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Fazit. Oublier Foucault ?

NVTT greift Baudrillard mit seiner Schrift Oublier Foucault – wohlgemerkt ohne Fragezeichen formuliert – jenen, dem sie zugedacht war, in Person und Schaffen an:360 Baudrillard, der gegen Foucault seine Simulationshypothese ins Feld führt, plädiert hier leidenschaftlich für eine Absage an die foucault’schen Theorien, welche die wesentlichen Veränderungen im ontischen Gefüge des ausgehenden OM. Jahrhunderts verkennen, und so zu deren Verschleierung beitragen würden. Der Diskurs, den Foucault führe – also die Analyse verschiedener Orte von Machtwirkungen –, sei ein „Spiegel der Mächte, die er beschreibt“,361 sein elementarer Fehler bestünde darin, den Simulationscharakter der Macht selbst zu verkennen, und sie als objektives Datum zu postulieren:

„Foucault entlarvt alle (...) zweck- und kausalorientierten Illusionen bezüglich der Macht, aber er entlarvt nicht die Macht selbst als Trugbild. Die Macht ist [für Foucault]

ein unumkehrbares Organisationsprinzip; sie fabriziert Reales, immer mehr Reales – Eingrenzung, Benennung, bedingungslose Unterordnung –, ohne daß sie jemals zusammenbräche, ohne daß ihr Getriebe ins Knirschen geraten oder vom Tode bedroht sein würde.“362

Damit betreibe Foucault seine Wissenschaft bloß innerhalb jener Koordinaten, die ihm die Simulation als Dispositiv einräume; indes ist für Baudrillard gerade die Simulation zur alles verschlingenden Instanz geworden, die selbst zur Auflösung der im Dispositiv wirksamen Macht geführt hätte. Das simulierte Dispositiv in Gestalt der Simulation selbst ist für ihn gleichsam ausgehöhlt, es führt nurmehr seine einstige

360 BAUDRILLARD, Jean: Oublier Foucault, München : Raben 21983 [EA Paris : Galilée 1977]. Für eine Darstellung des geistesgeschichtlichen Kontexts der Entstehung des Textes sowie zur allgemein kontroversen Rezeption Baudrillard, vgl. die Einleitung des in ironisierender Anlehnung an die Schrift von 1977 betitelten Sammelbands: ROJEK, Chris/TURNER, Bryan: Introduction. Regret Baudrillard?, in: dies. (Hrsg.): Forget Baudrillard?, London/New York : Routledge 1993, S. ix – xviii.

361 BAUDRILLARD 1977/1983, S. 10.

362 Ebd, S. 49.

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Verbindung mit der Macht vor. Ein Indiz für die Richtigkeit seiner These sieht Baudrillard in der schieren Möglichkeit der Theorien Foucaults: Von Macht zu sprechen sei erst im Moment ihrer Auflösung möglich.363 Die Positivität, die Foucault der Kritik entgegenstellt, sei nicht mehr als ein „Kniff“;364 er bleibe nichts-destoweniger dem politischen Diskurs verhaftet,

„während es doch darum geht, die radikale Unbestimmtheit des Politischen, seine bloß simulierte Existenz zu erfassen und dann diese Leere auf die Macht selbst zurückzuprojizieren. Eine symbolische Gewalt, die mächtiger ist als jede politische Gewalt.“365

Abgesehen von diesen vagen Äußerungen hinsichtlich der normativen Zielsetzungen einer Wissenschaft im Bewusstsein der Simulation, formuliert Baudrillard keine positive Alternative zur von „Idioten“ betriebenen Geisteswissenschaft in der Nachfolge Foucaults, dem Baudrillard in einem späteren Text gar Despotismus und Willkür attestiert.366 Gerade in seinen späten Schriften entfernt sich Baudrillard zunehmend von den für die Wissenschaft verbindlichen formalen Kriterien, und entwickelt einen eigenen Argumentationsstil, der mit seinem weitgehenden Verzicht auf Belege mithin vehemente Kritik hervorruft.367 Die Simulationstheorie und die Art ihrer Vorbringung ist in weiten Teilen inkompatibel mit dem hegemonialen Set epistmologischer Kriterien der Geisteswissenschaften.

Oder, wie die Herausgeber eines speziell dieser mehr als partiellen Inkompatibilität gewidmeten Sammelbandes im einleitenden Essay zu selbigem prägnant formulieren:

„Baudrillard fails the validity test.“368

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Die vorliegende Untersuchung zur Genealogie des White Cube kann als Versuch verstanden werden, das Denken Baudrillards mit den Theorien Foucaults zu versöhnen. Die Kontroversen um den christlichen Begriff der oikonomia und die

363 Damit greift Baudrillard einen Topos auf, der sein gesamtes Werk bis hin zu einer seiner letzten Schriften durchzieht: jenen des Todes des Objektes durch Beobachtung. Vgl. hierzu BAUDRILLARD, Jean: Warum ist nicht schon alles verschwunden? (Fröhliche Wissenschaft), Berlin : Matthes & Seitz 2008 [EA Pourquoi tout n'a-t-il pas déjà disparu? (Carnets de l’Herne), Paris : L’Herne 2007].

