• Keine Ergebnisse gefunden

Der Papst als neuer Aeneas

Rom als ›caput mundi‹ und die Herrschaftsansprüche der Päpste in der Frühen Neuzeit

Der Prozess der Zentrenbildung im frühneuzeitlichen Europa ist bekannt-lich komplex – ganz gleich aus welcher Perspektive er betrachtet wird. Dabei konvergierten politische, wirtschaftliche und künstlerische Zentren nur sel-ten. Vielmehr bildete die Politik eine andere Topografie heraus als die Wirt-schaft. Selbst die Zentrenbildung in der Kunst folgte häufig einer eigenen Lo-gik, auch wenn Zentren der Kunst auf jene der Wirtschaft und Politik wech-selseitig angewiesen waren. Rom stellte in diesem Prozess in vieler Hinsicht eine Ausnahme dar. Als Zentrum der katholischen Kirche und des Kirchen-staates hatte es eine fast überzeitlich zu nennende, herausgehobene Stellung inne, die der Stadt eine Anziehungskraft verlieh, welche in Europa ihresglei-chen suchte. Diese ließ sich vor allem auf die antike Autorität des Ortes zu-rückführen: als Stadt der Kaiser und Apostel war sie Kulminationspunkt der heidnischen und christlichen Geschichte und stand im Fluchtpunkt Europas, weil sie sich als politischer und kultureller Ursprung des modernen Europa und Mittelpunkt der Christenheit verstand und damit den Anspruch verband, auch in nachantiker Zeit ›caput mundi‹ zu sein. Von Padua bis Bamberg legi-timierten sich mittelalterliche Städte frei nach dem Vorbild Konstantinopels als zweites Rom, als Ableger und Kopie, ein Unterfangen, das dem »Origi-nal am Tiber« nur noch größere Autorität verlieh, und dies gerade nicht auf-grund der Macht einzelner Päpste, sondern trotz deren Ohnmacht. Zwar war die Autorität des Papstes als Oberhaupt der christlichen Kirche von beson-derer Strahlkraft, doch würde man es sich zu einfach machen zu glauben, Rom verdanke seine Anziehungskraft bis ins 18. Jahrhundert hinein allein der Verbindung von antiker und katholischer Autorität.

Gérard Labrot hat die Mechanismen untersucht, die das Bild vom Rom als ›caput mundi‹ über eine so lange Zeit haben wirksam sein lassen, und hat zeigen können, von welch großer Bedeutung hierfür die Zeit der katho-lischen Reform und ihrer Konsolidierung im Zeitraum zwischen der Wahl Pauls III. Farnese im Jahr 1534 und dem Tod Alexanders VII. Chigi 1667 gewesen ist. In dieser Zeit wandelte sich die vom Sacco di Roma 1527 in ih-ren Grundfesten erschütterte Stadt, stieg wie ein Phönix aus der Asche und wurde zu einem neuen Zentrum der Christenheit, das Menschen aus allen

Nationen Europas wie ein Magnet anzog1. Dieser Prozess war nicht zuletzt an die Neuinszenierung geschichtsträchtiger und heiliger Orte innerhalb der Stadt gebunden, von denen Rom besonders viele vorzuweisen hatte und hat2. Die auf diese Weise erfahrbar gemachte Autorität dieser Orte begünstigte die besondere Anziehungskraft der Stadt in Europa und verschaffte ihr eine Sonderstellung, die sie wiederum zu einem Modell auch für andere Zentren wie allen voran Paris und Wien werden ließ3.

Die Betonung der geschichtsträchtigen Orte mag in Rom als eine nahe-liegende, vielleicht sogar selbstverständliche Strategie erscheinen. In der Tat zeugten in kaum einer anderen Stadt die materiellen Reste von Antike und Christentum von der antiken Geschichte, deren Bedeutung für den translatio imperii-Gedanken der Päpste wie der Kaiser nicht hoch genug eingeschätzt werden kann4. Doch es wäre ein Trugschluss zu glauben, die materielle Prä-senz allein habe genügt, die Legitimation der Päpste und der römisch-katho-lischen Kirche über die Jahrhunderte zu sichern. Hatten die Päpste der Re-naissance noch vornehmlich ihre antike Autorität zur Schau gestellt, erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Hof des Belvedere mit seinen antiken Statuen, den Julius II. im Vatikan errichten ließ5, so mussten die Päpste der katholischen Reform und die neu gegründeten Orden ein verändertes Begrün-dungsmodell ersinnen, denn der Verweis auf die heidnische Antike allein konnte ihre Autorität nicht mehr länger untermauern6. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, diese sogar zu verlieren. Gleichwohl wäre es viel zu kurz gegriffen zu glauben, die Päpste hätten sich allein auf ihre Glaubensautorität und auf die Restaurierungen von frühchristlichen Kirchenbauten beschränkt.

