Schicht an dieser polizeilichen Lenkung, was aber die Aufklärung fordert. So kritisiert Leo Strauss 1953, dass bei Hobbes die Bürger selber entschei-den, ob ihr Leben gesichert wird:

“Wenn aber jeder noch so törichte Mensch von Natur aus darüber richten kann, was für seine Selbsterhaltung notwendig ist, dann kann mit Recht alles als für die Selbsterhaltung unerlässlich angesehen werden: alles ist dann von Natur aus ge-recht. Wir können dann von einem Naturrecht der Torheit sprechen.” (1977, S.

192)

Daher müssen sich die Bürger nach Strauss von den politischen Eliten lenken lassen. Sie kön-nen ihre natürlichen Rechte nicht selber vertreten. Vielmehr werden sie ihkön-nen wie bei Hegel vom Staat gewährt oder entzogen.

Jeder Stand erfährt bei Platon die entsprechende Erziehung, die er zur Ausübung seiner Funk-tionen benötigt. Politische Bildung betrifft daher nur die führenden politischen Eliten. Ihr In-halt ist die Philosophie, die Einblick in die wahre Wirklichkeit gewährt, in Platons Reich der Ideen, wie heute in der analytischen Philosophie bei Russell in die “Gewissheit, dass die Tatsa-chen immer der Logik und der Arithmetik gehorTatsa-chen werden” (1967, S. 77). Allerdings wären es heute eher die Natur- oder die Rechtswissenschaften. Die Medien sind keinesfalls frei, son-dern haben einen Lenkungsauftrag, der auf keine selbstreflexive mediale Bildung abzielt.

2.2. Das deliberative Modell der Politik

Ein zweites Politikverständnis denkt wie das platonische von einem allgemeinen Standpunkt aus, genauer universalistisch, ist nicht auf eine bestimmte Ordnung fixiert, sondern stellt diese demokratisch den Beteiligten zum Aushandeln frei, also deliberativ, insistiert aber auf logisch abgeleiteten Grundprinzipien bzw. einem übergreifenden Konsens, was alle vernünftigen Mit-glieder einer Gesellschaft akzeptieren. Das hat noch wenig mit Deliberation zu tun. Diese folgt erst danach, wenn es um konkrete politische Probleme geht. Wer sich darauf nicht einlässt – Islamisten, Katholiken, Marxisten, Dekonstruktivisten – der gilt Rawls als unvernünftig.

Für Apel und Habermas produziert die Verbreitung der Vernunft keine bloße Rationalisierung wie für Weber. Da sich die Vernunft sprachlich präsentiert, besitzt sie einen kommunikativen Charakter, der nicht nur ihre Universalität absichert. Vielmehr führt sie zu einer Humanisie-rung der Lebenswelt. So stellt Habermas fest: “Es gibt keine reine Vernunft, die erst nachträg-lich sprachnachträg-liche Kleider anlegte. Sie ist eine von Haus aus in Zusammenhängen

kommunikati-ven Handelns wie in Strukturen der Lebenswelt inkarnierte Vernunft” (1985, S. 374). Vernünf-tige Diskurse befördern den friedlichen Umgang der Menschen miteinander, indem sie sich nicht auf Gewalt stützen, sondern auf die Überzeugungskraft des Arguments. Für Apel liegt darin die transzendentale Letztbegründung des vernünftigen Argumentierens, das die Basis des demokratischen Rechtstaates darstellt. “Die in modernen Rechtssystemen und in den Spielre-geln der demokratischen Regierungsform implizierten Moralprinzipien”, so Apel “repräsentie-ren sogar durchweg ein höheres, postkonventionelles Niveau des moralischen Bewusstseins als das von der Mehrzahl der Bürger erreichte” (1988, S. 364). Die Demokratie beruht daher auf der Philosophie, nimmt die Demokratie nämlich Schaden, wenn in ihr kein öffentlicher Ver-nunftgebrauch möglich ist, wenn die Vertreter der Vernunft nicht frei über Moral- und Rechts-prinzipien wachen, wie umgekehrt Philosophie sich nur unter der Bedingung der demokrati-schen Kommunikationsfreiheit entfaltet. In der Politik sind also nicht bloß Rechts- und Natur-wissenschaften nötig. In gewisser Hinsicht ist Philosophie durchaus verbreitet, wiewohl sie kleine Spezialistenkreise dominieren und die interessierten Bürger bloße Rezipienten bleiben.

