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2. Oxidativer Stress

2.8 Oxidativer Stress und Pathogenese verschiedener Erkrankungen

Oxidativer Stress wird als pathogenetische Komponente mit einer Vielzahl von Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Beispielsweise scheint oxidativer Stress eine Schlüsselfunktion in der Gewebsschädigung infolge Ischämie einzunehmen (SPATZ und BLOOM 1992). Die Gewebeschäden sind dabei nicht allein durch den Mangel an Sauerstoff während der Ischämiephase, sondern auch durch die Reperfusion und Sauerstoffzufuhr der ischämischen Organe bedingt (SPATZ und BLOOM 1992). Eine frühe Restitution des Blutflusses im ischämischen Gewebe wirkt der Progression der Sauerstoffmetabolit- assoziierten Zellschädigung und Ansammlung schädigender Stoffwechselprodukte entgegen. Paradoxerweise scheint die Gewebsreperfusion mit gewebsschädigenden Prozessen assoziiert zu sein, bspw. mit der Bildung reaktiver Sauerstoffmetabolite.

Die in der Ischämiephase akkumulierten ATP-Abbauprodukte Hypoxanthin und Xanthin reagieren dabei mit dem einströmenden Sauerstoff zu reaktiven Sauerstoffverbindungen (SPATZ und BLOOM 1992). Katalysiert wird diese Radikalproduktion durch die Xanthinoxidase (SIES 1991).

Oxidativer Stress infolge eines Traumas stellt ebenfalls einen Themenkomplex dar, der sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tiermedizin Beachtung findet.

So gehen HALL und BRAUCHLER (1988) davon aus, dass der größere Anteil einer posttraumatischen Neuronen-Nekrose eines Hirn- oder Rückenmarktraumas nicht auf die diffuse Schädigung infolge der Krafteinwirkung zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf progressive sekundäre pathophysiologische Prozesse, wie oxidativer Stress.

Zahlreiche Beispiele veranschaulichen die Gewichtigkeit oxidativen Stresses in der Pathophysiologie von Erkrankungen bei Mensch und Tier. So ist er von zentraler Bedeutung im Pathomechanismus der Arteriosklerose des Menschen (SIES 1991;

ONG und HALLIWELL 2004), beeinflußt die Karzinogenese maßgeblich, den Bluthochdruck, ist beteiligt am Pathomechanismus des Diabetes mellitus (DROEGE 2002), in chronischen entzündlichen Prozessen, der zystischen Fibrose (MADARASI et al. 2000), beim chronischen Nierenversagen (DURAK et al. 2001; RUSTOM et al.

2003), physiologischen Alterungsprozessen (STADTMAN 2001; HENSLEY und FLOYD 2002), bei Schizophrenie (KOLOGLU et al. 2002; MAHADIK et al. 1996) und unter chronischer Nikotin-Inhalation (NIELSEN et al. 1997). Beim Pferd spielt oxidativer Stress bei Atemwegsobstruktionen (ART et al. 1999; DEATON et al. 2004) und bei verschiedenen Gelenkserkrankungen (DIMOCK et al. 2000) eine Rolle.

Oxidativer Stress wird mit neurodegenerativen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht.

2.8.1 Zentrales Nervensystem und oxidativer Stress

Das Gehirn ist gegenüber oxidativem Stress besonders empfindlich. Die Energiegewinnung findet fast ausschließlich über den oxidativen Metabolismus der Atmungskette statt (HALLIWELL und GUTTERIDGE 1999). Das Gehirn verbraucht ein Fünftel des vom Körper aufgenommenen Sauerstoffs (HALLIWELL und GUTTERIDGE 1999, KOLOGLU et al. 2002).

Die Nervenzellen des Gehirns weisen in den Seitenketten der membranösen Phospholipide einen hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren auf, die durch freie Radikale oxidiert werden können (SPATZ und BLOOM 1992). Im Gehirn sind außerdem verhältnismäßig geringe Konzentrationen an antioxidativ wirksamen Enzymen wie Katalase, Glutathionperoxidase und Superoxiddismutase vorhanden (SPATZ und BLOOM 1992). Die starke Anreicherung enzymatisch aktiver Metallionen katalysiert die Bildung freier Radikale und begünstigt so die Entstehung oxidativen Stresses (SPATZ und BLOOM 1992). Vor allem der Globus pallidus, die Substantia nigra und das die Ventrikel umgebende Gewebe sind reich an Eisenionen (SPATZ und BLOOM 1992). Als „Ausgleich“ ist die Ascorbinsäure-Konzentration im Liquor cerebrospinalis infolge eines spezifischen aktiven Transportmechanismus im Plexus chorioideus um Faktor zehn höher als die Ascorbinsäure-Konzentration des Plasmas (SPATZ und BLOOM 1992).

