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6.1 Retrospektiver Teil

6.1.7 Gesamtüberlebenszeit ab Erstdiagnose

Das Gesamtüberleben wurde unter Berücksichtigung der Untergruppen beobachtet. Bei allen Auswertungen ist das absolute Überleben dargestellt. Unabhängig von Unter-gruppen und Einflussfaktoren überlebten die 233 Patientinnen des Gesamtkollektivs im Median 8,5 Jahre. 85 Patientinnen (36,6 %) gingen als zensierte Daten in die Berech-nungen ein. Die restlichen 148 Patientinnen waren zum Studienende verstorben. Mit dem Kaplan-Meier-Verfahren wurden für das Studienkollektiv 5-, 10- und 15-Jahres-Überlebensraten von 76,3 %, 39,7 % und 21,9 %, geschätzt.

Das Tumorregister München beobachtete im Diagnosezeitraum 1998-2016 mit n= 45.200 eine 5-, 10- , und 15-Jahres-Überlebensrate von 80,6 %, 66,6 %, 55,7 %. Die von mir ermittelte 5-Jahres-Überlebensrate war geringfügig schlechter (76,3 % vs.

80,6 %). Die 10-Jahres-Überlebensrate fiel in meinem Kollektiv hingegen wesentlich schlechter aus (39,7 % vs. 66,6 %). Auch die 15-Jahres-Überlebensrate war in meinem Kollektiv geringer (21,9 % vs. 55,7 %) (Tumorregister München 2018). Das Zentrum für Krebsregisterdaten in Deutschland ermittelte für die Jahre 2013-2014 eine 5-Jahres-Überlebensrate von 79,0 % und eine 10-Jahres-5-Jahres-Überlebensrate von 66,0 % (Zentrum für Krebsregisterdaten 2017). Diese Ergebnisse zeigen ähnliche Überlebensraten wie die des Tumorregisters München.

In welchem Anteil konventionelle Therapieverweigerer (komplett oder teilweise) mit in die Daten der Tumorregister eingeschlossen wurden, kann nicht nachvollzogen werden. Es kann vermutet werden, dass der Anteil der Therapieverweigerer in Krebsregisterdaten weitaus geringer war, da sich besonders viele Therapieverweigerer unter den Anwendern der komplementären und alternativen Therapien befinden und meinem Kollektiv alle Patientinnen komplementäre und alternative Therapien erhielten.

Die deutlich kürzeren beobachteten 5-,10- und 15-Jahres-Überlebensraten könnten durch die sehr kurzen Überlebensraten der „Totalverweigerer“ erklärt werden.

Einfluss-Diskussion

80 möglichkeiten wie ein anderes Risikoprofil der Krebsregisterdaten, z. B. geringer Anteil primär M1, Altersunterschiede der Kollektive, Therapieregime etc., sind ebenfalls möglich. Zudem könnte die medizinische Versorgung von Patientinnen aus anderen Nationen von den Deutschen abweichen, so dass sich dies auch auf die Überlebenszeiten auswirkt. Bei dem hohen Anteil der zensierten Todesdaten (36,6 %), können Effekte verschleiert werden. Diese potentiellen Einflussfaktoren gelten auch für die Untersu-chungen nach Unterguppe.

Verglichen mit den Tumorregisterdaten lässt sich schlussfolgern, dass Patientinnen, die konventionelle Therapien verweigern, insgesamt ein schlechteres Gesamtüberleben aufweisen. Für einen exakten Vergleich der Überlebensraten zwischen Therapie-verweigerern und Anwendern der konventionellen und alternativen Therapien wäre eine groß angelegte Fall- Kontroll-Studie nötig. Anhand meiner Studie können lediglich Tendenzen aufgezeigt werden.

