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Eine einseitig betonte Leistungs- und Fächerorientierung ist gerade an den weiterführenden Schu-len so sehr verbreitet, dass auch die werteorientierten Obersten Bildungsziele insgesamt wenig beachtet werden. Im deutschspra-chigen Raum fehlt auch ein offizi-eller Verhaltenskodex für Lehrkräfte (UNESCO 2020), was neben der Leistungs- und Fächerorientierung eine Ursache für die geringere Rolle der pädagogischen Verantwortung über Wertevermittlung von Empa-thie und Solidarität an den weiter-führenden Schulen darstellen mag.

Dass eine 1998 durch die KMK eingesetzte Kommission für einen verantwortlichen Umgang mit Her-anwachsenden den Einsatz der Lehrerpersönlichkeit fordert, die neben anderen Persönlichkeits-merkmalen „soziales Geschick, Einfühlungsvermögen, Gesprächs-bereitschaft, Engagement, Empa-thie, Geduld und Zuversicht“

beinhaltet (Terhart 2000, S. 56, zit. n. Ebke/Kliemann 2006, S. 3), ist wenig bekannt, ebenso deren Auffassung, dass Lehrkräfte sich ein Lehrerethos, das handlungs-leitende Wertmaßstäbe repräsen-tiert, selbst erarbeiten sollen (Ebke/

Kliemann, a.a.O.). Nur vereinzelt wird Haltung zum Thema gemacht (näher s. Beitrag von Eberhard in dieser Ausgabe).

Neben der Möglichkeit, sich mit den diversen Handreichungen zu befassen und das Gespräch mit

Eltern, Schülern und Kinderarzt zu suchen und sich ggf. mit um die Antragsstellung auf Hausunterricht zu kümmern, können Lehrkräfte auch ihre rechtlich zugestandene pädagogische Freiheit (Fauser 1986) nutzen, um Schülern ver-mehrtes Nachschreiben zu erspa-ren. Auch ist es laut Dirnaichner (1999) vorgesehen, sich bei Erkran-kung auf den aufbauenden Lehr-stoff zu beschränken.

Außerdem ist es in Bayern aus-drücklich möglich, Schülern ein Vorrücken auf Probe in die nächste Klassenstufe zu ermöglichen und wird häufig auch von sozialpädiat-rischer Seite empfohlen. Denn häu-fig wirkt sich das vertraute Umfeld mit Freundschaften positiv auf die Genesung aus, sodass eine Klas-senwiederholung zu einem späte-ren Zeitpunkt sinnvoller sein kann, wenn sie dann überhaupt noch nötig ist.

Zusätzlich hat die Bayerische Krankenhausschulordnung einen Passus über mögliche Härtefall-situationen eingefügt, falls die Schulordnung einem Schüler nicht gerecht werden kann. Er findet sich auch in der Bayerischen Schulord-nung:

„Das Staatsministerium für Unter-richt und Kultus kann von einzelnen Bestimmungen dieser Verordnung Ausnahmen gewähren, wenn die Anwendung der Bestimmung im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde und die Abweichung auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung unbedenklich erscheint.“ (KraSO, 1999, §26)

Voraussetzung dafür ist freilich auch hier, dass Lehrkräfte durch ein gutes Vertrauensverhältnis von entsprechenden Fällen wissen. Es

ist erstaunlich, was Familien mit erkrankten Kindern und Jugendli-chen auf sich nehmen, ohne einen Härtefallantrag zu stellen. Eine Kultur der Fürsorge kann auch in weiterführenden Schulen verwirk-licht werden, möglicherweise mit Einsparungen an anderer Stelle.

Bei einem interdisziplinären Forum wurde von medizinischer, psycho-logischer, theologisch-pädagogi-scher Seite und der Schulaufsicht das Wohl des Kindes herausge-stellt und von theologisch-päda-gogischer Seite betont, dass man manchmal aus dem Gewissen her-aus handeln muss, wenn ein Gesetz (noch) nicht steht (Geschwinder 2014). Zum einen werden man-che Schulgesetze erst geschaf-fen, zum anderen können Einzel-fälle auch von der Schulaufsicht berücksichtigt werden. So gibt es Krankheitsbilder, die zwar zu den oben erwähnten schweren chroni-schen Erkrankungen zählen, für die jedoch die Regelungen zu Nachteil-sausgleich und Notenschutz nicht eindeutig gelten, möglicherweise, weil eine Diagnose noch nicht fest-steht. Denkbar wäre auch eine vor-übergehende depressive Reaktion mit Leistungsunfähigkeit nach Ver-sterben eines Familienangehörigen.