Obgleich die weltliche Autorität des Papstes als Fürst des Kirchenstaates seit Paul III. von dem eigens hierfür ernannten Kardinalnepoten ausgeübt wurde, ein – wie Wolfgang Reinhard gezeigt hat – geschickter Schachzug,

1 Gérard LABROT, Roma caput mundi. L’immagine barocca della città santa 1534−1677, Napoli 1997.

2 Vgl. hierzu vor allem die zahlreichen Restaurierungscampagnen frühchristlicher Kirchen und die hierbei hervorgehobenen Kultstätten.

3 Vgl. hierzu zuletzt: Dietrich ERBEN, Paris und Rom. Die staatlich gelenkten Kunstbeziehungen unter Ludwig XIV., Berlin 2004; zur Stadtplanung vgl. Peter STEPHAN, Rom unter Sixtus V.

Stadtplanung als Vergegenwärtigung von Heilsgeschichte, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 72 (2009), S. 165–214; Dorothy METZGER HABEL; The urban development of Rome in the age of Alexander VII, Cambridge 2002.

4 Gérard LABROT, Roma caput mundi. L’immagine barocca della città santa 1534–1677, Napoli 1997.

5 Vgl. z.B. Hans Henrik BRUMMER, On the Julian program of the Cortile delle Statue in the Vati-can Belvedere, in: Matthias WINNER (Hg.), Il Cortile delle Statue − der Statuenhof des Belvedere im Vatikan, Mainz 1998, S. 67–76.

6 Vgl. hierzu z.B.: Volker REINHARDT, Moses und der Gekreuzigte. Zur Funktion päpstlicher Kunstbeauftragung und Selbstdarstellung unter Julius II. und Urban VIII., in: August BUCK

(Hg.), Höfischer Humanismus, Weinheim 1989, S. 133–160.

um das Bild des Papstes als Oberhaupt der katholischen Kirche und »padre comune« der katholischen Fürsten nicht zu gefährden7, war der Anspruch der Päpste, auch als weltliche Fürsten wahrgenommen zu werden, keineswegs erloschen. Hierzu bedurfte es jedoch neuer Bilder. Nicht der Rekurs auf die antiken Kaiser stand nunmehr im Vordergrund, sondern die Rückbesinnung auf eine der bedeutendsten Gründungslegenden Europas: der Aeneis des rö-mischen Dichters Vergil. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die kom-plexe und in ganz Europa weit verbreitete Rezeption der Aeneis auch nur an-deutend zu referieren. Sie war das wichtigste Modell sowohl mittelalterlicher als auch frühneuzeitlicher Epen, ihr Held Aeneas diente unzähligen Kriegern als Exemplum8. Dennoch gehört der Bezug auf den Helden und dessen Irr-fahrten nicht so sehr zum Standardrepertoire europäischer Fürsten, wie es vielleicht zu vermuten wäre. In Rom lag der Rekurs auf Aeneas naturgemäß nahe, doch seine direkte Inanspruchnahme lässt sich in den monumentalen Bildprogrammen Roms erst seit der Mitte der Renaissance beobachten. Wie im Folgenden gezeigt wird, avancierte die Aeneis insbesondere in der bild-lichen Repräsentation der Päpste zu einem Modell, mithilfe dessen sie ih-ren weltlichen Herrschaftsanspruch zum Ausdruck brachten. Dabei lag der Tenor nur noch zum Teil auf dem vorbildlichen Helden Aeneas, nicht selten wurde Aeneas auch als Gründerfigur verstanden und mit einem aus der Ge-schichte des Ortes abgeleiteten Herrschaftsanspruch Roms als zweites Troja verwoben. Der Anspruch allein hätte wohl kaum eine Wirkung gezeigt. Erst seine entsprechende Umsetzung in die Malerei und Plastik und die mit diesen Künsten verbundenen ästhetischen Konzepte haben es vermocht, Aufmerk-samkeit auch in anderen Machtzentren, wie in Wien und Paris, zu erregen und den Mythos zu aktualisieren.