Eine derartige deliberative Demokratie sollte dementsprechend die öffentlichen, d.h. die me-dialen Diskurse lenken. Denn die Medien haben vor diesem Hintergrund die Aufgabe politi-schen Konsens zu fördern, politisch zu informieren und auch ein Stück weit zu bilden. Medi-enbildung klinkt sich hier ein, indem sie darauf abzielt, Nutzungsmöglichkeiten zu eröffnen und über die Rollen der jeweiligen Medien aufzuklären. Der medial und politisch gebildete Bürger wird die politischen Diskurse rationaler gestalten. Medienbildung ist trotzdem nicht mit politischer Bildung gleichzusetzen, denn zu ersterer braucht man keine Philosophie, sondern PC- bzw. Internetkenntnisse und etwas Medienwissenschaften. Trotzdem haben beide die Auf-gabe, zu dieser rationalen Lenkung politischer Diskurse beizutragen.

2.3. Das Kriegs-Modell der Politik

Oder man versteht Politik primär als irrationalen Konflikt, der sich grundsätzlich auf die Mög-lichkeit des Krieges bezieht. Die wichtigsten Protagonisten dieses Modells sind Schmitt und Weber: “‘Herrschaft’ soll, definitionsgemäß die Chance heißen, für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer anggebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden” (1980, S. 122).

Demokratie bedeutet für Weber nur eine gewisse punktuelle Auswahlmöglichkeit der Führung, während die Untertänigkeit den Dauerzustand charakterisiert. Nach Schmitt schreibt der Sou-verän seinen Untertanen vor, wer öffentlicher Feind ist, und entscheidet über den Ausnahme-zustand. Schmitt schreibt: “Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und [...] die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht” (2004, S. 19). Dieses Politikverständnis schließt politische Partizipation der Bevölkerung oder auch einen öffentli-chen Vernunftgebrauch praktisch aus oder reduziert beides auf ein Minimum. Angesichts stän-dig drohender Konflikte ist das nötig, um Einheit als Voraussetzung des Krieges herzustellen.

Die Medien dienen dabei primär der Propaganda bzw. nehmen Teil an einem impliziten oder expliziten Krieg. Sie werden dementsprechend staatlich kontrolliert und gelenkt. Presse- oder gar Meinungs- und Kommunikationsfreiheit gibt es nicht – man denke an China. Politische

Bildung im demokratischen Sinn ist nicht möglich. Vielmehr gilt für die Untertanen der Satz Jacques Bénigne Bossuets: “Ketzer ist der, der eigene Gedanken hat” (zit. bei Camus 1969, S.

156). Also derjenige, der sich außerhalb der herrschenden Traditionen stellt.

Wenn politische Bildung zur Mündigkeit führen soll – und anderes kann sie unter demokrati-schen Bedingungen schwerlich bezwecken – dann wäre sie für das Politikverständnis als Krieg kontraproduktiv. Das gilt auch für die Medienbildung. Wie der Zugang zu Bibliotheken in diktatorischen Regimen geregelt ist, so wird der Zugang zum Internet kontrolliert. Hier besteht höchstens eine negative Gemeinsamkeit zwischen Medien- und politischer Bildung. Wenn man von beiden überhaupt sprechen will, dann symbolisieren sie den Naturzustand im Internet, der für Schmitt politisch überall und ständig droht. So ist das Internet heute Teil des Krieges, nicht nur eines Propagandakrieges, ist das Internet nicht bloß im Schmittʼschen Sinn überhaupt Krieg.

