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Der Kontinent der Erbfeinde

Deutsche und europäische Feindbilder der Frühen Neuzeit zwischen Säkularisierung und Sakralität

I. Ein Kontinent der Feinde

Aus Anlass des 350-jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens fand 1998 an der Universität Osnabrück ein großangelegter »europäischer« Kon-gress statt, der, das war das geringere seiner Anliegen, zunächst an den Westfälischen Frieden selbst erinnern sollte, der aber zugleich und darüber ins Unendliche weit hinaus, »den Frieden« schlechthin zeichnen wollte, als eine »europäische Vision« und Kulturleistung1.

Europa wurde dort also an den positiven Wert »Frieden« geknüpft. Das war nicht nur politisch korrekt, sondern auch sachlich keineswegs falsch.

Es drohte auf der so ausgewiesenen ideengeschichtlichen Höhenwanderung freilich aus dem Blick zu geraten, dass der 1648er Kongress durchaus kein ähnlich idealistisches Unternehmen gewesen war, wie jener von 1998, dass eigentlich auch alle anderen europäischen Friedensschlüsse der Neuzeit al-les andere gewesen waren als idealistische Unternehmen, und dass das mo-derne Europa letztlich und aufs Ganze gesehen eher von seiner spezifischen Bellizität und Kriegspraxis konturiert oder auch konstituiert wurde als vom Friedensgedanken2. Darauf wiesen auch einige realhistorische Stimmen je-ner Osnabrücker Tagung hin. Wolfgang Reinhard etwa betonte, dass es sich bei den Verträgen von Münster und Osnabrück letztlich um reine Erschöp-fungsfrieden gehandelt hatte. Heinz Duchhardt legte dar, was Alteuropa im Grundsätzlichen »in friedens- und ordnungspolitischer Hinsicht gewesen war: defizitär, phantasielos, nicht über den Tellerrand […] hinausblickend«3.

1 Vgl. Klaus GRABER, Der Frieden. Umrisse eines Kongresses. Rede zur Eröffnung, in: Ders. u.a.

(Hg.), Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion – Geschlechter – Natur und Kultur, München 2001, S. 17–26.

2 Vgl. etwa Johannes BURKHARDT, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung 24 (1997), S. 509–574.

3 Heinz DUCHHARDT, Zwischenstaatliche Friedens- und Ordnungskonzepte im Ancien Régime.

Idee und Realität, in: Ronald G. ASCH / Wulf E. VOSS / Martin WREDE (Hg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, Mün-chen 2001, S. 37–45, hier: 44 (Zitat); Wolfgang REINHARD, Kriegsstaat und Friedensschluß, in:

ASCH, Frieden und Krieg, S. 47–57.

Auch auf diesem Wege hat Europa sicherlich vielfach und sogar einiger-maßen effektiv Frieden gemacht oder gehalten. Es gehört ganz zweifellos zu den Grundsignaturen des Kontinents, dass Feindverhältnisse durch In-teressenausgleich beendet oder jedenfalls ausgesetzt werden konnten4. Eu-ropa aber wurde eben doch vom Krieg gemacht, es war »geboren aus dem Geist der Gewalt«5. Diese Gewalt wurde bis ins 16. Jahrhundert keineswegs vornehmlich und auch danach alles andere als ausschließlich nach außen ge-richtet – dies war bekanntermaßen das Ziel, auf das sich die Phantasien der Europa-Idealisten des 17. und 18. Jahrhunderts richteten6. Die Gewalt fand bereits innerhalb der Grenzen Europas statt – in einem Ausmaß, das die Fra-ge provozieren musste, ob und wenn ja, warum man es hier mit einer Ein-heit, einem Kulturraum zu tun habe7. Das frühneuzeitliche Europa war keine

»Welt«, aber eben ein »Kontinent von Feinden« – oder, noch etwas pointierter gesagt – ein Kontinent von Erbfeinden. Europa war zerrissen von politischen Gegensätzen und ins Religiöse gesteigerten »Erbfeindschaften«. – Es wur-de von diesen Feindschaften allerdings auch zusammengehalten. Über wur-den scheinbaren Widerspruch wird abschließend zu sprechen sein.