Bereits in der Renaissance lässt sich eine, wenn auch stark assoziative Pa-rallelisierung der römischen Kirche mit dem Mythos Roms als neuem Troja beobachten. In Raffaels Fresko des Borgobrandes in der Stanza dell’Incendio des Vatikans (vgl. Abb. 1)wird dem Brand im Vordergrund der segnende

7 Wolfgang REINHARD, Nepotismus. Zum Funktionswandel einer papstgeschichtlichen Konstan-te, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 86 (1975), S. 145–185.

8 Zu den Vergildeutungen vgl. Craig KALLENDORF, In Praise of Aeneas. Virgil and Epideictic Rhetoric in the Early Renaissance, Hanover / London 1989; ders., Vergil and the myth of Ven-ice. Books and Readers in the Italian Renaissance, Oxford 1999 und ders., Virgil’s post-classi-cal legacy, in: The Virgilian tradition: book history and the history of reading in early modern Europe, Aldershot u.a. 2007, S. IV, 574−587. In der Malerei vgl. beispielsweise: Keith CHRIS

-TIANSEN, Dosso Dossi’s Aeneas frieze for Alfonso d’Este’s »camerino«, in: Apollo 151 (2000), S. 36–45; Michael JAFFÉ, Rubens’s Aeneas cartoons at Cardiff, in: The Burlington magazine 125 (1983), S. 136–151; grundsätzlich: Gerhard BINDER, Der brauchbare Held: Aeneas: Statio-nen der Funktionalisierung eines Ursprungsmythos, in: Hans-Jürgen HORN / Hermann WALTER

(Hg.), Die Allegorese des antiken Mythos, Wiesbaden 1997, S. 311–330.

Papst Leo IV. in der Benediktionsloggia von Sankt Peter gegenübergestellt 9. Nun bezieht sich die Darstellung des Borgobrandes nicht eigentlich auf den Brand Trojas, doch die von Raffael am linken Bildrand dargestellte Figuren-gruppe, ein junger kräftiger Mann, der einen alten auf seinen Schultern trägt, und ein Kind, das die beiden begleitet, stellt unmissverständlich den Bezug zum brennenden Troja her, aus dem der vom Sohn begleitete Aeneas, seinen Vater Anchises auf den Schultern, gerettet haben soll. Schon hier lässt sich der in der Benediktionsloggia stehende Leo IV. als zweiter Aeneas, die rö-mische Kirche als neues Troja deuten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Parallelisierung des Papstes mit Aeneas nicht Leo IV., sondern dem Auftrag-geber des Freskos, dem Medicipapst Leo X. (1513–1521), galt.

Anknüpfend an dieses traditionsstiftende Fresko verstand sich auch Paul III.

(1534–1549) Farnese als Nachfahre des Vergilschen Helden. In der von Fran-cesco Salviati ausgemalten ›Sala dei fasti farnesiani‹ des Palazzo Farnese werden in der Mitte der beiden Längswände Aeneas und Paul III. als zentrale Figuren hervorgehoben und einander gegenübergestellt (vgl. Abb. 2 und 3).

Hintergrund für diese besondere Hervorhebung des antiken Helden ist hier seine post festum konstruierte Wahl zum mythischen Gründervater der Far-nese, der in den Bildern in zweifacher Hinsicht betont wird. Zum einen dient er hier als Exemplum für die bedeutenden Feldherren der Dynastie, Ranuccio und Pietro Farnese, die bei der Investitur bzw. im Kampf gezeigt werden.

Zum anderen wird seine Stellung als Gründerfigur und historische Paral-lele, auf die sich Paul III. ganz offenbar als Papst beruft, durch die in der Gegenüberstellung zum Papst angedeuteten Parallelisierung zum Ausdruck gebracht10.

