• Keine Ergebnisse gefunden

2. Literaturübersicht

2.3 Mikroorganismen im Wurzelkanalsystem

2.3.2 Pathomechanismen

Sobald eine infizierte, devitale Pulpa beginnt, sich zu zersetzen, verändert sich auch das Wurzelkanalmilieu. Mit der Zeit kristallisieren sich dann spezielle Selektionsbedingungen heraus, die das Wachstum und die Besiedelung des Wurzelkanals mit weiteren Bakterien beeinflussen und dadurch den Ausbruch eines akuten Infektionensgeschehens begünstigen.

Diese Selektionsbedingungen betreffen die Populationsdichte, den Sauerstoffgehalt und das Redoxpotential, den pH-Wert, die Temperatur sowie das eingeschränkte Nahrungsangebot und bewirken, dass nur noch diejenigen Mikroorganismen fortbestehen können, die über eine ausgezeichnete Anpassungsfähigkeit verfügen. Die meisten oralen Mikroorganismen, die in nekrotisches Pulpagewebe eindringen, sind opportunistische Pathogene [144]. Anfangs, wenn noch genügend Nahrung vorhanden ist, können die Mikroorganismen leicht überleben, zumal die Immunreaktion des Wirtsorganismus im Wurzelkanal, anders als bei Entzündungen im periapikalen Gewebe, nur in einer eingeschränkten Form existiert und die Mikroflora in einer nekrotischen Pulpa nicht in direkten Kontakt mit den körpereigenen Immunzellen tritt [123].

Die anspruchsloseren Spezies unter den involvierten Mikroorganismen können ihre Nährstoffe direkt von Serumproteinen aus der Gewebeflüssigkeit oder von losen Geweberesten beziehen. Andere Bakterien wiederum verstoffwechseln mithilfe ihrer proteolytischen Enzymaktivität Aminosäuren und einfache Peptide, die sie aus den Serum-Glykoproteinen selbst herstellen können. Je länger eine Infektion anhält, insbesondere dann, wenn sie einen Zeitraum von drei und mehr Monaten überschreitet, desto mehr der vorhandenen Sauerstoffreserven werden verbraucht und das Redoxpotential nimmt ab.

Stoffwechselprodukte wie Kohlendioxid, Ammoniak und Wasserstoff, die nicht weiterverarbeitet werden, reichern sich im Wurzelkanal an, bis sie schließlich für manche Bakterien eine toxische Grenze überschreiten. Andere Bakterien wiederum sind essentiell auf diese Gase angewiesen, da sie deren Funktion als Elektronendonatoren und -akzeptoren nutzen. Als weiterer wichtiger ökologischer Faktor sind die Bacteriocine zu nennen, die es

den Bakterien ermöglichen, andere konkurrierende Bakterien auszuschalten. So setzen Streptokokken Wasserstoffperoxid ein, um viele anaerobe Bakterien in ihrem Wachstum zu hemmen [144,174,175]. Daraus resultiert eine verminderte Anzahl an verschiedenen Bakterienarten. Gleichzeitig wechselt der Bakterientyp von vormals aeroben zu fakultativ anaeroben Spezies wie Streptokokken, Enterokokken, Lactobazillen und Pilzen, allen voran Enterococcus faecalis und Candida albicans. Die fakultativ anaeroben Bakterien begünstigen ihrerseits wieder die Überlebenschancen für die obligat anaeroben Bakterienarten im Wurzelkanal, da sie gegenüber Veränderungen des Umgebungsmilieus unempfindlicher sind und ein Redoxpotential für Sauerstoff besitzen. Sie sind jedoch nicht Voraussetzung für das Überleben der anaeroben Bakterien. Je mehr Bakterienarten kombiniert werden, desto höher ist die Überlebensrate der Gesamtflora [48,96,138,149,173]. Für Enterococcus faecalis, Porphyromonas endodontalis und Peptostreptococcus micros kann eine typische 2-Wochen-Überlebenskurve aufgestellt werden [118]. E.faecalis zerstört das periapikale Gewebe entweder selbst oder induziert eine körpereigene Abwehrreaktion des Wirtes durch Stimulation der Leukozyten, Lymphozyten, Monozyten und Makrophagen [72,173].

Als typische Lebensform beobachtet man charakteristische, unstrukturierte Aggregate von einem oder mehreren Mikroorganismen, die sich vorrangig aufgrund der Ernährungslage bilden. Man spricht hier von der Ausbildung eines Biofilms, wofür insbesondere Gelatinasen essentiell benötigt werden [140]. Ein Biofilm ist ganz allgemein definiert als eine mikrobielle Gemeinschaft von Zellen (15 %), die mit einer Oberfläche in Verbindung steht und in eine amorphe Matrix (85 % der Gesamtmasse) aus extrazellulären, anionischen Polysacchariden, den Glukanen, und Teichonsäuren eingebettet ist [32,105]. Innerhalb dieses Biofilms befinden sich die aeroben Bakterientypen eher in den oberflächlichen Schichten, während in den tieferen Schichten vor allem die anaeroben Bakterien leben, so dass insgesamt eine metabolische Heterogenität herrscht. Das Bakterienwachstum findet nur mit gedrosselter Geschwindigkeit statt und auch veränderte Wachstumsphenotypen können gelegentlich vorkommen. Zwischen den Mikroorganismen existieren sowohl positive als auch negative Wechselbeziehungen. Die synergetisch wirksamen Mechanismen beruhen zum einen auf Schutzreaktionen gegen Phagozytose durch die Schädigung der Leukozyten und zum anderen auf der Basis des aufeinander abgestimmten Nährstoffwechsels der involvierten Bakterien, vor allem hinsichtlich des Eisenbedarfs. Spezielle Enzyme, die in der Lage sind, Plasmaproteine wie die Immunglobuline und Komplementfaktoren zu inaktivieren, unterstützen das Eindringen der Bakterien, indem sie die Abwehrmechanismen des Wirtes

schwächen [171,177]. Synergetische Verbindungen bestehen zwischen Fusobacterium nucleatum und Peptostreptococcus micros sowie Porphyromonas endodontalis. Außerdem leben Prevotella intermedia, Peptostreptococcus anaerobius, Peptostreptococcus micros und Eubakterien zusammen. Ähnlich verhält es sich bei Actinomyceten und Propionibakterien, die insbesondere bei extraradikulären Entzündungen vorherrschen [32,116,152,174].