Im Folgenden soll es nun vordringlich darum gehen, diesen Stellenwert des Religiösen zu bestimmen und den Wandel eines sakralen zu einem säku-laren und damit durchaus ein gutes Stück entschärften Erbfeindbegriff nach-zuzeichnen. Zunächst ist jedoch zu umreißen, wozu ein Feind gut ist, und aus welchem Holz er sein muss, wenn er denn eine Chance haben soll, auch zum Erbfeind »aufsteigen« zu können.

II. Feindbilder

Tatsächlich waren die tiefgreifenderen der politischen Auseinandersetzun-gen in den drei Jahrhunderten zwischen Luther und Napoleon jeweils davon gezeichnet, dass eine Partei versuchte, die andere propagandistisch aus dem

4 Randall LESAFFER, War, Peace and Interdstate Friendship and the Emergence of the Ius Publi-cum Europaeum, in: ASCH, Frieden und Krieg, S. 87–113; Heinhard STEIGER, Ius bändigt Mars.

Das klassische Völkerrecht und seine Wissenschaft als frühneuzeitliche Kulturerscheinung, in:

ASCH, Frieden und Krieg, S. 59–85.

5 Robert BARTLETT, Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350, München 1998 (engl. Orig.: The Making of Europe Conquest, Colonization and Cultural Change, 950–1350, London 1993).

6 Kurt VON RAUMER, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Frei-burg/Brsg. u.a. 1953.

7 Wim BLOCKMANS, Europe? Which Europe?, in: Marie Louise VON PLESSEN (Hg.), Idee Europa.

Entwürfe zum Ewigen Frieden. Ordnungen und Utopien für die Geschichte Europas von der pax romana zur Europäischen Union. Eine Ausstellung als historische Topographie, Berlin 2003, S. 17–22. Vgl. ders., Geschichte der Macht in Europa. Völker, Staaten, Märkte, Frank-furt/Main u.a. 1998, S. 15–33.

Binnenraum der »christlich« und das hieß hier: der gemäßigt regierten Natio-nen auszuschließen. Es diente ebenso der Beleidigung und Herabsetzung des Gegners wie der Selbstermunterung, wenn Franzosen in Spanien, Engländer in Frankreich, Dänen in Schweden, Polen in Russland unchristliche, unred-liche »viehische Despotien« und Willkürherrschaften ausmachten8.

Die »Beleidigungen«, die Feindbilder transportierten, kamen freilich sel-ten beim Gegner an. Da gab es gewiss Ausnahmen; der Bouclier d’estat et de justice des Freiherrn Franz Paul von Lisola, die erste, Maßstäbe, Themen wie Motive setzende antifranzösische Flugschrift der Epoche Ludwigs XIV., wurde in Paris sehr wohl rezipiert, ihre Verbreitung verfolgt und ihr Besitz bestraft9. Die französischsprachige Presse niederländischer Provenienz wur-de von Paris aufmerksam beobachtet, ihre Verbreitung zwar behinwur-dert, aber nicht verhindert. Für die Masse der antifranzösischen deutsch- oder nieder-ländischsprachigen Flugschriften freilich galt anderes und die französische Politik verzichtete seit den 1680er Jahren bewusst auf Beeinflussung wie Be-rücksichtigung der »öffentlichen Meinung« in den Nachbarländern und gab dieses Spiel verloren10. Nicht anders hatte Madrid auf die Attacken im Geiste der »Schwarzen Legende« reagiert bzw. auf Reaktion verzichtet11.

Dies konnten beide angegriffenen Parteien insofern leicht tun, als Mei-nungsbeeinflussung in Frankreich oder in Spanien selbst außerhalb der Reichweite antifranzösischer oder antispanischer Pamphletisten lag und von ihnen auch nicht angestrebt wurde. Die von Flugschriften in Zeiten von Krieg und Krise erzeugten und unterhaltenen Feindbilder dienten vor allem anderen der Selbstermunterung bzw. der Selbstvergewisserung durch Ab-grenzung im Herkunftsland von Autor, Auftraggeber und Publikum, also der

»negativen Integration«.