Erst der Kardinalnepot Pauls V., Scipione Borghese, griff wieder auf die Figur des Aeneas zurück, und beauftragte 1619 Bernini mit einer Statue des seinen Vater Anchises auf den Schultern tragenden Aeneas für seine »Galle-ria« der Villa Borghese auf dem Pincio (Abb. 4)11. Wie Rudolf Preimesberger gezeigt hat, handelt es sich bei dieser Skulpturengruppe jedoch nicht so sehr um einen allegorischen Bezug auf Papst Paul V., sondern um eines der Sinn-bilder für den Kardinalnepoten Scipione Borghese12. Die Figur des Aeneas

9 Hierzu vgl. Rolf QUEDNAU, Päpstliches Geschichtsdenken und seine Verbildlichung in der Stanza dell’Incendio, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3.F. 35 (1984), S. 83–128;

und zuletzt: Michael ROHLMANN, Gemalte Prophetie: Papstpolitik und Familienpropaganda im Bildsystem von Raffael’s »Stanza dell’Incendio«, in: Götz-Rüdiger TEWES / Michael ROHLMANN

(Hg.), Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich: Politik, Kultur und Familiengeschichte in der europäischen Renaissance, Tübingen 2002, S. 241–371.

10 Julian KLIEMANN, Gesta dipinte. La grande decorazione nelle dimore italiane dal Quattrocento al Seicento, Mailand 1993; Catherine MONBEIG-GOGUEL, Palazzo Farnese: Sala dei Fasti Farne-siani, in: Anna COLIVA (Hg.), Francesco Salviati: affreschi romani, Mailand 1998, S. 76–87.

11 Rudolf PREIMESBERGER, Pignus imperii: ein Beitrag zu Berninis Aeneasgruppe, in: Friedrich PIEL / Jörg TRÄGER (Hg.), Festschrift Wolfgang Braunfels, Tübingen 1977, S. 315–325.

eignete sich insofern hierfür, als Aeneas eine große Pietas zugeschrieben wurde, denn er hatte Vater und Sohn, Anchises und Ascanius, nicht im bren-nenden Troja zurückgelassen, sondern sie aus der brenbren-nenden Stadt unei-gennützig gerettet. Der symbolische Bezug wurde also über die Pietät und Stärke des Helden hergestellt, so dass eine Parallele gezogen werden konnte zum Selbstverständnis des Kardinalnepoten, der seine Stellung ganz aus der tatkräftigen Unterstützung des Papstes legitimierte13. Genau diesen Aspekt der Unterstützung hob Bernini in seiner Skulptur besonders hervor, indem er den alternden Körper Anchises, dem der muskulöse Körper des Aeneas eine sichere Stütze bietet, auf eindrucksvolle Weise darstellte.

Schon kurz darauf rekurrierte auch Urban VIII. auf das Vergilsche Epos.

Doch wird in den häufig impliziten Anspielungen auf die Aeneis in den um-fangreichen panegyrischen Schriften und Impresen weniger auf die Figur des Helden Aeneas Bezug genommen. Vielmehr steht schon zu Beginn seines Pontifikats in der mit den Wappenzeichen der Bienen kombinierten Lorbeer-imprese die Gründungslegende selbst im Vordergrund. In all seinen Anspie-lungen nachweisbar ist dieser Rekurs zum ersten Mal in den von Giovanni Ferro im Wahljahr des Papstes 1623 prachtvoll publizierten Impresen.

Urban VIII. Barberini war vielleicht der erste und einzige Papst in der Zeitspanne von 1534 bis 1667, dessen mäzenatische Aktivitäten auf eine neue Synthese des frühchristlich geprägten antiken und des modernen profanen Rom zielten. Er bemühte sich sowohl um die Restaurierung frühchristlicher Kirchen, als auch um die Integration der weltlichen Repräsentation in das sich allmählich formierende Bild des neuen, magnifizenten Rom14. Bereits zu Beginn seines Pontifikates ließ er sowohl die alte Märtyrerkirche der heili-gen Bibiana von Bernini restaurieren15, als auch den Baldachin über dem Pe-trusgrabmal in Sankt Peter vom gleichen Bildhauer errichten16. Hierin folgte er noch dem Beispiel seiner Vorgänger, die sich ebenso um den Neubau von Sankt Peter und die Restaurierung frühchristlicher Kirchen verdient gemacht

12 Aeneas war nicht das einzige Sinnbild für die Bedeutung des Kardinalnepoten. Hierzu zählte auch Herkules und Atlas. Vgl. hierzu Cesare D’ONOFRIO, La villa Aldobrandini di Frascati, Rom 1963, S. 120f.

13 Zum Selbstverständnis des Kardnialnepoten vgl. REINHARD, Nepotismus.

14 Zu Urban VIII. vgl. allgemein Ludwig VON PASTOR, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 13, I, Freiburg 1960, S. 882–980; Francis HASKELL, Maler und Auftraggeber.

