• Keine Ergebnisse gefunden

Physiologische Auswirkungen von psychosozialem Stress

1. Einleitung

1.2 Psychosozialer Stress

1.2.4 Physiologische Auswirkungen von psychosozialem Stress

1.2.4.1 Die Hypothalamus-Hypophyse-Nebennieren-Achse (HPA-Achse)

Wie auch andere psychische Belastungen bedeutet psychosozialer Stress einen Stimulus für die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) (Herman et al. 2003, Mason 1968), einem hormonellen Regelkreis, der im Gehirn seinen Ausgang nimmt und den Körper über die Ausschüttung von Kortikosteroiden physiologisch auf eine fight or flight-Situation ausrichtet.

Bei der viele unterschiedliche Hirnregionen einbeziehenden, nicht kognitiven Bewertung sensorischer Informationen als „potentiell gefährlich“ reagiert u.a. die Amygdala über die Aktivierung exzitatorischer Efferenzen zum Hypothalamus. Hier werden Neurone des Bettkerns der Stria terminalis (BST) erregt. Als Folge dessen werden parvozelluläre, neurosekretorische Neurone des Nucleus paraventricularis (PVN) dazu stimuliert, vermehrt das corticotropin releasing hormone (CRH) in das hypophysäre Pfortadersystem zu sezernieren. Diesen Schritt kann man als Beginn der physiologischen Stressreaktion des Körpers bezeichnen. Über das hypophysäre Pfortadersystem gelangt das CRH zum Hypophysenvorderlappen, wo dieses als Signalmolekül für die basophilen, kortikotropen Zellen dient, die hierauf die Freisetzung des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) deutlich erhöhen. Dieses gelangt nun über den Blutkreislauf in die Nebennierenrinde, wo es die Zellen der Zona fasciculata zur Produktion von Kortikosteroiden, beim Menschen hauptsächlich Cortisol, anhält. Über einen negativen Rückkopplungsmechanismus wird die CRH- und ACTH-Produktion von den ausgeschütteten Kortikosteroiden wieder gehemmt. Hierbei spielen GABAerge Neurone der Stria terminalis, der präoptischen Region und des Hypothalamus eine Rolle, die direkt den neurosekretorischen Neuronen des Nucleus paraventricularis ein inhibitorisches Signal geben können (Herman et al. 2004, Pruessner et al. 2010).

23

Diese GABAergen Neurone werden von höheren Zentren aktiviert, unter anderem vom präfrontalen Kortex und dem Hippocampus (Reul et al. 2000).

Abb. 10

Schematische Darstellung der physiologischen Stressantwort in einer Hemisphäre eines Rattengehirns. 1.

Stress (Blitz) bewirkt die Aktivierung des Bettkerns der Stria Terminalis (BST), der exzitatorisch (roter Pfeil) den Nucleus paraventricularis (PVN) im Hypothalamus erregt (+). 2. Der PVN produziert hierauf vermehrt das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), das aus den Axonterminalien der CRH-Neurone im Hypophysenvorderlappen (HVL) ausgeschüttet wird. 3. Der HVL sezerniert nun vermehrt das adrenokortikotrope Hormon (ACTH), welches über den systemischen Kreislauf zur Nebenniere (NN) gelangt.

4. Hier werden nun vermehrt Kortikosteroide (CS) produziert, die eine Vielzahl von stressspezifischen Reaktionen des Körpers mediieren.

24

Abb. 11

Die erhöhte Kortikosteroidproduktion in der Nebenniere bewirkt das vermehrte Anfluten dieser lipophilen Hormone in das Gehirn der Ratte. Im Rahmen einer Feedback-Hemmung (blaue Pfeile) bewirken sie 5.a im Nucleus paraventricularis (PVN) eine verminderte corticotropin-releasing-hormon (CRH)-Ausschüttung und 5.b in der Hypophyse eine verminderte Freisetzung von adrenokortikotropem Hormon (ACTH). Ebenso wirken höhere Zentren hemmend auf die Produktion von CRH und ACTH: 5.c Der prälimbische Kortex (PLC) und 5.d der Hippocampus erregen (rote Pfeile) Teile des Bettkerns der Stria terminalis(BST), der GABAerge, d.h. hemmende Efferenzen zum PVN projiziert. Hieraus resultiert ebenfalls eine verminderte CRH-Ausschüttung und konsekutiv eine verminderte ACTH-Sekretion aus dem Hypophysenvorderlappen (HVL), was zusammengenommen letztlich 6. zur Senkung und Normalisierung des Kortikosteroidspiegels im Blut führt.