Im Anfang war der Feind – und wenn nicht ausschließlich, so doch maß-geblich. So ließe es sich zugespitzt wohl für die allermeisten historischen Prozesse von Identitätsbildung und -bewahrung formulieren. Abgrenzungs-mechanismen waren für die Genese von Identitäten stets von entscheidender

8 Martin WREDE, Art. »Feindbild«, in: Enzyklopädie der Neuzeit 3 (2006), S. 878–890. Vgl. Her-fried MÜNKLER, Nation als politische Idee im frühneuzeitlichen Europa, in: Klaus L. GARBER

(Hg.), Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des 1. Internationalen Osna-brücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Tübingen 1989, S. 56–86, hier:

S. 63f.

9 Markus BAUMANNS, Das publizistische Werk des kaiserlichen Diplomaten Franz Paul Freiherr von Lisola (1613–1674). Ein Beitrag zum Verhältnis von Absolutistischem Staat, Öffentlichkeit und Mächtepolitik in der frühen Neuzeit, Berlin 1994, S. 325–334.

10 Joseph KLAITS, Printed Propaganda under Louis XIV. Absolute Monarchy and Public Opinion, Princeton, N.J. 1976, S. 86f.

11 Peer SCHMIDT, Spanische Universalmonarchie oder ›teutsche Libertet‹. Das spanische Imperi-um in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001, S. 444.

Bedeutung, und das Fremde bzw. die Feinde, von denen es sich abzugrenzen galt, wurden notwendig gebannt in Feindbilder als Konstrukte von Polemik, Vorurteil, Selbsterbauung12.

Diese Bilder konnten recht unterschiedlich ausfallen: Der Feind konnte als bedrohlicher Wüstling entworfen werden oder aber, war er denn ein-mal besiegt, als ridiküler Schwächling, er konnte ebenso kulturloser Barbar sein wie überfeinerter Betrüger – und im Übrigen sehr wohl auch ehren-werter Gegner. Grundlegend war in allen Varianten das Prinzip der Selbst-erhöhung, grundlegend war jedoch zumindest in den erstgenannten Fällen vor allem ein Moment des Religiösen: Der Feind wurde, in Reformations- wie Napoleonzeit, gezeichnet als Feind des wahren Christentums und im Extremfall – der war keineswegs selten – erklärt zum »Erbfeind« bzw. zum

»Antichrist«13.

III. Erbfeinde und Antichristen

Solche »Ehre« widerfuhr natürlich nur einem Gegner, mit dem es wirklich

»ernst« wurde. Um 1690 wurden aus den welfischen Landen ein Dutzend gegen Dänemark gerichteter Flugschriften lanciert, in denen es um die An-nexion Lauenburgs durch den »Heideherzog« Georg Wilhelm von Celle ging bzw. um deren Orchestrierung, also um eine in der deutschen Geschichte und für den Bestand des Reiches eher marginale Frage. Natürlich schuf derglei-chen im Alten Reich noch kein dänisches Feindbild. Und die gleiche »Nicht-Karriere« widerfuhr letztlich, trotz deutlich größerer, deutlich länger anhal-tender Anstrengungen der Konfliktparteien, auch den zwar unbeliebten, aber eben als Macht und Nation nach 1648 nie mehr wirklich ernstgenommenen, nie mehr wirklich als bedrohlich empfundenen Schweden. Allein durch ob-rigkeitliche Flugschriftenkampagnen ließ sich kein Feindbild, kein Erbfeind erzeugen14.

Ein echter »Erbfeind« musste aus anderem Material sein als die »armen«

und »gierigen« Leute aus dem Norden, die nach einigem Plündern wieder in

»Dorn- und Distel-Paradiß« entschwunden schienen – mochten sie auch wei-ter im Besitz bedeutender deutscher Territorien geblieben sein15. Das sagte schon der Begriff. Der mittelhochdeutsche ›erbevînt‹ hatte den Teufel be-zeichnet. Und der frühneuzeitliche »Erbfeind« ließ sich auf zweierlei Weise

12 WREDE, Feindbild, S. 878f.

13 Ders., Art. »Erbfeind«, in: Enzyklopädie der Neuzeit 3 (2006), Sp. 396–400; MÜNKLER, Nation als politische Idee, S. 63f.

14 Martin WREDE, Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Pu-blizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg, Mainz 2004, S. 288–290, 322f u. 548f.

verstehen: Er war entweder der ›eingeschworene‹, grundsätzliche Feind der Christenheit mit eschatologischer Qualität oder aber der dauerhafte, ›ererb-te‹ Feind als historisches Phänomen. Beide Aspekte waren nah verwandt, denn eine lang andauernde, gleichsam ewige Feindschaft war vorstellbar und konnte legitim sein ursprünglich nur gegenüber einer Macht, die nicht auf der Basis christlicher Werte und europäischer rechtlicher Normen15stand oder zu stehen schien. Beide waren allerdings nicht identisch16.

