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Physikalische Bedingungen für die Gewebeäquivalenz

7 Gewebeäquivalenz und Phantome

7.2 Physikalische Bedingungen für die Gewebeäquivalenz

Wird ein gegebenes Material mit Photonen bestrahlt, so entsteht in seinem Inneren durch Schwächung und Streuung der Primärstrahlung sowie durch Auslösung von Sekundärteilchen ein Strahlungsfeld, das an jedem Ort durch die Energie- und Richtungsverteilung der Fluenz (Teilchenzahl pro Flächenelement) der vorkommenden Photonen und Elektronen gekenn-zeichnet ist. Bei Photonenstrahlung wird neben der Teilchenfluenz Φ auch der Begriff Energiefluenz Ψ (Strahlungsenergie pro Flächenelement) als Strahlungsfeldgröße verwendet.

Zusammen mit den entsprechenden Wechselwirkungskoeffizienten des Materials bestimmt das Strahlungsfeld die an einem Ort im Material m erzeugte Energiedosis Dm (absorbierte Energie pro Massenelement). Für Photonen gilt:

Dm = ∫ ΨE(E) (µen/ρ)m(E) dE (7.1) Dabei ist ΨE(E) die spektrale Energiefluenz für Photonen der Energie E und (µen/ρ)m(E) der Massen-Energieabsorptionskoeffizient des Materials m. Letzterer ist durch die Gleichung µen(E) = µ(E)·Een/E definiert; dabei ist µ der Schwächungskoeffizient, E die Photonenenergie und Een die im Durchschnitt bei jeder Wechselwirkung eines Photons absorbierte Energie.

Soll also einem Phantommaterial an jedem Ort die gleiche Energiedosis zugeführt werden wie dem nachzubildenden Gewebe an dem entsprechenden Ort, so muß zum einen an allen Punkten im Inneren des Phantommaterials das gleiche Strahlungsfeld wie in dem nachzubildenden Gewebe erzeugt werden, d.h. die spektralen Energiefluenzen ΨE(E) der beiden Materialien müssen aneinander entsprechenden Punkten identisch sein. Gleichzeitig muß das

Phantom-material die gleichen massenbezogenen Energieabsorptionskoeffizienten µen/ρ besitzen wie das nachzubildende Gewebe.

In der klinischen Praxis erfolgt die Dosismessung jedoch nicht unmittelbar durch Messung von Strahlenwirkungen auf das Phantommaterial, sondern durch ein Dosimeter, dessen Sonde in das Phantommaterial eingebracht worden ist. Das Dosimeter ist so kalibriert, daß es die am Meßort durch das gegebene Strahlungsfeld einem bestimmten Referenzmaterial, z.B. Wasser, zugeführte Energiedosis anzeigt. Daher muß ein Phantommaterial in der Praxis nur für ein Strahlungsfeld sorgen, das demjenigen im nachzubildenden Gewebe gleicht; Gleichheit in den Werten von µen/ρ muß nicht gefordert werden.

Mit Hilfe der Transporttheorie kann man zeigen, daß notwendige Bedingung für die Übereinstimmung des Strahlungsfeldes im Phantommaterial und im nachzubildenden Gewebe, d.h. für die radiologische Gewebeäquivalenz des Phantommaterials, die Übereinstimmung der beiden Materialien bezüglich des linearen Wechselwirkungskoeffizienten µ(E) im Absorber -material ist. Eine Übereinstimmung in den massenbezogenen Koeffizienten oder der Material -dichte ρ ist nicht erforderlich (HERMANN, 1994).

Gelegentlich wird die Übereinstimmung bezüglich der Massen-Schwächungskoeffizienten µ/ρ, der Massen-Energieabsorptionskoeffizienten µen/ρ und zusätzlich der Dichte ρ gefordert (z.B.

WHITE and CONSTANTINOU, 1982). Auch hierdurch ist die Forderung gleicher linearer Wechselwirkungskoeffizienten erfüllt; die Anzahl der gestellten Forderungen ist jedoch höher als unbedingt erforderlich. In der Praxis genügt es, von einem gewebeäquivalenten Phantommaterial im betrachteten Bereich der Photonenenergie lediglich die Übereinstimmung mit dem Gewebe in den linearen Wechselwirkungskoeffizienten, nicht jedoch in der Dichte zu fordern (z.B. ICRU 44, 1989).