Kultur und Gesellschaft im italienischen Barock, Köln 1996, S. 73–76; Georg LUTZ, Urban VIII., in: Enciclopedia dei papi, 3 Bde., Rom 2000, hier: Bd. 2, S. 298–321; zur Familie zuletzt:

Lorenza Mocchi ONORI / Sebastian SCHÜTZE / Francesco SOLINAS, I Barberini e la cultura euro-pea del Seicento, Rom 2007.

15 Jörg Martin MERZ, Pietro da Cortona, Der Aufstieg zum führenden Maler im barocken Rom, Tübingen 1991, S. 113–139.

16 Sebastian SCHÜTZE, Urbano inalza Pietro, e Pietro Urbano. Beobachtungen zu Idee und Gestalt der Ausstattung von Neu-Skt. Peter unter Urban VIII., in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 29 (1994), S. 213–288.

hatten. Anders als diese lag ihm jedoch an einer neuen und deutlichen Visu-alisierung des zweigestaltigen Regiments des Papstes. Der Ankauf des alten Palazzo Sforza, der durch die Architekten Maderno, Bernini und Borromini in kurzer Zeit zu einem neuen Familienpalast der Barberini restauriert und erweitert werden sollte, hob den Familiensitz nicht nur gegenüber anderen besonders hervor 17. Zwei große aufsehenerregende Deckenfresken von An-drea Sacchi (vgl. Abb. 5) und Pietro da Cortona (vgl. Abb. 6) verliehen dem Palast nicht nur vielbeachtete Attraktionen, vielmehr werden in ihren Bild-programmen Zusammenhänge dargestellt, die auf die Legitimität des Papstes als weltlicher Herrscher zielen18. Mit diesen Monumenten, dem Baldachin von Sankt Peter auf der einen und den Deckenfresken des Palazzo Barberini auf der anderen Seite war daher ein visuelles Netz auf die Stadt gelegt, das die sakrale und weltliche Herrschaft des Barberini-Papstes als eine Verbin-dung der zweigestaltigen Herrschaft des Papstes als Oberhaupt der katho-lischen Kirche und Oberhaupt einer Familie zum Ausdruck brachte und eines mit dem anderen zu verbinden suchte.

Die visuelle Kraft dieser Werke ist dabei weniger neuen Einsichten ge-schuldet als vielmehr einer bisher noch nie so gestalteten Synthese von sacro e profano, die den Papst sowohl in seiner Rolle als »padre comune« als auch in jener des solaren Herrschers inszeniert, auch wenn er nicht der eigent liche Akteur und »spiritus rector« gewesen sein dürfte, sondern der Kardinalne-pot Francesco Barberini, der seine Person der Repräsentation des Papstbil-des konsequent unterordnete19. In den Fresken Andrea Sacchis und Pietro da Cortonas kommen interessanterweise jedoch keine genuin profanen Themen zum Zuge, sondern eine christliche Geschichtsauffassung, die mit antiken Vorstellungen verquickt wird. Dabei wird vor allem der historische Ort Rom und pars pro toto der Palast in die visuelle Argumentation mit einbezogen.

Wie ein Paukenschlag überrascht das Fresko der »Göttlichen Weisheit«

von Andrea Sacchi (vgl. Abb. 5) von 1629/30 seine Betrachter, indem es die Göttliche Weisheit in einen direkten Zusammenhang mit Europa und dem Palast als Wirkungsstätten stellt20. Nicht das traditionell bekannte Haus der Weisheit mit seinen sieben Säulen ist hier zu sehen21, sondern die majestätisch

17 Zum Palast vgl. Patricia WADDY, Seventeenth Century roman Palaces: Use and the Art of the Plan, Cambridge Mass. / London 1990.

18 Zu den Fresken vgl. MERZ, Pietro da Cortona; John Beldon SCOTT, Images of Nepotism. The Painted Ceilings of Palazzo Barberini, Princeton 1991 und Elisabeth OY-MARRA, Profane Re-präsentationskunst in Rom von Clemens VIII. Aldobrandini bis Alexander VII. Chigi. Stu-dien zu Funktion und Semantik römischer Deckenfresken im höfischen Kontext, Berlin 2005, S. 199–202 und 211–273.

