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6.2 Explorativer Teil

6.2.2 Persönlichkeitsfragebogen

Da bisher eine Untersuchung mit einen Persönlichkeitsfragebogen an konventionellen Therapieverweigerern noch nicht durchgeführt wurde, handelt es sich um eine explorative Datenerhebung, bei der keine direkte Hypothese geprüft wird. Ziel ist es zu untersuchen, ob eine Persönlichkeitseigenschaft bei konventionellen Therapieverweigerern stärker oder schwächer ausgeprägt ist, verglichen mit einer Normstichprobe. Bei Auffälligkeiten könnte man dann eine mögliche „Risikopersönlichkeit“ definieren.

In Tabelle 11 werden die Testergebnisse des Studienkollektivs mit den Punktewerten der Normstichprobe verglichen. Die Standardabweichung wurde für das Studienkollektiv nicht berechnet, da die Stichprobenanzahl viel zu klein für ein verwertbares Ergebnis ist.

Auch die Wahrscheinlichkeitsverteilung der wahren Werte wurde aufgrund der geringen Patientenzahl nicht berechnet. Die Normstichprobe, die für einen Vergleich heran-gezogen wird, setzt sich aus n= 713 gesunden Frauen ≥50 Jahre zusammen. Die Testwerte der Normstichprobe wurden der zweiten Auflage des NEO-FFI Manuals entnommen (Borkenau und Ostendorf 2008).

Tabelle 11: Testwerte NEO-FFI im Vergleich (Studienkollektiv vs. Normstichprobe).

Kollektiv Neurotizismus Extraversion Offenheit für

Erfahrung

Verträglich-keit

Gewissenhaf-tigkeit

Mittel-wert SD

Mittel-wert SD

Mittel-wert SD

Mittel-wert SD Mittel-wert SD Studie

(n= 7)

18,4 - 29,5 - 28,1 - 34,3 - 34,4 -

Normstich-probe (n= 713)

21,8 7,8 27,1 6,2 30,0 6,1 32,1 4,9 33,1 5,6

Patientinnen die eine Therapie verweigerten waren weniger als die Vergleichsstichprobe

„nervös, ängstlich, traurig, unsicher und verlegen“ (Borkenau und Ostendorf 2008, S. 7).

Diese Eigenschaften werden durch den Neurotizismus beschrieben. Es kann die Hypothese generiert werden, dass Therapieverweigerer emotional stabiler sind. Bei dieser Eigenschaft zeigt sich die größte Differenz zwischen Studienergebnis und Norm-stichprobe. Patientinnen mit Mammakarzinom, die alternative Verfahren anwendeten, erzielten laut Fragebogen paradoxerweise einen geringeren Wert bei der Offenheit für Erfahrung. Sie haben somit eine geringere Wertschätzung für neue Erfahrungen, bevorzugen Abwechslung, sind weniger wissbegierig, kreativ, phantasievoll und

Diskussion

96 unabhängig in Ihrem Urteil als die Vergleichsstichprobe. Bei der Eigenschaft Extraversion wurden höhere Werte als in der Normstichprobe erzielt. Die Patienten-gruppe erzielte zudem höhere Werte bei der Verträglichkeit und der Gewissenhaftigkeit.

Den geringsten Unterschied zur Normstichprobe weist die Eigenschaft Extraversion auf.

Eine Risikopersönlichkeit kann nicht definiert werden. Aus der kleinen Stichprobe lassen sich lediglich mögliche Tendenzen ableiten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Patientinnen im Vergleich zur Normstichprobe beim Neurotizismus den größten Punkteunterschied aufwiesen.

Eine Studie die Mammakarzinompatientinnen die konventionelle Therapien verwei-gerten und komplementäre und alternative Therapien anwendeten untersucht, konnte als Vergleich nicht herangezogen werden. Deswegen werden hier Studien dargestellt, die Persönlichkeitsmerkmale bei Mammakarzinompatientinnen untersuchten. An n= 30 Mammakarzinompatientinnen wurde beobachtet, dass sie vergleichen zum Kontroll-kollektiv höhere Neurotizismuswerte und geringere Extraversionswerte im Eysenck-Persönlichkeits-Inventar aufwiesen. Der Effekt war nicht signifikant. Mamma-karzinompatientinnen wiesen signifikant höhere Psychotizismus Werte auf. Durch einige wenige Studien ist bisher beschrieben worden, dass verschiedene onkologische Therapien wie z.B. eine Operation einen signifikanten Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale haben können (García-Torres und Castillo-Mayén 2019). In einer Fall-Kontroll-Untersuchung mit einem Persönlichkeitsfragebogen (Eysenck-Persönlichkeits-Inventar) wurde an insgesamt n= 262 Mammakarzinompatientinnen beobachtet, dass diese eher extrovertiert OR= 1,7 [KI: 1,25-2,15], waren und eine instabilere Persönlichkeit (Psychotizismus) OR= 3,18 [KI: 1,77-4,91] aufwiesen, als die Kontrollgruppe n= 262. Das Ergebnis wird von den Autoren folgendermaßen bewertet: „The results of the self-assessment questionnaire suggested that the more frequent character traits mentioned were being concerned over everything, irritable, and perfectionistic, seeking to prevail over others, and being manipulative and oversensitive.“ (Dong und Jin 2018, S. 1239).

