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Personenbezogene Faktoren und ihr Zusammenhang zu den Verlaufsformen der Harninkontinenz

9.1 V ERGLEICH UND I NTERPRETATION DER E RGEBNISSE

9.1.3 Personenbezogene Faktoren und ihr Zusammenhang zu den Verlaufsformen der Harninkontinenz

der Prävalenz der Harninkontinenz um 8,9 % ein Jahr nach der Aufnahme stellte eine US-amerikanische Forschergruppe fest (Boyington et al., 2007). Die Unterschiede bezüglich der Anzahl von Neuerkrankungen und Heilungen waren in den verschiedenen Studien interessanterweise nicht so groß wie die Anzahl der dauerhaft inkontinenten und dauerhaft kontinenten Bewohner. Die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren und den Verlaufsformen Neuerkrankungen und Heilungen zu untersuchen, ist unabhängig von der Prävalenz sinnvoll.

9.1.3 Personenbezogene Faktoren und ihr Zusammenhang zu den Verlaufsformen der Harninkontinenz

Ein Schwerpunkt dieser Arbeit lag in der Identifizierung von Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit einer Neuerkrankung an Harninkontinenz erhöhen. Gleichzeitig wurde nach Faktoren gesucht, welche die Heilungschance der Harninkontinenz steigern. Andere Studien (häufig Querschnittstudien), die in der stationären Langzeitpflege durchgeführt wurden, unterschieden hierfür die Gruppen „kontinent“ und „inkontinent“, ohne zu differenzieren, ob es sich um eine bereits vor dem Heimeintritt bestehende Inkontinenz handelte oder sich erst nach dem Heimeintritt entwickelte (Aggazzotti et al., 2000; Borrie et al., 1992; Resnick et al., 1988;

Welz-Barth et al., 1998). Beeinflussende Faktoren einer wiederhergestellten Kontinenzfähigkeit wurden bislang erst in einer Studie analysiert. Hier zeigte sich, dass die Fähigkeit, selbstständig zu gehen und sich selbstständig umzusetzen, die Abwesenheit einer Stuhlinkontinenz und eine geringes Auftreten von Demenz die Chance einer Heilung erhöhten (Ouslander et al., 1993).

Durch eine bivariate Analyse wurden Assoziationen zwischen diversen personenbezogenen und umgebungsbezogenen Faktoren herausgearbeitet: Männer hatten in dieser Studienpopulation einen besseren Kontinenzstatus. Sie waren häufiger dauerhaft kontinent und erkrankten seltener neu an einer Harninkontinenz. Dieser Befund steht den Ergebnissen anderer Längsschnittstudien gegenüber: Die Wahrscheinlichkeit, nach der Heimaufnahme eine Inkontinenz zu entwickeln, war bei Männern größer als bei Frauen (Ouslander et al., 1993;

Palmer et al., 1991; Saxer et al., 2005). In einigen Querschnittsstudien waren Frauen häufiger inkontinent als Männer (Aggazzotti et al., 2000), andere Untersuchungen stellten keine Geschlechterunterschiede fest (Boyington et al., 2007). Die durch epidemiologische Studien gewonnene Erkenntnis, dass Frauen im jüngeren Lebensalter viermal so häufig harninkontinent sind wie Männer, sich dieser Unterschied aber mit zunehmendem Alter relativiert (Cheater &

Castleden, 2000), scheint sich in der Population der Heimbewohner widerzuspiegeln.

Augenscheinlich kann bisher noch nicht davon ausgegangen werden, dass das eine oder

andere Geschlecht als Prädiktor besondere Versorgungsansprüche in Hinblick auf kontinenzfördende Maßnahmen anzeigt.

Die Frage, ob das Alter einen direkten Einfluss auf die Harninkontinenz hat oder ob der Einfluss indirekt durch das Zusammenwirken altersbedingter Veränderungen und Erkrankungen bedingt ist, kann durch die internationale Studienlage nicht eindeutig beantwortet werden (Fonda et al., 2002). Studien, die auf Risikofaktoren bei Pflegeheimbewohner – also einer Kohorte von gebrechlichen, alten Menschen – für eine Inkontinenzentwicklung abzielten, stellten einerseits keinen expliziten Alterseinfluss auf die Inkontinenz fest (Ouslander et al., 1993; Palmer et al., 1991; Welz-Barth et al., 1998), andererseits konnten Zusammenhänge aufgezeigt werden (Saxer et al., 2005). In dieser Untersuchung zeigte sich in der bivariaten Analyse, dass Heimbewohner zwischen 64-74 Jahren häufiger dauerhaft kontinent waren, und auch häufiger ihre Kontinenzfähigkeit zurückgewannen. Saxer und Kollegen erzielten in ihrer Analyse hingegen das Ergebnis, dass Bewohner zwischen 65 und 85 Jahren häufiger von einer Neuerkrankung betroffen waren als 85-jährige und ältere Bewohner (Saxer, 2004). Einen Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und der dauerhaften Inkontinenz oder einer Neuerkrankung konnte in dieser Studie nicht festgestellt werden. Es bleibt festzuhalten, dass Pflegeheimbewohner unabhängig von ihrem Lebensalter gleichermaßen eine Harninkontinenz nach dem Heimeintritt entwickeln können; auch ein überdurchschnittlich junges Eintrittsalter (60 -74 Jahre) verringerte in dieser Analyse das Inkontinenzrisiko nicht. Somit sind jüngere Bewohner ebenso gefährdet, im Pflegeheim eine Harninkontinenz zu entwickeln, wie ältere und hochaltrige Bewohner. Eine Kontinenzförderung, die zur Wiedererlangung der Kontinenz-fähigkeit führt, ist jedoch bei jüngeren Bewohnern wahrscheinlicher als bei älteren.