19 Zu Francesco Barberini vgl. Birgit EMICH, Kardinal Francesco Barberini. Ein Papstneffe zwi-schen Kunst und Politik, in: Mochi ONORI / SCHÜTZE / SOLINAS, Barberini, S. 111–116.

20 SCOTT, Nepotism, S. 38–67; OY-MARRA, Repräsentationskunst, S. 211–229.

von ihren Tugenden umgebene,21vor der aufgehenden Sonne über Europa thronende Weisheit, die ihre Strahlen auf Rom und den Palast selbst richtet.

Damit wird ein himmlisch−kosmischer Zusammenhang von göttlicher Weisheit und dem Wirken Urbans VIII. im Zentrum Europas hergestellt22, der im benachbarten Deckenfresko von Pietro da Cortona noch eine Ver-tiefung erfährt. Hier ist es die personifizierte »Göttliche Vorsehung« (vgl.

Abb. 6), die in der von Chronos und den Parzen personifizierten Geschichte wirkt und ihren Lauf als Regentin vorherbestimmt23. Ihr Wille erfüllt sich, wie könnte es anders sein, den Bildern zufolge im historischen Moment der Wahl Maffeo Barberinis zu Papst Urbans VIII., der jedoch nicht eigentlich dargestellt ist. Dass seine Wahl bereits erfolgt sein muss, das können wir an seinem Wappen allerdings unmissverständlich erkennen, denn es wird durch die päpstlichen Schlüsselinsignien bekrönt24. Die Gegenüberstellung von göttlicher Vorsehung und päpstlichem Wappen stellt damit eine Verbin-dung von göttlicher Ratio und faktischer Ereignisgeschichte her, die sich im Bild wie in einem visionären Augenblick dem Betrachter erschließt. Über diese Bedeutungsebene hinaus spielt das Wappen bekanntlich jedoch noch auf eine weitere Geschichtskonstruktion an, die die göttliche Vorsehung mit einer der mächtigsten historischen Gründungslegenden Roms überblendet:

die Gründung Roms durch den trojanischen Helden Aeneas, von der Vergil in der Aeneis erzählt. Nun ist der Held im Fresko nicht eigens dargestellt, vielmehr lässt sich dieser Bezug nur über ein leicht zu übersehendes Detail erkennen. Die von den Kardinaltugenden in der Schwebe gehaltene Lorbeer-umkränzung des päpstlichen Wappens spielt nämlich auf eine Imprese des Papstes aus Giovanni Ferros: »Il teatro delle Imprese« an, in der Bienen in ei-nem Lorbeerbaum dargestellt sind und die die Beischrift: »Hic Domus« trägt (vgl. Abb. 7)25. Ferro rekurriert in dieser Imprese auf die Erzählung des VII.

21 Zur Bildtradition der biblischen Vorstellung eines Hauses der Weisheit vgl. Katharina BAHL

-MANN / Mechthild DREYER, Wissensarchitekturen, in: Katharina BAHLMANN / Elisabeth OY -MARRA / Cornelia SCHNEIDER, Gewußt wo! Wissen schafft Räume. Die Verortung des Denkens im Spiegel der Druckgraphik, Berlin 2008, S. 150–155.

22 In der 1642 publizierten Palastbeschreibung der Aedes Barberinae von Girolamo Teti wird ein direkter Bezug zwischen der göttlichen Weisheit und Urban VIII. hergestellt, indem be-schrieben wird, wie Urban VIII. unter dem Fresko die entsprechende Bibelstelle liest. Hierzu vgl. Hieronymus TETIUS, Aedes Barberinae ad Quirinalem descriptae. Descrizione di Palazzo Barberini al Quirinale, hg. v. Lucia FAEDO / Thomas FRANGENBERG, Pisa 2005, S. 323–341; OY -MARRA, Repräsentationskunst, S. 211–220.

23 Hubert LOCHER, Das Staunen des Betrachters. Pietro da Cortonas Deckenfresko im Palazzo Barberini, in: Hans-Joachim KUNST (Hg.), Werners Kunstgeschichte, Worms 1990, S. 1−46;

MERZ, Pietro da Cortona, S. 235–270; SCOTT, Nepotism, S. 135–179; OY-MARRA, Repräsentati-onskunst, S. 229–273.

24 Zur Deutung des Wappens vgl. Walter VITZTHUM, A comment on the Iconography of Pietro’s da

24 Zur Deutung des Wappens vgl. Walter VITZTHUM, A comment on the Iconography of Pietro’s da