Wie oben schon erwähnt, ist dieser Regelkreis in chronisch gestressten Tieren und beim Menschen hyperaktiv, sodass eine unzureichende Rückkopplung einen erhöhten basalen Kortikosteroidspiegel bedingt (De Kloet und Reul 1987). Die lipophilen Glukokortikoide passieren leicht die Blut-Hirn-Schranke und wirken hier direkt auf die Expression einer ganzen Reihe von Genen und bewirken auf diese Weise viele Veränderungen auf neuronaler Ebene als Reaktion auf den Stress.

25

Abb. 12

Chronischer Stress (dunkelroter Pfeil) bewirkt das Versagen der direkten Feedbackmechanismen (blau gestrichelt) sowie der regulatorischen Wirkung der übergeordneten Zentren PLC und Hc (gestrichelte rote Pfeile). Als Folge dessen bleibt der CRH- und ACTH-Spiegel unter chronischem Stress erhöht und die Corticosteroidproduktion in der Nebenniere (NN) anhaltend aktiviert.

1.2.4.2 Veränderungen der Neurotransmitterhaushalte

Neben diesem neuroendokrinologischen Regelkreis bewirkt chronischer psychosozialer Stress bei Menschen und Tieren auch Maladaptionen in anderen Systemen von Gehirn und Körper (Anisman und Zacharko 1992, McEwen 2004). So lassen sich tiefgreifende Veränderungen in Neurotransmittersystemen finden, die teilweise direkt mit der Aktivität der HPA-Achse in Verbindung stehen (Flügge 2000). An prominenter Stelle stehen hier Störungen der Monoaminhaushalte. Nach einer gemeinhin akzeptierten Hypothese findet sich nach längerfristiger Applizierung von Stress eine verminderte Produktion der Monoamine Serotonin, Noradrenalin und Dopamin als Folge seiner chronischen Einwirkung. Diese Hypothese betrachtet man heute als wichtigen Aspekt in der Entstehung von Depressionen (Nutt 2008) und gibt Anlass für die Entwicklung antidepressiv wirksamer Medikamente, die auf eine Rebalancierung dieser Neurotransmitterhaushalte abzielen.

26

1.2.4.3 Morphologische Veränderungen von Neuronen und Gliazellen

Mehrere Studien haben gezeigt, dass chronischer psychosozialer Stress neben diesen neurochemischen Veränderungen auch morphologische Veränderungen der Neurone und Gliazellen hervorrufen kann (Manji und Duman 2001). Sowohl post-mortem-Studien am Menschen, in denen man eine verringerte Dichte von Gliazellen fand (Rajkowska 2000), als auch Untersuchungen an chronisch psychosozial gestressten Tieren, bei denen im Hippocampus erhöhte Plastizität, Volumenverlust und Veränderungen in der glialen Zytoarchitektur festgestellt werden, wiesen den Einfluss dieser Stressart auf die Struktur und Morphologie von Neuronen und Gliazellen nach (Czeh et al. 2006, Fuchs et al. 2004, Magarinos et al. 1996).

1.2.4.4 Reelin und Stress

Die oben beschriebenen Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn auf chemischer und morphologischer Ebene auf chronischen, psychosozialen Stress reagiert. Alle Komponenten auf molekularer Ebene, die diese Veränderungen bewirken, sind noch nicht bekannt. Die morphologisch sichtbaren Veränderungen in Struktur und Dichte der Neurone und Gliazellen müssen über Signalkaskaden vermittelt werden, die letztlich einen Einfluss auf das Zytoskelett der Zelle haben, damit der sichtbare Strukturwandel stattfinden kann. Der Zusammenhang zwischen dem die Zellmorphologie verändernden Einfluss von Stress und dem Glykoprotein Reelin, welches direkt auf das Aktin-Zytoskelett von Neuronen und Gliazellen einwirkt, wurde bislang nur wenig untersucht.

Post-mortem-Studien zeigten eine verminderte Reelinexpression in Teilen des Hippocampus bei depressiven Patienten (Fatemi et al. 2000, Knable et al. 2004). Eine andere Gruppe fand eine erhöhte Reelinexpression im Hippocampus männlicher Ratten, die dem sogenannten early life stress, der wiederholten oder dauerhaften Trennung von der Mutter, ausgesetzt waren. Ebenso erhöhten chronische intravenöse Injektionen von Kortikosteroiden die Expression von Reelin (Gross et al. 2010). Eine andere Gruppe fand das genaue Gegenteil, eine verminderte Anzahl Reelin-positiver Neurone nach chronischer Kortikosteroidinjektion (Lussier et al. 2009). Die derzeitige Studienlage zeigt nicht klar, wie Reelinsystem auf bestimmte Formen von Stress anspricht. Die Frage, ob chronischer psychosozialer Stress einen Einfluss auf das Reelinsystem in einem bestimmten Teil des Gehirns der Ratte hat, soll ein Thema dieser Arbeit sein.

27