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Die erwähnte Ermüdung des Pro-jekts der Inklusion hat mehrere Dimensionen: Sie betrifft eine

sach-liche, eine diskursive und eine sozi-altechnische Ebene.

Was die sachliche Ebene anbe-langt, so liegt die Problematik allein schon in der unverbindli-chen Unschärfe des Begriffs der Inklusion begründet. Der Begriff ist offenbar geeignet, plurale und gegensätzliche Vorstellungen unter dem Begriff des Menschenrechts zusammenzuführen. Hier greift, was der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke bilanziert hat:

„So ernüchternd es klingen mag, es sind gerade die höchsten Werte im moralischen und politischen Diskurs, deren mobilisierende Wir-kung in ihrer Inhaltsarmut besteht.“

(Koschorke 2017, 173) Die einen verstehen Inklusion als eine Art zivilgesellschaftliche Haltung der Achtsamkeit, also als einen Kultur-begriff, die anderen als politischen Kampfbegriff und utopisches Vehi-kel für eine neue Gesellschaft, die dritten schließlich als eine rechtli-che Herausforderung und meinen, unter dem Gesichtspunkt der Prag-matik sei mit dem Bundesteilhabe-gesetz der Inklusion Genüge geleis-tet. Wenn man die zweite Variante favorisiert und meint, dass Inklusion so entscheidend diskutiert werden müsste, weil sie gesamtgesell-schaftliche Ausgrenzungs- und Exklusionsprozesse zu entlarven vermag, so muss man wohl reali-sieren, dass die gesellschaftlichen Widersprüche einer Exklusions-gesellschaft mit Inklusionsansprü-chen nicht ernsthaft gelöst werden sollen. Die Tatsache, dass wir eine so enorm homogenes, kollektives Bekenntnisformat zur Inklusion haben, hat einen Preis: Es ist die Bagatellisierung und Banalisierung der Inklusion, ihr wird der störende, aufstöbernde, angriffige und sys-temverändernde Charakter genom-men. Sie wird auf diese Weise inhaltlich entleert, verharmlost und strategisch gefügig gemacht.

Der zweite Aspekt betrifft den qua-litativen Verfall des Narrativs

Inklu-sion im öffentlichen Diskurs. Dieser Mechanismus, dass eine anfänglich diskursive Welle auf die Macht des Faktischen aufschlägt, also im Falle der Inklusion auf die Bestands-starre der gesellschaftlichen „Inklu-sionsräume“, deren Veränderungs-dynamik nicht gewollt ist, ist typisch für das, was der Politologe Ingolfur Blühdorn „simulative Demokra-tie“ genannt hat (Blühdorn 2013).

Über Verfahren der unschädli-chen, diskursiven Beteiligung der Zivilgesellschaft werden Projekte in Szene gesetzt, emotionalisiert, euphorisiert und engagiert disku-tiert, bis die Welle abflaut, emotio-nale Bindung verloren geht und das diskursive Projekt unter Berufung auf Sachzwänge auf den Radius des Machbaren eingenordet wird, weil das die „kollektive[n] Vernunft“

gebietet (ebd., 227). Die Gültigkeit von Normen wie die der Inklusion werden nur „simuliert“ (ebd., 175), sie sind machtpolitisch nicht real, sondern überwiegend von affekti-ver Realität.

Der dritte Ermüdungsaspekt meint die sozialtechnische Wende und wird vor allen Dingen von den

Experten der Sozialökonomie und den Wohlfahrtsverbänden betrie-ben: Jetzt ist man reihenweise mit der Frage beschäftigt, wie man sich, natürlich unter Wahrung der bestehenden Marktanteile, im Rahmen der Etablierung des Bun-desteilhabegesetzes aufzustellen habe. Dabei geht es u.a. um Fra-gen der Trennung der LeistunFra-gen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen, es geht um die Umfinanzierung bei den gemeinschaftlichen Wohnfor-men mit dem Wegfall von Barbe-tragsauszahlung und Kleiderpau-schale, um die Zulassung weiterer Leistungsanbieter oder auch um die Regelung des Budgets für Arbeit. Hier droht das Thema Inklu-sion sozusagen sozialtechnisch aufgesogen zu werden und seine eigentliche gesamtgesellschaftliche Vitalität zu ermüden.

