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PKN Das Ende der Bilder

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Peter Bürger verortet in seiner NVTQ erstmals erschienenen Theorie der Avantgarde109 die Keimzelle der Autonomie der Kunst, d.h. ihrer „Herauslösung (...) als einem besonderen Bereich menschlicher Aktivität“110 in der höfischen Kunst der Renaissance und der in ihr wirksamen Unterscheidung zwischen materieller und ideeller Produktion. Während er das Fortwirken dieser hier scheinbar erstmals vorgenommenen Absonderung bis in die Moderne nachzuweisen sucht, verzichtet er auf eine historische Darstellung der Genese dieses Kunstverständnisses selbst, da die kunst- und sozialwissenschaftliche Forschungslage in dieser Hinsicht noch zu wünschen übrig lasse. Hans Beltings Untersuchung Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, NVVM erstmals erschienen und seither in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen reaktualisiert, kann wohl für sich beanspruchen, diese Lücke zu füllen: Ihr kommt das Verdienst zu, durch die systematische Befragung der Modalitäten der Kunstwerdung die epistemologischen Kriterien der Kunstgeschichtsschreibung nachhaltig verschoben zu haben.111 In seiner Schrift analysiert Belting das Bildverständnis des Christentums von der Spätantike bis zur Reformation, und konstatiert eine ab dem NR. Jahrhundert sich langsam durchsetzende und bis heute fortwirkende Privatisierung des Bildes.112 War die Ikone, personales Bildnis des Heiligen und Beweis seiner Präsenz, in der katholischen sowie orthodoxen Lebenswelt des Mittelalters (mit kirchengeschichtlich bedingten graduellen Unterschieden) funktional noch stark in den kirchlichen Ritus

108 In den folgenden Ausführungen wird es nicht zu vermeiden sein, dass die Begriffe ‚Bild’ und ‚Kunst’ mithin synomym verwandt werden, obgleich, wie in diesem Kapitel dargelegt wird, sie auf zwei gegensätzliche Bildkonzeptionen verweisen. Wir können im Zusammenhang dieser Untersuchung allerdings immer dort, wo nicht explizit zwischen den beiden Kategorien unterschieden wird, den einen durch den jeweils anderen ersetzen, da ‚Kunst’ jenen Modus des Bildverständnisses bezeichnet, der sich in der frühen Neuzeit erstmals systematisch durchsetzt – und eben jene Epoche wird auf den folgenden Seiten analysiert.

109 BÜRGER, Peter: Theorie der Avantgarde (edition suhrkamp, 727), Frankfurt a.M. : Suhrkamp 121995 (?) [EA 1974].

110 Ebd., S. 49.

111 Um nur ein Beispiel für den Einfluss von Beltings Schrift zu nennen, sei darauf verwiesen, dass die französische Fassung des Textes (Image et culte: Une histoire de l'image avant l'époque de l'art, Paris : Cerf 1998) zum Literaturkanon des ersten Jahres des Masterstudienganges Museologie der Pariser Ecole du Louvre gehört.

Angesichts des Umstandes, dass eine Qualifikation an dieser Hochschule in Frankreich noch immer den Königsweg für eine Tätigkeit im musealen Bereich bildet, kann davon ausgegangen werden, dass Belting zumindest mittelbar von einem Gutteil der heute in den Museen Frankreichs in leitender Funktion beschäftigten Angestellten rezipiert wurde.