Nach der Kontamination des Wurzelkanals besiedeln die Bakterien die Dentinwände, indem sie an die mineralischen Bestandteile des Dentins und das ortsständige Kollagen binden. Im weiteren Verlauf penetrieren sie auch die Dentinkanälchen, wo sie vor den endodontischen Aufbereitungsmaßnahmen und Medikamenten bis zu einem gewissen Grad geschützt sind [72]. Die Bakterienbesiedelung der Dentinkanälchen ist in vitalen Zähnen weniger ausgeprägt als in avitalen Zähnen, da in vitalen Zähnen zum einen die Odontoblastenfortsätze, unterstützt durch Kollagenfasern, eine physikalische Barriere gegen eindringende Bakterien bilden, und zum anderen der Fluss des Dentinliquors durch den intrapulpalen Druck von der Pulpa weg Richtung Peripherie gelenkt wird. In avitalen Zähnen degenerieren die Odontoblastenfortsätze und der Dentinliquor versiegt [98,178]. Zudem findet eine physiologische Sklerosierung des Dentins statt, beginnend an der Wurzelspitze, die eine Besiedelung mit Bakterien verhindern kann. Pathologische externe Wurzelresorptionen können hingegen die Bakterieninvasion durch Diffusionskräfte zusätzlich anregen [49,60,89,89-91,150].

Im Rahmen einer Wurzelkanalinfektion können die Mikroorganismen jedoch auch bis in das periapikale Gewebe absteigen. Eine apikale Parodontitis ist demzufolge immer mit einer Infektion des Wurzelkanals verbunden [175]. Haben die Mikroorganismen oder ihre Stoffwechselprodukte erst einmal das periradikuläre Gewebe angegriffen, kommt es zu einer Gewebeschädigung, die direkter oder indirekter Natur sein kann. Zu den direkten Faktoren zählen diesbezüglich Enzyme, Exotoxine und Metaboliten der Mikroorganismen. Als indirekter Faktor ist zum Beispiel die Gewebezerstörung durch die Immunreaktion selbst mit der Konsequenz der Pusbildung zu nennen [144]. Klinisch kann sich dieses Krankheitsbild in Form von Schmerzen, Schwellung, Fistelbildung und fauligem Atemgeruch äußern [101,159].

Die zunehmende Größe einer periapikalen Läsion korreliert zudem mit einer wachsenden Anzahl von Bakterien und einer größeren Artenvielfalt [174]. Weiterhin konnten Siqueira et al. [157] anhand einer umfangreichen Untersuchung mittels Polymerasekettenreaktion und Gelelektrophorese einen Unterschied in der Anzahl und der Zusammensetzung der Bakterienarten bei symptomatischen (zwölf Bakterienspezies) und asymptomatischen

(sieben Bakterienspezies) Wurzelkanalinfektionen nachweisen. Einen bestimmten Schlüsselpathoorganismus scheint es jedoch nicht zu geben. Allerdings können desöfteren charakteristische Bakterienkombinationen beobachtet werden. Zum Beispiel sind Fusobakterien sowie Porphyromonas endodontalis und Porphyromonas gingivalis an der Entstehung von symptomatischen Pulpaerkrankungen und akuten Abszessen beteiligt.

Schwarz-pigmentierte, anaerobe Bakterien, insbesondere Prevotella intermedia, werden mit symptomatischen Infektionen in Verbindung gebracht [123,156,195].

Die Infektiösität der Mikroorganismen kann jedoch nicht mit ihrer Pathogenität gleichgesetzt werden. Sie hängt in erster Linie ab von der Virulenz und Anzahl der ursächlichen Bakterien sowie von den Umgebungsbedingungen [2]. Als Einflussfaktoren fungieren die Expression von Virulenzgenen durch die Mikroorganismen und die Immunitätslage des Wirtsorganismus, welche insbesondere bei Kindern und alten Menschen schwächer ausgeprägt ist. Bestimmte Erkrankungen und die regelmäßige Einnahme immunsuppressiver Medikamente verschlechtern die Situation ebenfalls, so dass dann auch Heilungsprozesse bei periapikalen Läsionen viel länger dauern können [144]. Wenn eine Bakteriengemeinschaft zu einem Zeitpunkt mit reduzierter Abwehrlage des Wirtsorganismus eine ausreichende Anzahl und Pathogenität erreicht, kann eine akute Entzündungsreaktion ausgelöst werden. Werden von ein- und demselben Bakterienstamm sowohl symptomatische als auch asymptomatische Infektionen verursacht, hat man es vermutlich mit Zellklonen verschiedener Virulenz oder mit synergetischen und antagonistischen Beziehungen zu anderen Bakterien zu tun. Zudem exprimieren einige Pathogene nicht ununterbrochen ihre Virulenzfaktoren, sondern nur dann, wenn sie durch veränderte Umgebungsbedingungen einer Stresssituation ausgesetzt sind.

Auch neue Bakterienarten können hinzugekommen sein [145,206].