Eine andere Studie beobachtete, dass hohe Neurotizismuswerte und niedrige Veträglichkeitswerte im NEO-FFI- Persönlichkeitstest ein Jahr nach ED des Mamma-karzinoms mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an einer Depression zu erkranken, assoziiert waren (Den Oudsten et al. 2009). Eine dänische Studie n= 280 wendete den NEO-PI-R an, um Patientinnen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu identifizieren, die von einer Mindfulness-Based Stress Reduction eher profitieren. Man beobachtete, dass Patientinnen mit geringen Gewissenhaftigkeitswerten oder auch

97 Patientinnen mit hohen Neurotizismuswerten nach 12 Monaten durch die Mindfulness-Based Stress Reduction weniger verzweifelt waren (Jagielski et al. 2019).

In einer anderen Untersuchung zeigte sich keine Korrelation zwischen der Anwendung von komplementären und alternativen Therapien bei Mammakarzinompatientinnen und einem vermehrten Auftreten von Ängstlichkeit und Depression (Kalender et al. 2014). Es wurden Studien gefunden, die keinen Zusammenhang zwischen einer primären Brust-krebserkrankung und bestimmten Persönlichkeitseigenschaften beschreiben (Bleiker et al. 1996; Minami et al. 2015).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Mammakarzinompatientinnen im Eysenck-Persönlichkeits-Inventar höhere Neurotizismus-, Psychotizismus- und Extraversions-werte aufwiesen. Es ist demnach auffällig, dass im Studienkollektiv vergleichsweise niedrige Neurotiszismuswerte gefunden wurden.

Bei allen Studien, die für einen Vergleich der Persönlichkeitsmerkale herangezogen wurden, ist unklar wie repräsentativ die Stichproben waren, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, dass auf alle Mammakarzinompatientinnen bezogen werden kann.

Von einigen Spezialisten der Persönlichkeitsforschung wurde angedeutet, dass Ergebnisse des Persönlichkeitsfragebogens durch traumatische Lebensereignisse, wie Krebs beeinflusst werden können (García-Torres et al. 2016). Zudem könnten onkologische Therapien und Krankheitsstadien zu einer Veränderung der Persönlichkeit führen. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verzerrung der Daten vorliegt, weil nur Patientinnen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen einer Befragung zustimmen. Es ist somit unklar, inwieweit die eigenen Ergebnisse und die Literaturergebnise vergleich- und verwertbar sind. Aufgrund des kleinen Kollektivs meiner Studie, ist auch ein Zufallseffekt der vorliegen Ergebnisse nicht ausgeschlossen.

Weitere Studien sind nötig um mehr Erkenntinisse in diesem kaum erforschten Gebiet zu erlangen, in dem vermutlich ein großes Potential steckt.

Zusammenfassung

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7 Zusammenfassung

Der aktuelle Forschungstand von Mammakarzinompatientinnen die alternative und komplementäre Therapien anwenden und konventionelle Therapien ablehnten, ist lückenhaft.

Im retrospektiven Teil der Arbeit wurde eine Überlebenszeitanalyse bei 233 Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom durchgeführt, die komplementäre und alternative Therapien anwendeten und teilweise verschiedene konventionelle Therapien ablehnten. Die angewendeten alternativen und komplementären Therapien werden dargestellt, erläutert und bewertet. Alle 233 Patientinnen waren in der Fachklinik Dr. Herzog in Bad Salzhausen zwischen 1999 und 2013 in Behandlung. Im explorativen Teil führten wir ein Interview mit neun Mammakarzinompatientinnen, die alternative und komplementäre Therapien anwenden und partiell konventionelle Therapien ablehnten.

Davon füllten sieben Teilnehmerinnen einen Persönlichkeitsfragebogen aus. Ziel war es durch die Ergebnisse des Interviews Hintergründe der Therapieentscheidungen darzustellen. Durch den Persönlichkeitsfragebogen NEO-FFI sollte herausgearbeitet werden, ob konventionelle Therapieverweigerer markant ausgeprägte Persönlichkeits-merkmale aufweisen. Diese Patientinnen wurden zwischen 2017 und 2019 in der Fachklinik Dr. Herzog in Bad Salzhausen betreut.

Bei den nach Kaplan-Meier geschätzten Überlebenszeiten zeigten sich signifikant kürzere Überlebenszeiten bei Patientinnen die eine primäre Operation ablehnten. Die Gesamtüberlebenszeit der Operationsverweigerer war jedoch länger, als dies bisher in der Literatur beschrieben wurde. Das Gesamtkollektiv wies geringere Gesamt- und progressionsfreie Überlebenszeiten auf. Das Überleben ab Progression war ähnlich lang.