6.1.7.1 Gesamtüberlebenszeit nach Untergruppe

Im Studienkollektiv war die Untergruppe ein signifikanter Einflussfaktor der Gesamt-überlebenszeit (p= 0,000). Verglichen zu „Totalverweigerern“ hatten alle anderen Unter-gruppen ein signifikant (p= 0,000) geringeres Ereignisrisiko. Patientinnen der Gruppe

„Nur-OP“ wiesen mit einer HZR= 0,2 (p= 0,000) das geringste Ereignisrisiko auf. Zu beachten ist, dass keine Strukturgleichheit der Untergruppen vorlag und sich dies auf die Gesamtüberlebenszeiten auswirken kann. In folgendem werden die Ergebnisse getrennt nach Untergruppen diskutiert.

„Totalverweigerer“ können nur mit sehr wenigen Daten aus der Literatur verglichen werden. In einer Studie in der n= 185, die eine primäre Operation verweigerten, hatten 65,5 % lediglich eine Biopsie und 34,5% eine verspätete primäre Operation nach 5- 6 Monaten. Es zeigte sich eine 5-Jahres-Überlebensrate von 43,2 % (Joseph et al.

2012). Ohne eine primäre Operation überlebten n= 11 im Median 2,75 Jahre. Bei einer verspäteten Operation überlebten n= 15 im Median 4,8 Jahre. Mit verspäteter oder keiner primären Operation ergab sich eine Mediane Überlebenszeit von 3 Jahren (Han et al.

2011). Die Studie von (Rapp et al. 2019) fand bei n= 614 Patientinnen, die überhaupt keine konventionelle Therapie erhielten, eine 5,78fach höhere Mortalitätsrate. Bei Patientinnen n= 334, die eine Operation verweigerten aber andere konventionelle Therapien erhielten, eine 6,58fach höhere Mortalitätsrate. Spezifische Überlebenszeiten und Überlebensraten wurden vom Autor leider nicht veröffentlicht, um sie mit meinen Daten vergleichen zu können. Weitere präzise Vergleichsliteratur war nicht auffindbar.

81 In einer Studie mit n= 1.243 Mammakarzinompatientinnen, die mindestens eine konventionelle Therapie verweigerten (Operation, Radiatio, Chemotherapie, endokrine Therapie), zeigte sich eine deutlich verkürzte 5-Jahres-Überlebensrate von 45 %. Wie hoch der Anteil der Operationsverweigerer ist, wurde von den Autoren nicht erwähnt (Chen et al. 2015). Eine weitere Vergleichsmöglichkeit wären 5-Jahres-Überlebensraten von untherapierten Mammakarzinompatientinnen, die zwischen 15-40 % lagen (Verkooijen et al. 2005; Chang et al. 2006; Han et al. 2011; Johnstone et al. 2000;

Galmarini et al. 2015). Nur 5-10 % überlebten langer als 10 Jahre, ohne jegliche konventionelle Therapie (Bloom et al. 1962; Bloom 1964). Die mediane Überlebenszeit ohne jegliche konventionelle Therapie (aller Tumorstadien) ab den ersten Symptomen betrug 2,7 Jahre (Bloom 1964; Bloom et al. 1962).

Es wird deutlich, dass primäre Operationsverweigerer im Vergleich zu Patientinnen mit Operation eine deutlich schlechtere Prognose aufweisen. Die mediane Gesamt-überlebenszeit in meinem Kollektiv war länger, als in der oben genannten Literatur beschrieben (5,47 Jahre vs. 2,75-4,8 Jahre). Auch die 5-Jahres-Überlebensrate war in meinem Kollektiv der „Totalverweigerer“ länger als in der Studie von (Joseph et al. 2012) (51,2 % vs. 43,2 %). Die medianen Überlebenszeiten von untherapierten Mammakar-zinompatientinnen waren kürzer als die der „Totalverweigerer“.

Zahlreiche Prognosefaktoren und Therapieunterschiede wurden bei diesen pauschalen Studienvergleichen nicht berücksichtigt. Mögliche weitere Fehlerquellen eines Studien-vergleichs könnten sein, dass 11 Patientinnen (34,4 %) der „Totalverweigerer“ eine Verlaufsoperation erhielten, wobei davon n= 7 (63,6 %) zum Operationszeitpunkt Fernmetastasen aufwiesen und ein prognoseverbessernder Effekt, als sehr gering eingeschätzt werden kann. Die Verlaufsoperationsrate in den recherchierten Studien-kollektiven könnte anders sein. Überdies ist ein Vergleich nur mit wenigen Literatur-angaben möglich, so dass es schwierig ist, das eigene Ergebnis richtig einzuordnen.

