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Politik als Produkt von Medien: Sprache und Massenmedien

Medienbildung als politische Bildung?

3. Politik als Produkt von Medien: Sprache und Massenmedien

Damit stellt sich die Frage, welche Rolle die Medien unter diesen verschiedenen Perspektiven in der Politik spielen. Daraus sollte sich das Verhältnis von Medien- und politischer Bildung klären lassen, vor allem ob dabei begriffliche Verschiebungen stattfinden. Als mögliche vierte Gewalt treten die Medien heute einerseits in den Kreis der politischen Institutionen ein, um dadurch gleichzeitig aus der Politik ausgegrenzt zu werden. Journalisten sind keine Politiker und die modernen Massenmedien werden als ein eigener Bereich verstanden, der von der Poli-tik möglichst nicht beeinflusst werden soll, wie umgekehrt seit langem die Klage ertönt, die Demokratie verkomme zur Mediendemokratie.

3.1. Die Medien der Sprache und der Schrift

Der Schein trügt. Dass Politik nämlich medial verfasst ist, gerät just im Zeitalter der Massen-medien in Vergessenheit, bzw. wird metonymisch verdrängt. Politik beruht, wie es Aristoteles formulierte, auf der Sprache, die nicht nur wie bei den Tieren Lust und Schmerz ausdrückt:

“die Sprache dagegen dient dazu, das Nützliche und das Schädliche mitzuteilen und so auch das Gerechte und Ungerechte” (1973: 1253 a 9-18). Der Mythos von Ödipus berichtet von der Stiftung der Polis als ein Akt des Rätsellösens, nämlich das der Sphinx, damit das der Her-kunft, der Erinnerung, der Teilhabe. Ohne den Mythos bliebe die Sprache auf der Ebene der Tiere. Ohne Berichterstattung, ohne Homer keine Ilias und keine Odyssee, keine Polis. Diese verdankt sich Königen und Bürgern, die sich um ihre Probleme kümmern, indem sie darüber kommunizieren. Damit gründet die Politik auf dem Medium Sprache wie auf der Schrift, die Erinnerung, Problemstellung und die Zukunft als Antizipation erst möglich machen. Gescheh-nisse müssen in Worte gefasst, aufgeschrieben werden, damit sie nicht in Vergessenheit

gera-ten und damit man aus ihnen für die Zukunft lernen kann. So bemerkt Arendt: “Betrachtet man die Dinge der Welt vom Gesichtspunkt ihrer Dauerhaftigkeit, so ist offenbar, dass Kunstwerke allen anderen Dingen überlegen sind” (2000, S. 289). Dass Politik dadurch über Jahrtausende eine elitäre Angelegenheit bleibt, versteht sich beinahe von selbst. Ohne Bildung kann man nicht an der Politik teilnehmen und die meisten Menschen waren Jahrtausende lang Analpha-beten. Über die Schrift verfügen wie bei Platon und Aristoteles nur die Eliten, während die Plebejer namenlos, schriftunkundig und beinahe sprachlos bleiben, die Sprache zwar verstehen, sich ihrer aber nicht politisch angemessen bedienen können.

3.2. Die Entstehung der Massenmedien

Das Modell ändert sich durch das Christentum keineswegs. Es herrscht eine Elite der Schrift-gelehrten, die mit dem Adel als militärischem Arm und geschäftstüchtigen Patriziern um die Vorherrschaft ringt. Mit dem Buchdruck um 1450 verbreitert sich die Möglichkeit politischer Partizipation. Flugschriften und Zeitschriften öffnen im 18. Jahrhundert weiteren Kreisen die Teilhabe an der Bildung, die bis ins 19. Jahrhundert zu einer allgemeinen Schulpflicht avan-ciert. Doch das Schulsystem differenziert sich immer weiter aus. Teilhabe an der Sprache ist nicht automatisch Teilhabe an der Information, zu der es Buch und Zeitung braucht – das erste Massenmedium, das zumindest den Anschein erweckt, dass damit niemand mehr ausgeschlos-sen würde. Die Sozialbewegung des 19. Jahrhundert erkennt die Notwendigkeit der Arbeiter-bildung.