Die 5-Jahres-Überlebensrate ab Fernmetastasierung war minimal höher, verglichen mit Krebsregister- oder Literaturkollektiven.

Bis 31 primäre Operationsverweigerer (13 % des Gesamtkollektivs), die erste konven-tionelle Therapie nach der Erstdiagnose erhielten, vergingen im Median 18,5 Monate.

Durch das Interview wird aufgezeigt, dass in ärztlichen Gesprächen oft nicht auf komplementäre und alternative Behandlungen eingegangen wird, Patientinnen sich dies aber wünschten. Zudem fehlte bei den meisten ein zuverlässiger ärztlicher Ansprech-partner. Die Ablehnung einer konventionellen Therapie wurde von keiner Patientin

99 bereut. Eine konventionelle Therapie wurde größtenteils erst wieder im Stadium einer neu aufgetretenen Fernmetastasierung zugestimmt.

Beim NEO-FFI beobachteten wir in unserem Kollektiv vergleichsweise niedrige Neurotizismuswerte, obwohl bisher durch Studien beschrieben wurde, dass Mamma-karzinompatientinnen eher hohe Neurotizismuswerte aufweisen.

Bei den angewendeten alternativen und komplementären Therapien zeigte sich eine Vielzahl unterschiedlicher Behandlungen, die eine weite Spannbreite aufwiesen.

Zwischen komplementären Methoden mit ausreichenden Wirksamkeitsnachweisen bis hin zu alternativen Verfahren die nachweislich zu einer Schädigung der Patienten-gesundheit führen.

Als zukünftige Aufgabe sollte sich jeder Behandler der Herausforderung stellen, Patientinnen bezüglich alternativen und komplementären Therapien zu beraten, wenn der Bedarf bei der Patientin besteht. Dieser sollte aktiv im Erstgespräch erfragt werden.

Dadurch könnten auch konventionelle Therapieablehnungen mit drastischen Auswir-kungen auf die Überlebenszeit vermindert werden. Dass eine primäre Operation entscheidend für den Krankheitsverlauf ist, sollte jeder Patientin verdeutlicht werden.

Standardisierte Forschung im Bereich der komplementären Therapien sind für einheit-liche Behandlungsempfehlungen dringend nötig.

Summary

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8 Summary

The current state of research into breast cancer patients who use alternative and complementary therapies and refuse conventional therapies is incomplete.

In the retrospective part of this thesis, a survival time analysis was carried out on 233 patients with metastatic breast cancer who used complementary and alternative therapies and in some cases refused various conventional therapies. The alternative and complementary therapies used are presented, explained and evaluated. All 233 patients were treated in the Dr Herzog specialist clinic in Bad Salzhausen between 1999 and 2013. In the explorative part, we conduct an interview with nine breast cancer patients who use alternative and complementary therapies and who in part rejected conventional therapies. Seven of them completed a personality questionnaire. The aim was to use the results of the interview to illustrate the background of the decisions regarding therapies. The NEO-FFI personality questionnaire was designed to find out whether those who refuse conventional therapies have markedly distinctive personality traits.

These patients were looked after in the special hospital Dr Herzog in Bad Salzhausen between 2017 and 2019.

The estimated survival times according to Kaplan-Meier showed significantly shorter survival times for patients who turned down primary surgery. However, the overall survival time of those who declined surgery was longer than has been described in the literature up until now. The overall collective had lower overall and progression-free survival times. Survival from the point of progression was of a similar length. The 5-year survival rate from the point of distant metastasis was slightly higher compared to cancer registry or literature collectives.

For 31 primary patients declining surgery (13 % of the total collective), a median of 18,5 months elapsed until they received their first conventional therapy following initial diagnosis.

The interview shows that complementary and alternative treatments are often not dealt with in consultations with doctors, but patients would like them to be. In addition, most patients did not have a reliable medical contact. Not a single patient regretted declining conventional therapy. For the most part, conventional therapy was only consented to again during the stage of a new distant metastasis.

At the NEO-FFI, we observed comparatively low neuroticism values in our collective, although studies have so far described that breast cancer patients tend to display high neuroticism values.

101 The alternative and complementary therapies used revealed a multitude of different treatments which ranged widely: from complementary methods with sufficient evidence of efficacy to alternative methods that have been shown to damage patient health.

As a task for the future, every practitioner should take up the challenge of advising patients on alternative and complementary therapies if the patient requires this. This should be actively enquired about in the initial consultation. This could also reduce the rates of rejection of conventional treatment, with drastic effects on survival time. It should be made clear to every patient that a primary operation is crucial for determining the course of the disease.

Standardised research in the field of complementary therapies is urgently needed to ensure uniform treatment recommendations.

Abkürzungs-, Abbildungs-, Tabellenverzeichnis

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