Der Erbfeind-Begriff in seiner weiten, propagandistischen Verbreitung ist zumindest in der Frühen Neuzeit spezifisch deutsch. Die sprachlichen Gegen-stücke – »ennemi héréditaire«, »old«, »common« oder »hereditary enemy«

etc. entbehrten der im Deutschen gegenwärtigen religiösen Dimension. Die Sache aber, eine stark religiös aufgeladene dauerhafte politische Feindschaft, war auch anderwärts bekannt, sei es zwischen (katholischen) Polen einerseits und (orthodoxen) Russen oder (lutherischen) Schweden andererseits, sei es zwischen den rivalisierenden Mächten Westeuropas, und hier notfalls auch auf der Basis einer gemeinsamen konfessionellen Identität, wie zwischen Frankreich und Spanien17. In allen Fällen ließen sich diese Feindverhältnis-se als endzeitliche Konfrontation mit der Macht des BöFeindverhältnis-sen leFeindverhältnis-sen, die zu be-zeichnen man gerne direkt auf den Begriff des Antichrists zugriff. So gab es um 1600 verschiedene französische Stimmen, die den Katholischen König zum »Antichrist« ausriefen und die zu einem regelrechten, aus gegebenem Anlass die »Reconquista« wiederholenden Heiligen Krieg, einem Kreuzzug nach Madrid, aufforderten18.

Grundsätzlich aber lag wohl der Antichrist-Begriff bei der Denunziation politischer Gegner protestantischen Milieus näher. Verbreitet war die Ver-wendung besonders in England – als notwendige Folge der Selbststilisierung zur »auserwählten Nation« und zum »neuen Israel«. Die nationale Identität zunächst Englands, dann Britanniens gründete sich fest auf einen zwar un-klar definierten, dafür aber umso entschiedeneren Protestantismus und infol-gedessen ließ sich die Übertragung des von der Reformation ursprünglich auf den Papst bezogenen Motivs auf die kontinentalen katholischen Großmäch-ten Spanien und Frankreich problemlos bewerkstelligen; im Bedarfsfall galt dies aber auch für innenpolitische Gegner – etwa den eigenen König – oder

15 Manifest Oder Declaration Deß Krieges der Holländer Wider die Schweden/ Wobey angefügt [...] Eines Melancholischen Meditation / und ein Gespräch / Unterschiedener Personen / über den gefährlichen Einfall der Schweden in Pommern [...], s’Graven Hage 1675, S. 26 u. 29 (Zi-tat). Vgl. WREDE, Das Reich und seine Feinde, S. 249–253 u. 265–269. Siehe dort auch weitere Quellenverweise.

16 WREDE, Erbfeind, S. 396f.

17 Ders., Feindbild. Zum letztgenannten Beispiel siehe Alexandre Yali HARAN, Le lys et le globe.

Messianisme dynastique et rêve impérial en France aux XVIe et XVIIe siècles, Seyssel 2000.

18 HARAN, Le lys et le globe, S. 223–228.

benachbarte protestantische Abweichler – etwa die Niederländer19. »Popery«

und »englishness« – bzw. »britishness« – waren unvereinbar, ja »antipop-ery« machte »britishness« überhaupt erst möglich. Ein besonders populärer Agent des Papstes war aus englischer Sicht nach Philipp II. natürlich Lud-wig XIV. Unter dem Einfluss nicht zuletzt von calvinistischen französischen Exulanten nahm der Sonnenkönig in der englischen, der niederländischen und auch der deutschen Öffentlichkeit Züge des Antichrists an. Im 18. Jahr-hundert wurde das englisch-französische Feindverhältnis dann zwar, wie Jeremy Black gezeigt hat, eher als »natural and necessary« und damit ra-tional bedingt angesehen. Wie lange darunter ein religiöses Moment mit-schwang, wäre jedoch zu fragen20.

