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Partizipative Zusammenarbeit und Öffnungsprozess

Im Dokument Maßstab Menschenrechte (Seite 87-90)

In vielen akademischen Kontexten wird zu gesell-schaftlichen Machtverhältnissen und Lebenslagen marginalisierter Personen geforscht. Allerdings sind in diesen Institutionen häufig nur sehr wenige von rassistischen Diskriminierungen betroffene Personen in hohen Positionen beschäftigt. Die eigentlichen Quellen der Wissensbestände wer-den häufig nicht wahrgenommen, stattdessen profitieren privilegierte Personen von diesen Strukturen, etwa in Form von akademischen Graden, Bekanntheit und qualitativ besseren Forschungsergebnissen.

Auch das DIMR arbeitet in seiner Funktion als Nationale Menschenrechtsinstitution selbstver-ständlich seit vielen Jahren zu verschiedenen gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Diskriminierungsschutz, so auch zu den The-menbereichen rassistische Gewalt, Flucht und Asyl. Gleichzeitig beschäftigt es deutlich weniger Personen mit eigener Flucht- und Rassismuserfah-rung als es dem gesellschaftlichen Durchschnitt entspräche. Das führt dazu, dass vor allem aus privilegierter Perspektive über Lebenslagen von marginalisierten Personen geforscht und kom-muniziert wird, die wichtigsten Perspektiven aber nicht strukturell in die Institution eingebunden sind. In Bezug auf Rassismus macht sich das DIMR, wie Institutionen in Deutschland grundsätz-lich, unbeabsichtigt kolonial geprägte Strukturen zunutze, mit der Konsequenz, dass Personen mit Rassismuserfahrung nur wenige Möglichkeiten haben, von ihrem eigenen Wissen zu profitieren.

Es ist wichtig und notwendig, dass privilegierte Mitarbeitende innerhalb ihres Arbeitsbereichs verantwortungsvoll mit ihrer Position umge-hen und beispielsweise in Publikationen, bei

Interviewanfragen oder Podiumsbesetzungen auf Selbstorganisationen verweisen. Solange aber keine echte institutionelle Einbindung von margi-nalisierten Perspektiven erfolgt, bleibt die Macht der Wissensproduktion wie auch der Wissensver-breitung grundsätzlich bei weißen Akteur_innen und Institutionen. Am Beispiel des Instituts, als Nationale Menschenrechtsinstitution mit dem entsprechenden Mandat, wird dies etwa durch die Auswahl und damit verbunden durch die politi-sche und gesellschaftliche Wahrnehmung und Bewertung der menschenrechtlichen Relevanz von Themen deutlich. In diesem Kontext ist es nicht verwunderlich, dass marginalisierte Gruppen Institutionen wie das DIMR nur bedingt vertrauen, Themen so aufzugreifen, dass sie die eigenen Lebensrealitäten widerspiegeln und Interessens-lagen berücksichtigen. Mehr noch, es gibt immer weniger Bereitschaft, eigenes Wissen weiterhin ohne erkennbaren eigenen Nutzen, angemessene Kompensation und ohne Einfluss auf Projekte und Forschung an weiße Institutionen abzugeben.

Daraus leiten sich unmittelbar die Fragen ab, was unter diesen Umständen ein Projekt sowie die durchführende Institution leisten muss, um faire, inklusive und partizipative Zusammenarbeit zu gewährleisten, und wie verlorenes Vertrauen in die Institution (wieder)hergestellt werden kann.

Dazu sollte in einem ersten Schritt Bewusstsein geschaffen werden für strukturelle Benachteili-gung und ausschließende Machtstrukturen, begin-nend bei sich selbst und der eigenen Institution.

Die Sensibilität einzelner Mitarbeiter_innen für diese Strukturen reicht allerdings nicht aus. Es ist notwendig, das Selbstverständnis und die Grund-strukturen der Institution hinsichtlich offener und subtiler Ausschlussmechanismen im Hinblick auf ihre machtstabilisierende Funktion zu hinterfra-gen und kritisch zu reflektieren. Vertrauen in die Institution kann nur hergestellt werden, wenn ein produktiver und verantwortungsvoller Umgang mit Macht und Privilegien auf allen Ebenen erfolgt und sich dieser umfassend in den Strukturen, Abläufen und Personalentwicklung der Institution abzeichnet.

Verantwortungsübernahme

Was bedeutet das konkret für die Umsetzung von Projekten zu den Themen Rassismus und Flucht?

Ein wichtiger Aspekt wäre beispielsweise das frühzeitige Einbeziehen von Kooperationspartner_

innen unter angemessener Bezahlung bereits in der Phase der Antragsstellung von Projekten. Hier können Institutionen, die mit finanziellen Mitteln ausgestattet sind, einen Ausgleich schaffen und kooperierenden Selbstorganisationen und Initiati-ven auch in Phasen der Antragstellung die ansons-ten ehrenamtlich geleistete Arbeit vergüansons-ten. So können die verschiedenen Interessenlagen bei der Ausgestaltung des Projekts berücksichtigt werden und darüber hinaus wird sichergestellt, dass das Wissen und die Expertise von Menschen mit Flucht- und Rassismuserfahrung durch Teilhabe an allen Entscheidungsprozessen von Anfang an angemes-sen einfließt. Wichtig ist dabei, dass im Rahmen der Projektdurchführung alle Prozesse und Entschei-dungen transparent gemacht und die Kriterien für die Zusammenarbeit durch inklusive Beteiligungs-prozesse gemeinsam herausgearbeitet werden.

