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Aufeinander angewiesen: Drei hochschulpolitische Strömungen

11. Aus dem Maschinenraum der Hochschulreform

11.1. Aufeinander angewiesen: Drei hochschulpolitische Strömungen

Übeersicht 15: Diee Struktur der hhochschulpoliitischen Debattte in Deutschhland

„ So treffen sich z.B. Konservative und Marktliberale in ihrer hochschulpoli-tischen Befürwortung von Leistungsorientierung und Differenzierung – die ei-nen jedoch auf der Grundlage eines akademischen Exklusivitätsanspruchs, die anderen auf Basis einer leistungsgesteuerten Inklusionsorientierung.

„ Marktliberale sind ebenso wie diejenigen, die Hochschulpolitik als sozialen Chancenausgleich betreiben, der Ansicht, dass die Beteiligung an Hochschul-bildung gesteigert werden solle – erstere aber aus Gründen der Standortsiche-rung, letztere hingegen zur Verbreiterung sozialer Aufstiegschancen.

„ Oder, letztes Beispiel: In der Verteidigung der akademischen Autonomie stimmen wiederum die konservative und die chancenausgleichsorientierte Strömung überein – die einen als Vertreter eines traditionellen, auf Exklusivität bedachten Universitätsmodells, die anderen deshalb, weil akademisch selbst-verwaltete Hochschulen politischer Intervention einfacher zugänglich sind als unternehmensförmig gestaltete Organisationen.

Deutlich wird hier zunächst: Die hochschulpolitische Debatte lässt sich nicht allein auf Einstellungsdichotomien wie etwa „für mehr Markt im Hochschulsy-stem“ vs. „gegen mehr Markt im HochschulsyHochschulsy-stem“ reduzieren. Es gibt viel-mehr inhaltliche Schnittmengen zwischen den konkurrierenden Strömungen, je-doch typischerweise in den Einzelfragen immer nur zwischen je zwei der drei Strömungen. Die Schnittmengen begründen dann Bündnisse in Einzelfragen und machen eine immer wieder anzutreffende hochschulpolitische Erfahrung plausibel: Im hochschulpolitischen Geschäft sind bei den unterschiedlichen Re-formen fortwährend wechselnde Koalitionen zu beobachten.

Besonders eindrucksvoll, da vordergründig überraschend, ist dies bei den Reaktionen auf die Reformreformen, wie sei mancherorts unternommen wer-den, zu beobachten. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen kämpfen konservative Kulturpessimisten, die einst nicht müde wurden, die Hochschulre-formen der Minister Frankenberg und Pinkwart als ökonomisierend zu geißeln, nun Hand in Hand mit den Vertretern der marktwettbewerblichen Hochschule gegen die gemäßigt etatistischen Reformkorrekturvorhaben der grün-roten bzw.

rot-grünen Landesregierungen.

Es muss, so lehrt die Erfahrung, eine hinreichende Überlappung zwischen mindestens zwei der drei Strömungen bestehen, ungeachtet der jeweiligen nor-mativen Begründungen, um ein hochschulpolitisches Reformprogramm umset-zen (oder verhindern) zu können. Erstmals wirksam geworden war dieses Mus-ter in dem hochschulreformerischen Kompromiss der 1960er und 70er Jahre, das auf einem Bündnis von Technokraten und Demokraten beruhte. Seit Ende der 90er Jahre kennzeichnete es auch die Einführung neuer Steuerungsmecha-nismen in den Hochschulen und die politische Programmierung des Bologna-Prozesses in Deutschland.

In den Hochschulsteuerungsdebatten wechselte sich euphorischer Steue-rungsoptimismus ab mit überhitzten Annahmen zur Selbstregulierungsfähigkeit eines Hochschulmarktes. Gegen beide richtete (und richtet) sich das Donner-grollen derer, die Humboldt-Blitze der hochschulreformerischen Erleuchtung senden möchten. Doch deren Kraft nimmt ab, und durchaus ein wenig genieße-risch zelebrieren sie eine melancholische Traurigkeit, die sich aus der vermute-ten Unausweichlichkeit ihrer Niederlage speist.

Die Marktverfechter dagegen neigen zu einer cholerischen Attitüde, welche einen komplexitätsentlasteten Subtext transportiert: Wie weltentrückt muss man denn heute sein, um den Marktimperativ immer noch für hinterfragbar zu hal-ten?

Aber auch die Steuerungsoptimisten sind bereits wieder ein wenig enthusi-asmiert, da die Deregulierung der Hochschulen auch attraktive Regulierungs-perspektiven eröffnet: Die Befreiung von der staatlichen Detailsteuerung ist – nicht ganz ohne Gründe – nur in Tateinheit mit Evaluation und Qualitätsmana-gement zu haben.