2.8.2 Oxidativer Stress und neurodegenerative Erkrankungen

Oxidativer Stress ist wesentlicher Bestandteil neurodegenerativer Prozesse verschiedener Erkrankungen (BEAL 2004; KLEIN und ACKERMANN 2003; SAYRE et al. 2001). Der Verlust der Mitochondrienfunktion beispielsweise ist ein Baustein im pathophysiologischen Reaktionszyklus neurologischer Erkrankungen des Menschen wie Morbus Alzheimer (ANDERSON et al. 2001), Morbus Parkinson (JENNER 2003) und Morbus Huntington (BEAL 2004) und scheint eng mit der oxidativen Schädigung von Nervenzellen verknüpft zu sein.

Astrozyten sind gegenüber oxidativem Stress sehr empfindlich (ROBB et al. 1999).

Infolge eines Peroxid-induzierten Absterbens von Astrozyten geht nicht nur der schützende Effekt der Astrozyten auf Neuronen und Oligodendrozyten verloren, sondern auch die Funktion der Astrozyten, Neurotransmitter und Ionen abzupuffern (ROBB et al. 1999). Zudem werden in den Mitochondrien vermehrt reaktive Sauerstoffmetabolite, vor allem Superoxide, gebildet. Resultat ist der Verlust des Mitochondrienmembranpotentials und die durch freies Eisen vermittelte ATP-Depletion. Unter Störung der Metallionen-Homöostase werden verstärkt freie Radikale gebildet. Die folgende erhöhte Lipidperoxidationsrate führt dazu, dass die zellulären Ionengradienten nicht aufrechterhalten werden können und die intrazelluläre Kalzium-Konzentration pathologisch ansteigt. Kalzium gilt als Mediator für oxidativen Zelltod in Neuronen (ROBB et al. 1999).

Der Stickstoffmonoxid-bedingte oxidative Stress scheint eine Schlüsselrolle zu haben. Stickstoffmonoxid trägt ein ungepaartes Elektron im äußersten Orbital, das mit freien Radikalen, beispielsweise Superoxiden, Peroxynitrite (ONOO-) bilden kann (AYOMA et al. 2000). Peroxynitrite lösen Lipidperoxidationskettenreaktionen, Enzymdysfunktionen und DNA-Schäden aus. Insbesondere in Mitochondrien inhibieren Peroxynitrit-bedingte Schäden die Elektronentransportkettenreaktion, was die Membranpermeabilität der inneren Mitochondrienmembran erhöht und so zum Zelltod führt.

Amyloid-beta-Peptide, Hauptbestandteil extrazellulärer Plaques in Gehirnen von Alzheimer-Patienten, stimulieren die Stickstoffmonoxid-Produktion (VARADARAJAN et al. 2000).

Die Nitrifizierung Mangan-gebundener Superoxiddismutase (SOD) im Liquor cerebrospinalis stellt möglicherweise einen Marker für Peroxynitrit-induzierten oxidativen Stress in verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen dar (AYOMA et al. 2000).

Neben den Astrozyten nehmen Mikrogliazellen eine bedeutsame Position in der Diskussion um oxidativen Stress und Neurodegeneration ein. Mikrogliazellen übernehmen die Funktion von Makrophagen im zentralen Nervensystem (SIEGEL et al. 1993; STEIN et al. 2003) und sind zellulärer Bestandteil von extrazellulären Plaques in Gehirnen von Alzheimer-Patienten (COLTON et al. 2000). Zytokin- stimuliert erzeugen sie große Mengen reaktiver Stickstoff- (RNS) und reaktiver Sauerstoffmetabolite (ROS) und fördern so die Entstehung von oxidativem Stress und chronischer Neurodegeneration und können bei Hundestaupe vermutlich Entmarkung induzieren (STEIN et al. 2003).

VAN EVERBROECK konnte 2003 bei Creutzfeld-Jakob- und Alzheimer-Patienten ein klares quantitatives Verhältnis zwischen Astroglia, Mikroglia und oxidativem Stress lokalisiert um Amyloid-beta-Ansammlungen nachweisen.

Oxidativer Stress wird mit Nekrose- und Apoptose-Mechanismen der Neurotoxizität in Zusammenhang gebracht (BUTTERFIELD et al. 1999).

Die familiäre Form der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) beruht auf einem genetischen Defekt einer Variante des antioxidativ wirksamen Enzyms Superoxiddismutase (FACHERIS et al. 2004).