Organisatorische Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das Bereitstellen von Sprachmittler_innen, Arbeitsmittel und Räumen zur Vernetzung, sollten gegeben sein. Im Sinne von Power-Sharing kann die gemeinsame Projektarbeit somit auch einen Nutzen für Selbstorganisationen haben, der über den reinen Nutzen des Projekts hinausgeht. Anzu-streben ist eine langfristige Zusammenarbeit, von der alle beteiligten Akteur_innen profitieren. Dazu gehört es auch, stark formalisierte Beteiligungsfor-mate wie etwa Beiratssitzungen zu überdenken und tatsächlichen Bedarfen anzupassen. Für diese Form der Zusammenarbeit sind die entsprechenden zeitlichen und finanziellen Ressourcen einzuplanen und gegebenenfalls gegenüber Drittmittelgebern zu kommunizieren.

Es müssen Konsequenzen daraus gezogen wer-den, institutionalisierte benachteiligende Struk-turen maßgeblich und konsequent zu ändern, anstatt sie mit stillem Einverständnis zu reprodu-zieren. Das betrifft beispielsweise gängige Ein-stellungspraxen, die zur Erhaltung des Status Quo beitragen. So erfolgen Einstellungen oftmals in Abhängigkeit bestimmter Kriterien wie Qualifika-tion und Arbeitserfahrung, die in vielen Fällen ein Einstellungshindernis für strukturell benachteiligte Menschen darstellen. Solche Einstellungspraxen legen nahe, dass die Benachteiligung denjenigen angelastet wird, die selbst strukturelle Benach-teiligung erfahren. Stattdessen könnten etwa die

harten Einstellungskriterien so angepasst werden, dass das Wissen von Menschen mit Rassismuser-fahrungen als Qualifikation anerkannt wird.

Dazu kommen gängige Verwaltungsvorgaben oder -praktiken, durch die weitere Ausschlüsse etwa für Personen ohne Bankverbindung oder in Deutsch-land anerkannte Ausbildungen entstehen. Auch sollte beispielsweise bei der Einladung zu Veran-staltungen sichergestellt werden, dass notwendige Reisebuchungen selbstverständlich durch die Institution durchgeführt werden können, sodass Personen nicht in Vorkasse treten müssen und auch das Risiko einer möglichen Erkrankung oder anderer Gründe, die zur Nichtteilnahme führen, bei der Institution liegt.

Verstärkt Mitarbeiter_innen mit Rassismus- und/

oder Fluchterfahrung einzustellen, ist jedoch nicht die alleinige Lösung zum Ausgleich von struk-tureller Ungleichheit. Darüber hinaus sollte die Einstellung marginalisierter Personen dazu führen, dass sich die Art und Weise der Themensetzung ändert, mit der die Institution an sich arbeitet. Mit-arbeiter_innen sollten dafür mit Gestaltungs- und Entscheidungsmacht ausgestattet werden. Ebenso wichtig ist es, dass die Verantwortung über Öffnungs- und Sensibilisierungsprozesse insbe-sondere bei denjenigen liegt, die von rassistischen Strukturen profitieren, anstatt sie auf Kosten der benachteiligten Mitarbeiter_innen durchzuführen.

So liegt es beispielsweise in der Verantwortung aller Mitarbeiter_innen, auf die Reproduktion von

78 Unter der Bezeichnung „geschützter Raum“ für Menschen mit Rassismuserfahrungen ist in diesem Zusammenhang ein exklusiver, vor weiterer rassistischer Diskriminierung sicherer Ort zu verstehen. Geschützte Räume werden beispielsweise zur Thematisierung eigener Erfahrungen, zum Austausch von Strategien, zur Selbstreflexion und zum gegenseitigen Empowern genutzt.

rassistischen Stereotypen und Praxen hinzuwei-sen und nicht (nur) in der Verantwortung derer, die davon betroffen sind. Auf institutioneller Ebene sind das Implementieren und Etablieren von Beschwerdemanagement, Schutzmechanis-men sowie „geschützten“ RäuSchutzmechanis-men78 , ebenso wie Ansprechpartner_innen, Supervision für rassis-musbetroffene Mitarbeiter_innen, notwendige und wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz vor Diskri-minierung am Arbeitsplatz und zur Gewährleistung eines geschützten Arbeitsumfelds.

Diese Öffnungs- und Inklusionsprozesse sind zeit- und teilweise auch kostenintensiv und benötigen zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen.

Es bedarf daher einer tatsächlichen und ernst-haften Bereitschaft zur Änderung und Reflexion sowie der Bereitschaft für eine Verantwortungs-übernahme durch diejenigen, die institutionelle Strukturen (re-)produzieren.

Die Dokumentation dieses Prozesses machen Erfahrungen und Ergebnisse nachhaltig für die gesamte Institution nutzbar. Auch das DIMR möchte durch die Offenlegung und Reflexion dieses durch die kritischen Rückmeldungen von außen angestoßenen – und fortzuführenden – Pro-zess anderen weißen Institutionen Hinweise und Anregungen zur Verfügung stellen, eigene Struktu-ren zu reflektieStruktu-ren und zu verändern. Wir bedan-ken uns für die Deutlichkeit, mit der die kritischen Rückmeldungen an das Projekt und das Institut herangetragen wurden.

Im Dokument Maßstab Menschenrechte (Seite 87-90)