Abgesehen davon, dass Bildung auch seit dem Zeitalter der Aufklärung die soziale Hierarchie keinesfalls milderte, transformiert sie sich in ein von ökonomischen und nicht von politischen Bedürfnissen gelenktes System, dass seine politischen Ein- und Ausschlussverfahren differen-zierend verschärft. Wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, dann verhindert das sich ausdifferenzierende Bildungssystem Involution. Andererseits tritt zwischen Politik und Bevölkerung ein Stand der Journalisten, die professionell Politik beobachten und darüber berichten. Seither präsentiert sich Politik als eine von Journalisten erzählte Politik, was ihre Medialität nicht erzeugt, höchstens verschleiert und den Anschein erweckt, als unterschei-de sich eine wahre Politik von einer medialen.

3.3. Die Zentrierung von Radio und Fernsehen

Dieser medialisierte Charakter intensiviert sich durch die Funkmedien und durch das Internet.

Die klassischen Massenmedien wirken zentrierend. Sie werden von einer Berufsgruppe getra-gen und senden ihre Produkte an die Bevölkerung, die ihrerseits darauf höchstens einen indi-rekten Einfluss ausübt, in ihnen aber nicht selber zu Wort kommt. Sprachkompetenz, Bil-dungszertifikate und ökonomische Relevanz erlauben bestimmten Bevölkerungsgruppen Ein-fluss auf Medien und Politik zu nehmen. Andere werden höchstens durch die weitverbreiteten Meinungsumfragen indirekt berücksichtigt oder ihr Verhalten wird im Internet beobachtet.

Dergleichen Ein- und Ausschlussverfahren lenken die Subjektivierungsprozesse. Zu einer

Involution führen sie nicht, sondern verkleinern die Gruppe derjenigen, die überhaupt Beach-tung findet. So bemerkt Chomsky:

“Eine Partizipation der Bürger an den Medien würde als Beschneidung der Pres-sefreiheit, als Schlag gegen die Unabhängigkeit der Medien betrachtet, der diese nur bei der Erfüllung der von ihnen übernommenen Mission, unerschrocken und unparteiisch die Öffentlichkeit zu informieren, behindern würde.” (Chomsky 1999, S. 79)

Große Gruppen der Armen werden nicht als Subjekte behandelt, sondern nur als Objekte. An der Politik – verstärkt durch die Massenmedien – haben sie keinen Anteil. Für das Ordnungs- und das Kriegsmodell stellt diese Sachlage die der Politik angemessene Struktur dar. Im Ange-sicht des Kinsey-Reports, dem Helmut Schelsky eine die sittliche Ordnung “erschütternde und verderbliche Wirkung” (1955, S. 7) zuschreibt, fordert er, dass die Sexualmoral in der Öffent-lichkeit nicht diskutiert werden dürfte. Das deliberative Modell indes passt zu einer Demokra-tie, die sich auf die klassischen Massenmedien stützt, während die neuen Internet-Medien den politischen Institutionen größere Schwierigkeiten bereiten, Diskurse zu lenken. Zwar schließt das deliberative Modell Diskurse in der Bevölkerung nicht völlig aus. Politisch einflussreich bleiben primär die Diskurse unter den Experten.

3.4. Die Peripherieorientierung des Internet

Obgleich das Internet massive Kontrollmöglichkeiten erlaubt, obgleich es sich zudem in einer Art Naturzustand befindet, so unterscheidet es sich doch von den modernen Massenmedien durch seine fehlende Zentriertheit bzw. seine Peripherieorientierung. Im Internet kann jeder, der zumindest über den technischen Standard verfügt, öffentlich die Stimme erheben bzw.

etwas publizieren, das von allen Angeschlossenen wahrgenommen werden kann und auf das öffentliche Antworten möglich sind. Hier öffnen sich ansatzweise gewisse Ausschließungssys-teme, so dass Ausgeschlossene Ansprüche auf bisher nicht zugelassene Anteile erheben kön-nen. Das ist die demokratische Dimension, die von vielen Internetaktivisten als neue politische Freiheit gefeiert wird. Zumindest erlaubt sie neue Formen der Politik oder gemäß des Kon-fliktmodells überhaupt Politik dort, wo sie bisher nicht möglich war.

So bestätigt sich, dass es der Medienbildung in Sinne des Konfliktmodells darum geht, nicht nur seine eigene Mündigkeit zu entwickeln, sondern Ansprüche auf Teilhabe geltend zu ma-chen, sich um Involution zu bemühen. Das verbindet im Konfliktmodell Medienbildung und politische Bildung, während sie im Konsensmodell als verschiedene Bereiche erscheinen, die sich gegenseitig ergänzen.