• Keine Ergebnisse gefunden

Obstruktion als Zumutungsmanagement

11. Aus dem Maschinenraum der Hochschulreform

11.5. Obstruktion als Zumutungsmanagement

Versehen, die Voraussetzungen schufen, um einem gänzlich anderen Ziel näher zu kommen.

Dem Begriff des ‚Reformstaus‘ darf man wohl in Deutschland mittlerweile ei-nen Bedeutungswandel zuschreiben. Bezeichnete er ursprünglich eiei-nen Stau stehender, aber nicht in Gang gesetzter Reformen, so lässt sich er sich nun an-ders erklären: Die eingeleiteten Reformen stauen sich, da die jeweils zurücklie-genden und ihre Folgen noch nicht bewältigt sind, aber schon die nächsten be-schlossen und den Hochschulen auferlegt werden. Es ergibt sich so eine flirren-de Dauerirritation flirren-des Systems.

„ Hinsichtlich der konkreten Aufgabenerfüllung in Forschung und Lehre ver-fügen sie über uneinholbare Informationsvorsprünge.

„ Da Hochschulen um ihrer Expertise willen existieren, stellt das Wissen ihr wichtigstes Produktionsmittel dar. Dieses befindet sich in der Hand der Exper-ten, also der Wissenschaftler/innen, welche deshalb über hohe individuelle Au-tonomie verfügen.

„ Diese individuelle Autonomie wird dadurch gesteigert, dass Forschung und Lehre durch nur unklare, schwer formalisierbare Technologien gekennzeichnet sind.

„ Hinzu tritt, dass die Loyalität der Wissenschaftler/innen gegenüber der Hochschule geringer ist als gegenüber ihrer jeweiligen Fachcommunity: Die Fachkollegen verteilen überlokale Reputation, die Hochschule lediglich lokale.

Die Professionsangehörigkeit verpflichtet die Wissenschaftler auch weitgehend darauf, im Konfliktfall die wissenschaftlichen Standards gegenüber den Interes-sen der eigenen Hochschule zu privilegieren.

„ Infolgedessen kann auch kein konstantes Engagement der Organisations-mitglieder für die Organisation vorausgesetzt werden.

Dem versucht man zu begegnen, indem Hochschulen stärker als bisher zu Or-ganisationen gestaltet werden, d.h. zu zielgebunden handelnden und steue-rungsfähigen Einrichtungen, deren Mitglieder auf Mitwirkung verpflichtet wer-den können. Diese Bemühungen treffen auf einige Probleme:

„ Die Problemlagen und Präferenzen sind an Hochschulen auf Grund ihres primären Leistungscharakters – Forschung und Lehre – unklar. Eine klare Prä-ferenzhierarchie lässt sich in der Multifunktionseinrichtung Hochschule kaum etablieren.

„ Lineares Entscheiden – von der Definition einer Problemlage und dem Ab-wägen von Problemlösungsoptionen über die systematische Problembearbei-tung bis hin zur erfolgreichen Problemlösung – ist in der Hochschule selten.

Die beiden typischen Entscheidungsmuster sind stattdessen decision by over-sight (Entscheidung durch Übersehen der Probleme) und decision by flight (Entscheidung durch Flucht der Probleme). Daher bleiben zielgerichtete Ent-scheidungsfindungen dauerhaft unwahrscheinlich.

„ Die konkreten Techniken, mit denen die hochschulischen Organisationszie-le erreicht werden können, sind ebenfalls oft unklar, da insbesondere For-schungsprozesse nicht standardisiert werden können. Infolgedessen bleibt die Verbindung von Tätigkeit und Ergebnis ambivalent.

Daher werden Hochschulen als organisierte Anarchie bzw. lose gekoppelte Or-ganisationen charakterisiert. Zugleich aber benötigen Hochschulen Legitimität,

um ihr Überleben und ihre Ressourcen zu sichern. Das heißt, sie müssen von der Umwelt als zweckdienlich funktionierend anerkannt werden:

„ Dazu errichten die Hochschulen nach außen gerichtete Formalstrukturen:

Diese symbolisieren gegenüber der Umwelt Rationalität, stellen Übereinstim-mungen mit Umwelterwartungen her und sichern so den Zufluss von Ressour-cen.

„ Die Formalstruktur ist jedoch oft nur lose mit dem tatsächlichen Organisati-onshandeln, der internen Aktivitätsstruktur, gekoppelt. Die Entkopplung beider Strukturen ermöglicht häufig, interne Konflikte verbergen oder zu (einander oftmals widersprechenden) externen Anforderungen auf Distanz gehen zu kön-nen. So wird aber zugleich die Flexibilität hergestellt, um die Funktionsfähig-keit der Einrichtungen zu sichern.