Schwer- und Schwerstpflegebedürftigkeit war im Zusammenhang dieser Untersuchung im Rahmen der bivariaten Analyse deutlich mit dauerhafter Inkontinenz assoziiert und unterstützen damit die Befunde von Welz-Barth et al. (1997), die Inkontinenz als prädiktiven Faktor für Pflegebedürftigkeit und Heimunterbringung identifizierten. Die Verlaufsformen der dauerhaften Kontinenz und der Heilung traten signifikant häufiger bei Bewohnern auf, deren Pflegebedarf vergleichsweise gering war (Pflegestufe 0 und I). Interessanterweise kamen die Neuerkrankungen ebenfalls signifikant häufiger bei den Bewohnern vor, die einen vergleichsweise geringen Pflegebedarf hatten. Es muss also beachtet werden, dass die Entwicklung einer Harninkontinenz auch bei den Bewohnern auftreten kann, deren Unterstützungsbedarf zum Zeitpunkt der Aufnahme eher niedrig ist. Gleichzeitig wurden Bewohner identifiziert, die zum Aufnahmezeitpunkt inkontinent und nur geringfügig auf Unterstützung angewiesen waren und ihre Kontinenzfähigkeit zurückgewannen. Somit kann resümiert werden, dass pflegerische Interventionen der Kontinenzförderung besonders erfolgreich sind, wenn ein niedrigerer Grad an Pflegebedürftigkeit vorliegt. Da nicht für alle

Diskussion 152 Bewohner die Pflegestufe zum Aufnahmezeitpunkt in der Dokumentation angegeben wurde, konnte die Variable „Pflegebedürftigkeit“ nicht als unabhängige Variable in die multivariate Analyse aufgenommen werden.

Verschiedene chronische Erkrankungen wurden bereits in früheren – die allgemeine Bevölkerung untersuchenden – Studien als Einflussfaktoren der Inkontinenz identifiziert (Fonda et al., 2002). Im Zusammenhang mit einer Neuerkrankung an Inkontinenz nach der Aufnahme in ein Pflegeheim wurde als chronische Erkrankung bisher nur die Demenz beschrieben (Ouslander et al., 1993; Palmer et al., 1991). Diesen Befund bestätigt die vorliegende Studie nicht, jedoch war das Fehlen einer Demenz sehr deutlich mit der dauerhaften Kontinenz assoziiert.

In verschiedenen Studien und Metaanalysen wurde eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COLD) als Risikofaktor für eine Harninkontinenz in der allgemeinen Bevölkerung beschrieben (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege [DNQP], 2007; Fonda et al., 2002; Maggi et al., 2001). Borrie et al. stellten in einer Studie über die stationäre Langzeitpflege fest, dass eine COLD signifikant mit einer niedrigeren Prävalenz der Harninkontinenz assoziiert war (Borrie et al., 1992). In dieser Untersuchung zeigte sich ebenfalls bei inkontinenten Bewohnern seltener eine COLD, bei kontinenten Bewohnern trat sie häufiger auf, als zu erwarten gewesen wäre. Weshalb eine COLD bei Pflegeheimbewohnern nicht im Zusammenhang mit Harninkontinenz zu stehen scheint, kann nicht hinreichend beantwortet werden. Möglicherweise führt ein schon seit mehreren Jahren bestehender chronischer Husten nicht unbedingt zu einer Belastung des Beckenbodens, sondern begünstigt möglicherweise eine Stärkung der Beckenbodenmuskulatur. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass Pflegeheimbewohner eine gesonderte Population darstellen und Ergebnisse, die bei Untersuchungen von nicht institutionalisierten Personen gewonnen wurden, nicht immer auf die Heimbewohner übertragbar sind.

Die in dieser Untersuchung durchgeführte Analyse der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Bewohner, gemessen mit den Items der erweiterten Nortonskala nach Bienstein, brachten die interessantesten Befunde dieser Untersuchung hervor. Bereits in der bivariaten Analyse zeigten sich deutliche Assoziationen zwischen körperlichen und geistigen Fähigkeiten und einer Neuerkrankung an Harninkontinenz bzw. einer Remission. Zunächst wurde der Aufnahmezustand der Bewohner in Hinblick auf die körperliche Gesamtkonstitution, die Gehfähigkeit, die Bewegungsfähigkeit, den geistigen Zustand und die Bereitschaft der Bewohner, sich an ihrer Versorgung zu beteiligen, betrachtet. Dabei stellte sich heraus, dass gerade die Bewohner, die in ihren Fähigkeiten als „gut“ oder „kaum eingeschränkt“ eingestuft wurden, häufiger an Harninkontinenz erkrankten, als hypothetisch angenommen wurde. Diese Bewohner waren aber ebenso überrepräsentiert in der Gruppe der Geheilten. Durch die Bildung

von Variablen, die Veränderungen der körperlichen und geistigen Fähigkeiten aufzeigten, ließ sich erkennen, dass Bewohner, die sich in den Bereichen der körperlichen und geistigen Fähigkeiten verschlechterten, im Laufe der ersten sechs Monate nach Heimeintritt eine