Von diesen Anforderungen an die Gewebeäquivalenz von Phantommaterialien hat man die Anforderungen an die Materialäquivalenz von Detektorbaustoffen (gewebeäquivalente Detektormaterialien und detektoräquivalente Wandmaterialien) zu unterscheiden. Von gewebe -äquivalenten Detektormaterialien ist nämlich - im Unterschied zu den Phantommaterialien - zu verlangen, daß für Photonen die Werte der Massen-Energieabsorptionskoeffizienten µen/ρ und für Elektronen die Werte des Massen-Stoßbremsvermögens S/ρ an die Werte dieser Koeffizienten für ein bestimmtes Gewebe oder Wasser angepaßt sind. Für diese Materialien bestehen jedoch andererseits weder Forderungen an die Dichte (vergleiche luftgefüllte, flüssige und feste Detektormaterialien) noch an die linearen Wechselwirkungskoeffizienten.

7.3 Standardgewebe

Die Notwendigkeit, bestimmte Körpergewebe nachzubilden, muß stets im Zusammenhang mit der jeweiligen dosimetrischen Fragestellung gesehen werden. Über 70 % der Körpermasse werden von Muskel-, Fett- und Knochengewebe gebildet. Darüber hinaus kommt dem Lungengewebe wegen der niedrigen Dichte der luftgefüllten Lunge stets besondere Bedeutung zu. Bei jeder dosimetrischen Messung, die sich auf ein bestimmtes bestrahltes Körpergebiet bezieht, werden diese Gewebearten dominieren. Andere Gewebe oder Organe wie etwa Haut, Brustgewebe, Schilddrüse, Gehirn oder Leber müssen aus dosimetrischer Sicht nicht durch organspezifische Phantommaterialien nachgebildet werden; sie können für einen großen

Energiebereich hinreichend genau durch ein muskel- bzw. weichteiläquivalentes Phantom-material nachgebildet werden. Zur Verdeutlichung dieser Tatsache sind in Tab. 7.1 für Muskelgewebe die Werte des linearen Schwächungskoeffizienten für Photonenenergien zwi-schen 30 keV und 1 MeV angegeben. Für die anderen genannten Organe bzw. Gewebe sind die linearen Schwächungskoeffizienten als Relativwerte, bezogen auf Muskelgewebe, aufge -führt. Ein Maß für die Güte der radiologischen Annäherung des entsprechenden Organs bzw.

Gewebes durch Muskelgewebe ergibt sich aus dem Vergleich des Relativwertes mit dem Wert 1. Man sieht, daß die Abweichungen bezüglich des linearen Schwächungskoeffizienten zwischen Muskelgewebe und den anderen betrachteten Organen bzw. Geweben über einen großen Energiebereich 4 % nicht überschreiten, in vielen Fällen sogar unter oder nahe 1 % liegen. In der Regel kann daher für Dosimetriephantome auf eine weitere Gewebe-Differen-zierung außer der zwischen Muskel-, Fett-, Knochen- und Lungengewebe verzichtet werden.

Tabelle 7.1: Dichte und linearer Schwächungskoeffizient µ (in cm-1) für Muskelgewebe;

Dichte und Relativwerte der linearen Schwächungskoeffizienten für verschie -dene andere Organe bzw. Gewebe (ICRU 46, 1992).

Organ bzw. Dichte Photonenenergie (monoenergetisch) in keV

Gewebe g/cm3 30 60 100 300 600 1000

Anmerkung: Die Schreibweise für den Wert des linearen Schwächungskoeffizienten, z. B. 3,97-1, bedeutet 3,97·10-1 cm-1.

Bei Knochengewebe muß zwischen zwei unterschiedlichen Knochensubstanzen mit verschiedenen Dichten unterschieden werden, der festen Kompakta und der schwammartigen Spongiosa. Die spongiöse Knochensubstanz besteht aus denselben Elementen wie der kompakte Knochen, aber sie ist in Bälkchen angeordnet, zwischen denen zusätzlich das Knochenmark liegt. Für dosimetrische Zwecke ist es häufig ausreichend, eine gemischte Knochenzusammensetzung anzunehmen. In Humerus (Oberarmknochen) und Femur (Ober-schenkelknochen) sind etwa 43% Kompakta und 57% Spongiosa enthalten (WOODARD and WHITE, 1982). Entsprechend diesen relativen Massenanteilen wurde daher die Zusam-mensetzung eines gemischten Knochens berechnet, für den sich eine theoretische Dichte von 1,41 g/cm3 ergibt.