Inwieweit eine anschließende konventionelle oder auch konventionelle und komple-mentäre Therapie die Gesamtüberlebenszeit beeinflusst, kann anhand dieser Daten nicht effektiv untersucht werden. Sicher ist, dass Patientinnen verdeutlicht werden soll, wie essentiell eine primäre Operation für eine längere Gesamtüberlebenszeit ist.

In der Gruppe „Nur OP“, n= 31 wurde eine adjuvante Therapie abgelehnt. Die 5-,10- und 15-Jahres-Überlebensraten waren mit 89,4 %, 61,5 % und 41,9 %, deutlich besser als in allen anderen Untergruppen. Die Mediane Überlebenszeit war mit 10,62 Jahren die Längste im Gruppenvergleich. Die Ereignisrisikorate lag verglichen mit

„Totalverwei-Diskussion

82 gerern“ bei einer HZR= 0,2. Die vergleichsweise lange Überlebenszeit könnte darauf zurückzuführen sein, dass ein höherer Anteil (67,7 %) der Patientinnen mit positiven Östrogenrezeptorstatus, verglichen zu den anderen Untergruppen, in das Kollektiv eingeschlossen wurde aufgrund einer abgelehnten adjuvanten endokrinen Therapie. Es ist bekannt, dass Patientinnen mit Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinomen eine bessere Prognose aufweisen.

Eine Studie, die den Effekt auf die Überlebenszeit an einem Patientenkollektiv untersucht, das irgendeine adjuvante Therapie verweigerte, wurde in der internationalen Literatur nicht gefunden. Deswegen wurde nach Studien gesucht die Überlebenszeiten einer abgelehnten oder abgebrochenen adjuvanten endokrinen- oder Chemotherapie untersuchen.

Ein adjuvanter endokriner Therapieabbruch n= 256 war bei Patientinnen <65 Jahren mit einem schlechteren Gesamtüberleben assoziiert, HZR= 2,76. Verglichen mit Patientinnen die eine adjuvante endokrine Therapie erhielten. Bei Patientinnen im Alter von 65-74 Jahren und >75 Jahren, die die endokrine Therapie nach einem Jahr abbrachen, fand man kein schlechteres Gesamtüberleben. Die Autoren empfehlen weitere alterspezifische Studien durchzuführen (van de Water et al. 2012). Bei älteren Mamma-karzinompatientinnen <75 Jahre n= 956, lehnten n= 18 eine empfohlene adjuvante Chemotherapie ab und n= 24 brachen sie ab. Überlebenszeiten wurden nicht veröffentlicht (Kaplan et al. 2013). Es gibt einige Studien die Patientencharakteristika von adjuvanten Therapieablehnern untersuchten, allerdings ist der Effekt auf die Gesamtüberlebenszeit kaum bis gar nicht untersucht.

Patientinnen mit „Leitliniengerechte Therapie“ n= 136 erhielten zu jedem Zeitpunkt eine konventionelle Therapie und zeitweise auch eine komplementäre Therapie. Die Gruppe „Leitliniengerechte Therapie“ wies verglichen mit den Gruppen „Nur-OP“ und

„Leitliniengerechte Therapie bis zum Rezidiv“ das höchste Ereignisrisko bezogen zu den

„Totalverweigerern“, auf (HZR= 0,33). Auch die 5-Jahres-Überlebensrate lag mit 79,3 % nur an zweiter Position im Gruppenvergleich. Während die 10- und 15-Jahres-Überlebensraten sehr gering waren, mit 39,2 % und 18,6 %. Die mediane Überlebenszeit war mit 8,67 Jahren die kürzeste nach den „Totalverweigerern“. Vermutlich ist dies der ungleich verteilten Risikofaktoren zuzuordnen, da man erwarten würde, dass die Gruppe