Die Einführung gestufter Studiengänge war gleichfalls durch konkurrieren-de Ansprüche geprägt. So wurkonkurrieren-de sie sowohl angestrebt, um eine Erhöhung konkurrieren-der Hochschulbildungsbeteiligung zu ermöglichen, als auch um Bildungsaspiratio-nen zu dämpfen: Die Stufung der Studienangebote kann inklusiv angelegt wer-den, weil die Studienstufen das studentische Erfolgsrisiko mindern können.

Damit lässt sich Studienberechtigten mit weniger bildungsaffinem Familienhin-tergrund und infolgedessen geringer ausgeprägten Selbstwirksamkeits- und Stu-dienerfolgserwartungen eine niedrigschwelligeres Angebot unterbreiten, als es fünfjährige Diplomstudiengänge waren.

Ebenso aber kann die Stufung auch exklusiv wirken, indem der Bachelor-Master-Übergang mit hohen Hürden versehen wird; hier verband sich die Stu-fungsidee mit der Hoffnung, dass die große Mehrheit es beim Bachelor bewen-den lasse und dann nur die „wirklich Studiergeeigneten“ in die Master-Pro-gramme strebten.

Das Ergebnis einer Strukturierung der Studiengänge und der Definition von Modulzielen können sowohl Freiheitsgewinne als auch verminderte Freiheits-grade sein. Wo die Freiheitsgewinne liegen können, offenbart ein Blick auf die früheren strukturabstinenten Magisterstudiengänge: Sie ließen nur denjenigen eine Chance, die studienbegleitend hinreichende Chaosqualifikationen auszu-bilden vermochten; wem das nicht gelang, verlor seine Studierfreiheit qua Stu-dienabbruch. Wird im Gegenzug aber Strukturierung als Korsettschnüren ver-standen, dann ergeben sich Freiheitsverluste.

Der Umstand, dass die zentralen hochschulpolitischen Einstellungen jeweils von unterschiedlichen Richtungen her und auf der Grundlage unterschiedlicher Wertsetzungen begründbar sind, ermöglicht die kompromissgeprägten Bünd-nisse aber nicht nur. Vielmehr erfordert die Struktur des hochschulpolitischen Feldes diese auch: Die Schnittmengen bei den zentralen hochschulpolitischen Einstellungen können technokratische Bedürfnisse einerseits und wertgeladene Motive andererseits auf der Basis gegenseitiger, wenn auch begeisterungsloser Unterstützung stabilisieren. Dadurch erst entsteht die Durchsetzungskraft, die von jeweils einer der drei Strömungen allein nicht zu gewinnen wäre.

Aus der Teilung des hochschulpolitischen Feldes in drei wesentliche Frakti-onen, von denen keine so schwach ist, dass sie dauerhaft ignoriert werden könnte, ergibt sich für jedes hochschulpolitische Reformprojekt eine strategi-sche Notwendigkeit: Es muss jeweils eine hinreichende Überlappung zwistrategi-schen mindestens zwei der Strömungen bestehen bzw. erzeugt werden, um es umset-zen zu können. So stellen auch – trotz der Hegemonialität des Leitbildes

„Hochschule im Wettbewerb“ – die Marktliberalen keine Mehrheitsfraktion in der Hochschulpolitik, sondern sind auf Bündnisse angewiesen. Dass das Leit-bild „Hochschule im Wettbewerb“ gleichwohl hegemonial zu werden vermoch-te, ist zwei Umständen geschuldet:

„ Zum einen ist jedes soziale Handeln durch die Allokation endlicher Res-sourcen auf miteinander widerstreitende Ziele gekennzeichnet. Das verschafft kalkulatorischen Ansätzen eine gleichsam ‚natürliche‘ Plausibilität.

„ Zum anderen scheitern konkurrierende Ansätze, die auf die Vermeidung der

„Ökonomisierung des Sozialen“ und der „Hegemonie des managerialen Den-kens“ (Bröckling et al.: 131) zielen, bislang meist an einem Punkt: die Komple-xität hochschulpolitischer Reformnotwendigkeiten überzeugend auf andere als eine ökonomisierende Weise zu reduzieren.

Wie aber die Studiengebühren-Entwicklungen zeigten, wirken weder Pfadab-hängigkeiten noch Isomorphien gleichsam naturgesetzlich. In der Gebührenfra-ge hat sich innerhalb weniGebührenfra-ger Jahre erst ein Trend zur Einführung von Studien-gebühren durchgesetzt und anschließend erneut umgekehrt – in Richtung Ab-schaffung der Gebühren (bei fortdauernder Nichteinführung in gebührenfrei gebliebenen Ländern). Politisches Entscheiden, so macht dies deutlich, ist nur dann durch sog. Sachzwänge substituiert, wenn die Gesellschaft und ihre politi-schen Akteure diese Substitution dulden oder betreiben.