IV. Deutsche Beispiele: Osmanen und Franzosen

Im Folgenden soll nun von zwei Beispielen aus deutscher Perspektive aus-führlicher die Rede sein: Dem deutschen Blick – und den Veränderungen dieses Blicks – auf Osmanen und Franzosen sowie auf das Wechselspiel, das zwischen jenen beiden »Erbfeinden« »imagologisch« stattfand. Die Osma-nen als traditioneller, »eingeschworener« »Erbfeind Christlichen Namens«, die Franzosen als langjähriger Kriegsgegner nicht nur der Deutschen, son-dern auch von Englänson-dern, Niederlänson-dern, Spaniern. Zumindest bei den eng-lischen und niederländischen Nachbarn sollten die Folgen der Konfrontation mit denen im Reich übereinstimmen. »Die Franzosen« wurden zum »ande-ren Erbfeind«21.

Nicht eigens betrachtet wird der deutsche oder auch europäische Blick auf Russland. Das Zarenreich war gewiss der »Erbfeind« der Krone Polen bzw.

der polnischen Nation, deren Selbststilisierung zur »antemurale

christia-19 Siehe bes. Christopher HILL, Antichrist in Seventeenth-Century England, Revised Ed., London 1990.

20 Jeremy BLACK, Natural and Necessary Ennemies. Anglo-French Relations in the Eighteenth Century, London 1986. Vgl. ders., The Catholic Threat and the British Press in the 1720s and 1730s, in: Journal of Religious History 12 (1983), S. 364–381; Colin HAYDON, I love my King and my Country, but a Roman Catholic I hate: Anti-catholicism, Xenophobia and National Identity in Eighteenth-century England, in: Tony CLAYDON (Hg.), Protestantism and national Identity. Britain and Ireland c. 1650–c. 1850, Cambridge 1998, S. 33–52 sowie (anders akzen-tuiert) Steven C.A. PINCUS, To protect English liberties. The English Nationalist Revolution of 1688–1689, in: CLAYDON (Hg.), Protestantism, S. 75–104. Zur englisch-britischen Natiogenese und dem dabei wirksamen »Feindbild Frankreich« vgl. sonst neben Linda COLLEY, Britons, Forging the Nation, 1707–1837, London 21994, bes. Steven C.A. PINCUS, From butterboxes to wooden shoes. The shift in English popular sentiment from anti-Dutch to anti-French in the 1670s, in: Historisches Jahrbuch 38 (1995), S. 331–361. Zur entsprechenden Rolle Spaniens:

Martina MITTAG, Nationale Identitätsbestrebungen und antispanische Polemik im englischen Pamphlet, 1558–1630, Frankfurt/Main 1993.

21 WREDE, Das Reich und seine Feinde, S. 324–545.

nitatis« sich ebensosehr auf die Gegnerschaft zu den muslimischen Osma-nen bezog wie zu den orthodoxen Russen22. Weiter im Westen Europas besa-ßen Russland und die Russen bis ins 18. Jahrhundert hinein gleichfalls kaum Sympathien – bekanntermaßen war das Gegenteil der Fall –, allerdings be-saßen sie bis auf weiteres auch kein Bedrohungspotential. Russen galten als

»Barbaren«, einem »Tyrannen« untertan, mit den großen Ausnahmen Polens und Schwedens galten sie indes nicht unbedingt als Feinde. Es gab religiöses Misstrauen und kulturelle Ablehnung; politischer Feindschaft hingegen fehl-te der konkrefehl-te Anknüpfungspunkt23.

IV.1 Der Erbfeind Christlichen Namens: Die Osmanen

Im Falle der türkischen Osmanen war der Antagonismus hingegen nicht nur seit langem politische Realität geworden – für das Alte Reich spätestens seit der ersten Türkenbelagerung Wiens 1529 –, sondern dieser war in einer Weise religiös und kulturell verfestigt bzw. mental internalisiert wie es sich nachhaltiger kaum denken lässt. Religion, Gesellschaftsstruktur, Rechtstra-ditionen und Lebensformen »der Türken« wurden in allem als vollkomme-nes Gegenbild zur göttlichen und christlich-abendländischen Weltordnung wahrgenommen bzw. gezeichnet: Das Reich des Sultans galt als schranken-lose Despotie, die ihre unendlichen Ressourcen aus erbarmungsschranken-loser Unter-drückung der Untertanen schöpfte – d.h. der Christen. Regiert werde mit Willkür und Gewalt; Eigentum sei unbekannt, sexuelle Libertinage Prinzip;

der »Türke« galt im Felde wie anderwärts als brutales, triebgesteuertes

»Un-22 Janusz TAZBIR, Poland as the Rampart of Christian Europe. Myths and Historical Reality, War-schau 1987.