2.4. Politik als Konflikt

Das vierte Politikverständnis geht wie das dritte davon aus, dass Politik sich dem Konflikt verdankt, der auf der politischen Ebene ausgetragen wird, ohne dass er unbedingt gelöst oder unterdrückt werden müsste. Denn im Unterschied zum dritten Modell ist Gewalt oder Krieg nicht das bestimmende Raster, soll der Krieg vielmehr vermieden werden. Im Unterschied zum zweiten Modell geht es in der Politik nicht um die Herstellung von Konsens, sondern darum, dass Politik sich mit Dissensen einrichtet, ohne dass sie in den Krieg abgleiten. Einer der eher konventionellen Wegbereiter eines Konfliktmodells ist der Soziologe Ralf Dahrendorf, aller-dings lange vor der Postmoderne-Debatte. Bereits in den sechziger Jahren ärgerte er damit Konservative wie Marxisten, dementierten erstere ein solches Politikverständnis zugunsten einer Einheit, wollten letztere den Konflikt durch Revolution final lösen.

Jean- François Lyotard begründet Politik als Konflikt nicht mit den unterschiedlichen Interes-sen, sondern mit unterschiedlichen Sprachen, die die an der Politik Beteiligten sprechen und die sich nicht adäquat ineinander übersetzen lassen: “die Politik ist die Drohung des Wider-streits.” (1987, S. 230) Dabei gibt es für Lyotard auch Diskurse, die nach Hegemonie streben, heute primär die Ökonomie. Doch im Gegensatz zu Neoliberalen wie Marxisten kann sich eine solche Hegemonie nicht nachhaltig durchsetzen, weil sie die sprachlichen Differenzen nicht aufzuheben vermag.

Mag dergleichen etwas mechanistisch klingen. Jacques Rancère betrachtet Politik als einen sprachlichen Konflikt zwischen Ausgeschlossenen und Eingeschlossenen, bei dem die reale oder vermeintliche Sprachkompetenz die entscheidende Rolle spielt. Politik ist für Rancière nicht Verwaltung, sondern passiert, wenn Ausgeschlossene Anspruch auf Teilhabe erheben, wenn sie sich Gehör verschaffen, damit ihre Aussagen Anerkennung finden. Rancière schreibt:

“Es gibt Politik, weil diejenigen, die kein Recht dazu haben, als sprechende Wesen gezählt zu werden, sich dazuzählen und eine Gemeinschaft dadurch einrichten, dass sie das Unrecht ver-gemeinschaften, das nichts anderes ist als der Zusammenprall selbst, der Widerspruch der zwei Welten, die in einer einzigen beherbergt sind” (2002, S. 38).

Daraus folgt beinahe von selbst, dass Bildung Teil der Politik ist. Denn um gehört zu werden, muss man sich Gehör verschaffen. Das gelingt häufig durch Gewalt, manchmal durch außerin-stitutionelle Formen der politischen Partizipation, die gewaltlos zumeist nur dann gelingen, wenn sich die Teilnehmer um originelle Kommunikationsformen bemühen. Die gängige politi-sche Bildung soll die herrpoliti-schende politipoliti-sche Ordnung stabilisieren, also primär im Sinn des deliberativen Modells. Politische Bildung zum Zwecke linguistischer Involution öffnet indes Türen der Teilhabe für jene, die keine Stimme haben, nicht gehört werden und die daher lernen müssen, sich auf vielfältige Weise auszudrücken.

Als Sprachrohr der Inkludierten verteidigen die Medien den Status quo, indem sie die Involuti-on der Exkludierten verhindern. In diesem Sinne nehmen sie Teil an einem verwaltenden Dis-kurs und versuchen zu vermeiden, dass dieser sich in einen Konflikt transformiert, also poli-tisch wird. Aber die Exkludierten müssen ihre Ansprüche auf Involution selbstredend medial generieren, müssen sie kommunizieren. Dann heißt politische Bildung allemal Medienbildung, lassen sich bei diesem vierten Konfliktmodell beide kaum voneinander trennen.