364 BAUDRILLARD 1977/1983, S. 71.

365 Ebd.

366 Vgl. BAUDRILLARD, Jean: Cool Memories. 1980 – 1985 (Batterien, 41), Berlin : Matthes & Seitz 1989, S. 173 [EA Paris : Galilée 1987].

367 Für eine Übersicht über jene Kritikpunkte, mit denen Baurillard sich am häufigsten konfrontiert sah, vgl.

ROJEK/TURNER 1993.

368 Ebd., S. xv.

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Möglichkeit ihres Fortwirkens bis in das Dispositivkonzept nach Foucault lassen erkennen, inwiefern auch im Dispositiv als grundlegender Instanz der Machtausübung eine imaginäre Dimension zumindest implizit stets enthalten ist.

Folgen wir der Linie, die sich vom Aushandeln der göttlichen Trinität auf Basis der Kategorie der Bildhaftigkeit bis zum modernen Dispositiv ziehen lässt, so können wir auch die Realität der Simulation als Ort von Machtwirkungen begreifen. Baudrillards These von der Hyperrealität wird in Anbetracht der Ikonizität von Machtwirkungen als Komplement und logische Fortsetzung des foucault’schen Dispositivbegriffs vorstellbar: Instanzen der Simulation, der Durchsetzung ihrer eigenen selbstreferenziellen Bildlichkeit, führen das Dispositiv allein auf seine imaginären Ursprünge zurück. Prototypisch hierfür steht der White Cube, jene als Ausstellungsdispositiv getarnte universelle Abstraktionstechnologie, in der Machtwirken immer auch als die Durchsetzung von Weltanschauungen begriffen werden kann. Die Differenz zwischen dem White Cube als Machtinstanz und jedem anderen Ort von Machtwirkungen ist somit bloß eine graduelle, da sich die einzelnen Dispositive nur in den verschiedenen Intensitäten des immer gleichen Funktionsprinzips voneinander unterscheiden. Mit dem theologischen Nachweis der bildbezogenen Wurzel des White Cube wird dessen Existenz als universelles Paradigma des okzidentalen Modus der Weltaneignung zumindest denkbar.

Der oben angesprochene ‚exhibitionary complex’369 wird so als eine mögliche Systematisierung der Funktionsweise des White Cube vorstellbar: Indem das bürgerliche Ausstellungswesen seit dem NV. Jahrhundert die visuelle Disponierung von Körpern und Objekten sowie die sich in ihrer Betrachtung selbst reproduzierenden Öffentlichkeit organisiert, bahnt er die Dominanz der Simulation, der Herrschaft von referenzlosen Bildern, bereits an und erhält sie aufrecht. Vielleicht wird hier auch deutlich, inwiefern ausgerechnet das kantische Konzept der Erhabenen so geeignet ist, die hegemoniale Ästhetik in den modernen okzidentalen Gesellschaften zu beschreiben: Gerade im Erhabenen drückt sich schließlich eine sinnlich (in negativer Darstellung) vermittelte Macht als Bildursache, sowie die Ohnmacht des Betrachters ihr gegenüber aus. Die Ästhetik des Erhabenen, die der

369 Vgl. ‚Eine Genealogie’.

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White Cube durchsetzt – vermeintlich gegen die Dominanz der referenzlosen Simulakra gerichtet, indem sie eine transzendente Wirkursache voraussetzt, und damit das Prinzip der Repräsentation perpetuiert –, trägt doch eigentlich nur zur Verschleierung des Umstandes bei, dass keine objektive Wirklichkeit mehr besteht:

In einer Welt, die jedes festen Bezugspunktes entbehrt, so scheint es, bietet das Dispositiv als White Cube einen Schutzraum, indem die Verbindlichkeit eines hegemonialen Normensystems zumindest propagiert wird. Jedes Dispositiv, so können wir im Lichte des Dargestellten schließen, setzt nicht Herrschaft im Sinne einer eindeutig auf eine Ursache rückführbare Macht durch, sondern bloß immer die Bilder, die wir uns von der Macht machen. Wie Kaptitän Ahab, dessen Name Melville einem bilderverehrenden König des Alten Testaments entleiht,370 können auch wir uns nicht der Macht erwehren, die Bilder auf uns ausüben. Unser Weißer Wal ist ein verbindliches Paradigma.371

370 1 Kön 21,25f: „Es gab in der Tat niemand, der sich wie Ahab hergab zu tun, was dem Herrn missfiel, da seine Frau Isebel ihn verführte. Sein Tun war überaus verwerflich; er lief den Götzen nach und folgte den Gebräuchen der Amoriter, die der Herr vor den Israeliten vertrieben hatte.“

371 Eine Erörterung der Möglichkeit, die Macht der Bilder und die Bilder der Macht unwirksam zu machen, bildet einen vielversprechenden Ansatz für weitere Forschungen. Verwiesen sei an dieser Stelle auf den von Agamben vorgeschlagenen Ansatz der ‚Profanierung’, der ausgerechnet nicht im kritischen, sondern im nachlässigen Umgang mit den Instanzen der Macht besteht – und damit eine erstaunliche Kongruenz zum situationistischen Konzept des détournement, dem umwertenden Aufgreifen spektakulärer Versatzstücke, aufweist. Vgl. zur Profanierung AGAMBEN 2005; zum détournement DEBORD 1967/1992, S. 195.

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