Hier kann über den Härtefallantrag eine Einzelfallentscheidung über die Schulaufsicht mit großer Expertise getroffen werden, wenn Lehrkräfte oder auch Schulleitungen nicht in der Lage dazu sind.

Auch obige KMK-Empfehlungen legitimieren die Lehrkräfte zu indivi-duellen Lösungen:

„Grundsätzlich ist bei Schülerinnen und Schülern besonderer päda-gogischer Förderbedarf anzuneh-men, wenn sie langandauernd oder wiederkehrend erkrankt sind (…). Dabei werden die sich aus

² Inklusion wird hier also im Sinne eines „offenen Begriffsverständnisses“ verstanden, das heißt „Inklusion unter besonderer Berücksichtigung vulnerabler Gruppen“ wie es bei Schönig/Fuchs (2016, S. 14f.) definiert wird und auch von der UNESCO propagiert wird. Ausdrücklich beschreiben die Autoren auch Schüler mit Erkrankungen.

auf verschiedene Lebensberei-che beziehen, zusammengestellt.

Bemerkenswert ist, dass es bis dahin keine eigens evaluierte päd-agogische Empathietheorie oder ein Empathieschulungskonzept für die Pädagogik gab, obwohl For-schungsergebnisse auf die hohe Relevanz der Empathie für die Pädagogik hinweisen und obwohl Empathie in der Pädagogik je nach Theorie bzw. Förderschwerpunkt als Motivationsfaktor für bestimmte Erziehungsaufgaben eingesetzt wird (vgl. Gassner 2006, S. 8-10).

Die interreligiös und global relevante Schrift über den Solidarischen Humanismus der Vatikanischen Bildungskongregation (2017), die auch von der UNESCO aufgegrif-fen wird, gibt wertvolle Impulse.

Außerdem werden in den Obers-ten Bildungszielen KompeObers-tenzen beschrieben, die konsequenter-weise auch für Lehrkräfte gelten:

„erwerben die Fähigkeit, eigene Gewissensentscheidungen zu ver-treten und ggf. auch zu verteidigen und somit Zivilcourage zu zeigen“

(ISB, S. 29).

Und zur Förderung von Empathie:

„Das Schulleben sollte bewuss-ter als Praxisfeld für wertorientier-tes Handeln und zum Aufbau von Empathie genutzt und erfahren werden.“ (a.a.O., S. 48)

Damit ist eine Fürsorgekultur im Sinne eines Care-Ansatzes gegen-über erkrankten Schülern und Schülerinnen zu entwickeln.

der Krankheit und der besonderen Unterrichtssituation ergebenden Belastungen einbezogen. Ärztliche Behandlungsmaßnahmen sind zu beachten.“ (a.a.O., S.2)

„(…) sonderpädagogischer För-derbedarf berücksichtigt (…) die Auswirkungen auf das psychische Gleichgewicht vor dem Hintergrund schulischer Anforderungen. Über leistbare Anforderungen, Erfolgser-lebnisse und persönliche Zuwen-dungen sollen Selbstvertrauen, Lern- und Lebensfreude gestützt werden.“ (ebd.)

Im Rahmen einer Dissertation wurden 2006 zahlreiche Erkennt-nisse über Empathie aus diversen Forschungsbereichen, die sich

Hildegard Schmidt

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Schulpädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Ausbildungen: Studium der Schul-psychologie und Lehramt an Real-schulen; 3-jährige Ausbildung am Süddeutschen Institut für Existenzanalyse und Logothera-pie; Asthmatrainerin; Schnellkurs

Autorin

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Andreas Münzer

Schulischer Leistungsbegriff und Leistungsanforderungen