112 Die folgenden Ausführungen folgen, soweit nicht anders vermerkt, den Darstellungen bei BELTING 1990/2004.

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eingebunden und theologisch normiert,113 gingen die ab dem Spätmittelalter ausgefochtenen intrareligiösen Auseinandersetzungen mit einer Neuverortung des Bildverständnisses einher. Die Geschichte des ‚Bildes’, worunter Belting ausschließlich die imago, das personale Bildnis versteht, erfährt um NRMM einen Bruch, da das Bild seither in den Kategorien von ‚Kunst’, also eines sich in relativer Autonomie vollziehendem bildnerischen Schaffens, aufgeht. Bereits durch die klösterliche Mystik sowie den im ausgehenden Mittelalter verstärkt praktizierten Bildstiftungen durch wohlhabende Laien wird das Bild zunehmend zur Privatsache, neue Bildgattungen wie das seit dem NR. Jahrhundert in Westeuropa verbreitete Porträt, das Stifter- sowie das Andachtsbild legen von diesem Funktionswandel Zeugnis ab. Man kann versucht sein, diese Verschiebung der Funktion der Kunst als einen Vorgang der Säkularisierung zu betrachten, durch welchen ein ursprünglich der kirchlichen Sphäre vorbehaltenes Gut nunmher in den weltlichen Gebrauch überführt wird. Diese materielle Form der Säkularisierung, stellt somit eine erste Form der Kommodifizerung des Bildes dar: Dem nunmehr privaten Bild wird systematisch ein Tauschwert zugewiesen; die Kunstwerdung zieht als eine der Erscheinungsweisen der durch Marx postulierten „ursprünglichen Akkumulation“

eine erste Korrumpierung des rituellen Gebrauchswertes des Bildes nach sich, der im durch Benjamin konstatierten Ausstellungswert zu gipfeln scheint.114 Der Tauschwert der Kunst wird fortan durch die Instanz des Marktes reguliert, welcher als eigenständige Wertsphäre dem kommodifizerten Bildobjekt objektive Tauschkriterien oktroyiert, die nicht mehr in seinem traditionellen Gebrauch, sondern ausschließlich in der Eigengesetzlichkeit des Marktes selbst begründet sind.

113 Für die liturgische Rolle der Ikone in der orthodoxen Kirche und ihrer Abgrenzung zur „abendländischen Kunstauffassung“, vgl. THON, Nikolaus: Ikone und Liturgie (Spohia. Quellen östlicher Theologie, 19), Trier : Paulinus 1979, S. 107 – 203.

114 Vgl. S. 18; sowie HINZ 1973, S. 112. Hinz bezieht sich hier auf die bourgeoise Vergesellschaftung des Bildes im 19. Jahrhundert; im Lichte des oben Dargestellten kann seine Diagnose jedoch auch bereits auf die Genese des Privatbildes angewandt werden, auf die Belting hinweist. Der Begriff der ‚ursprünglichen Akkumulation’

bezeichnet in seienr Prägung durch Karl Marx die an die klassische Nationalökonomie in der Tradition von Adam Smith angelegte historische Schwelle einer ersten umfassenden Umwandlung von Geld, Produktions- oder Lebensmitteln in Kapital, sowie die damit einhergehende Scheidung des Arbeiters vom Eigentum an Vorgenanntem. Der Markt polarisiert sich nach Marx im 16. Jahrhundert erstmals und nachhaltig in Kapitalbesitzer und die Arbeiterschaft: „Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist also nichts als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als ‚ursprünglich’, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet.“; vgl. MARX, Karl: Das Kapital.

Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1/1, Der Produktionsprozeß des Kapitals (Karl Marx – Friedrich Engels: Werke, 23), Berlin : Dietz 202001, S. 741 – 791, hier S. 742 [EA Hamburg : Otto Meissner 1867; der Text der vorliegenden Ausgabe folgt der vierten, von Friedrich Engels durchgesehenen und herausgegebenen Auflage, Hamburg 1890].

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Die künstlerisch-schöpferische Dimension des Bildobjekts erfährt in der Renaissance nördlich und südlich der Alpen eine nie dagewesene Aufwertung. Das Bild zeugt nun nicht mehr von der Präsenz des Jenseitigen, sondern ist gänzlich im Diesseits verankert: Als Kunstwerk gibt es Auskunft über seinen physisch-materiellen Charakter selbst; erfüllt es repräsentative Aufgaben, kann es durch die in der Renaissance entwickelten künstlerischen Techniken veristischer Darstellung, wie beispielsweise die mathematische Fundierung perspektivischer Spielarten, immerhin für die Dinge der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit eine verlässliche Zeugenschaft für sich in Anspruch nehmen. In der Bildkritik der Reformation schließlich tritt eine massive Diskreditierung des traditionellen Bildes zu den sich langsam herausbildenden, genuin ‚künstlerischen’ Bildgattungen hinzu: Die theologische Zurückweisung des Authentizitätsanspruches des Bildes im sakralen Bereich geht mit einer Neubestimmung seiner Funktion im Privatraum einher. An die Stelle des Bildes tritt nun die Kunst. Das Bild ist nicht mehr Beweis göttlicher Präsenz, sondern schlicht „Beleg von Kunst“,115 der vom Künstler, welcher nun erstmals systematisch als Urheber des Bildes hervortritt, selbst durchgesetzt wird.116 Der reformatorischen Infragestellung des Bildes im traditionellen liturgischen Gebrauch kommt insofern eine katalysierende Stellung zu, als dass hier eine Dialektik des Bildverständnisses ins Werk gesetzt wird, welche bis in unsere Zeit fortzuwirken scheint – die immer unvollkommene Unterscheidung zwischen der sakralen von der profanen Sphäre und der in ihnen jeweils zulässigen Bilder. Für die evangelische Position bilanziert Belting:

„Die leeren Wände in den Kirchen der Reformierten bezeugen die Abwesenheit der

‚abgöttischen’ Bilder der Papisten. Sie sind das Symbol der gereinigten und entsinnlichten

115 BELTING 1990/2004, S. 26. Hier soll jedoch kein kunstimmanenter Automatismus behauptet werden;

welche Mechanismen die Kunstwerdung und die Perpetuierung dieses Konzeptes bis in die Gegenwat fortschreiben, wird im folgenden Kapitel zu untersuchen sein. Selbstverständlich wird Beltings Epochisierung auch mithin kritisch bewertet. So darf angenommen werden, dass die durch ihn vorgenommene Trennung zwischen Bild und Kunst an der Schwelle der Neuzeit differenziert werden muss, da sich auch bereits in Reaktion auf den Byzantinischen Bilderstreit phasenweise ein Bildverständnis durchsetzte, welches dem der Kunst gleich kam; vgl. hierzu BARBER, Charles: From Image into Art: Art after Byzantine Iconoclasm, in: Gesta 34 (1/1995), S. 5 – 10.

116 Der Status des Kunstobjekts käme damit sowohl in der europäischen Kunstgeschichte als auch im bildnerischen Schaffen der anderen Kulturen der Welt dem eines Zombies gleich; die Kunst wäre der Wiedergänger des Bildes im Galerieraum.Ob die funktionale Ablösung des Bildes durch die Kunst ohne Rest aufgeht, kann allerdings bezweifelt werden: Bildzeugnisse moderner Wallfahrtsorte sind nur ein allzu augenfälliges Beispiel für eine irritierende Kontinuität des Bildes. Vgl. hierzu STOCK, Alex: Diesseits und jenseits der Kunst.

Bildtheologische Anmerkungen, in: NORDHOFEN 2001, S. 117 – 130.

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Religion, die nun auf das Wort schwört. Die gefüllten Wände der Bilderkabinette, für die sich Luther nicht interessiert, zeugen dagegen für die Präsenz der Malerei, die man in Schlüsselwerken von Gattungen und Künstlern sammelt. Die entstehende Kunstsammlung ist vom Verdikt gegen die Bilder in den Kirchen nicht betroffen. Hier erhalten Bilder, die in der Kirche ihre Funktion verloren, neue Funktionen in der Repräsentation von Kunst.“117

Das hier bereits angedeutete und im Folgenden eingehender zu untersuchende (unbeabsichtigte) Zugeständniss einer autonomen Kunstsphäre, die sich dem theologischen Zugriff entzieht, die Scheidung zulässiger profaner von problematischen sakralen Bildern, in der sich die Abtrennung eines neuen von einem alten Kunstverständnis vollzieht, lässt uns zunächst mit einem (wie zu zeigen sein wird, pseudo-)paradoxalen Problem zurück: Morphologisch weist der White Cube große Ähnlichkeit mit den purifizierten Sakralräumen protestantischer Kirchen auf,118 die in ihm zur Aufführung gebrachte Kunst hingegen gehört nach der Lesart Beltings dem Bereich des Profanen an – und das, obwohl im White Cube Mechanismen wirken, die, wie bereits gezeigt wurde, eher Parallelen mit einem sakralisierenden Weihevorgang aufweisen.119 Wie ist der White Cube als Sakralraum zur Durchsetzung von profaner Kunst befähigt?