Recht verstanden meint Inklu-sion aber die Fabrikation anderer gesellschaftlicher „Räume“, deren Bauherrinnen und -herren auch Menschen mit Behinderung sind.

Wenn es nicht gelingt zu realisie-ren, welche Exklusionen und

Aus-grenzungsaktivitäten in unserer konkurrenzbasierten Gesellschaft tagtäglich praktiziert werden, wenn nicht angeprangert wird, dass der Arbeitsmarkt für viele Menschen auch ohne Behinderung verschlos-sen ist und andere, die daran teil-haben, ins Burnout jagt, wenn nicht skandalisiert wird, dass die Frage der freien Wohnungswahl insbe-sondere in Großstädten ein Witz ist, weil die Mietpreissegregation Menschen mit und ohne Behin-derung bei dürftiger Finanzlage in die Randlagen katapultiert, wenn nicht thematisiert wird, dass die einseitige Leistungszentrierung im Bildungssystem Bildungsver-lierer produziert und zwar mit und ohne Behinderung, dann wird das Thema Inklusion exklusiv reduziert auf Menschen mit Behinderung, was ein Paradoxon ist. Inklusion ist ein gesamtgesellschaftliches Pro-jekt und es so zu verstehen heißt dann auch, es umfassend zu poli-tisieren und sich gegen eine softe Entpolitisierung dieses Menschen-rechtsprojekt, gegen eine Inklusion light der Sozialtechniken zur Wehr zu setzen.

Prof. Dr. Uwe Becker ist Professor an der Evangeli-schen Hochschule Bochum und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Er pub-liziert zu arbeitsmarkt-, sozial- und zeitpolitischen Themen u.a. in der Süddeutschen Zeitung, der Frank-furter Rundschau, der taz und der ZEIT. Zuletzt erschien sein Buch

„Die Inklusionslüge. Behinderung im flexiblen Kapitalismus“ (2016²) Verlag transcript.

Autor

Literatur

x Aktion Mensch (2015): Inklusi-onsbarometer Arbeit. Ein Inst-rument zur Messung von Fort-schritten bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Bonn.

x Becker, U. (2016): Die Inklusions-lüge. Behinderung im flexiblen Kapitalismus. 2. Aufl., Bielefeld:

transcript.

x Becker, U. (2017): Inklusion in den Arbeitsmarkt von Menschen mit Behinderung – ein Trilemma.

In: Teilhabe. Die Fachzeitschrift der Lebenshilfe 56. Jahrgang Mai 2017, Berlin, S. 56-61.

x Bendel, A., Richter, C. & Richter, F. (2015): Entgelt und Entgelt-ordnungen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.

Etablierung eines wirtschafts- und sozialpolitischen Diskurses.

Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn.

x Blühdorn, I. (2013): Simulative Demokratie. Neue Politik nach der postdemokratischen Wende.

Berlin: Suhrkamp.

x Koschorke, A. (2017): Wahr-heit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie.

Frankfurt am Main: S. Fischer.

x Lessenich, S. (2019): Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem. Ditzingen:

Reclam.

x Quenzel, G. & Hurrelmann, K.

(Hrsg.) (2010): Bildungsverlierer.

Neue Ungleichheiten. Wiesba-den: VS Verlag.

x Zeiher, H. (2009): Ambivalenzen und Widersprüche der Institu-tionalisierung von Kindheit. In:

Honig, M.-S. (Hrsg.): Ordnungen der Kindheit. Weinheim, Mün-chen: Beltz.

Impressum

Die wird von der Leitung des Zentrums für Lehrerbildung (KU ZLB) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt herausgegeben. Diskutiert werden jeweils Themenschwerpunkte der Lehrerbildung aus der Perspektive der Phasen der Lehrerbildung.

Die Zeitschrift erscheint digital unter:

Leitung des Zentrums für Lehrerbildung (KU ZLB):

Dr. Petra Hiebl (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Rainer Wenrich (Vorsitzender)

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Prof. Dr. Wolfgang Schönig, Dr. Petra Hiebl

Dr. Petra Hiebl, Anna Heindl

4. Ausgabe