23 Vgl. Francine-Dominique LIECHTENHAN, Le Russe, ennemi héréditaire de la chrétienté? La dif-fusion de l’image de la Moscovie en Europe occidentale aux XVIe et XVIIe siècles, in: Revue Historique. Paris 115 (1991), S. 77–103. Hier sei zum europäischen Russlandbild nur verwiesen auf Marshall T. POE, A People Born to Slavery. Russia in Early Modern European Ethnography, 1476–1748, New York 2000; Gabriele SCHEIDEGGER, Perverses Abendland – barbarisches Russ-land. Begegnungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Schatten kultureller Missverständnisse, Zürich 21993 sowie Dieter GROH, Rußland im Blick Europas. 300 Jahre historische Perspek-tiven, Frankfurt/Main 1988. Speziell zu Deutschland vgl. Mechthild KELLER / Lew KOPELEW

(Hg.), West-östliche Spiegelungen. Russen und Rußland aus deutscher Sicht und Deutsche und Deutschland aus russischer Sicht von den Anfängen bis zum 20. Jahrhundert. Wuppertaler Projekt zur Erforschung der Geschichte deutsch-russischer Fremdenbilder, München 21988.

Zur positiveren Wahrnehmung des 18. Jahrhunderts: Eckhard MATTHES, Das veränderte Ruß-land. Studien zum deutschen Rußlandverständnis im 18. Jahrhundert zwischen 1725 und 1762, Frankfurt/Main 1981; Astrid BLOME, Das deutsche Rußlandbild im frühen 18. Jahrhundert. Un-tersuchungen zur zeitgenössischen Presseberichterstattung über Rußland und Peter I., Wiesba-den 2000 sowie jetzt Dittmar DAHLMANN (Hg.), Die Kenntnis Rußlands im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert. Wissenschaft und Publizistik über das Russische Reich, Göttingen 2006.

tier« – durchaus im Sinne der Apokalypse. Dabei galt die Regel, dass die Autoren die Osmanen umso furchtbarer zeichneten, umso weniger sie von ihnen wussten – und etwa lutherische Pastoren im deutschen Norden wuss-ten sehr wenig24.

Rezipiert wurde dieses Bild in ganz Europa. Sogar auf Island wurde wider die Türken gepredigt25. Wenn es ein genuin »europäisches Feindbild« gab, war es der »Großtürke«, der »Bluthund Mahomet«, der »verfluchte türkische Alcoran«26. – Allerdings gab es dabei eben doch entscheidende Unterschiede.

Die französische Krone hatte aus bekannten, traditionellen machtpolitischen Gründen kein besonderes Interesse an einer Perhorreszierung des Osmanen-reiches und der französische, ebenso wie der englische und niederländische Levantehandel brachte zumindest Momente von Austausch und Vorurteilsab-bau nach Westeuropa. Polen und Venedig wiederum führten mit den Türken zwar oft Krieg – sehr viel öfter als das Reich – waren aber ebenso oft in der Lage, Frieden zu schließen, Handel zu treiben und kulturellen Austausch zu pflegen. Es sei nur an die stark von exotischer Ästhetik beeinflusste polnische Adelskultur des »Sarmatismus« erinnert27. Nordeuropa wiederum lag letzt-lich doch recht weit entfernt von den Kriegsschauplätzen an Donau, Dnjepr oder im östlichen Mittelmeer. Türkenfeindschaft und Türkenfurcht waren

24 WREDE, Das Reich und seine Feinde, S. 72–159.

25 Bernard LEWIS, Die Welt der Ungläubigen. Wie der Islam Europa entdeckte. Frankfurt/Main / Berlin 1983, S. 31.

26 Der Türckische Mahomet/ Und seinem Buch Alcoran, Dessen Herkommen/ und was für Ehre die Türcken/ ihren Mahomet/ erzeigen/ Beneben auch/ wie schrecklich und jämmerlich die Christen gemartert/ und gepeiniget werden/ wenn sie von den Türcken gefangen werden, Han-nover 1683, S. 8. Vgl. WREDE, Das Reich und seine Feinde, S. 66–216. Siehe dort auch weitere Quellenverweise.

27 Zum Sarmatismus siehe Norbert KERSKEN, Geschichtsbild und Adelsrepublik. Zur

27 Zum Sarmatismus siehe Norbert KERSKEN, Geschichtsbild und Adelsrepublik. Zur