Die organisationalen Besonderheiten der Hochschulen werden extern als ur-sächlich für eine suboptimale Leistungsfähigkeit gesehen und produzieren ent-sprechende Unzufriedenheiten. Deshalb gibt es von außen das Bedürfnis, die Formal- und Aktivitätsstrukturen einander anzugleichen. Hierzu wird versucht, durch eine wettbewerbliche Organisation der Hochschulen Effizienz als leiten-des Kriterium zu etablieren: Mit außerwissenschaftlichen Instrumenten sollen wissenschaftliche Leistungen angereizt werden.

Das allerdings setzt die Funktionsweise der Hochschulen als ‚schwierige‘

Organisationen nicht außer Kraft. Auf den politischen Versuch, die Handlungs-prämissen der herkömmlichen Operationsweise von Hochschule marktwettbe-werblich zu unterlaufen, reagieren die Hochschulen ihrerseits unterlaufend.

Hier lässt sich häufig ein bidirektionaler Obstruktionswettbewerb zwischen Hochschulen und Hochschulpolitik beobachten.

Hinsichtlich der Erfolgsaussichten von Hochschulreformen ist dabei am wichtigsten, dass weder die Hochschulen als Organisation noch die Wissen-schaftler/innen als Organisationsmitglieder den Situationen gänzlich ausgelie-fert sind. Der Grund ist ein spezifisches kognitives Ausstattungsmerkmal, das den Informationsvorsprung und die Handlungsspielräume der agents beträcht-lich erhöht (und das überdies durch die Hochschulautonomie und die Wissen-schaftsfreiheit rechtlich und strukturell befestigt wird): Es gehört zur professio-nellen Grundausstattung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, das Geschäft der Kritik zu beherrschen. Deshalb vermögen sie wie kaum eine ande-re Berufsgruppe, Anweisungen, Vorschriften oder empfundene Zumutungen durch Obstruktion zu unterlaufen. Kein anderer Beruf als der des Hochschul-lehrers ist „virtuoser in der Unterwanderung oder Umgehung von Anforderun-gen ..., die der Staat, die Gesellschaft, die Hochschule usw. stellen, wenn diese

Anforderungen als unvereinbar mit den eigenen Werthaltungen betrachtet wer-den“ (Teichler 1999: 38).

Daher sind sie in der Lage, jegliche externe Anforderungen einer Daueran-fechtung durch rational begründete Kritik zu unterwerfen. Solange rational be-gründet kritisiert wird, ist der jeweilige Partner zur Diskussion genötigt, und so-lange diskutiert wird, wird nicht oder nicht engagiert umgesetzt. Nichtumset-zung und Hinhaltetaktiken können die Ermüdung des Gegenübers bewirken, können dazu führen, Dinge durch Zeitablauf zu erledigen, z.B. weil die Amts-zeiten derjenigen ablaufen, welche die Umsetzungen vorantreiben möchten, oder sie erzeugen beim Gegenüber schließlich erschöpfte Zufriedenheit damit, dass dann zumindest formal den Anforderungen Genüge getan wird.

Dieses Verhalten kann durchaus rational sein: Es schützt vor individuellen und institutionellen Überforderungen. Die Motive sind häufig nicht unlauter, sondern zielen auf die Erhaltung der Leistungsfähigkeit in einem Bereich durch reduzierte Aktivitäten in einem anderen. Daher ist eine Moralisierung solchen Verhaltens oft fehl am Platze und im übrigen auch in der Regel wirkungslos.

Die Formen der Obstruktion von hochschulreformerischen Ansinnen können dabei unterschiedlich ausfallen:

„ Die traditionelle Variante ist: In den Bereichen, in denen reformbedingt Zu-satzanstrengungen zu erbringen wären, begnügt sich das Personal mit Dienst nach Vorschrift – um so die Zeitressourcen für die Aktivitäten zu sichern, de-nen individuell vorrangiges Interesse gilt.

„ Häufig zu beobachten ist die Verzögerung durch Entscheidungsverschlep-pung – begründet etwa mit dem Rhythmus von Gremiensitzungen – oder das formale Bedienen von Anforderungen ohne substanzielle inhaltliche Umset-zung.

„ Eine etwas verschlagene, gleichwohl häufige Variante ist das affirmative Unterlaufen eines Reformanliegens durch dessen rhetorische Übererfüllung:

Statt in der Substanz Änderungen herbeizuführen, wird Fassadenmanagement betrieben.

Aus all ergibt sich dem ein Umsetzungsdilemma jeder Hochschulreform: Einer-seits besteht bei Nichteinbeziehung derjenigen, auf deren Mitarbeit jede Re-form angewiesen ist, die Gefahr der Ausbildung zielignoranten Verhaltens. An-dererseits verfügt das Hochschulpersonal über Obstruktionsmöglichkeiten, die potenziell umso größer sind, je mehr es einbezogen wird.

Übbersicht 16: Hoochschule als Organisation