Neben den verschiedenen Gewebearten und Organen des menschlichen Körpers wird häufig auch für Wasser ein fester Ersatzstoff benötigt. Wasser selbst wird seit über 90 Jahren als Phantommaterial für Muskel- und Weichgewebe eingesetzt; Wasserphantome sind in der Strahlentherapie das Referenzobjekt für die Angabe räumlicher Dosisverteilungen. Leider ist der flüssige Zustand des Wassers experimentell oft von Nachteil, insbesondere in der Strahlentherapie, wo ca. 200 Liter Wasser benötigt werden und im Bestrahlungsraum bewegt

werden müssen. Daher war man schon früh bemüht, ein geeignetes festes Ersatzmaterial für Wasser zu finden.

Tabelle 7.2: Lineare Schwächungskoeffizienten µ (in cm-1) für die Standardgewebe Fett, Knochen (Kompakta, Spongiosa und eine gemittelte Zusammensetzung), Lunge und Muskel sowie für Wasser; Relativwerte der linearen Schwächungskoeffizienten für die zugehörigen Phantomsubstanzen, berechnet unter Verwendung des Computerprogramms XCOM von BERGER und HUBBELL (1987)

Gewebe bzw. Dichte Photonenenergie (monoenergetisch) in keV

Phantomsubstanzen g/cm³ 30 40 60 80 100 200 400

Anmerkung 1: Die Schreibweise für den Wert des linearen Schwächungskoeffizienten, z. B.

2,910-1 bedeutet 2,910·10-1 cm-1 .

Anmerkung 2: PMMA (Polymethylmethacrylat) wurde trotz mangelhafter Annäherung an Wasser wegen der großen Verbreitung als Phantomsubstanz aufgeführt.

Tabelle 7.3: Zusammensetzung der Standardgewebe

Standardgewebe Dichte g/cm³

Zusammensetzung (Massengehalt in Prozent)

Fettgewebe 0,92 H (11,40); C (59,80); N (0,70); O (27,80); Na (0,10); S (0,10);

Anmerkung: Für die Standardgewebe muß in der Regel eine mittlere Zusammensetzung und eine mittlere Dichte angenommen werden; einzelne Gewebsproben können hiervon erheblich abweichen (GEWORSKI, 1986; WOODARD and WHITE, 1986).

Für die Zusammensetzung der Standardgewebe wurden die Angaben aus ICRU 44 (1989) übernommen.

Tabelle 7.4: Zusammensetzung der gewebe- und wasseräquivalenten Phantomsubstanzen

Phantomsubstanz Dichte g/cm³

Zusammensetzung (Massengehalt in Prozent) AP6 0,92 H (8,36); C (69,14); N (2,36); O (16,93); F (3,07); Cl (0,14)

Tabelle 7.5: Gewebeäquivalente Phantomsubstanzen: Schrifttum und Bemerkungen

Phantomsubstanz Schrifttum Bemerkungen

AP6, MS11, SB5 D. R. White, R. J. Martin, R. Darlison, Brit. J. Radiol. 50 (1977) 814

Epoxidharz mit Zusätzen

LN/SR4 D. R. White, C. Constantinou in: Progress in Medical Radiation Physics, Vol.1 (Ed. C. G. Orton), New York 1982, 133

Epoxidharz mit Zusätzen

M3 B. Markus

Strahlentherapie 101 (1956) 111

Paraffin mit MgO und CaCO3

Polyvinyltoluol (C8H9)n mit Bromzusatz

Polymethylmethacrylat

RF-1, RM-1 K.-P. Hermann, L. Geworski, T. Hatzky, R. Lietz, D. Harder, Phys. Med. Biol. 31 (1986) 1041

Polyethylen mit MgO und CaCO3

RK-1, RK-1/40, RK-2 K.-P. Hermann

Dissertation, Göttingen 1994

Silikonkautschuk mit Zusätzen

RL-2 K.-P. Hermann, M. Schnell, D. Harder in Medizinische Physik 1992 (Hrsg. J. Roth), Basel 1992, 68

Silikonkautschuk mit Zusätzen

RW-1 K.-P. Hermann, L. Geworski, M. Muth, D. Harder;

Phys. Med. Biol. 30 (1985) 1195

Polyethylen mit MgO und CaCO3

RW-3 D. Harder, A. Rubach, K.-P. Hermann, A. Ueberschär in: Medizinische Physik 1988 (Hrsg. F. Nüsslin), Tübingen 1989, 325

Polystyrol mit TiO2

WT1 C. Constantinou, F. H. Attix, B. R. Paliwal, Med. Phys. 9 (1982) 436

Epoxidharz mit Zusätzen