„Leitliniengerechte Therapie“ besser als die beiden Therapieverweigerer-Gruppen A2.1 und A3.2 abschneiden. Die Tumorcharakteristika (siehe Tabelle 2) der Gruppe „Leit-liniengerechte Therapie“ zeigen, dass besonders viele Patientinnen an einem G3,

83 Östrogenrezeptor-negativem und triple-negativen Karzinom erkrankt waren. In einer Studie mit n= 707 Patientinnen zeigte sich keine Assoziation zwischen absoluten Mortalitätsraten und krebsspezifischen Mortalitätsraten bei Anwendern der alternativen und komplementären Therapie (Neuhouser et al. 2016). Einzelne Studien, die den Effekt einer komplementären Therapie untersuchen gibt es für zahlreiche Behandlungen, hierauf wird aber in diesem Abschnitt nicht explizit eingegangen. Eine Übersichtsarbeit oder Studie, die Überlebenszeiten bei Anwendern der komplementären und alternativen Verfahren zusammenfassend darstellt, wurde nicht gefunden. Die Studienlage, in welchem Ausmaß komplementäre und alternative Verfahren Überlebenszeiten beeinflussen, ist weiterhin lückenhaft. Die beobachteten 5-,10- und 15- Jahres-Überlebenszeiten der Gruppe „Leitliniengerechte Therapie“ waren allerdings schlechter, verglichen mit den Krebsregisterdaten München (79,3 % vs. 80,6 %, 39,2 % vs. 66,6 %, 18,6 % vs. 55,7 %). Die Ursachen dafür sind anhand der vorliegenden Daten nicht eindeutig zu eruieren. Zu beachten ist, dass nicht bekannt ist wie hoch die Anzahl der primär und sekundär metastasierten Patientinnen im Krebsregisterkollektiv ist. Welche Überlebenszeit-Effekte eine komplementäre Therapie hat, sollte vorzugweise in groß angelegten methodisch hochqualitativen Studien dringend weiter untersucht werden.

Patientinnen der Gruppe „Leitliniengerechte Therapie bis zum Rezidiv“ lehnten eine konventionelle Therapie zeitweise bei einem Rezidiv oder bei fortschreitender Metastasierung ab. Es wurde auf Wunsch der Patientin eine alleinige alternative Therapie durchgeführt. Die beobachteten 5,-10- und 15-Jahres-Überlebensraten lagen bei 77,5 %, 50,7 % und 33,8 %. Verglichen mit Krebsregisterdaten war das Abschneiden des Gesamtüberlebens zu jedem Zeitpunkt schlechter. Studien, die den Effekt einer Therapieverweigerung bei einem Rezidiv oder bei Fernmetastasen bezüglich der Gesamtüberlebenszeit untersuchen, wurden nicht gefunden. Eine Einordung des beobachteten Effekts ist deshalb nicht möglich.

Insgesamt ist die bisherige Studienlage bezüglich unterschiedlichen Therapie-verweigerern mehr als lückenhaft. Die Verweigerung einer primären Operation ist bisher am besten untersucht, die Überlebensraten sind mit Abstand die geringsten. Insgesamt war es in Rahmen dieser Arbeit schwierig eine Therapieablehnung retrospektiv zu erfassen. Es ist möglich, dass eine Therapie in der Akte einfach nicht als abgelehnt dokumentiert wurde und diese dann retrospektiv nicht als „abgelehnt“ erfasst werden konnte. Vermutlich ist dies auch ein Grund warum bisher wenige Studien vorliegen.

Zudem war es schwierig die eigenen Ergebnisse mit Studiendaten zu vergleichen, da fast

Diskussion

84 keine Daten vorlagen und wenn doch, keine identischen Studienkollektive verglichen werden konnten. Somit konnten immer nur Tendenzen aufgezeigt werden. Patientinnen sollten über potentielle lebenszeitverkürzende Entscheidungen aufgeklärt werden, sofern dies mit aktuellen Zahlen möglich ist. Deswegen sind zukünftige Studien nach evidenzbasierten Richtlinien nötig, um den Effekt einer Therapieablehnung adäquat untersuchen zu können.