• Keine Ergebnisse gefunden

in der Nova dilucidatio (1755)

Kants Nova dilucidatio von 1755 ist der Versuch einer Prüfung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis. Ihr Ziel ist, „einen tieferen Einblick in das Gesetz der Beweisführungen unserer Erkenntniskraft zu gewinnen" (Nova dil. 421 ).

Die Durchführung dieser „neuen Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis" besteht zunächst einmal (1. Abschnitt) darin, „das, was gemeinhin von dem höchsten und unbezweifelten Rang des Satzes des Widerspruchs über allen Wahrheiten mehr gutgläubig als zutreffend gesagt wird, auf der Waage einer sorg-faltigeren Erforschung zu prüfen und hierauf in Kürze auseinanderzusetzen, was zu diesem Thema richtiger aufzustellen sein dürfte"; sodann (2. Abschnitt) wird Kant

„alles vorbringen, was zur Verbesserung sowohl des Verständnisses als des Bewei-ses des Satzes des zureichenden Grundes gehört, samt den Schwierigkeiten, die ihn zu erschüttern scheinen, und [...] diesen mit starken Beweisgründen entgegentreten".

Schließlich wird Kant (3. Abschnitt) über diese beiden Grundsätze hinaus „zwei neue Grundsätze [...] aufstellen, die zwar nicht ursprünglich und ganz einfach, aber deshalb auch dem Gebrauch angepaßter und sicherlich von ebenso großer Tragweite sind wie irgendein anderer" (Nova dil. 407 f) - und zwar den Satz der Aufeinand-erfolge und den Satz des Zugleichseins (von endlichen Substanzen).

Auf der Grundlage dieser Prüfung der ersten Grundsätze metaphysischer Er-kenntnis wird Kant einen „Beweis des göttlichen Daseins", vorlegen, der bean-sprucht, die unbedingte Notwendigkeit dieses Daseins „durch den ursprünglichsten Beleg, nämlich die Möglichkeit selber der Dinge, bewiesen" zu haben, „obschon ein genetischer eigentlich [noch] nicht stattfindet" (Nova dil. 435).' Entscheidend für die

1 Einen genetischen Beweis geliefert zu haben wird Kant erst im Einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763) beanspruchen. Dieser müßte nicht allein von der

„Möglichkeit selber der Dinge", sondern „von dem innern Kennzeichen der absoluten Nothwendig-keit hergenommen" werden, um „auf diese Weise das Dasein dieses Wesens [Gottes] aus demjeni-gen, was wirklich die absolute Nothwendigkeit desselben ausmacht, also recht genetisch" (EmB 91 ).

erkennen zu können. Die Frage, so Cassirer, „wie die beiden Grundarten des Seins, wie ,Essenz' und , Existenz' gegeneinander abzugrenzen und wie sie trotz dieser Abgrenzung miteinander zu vereinen sind", erfahre im ontologischen Gottesbeweis - „als dem spekulativen Mittelpunkt der mittelalterli-chen Theologie und Metaphysik" - ihre „schärfste Zuspitzung". Für den vorkritismittelalterli-chen Kant bildet diese Frage einen, wenn nicht den Brennpunkt des ontologischen Problems. „Aber auch die moderne kritische Form des Idealismus, die auf den ,stolzen Namen einer Ontologie' verzichtet, um sich mit dem bescheidenen einer .Analytik des reinen Verstandes' zu begnügen, sieht sich immer wieder in

Argumentation bzw. die Argumentationsstrategie der Nova dilucidatio ist, aus der inneren Möglichkeit (bzw. Wesen) aller Dinge ein notwendiges Dasein (bzw. Exi-stenz) als ihren Grund- und nicht umgekehrt das göttliche Dasein als Folge aus der inneren Möglichkeit der Dinge, wie es in dem Schluß des von Kant kritisierten cartesischen Beweis geschieht - erweisen zu wollen. Dies bedeutet zugleich eine neue, von der rationalistischen Tradition abweichende Gewichtung des Verhältnisses der obersten Grundsätze unserer Erkenntnis zueinander. Kant wird bei seinem frühen Versuch, „einen tieferen Einblick in das Gesetz der Beweisführungen unserer Erkenntniskraft zu gewinnen", zum einen dem Satz der Identität den Vorrang gegen-über dem des Widerspruches einräumen, d. h. aber dem Satz des Widerspruchs den ihm von Wolff zugewiesenen Rang, der oberste Grundsatz aller Erkenntnis zu sein, bestreiten, und zum anderen - im Anschluß an Crusius - den Satz des zureichenden Grundes durch eine bei Crusius in dieser Schärfe noch nicht vorgenommene -Trennung von Seins- und Erkenntnisgrund (ratio essendi vel fiendi und ratio cognoscendi) so fassen, daß ein Daseinsbeweis Gottes, „so wesentlich er dafür nur sein kann" (Nova dil. 435), möglich wird.

Der Satz der Identität wird in der Nova dilucidatio als „die letzte Grundlage aller Erkenntnis schlechthin" ausgewiesen - „omnis omnino cognitionis ultimum esse fundamentum" (Nova dil. 414). Weil aber ein wahrhaft einfacher Satz stets „entwe-der bejahend o„entwe-der verneinend sein" muß (Nova dil. 409), kann die letzte Grundlage aller Erkenntnisse kein einfacher Satz sein. Denn ist er nur eines von beiden, dann kann er „nicht allgemein sein und alle Wahrheiten schlechthin", d. h. sowohl affirmative wie verneinende Sätze, „unter sich zusammenfassen": als affirmativer nicht die verneinenden, als negativer nicht die affirmativen. Da es nun „einen Einzigen, unbedingt ersten, allgemeinen Grundsatz für alle Wahrheiten" nicht geben kann (Prop. I), muß es (Prop. II) „zwei unbedingt erste Grundsätze für alle Wahr-heiten" geben: „den einen für die bejahenden Wahrheiten, nämlich den Satz: alles, was ist, ist, den anderen für die verneinenden Wahrheiten, nämlich den Satz: alles, was nicht ist, ist nicht. Beide zusammen werden allgemein der Satz der Identität ge-nannt." (Nova dil. 413) Eine jede direkte Schlußart oder Beweisführung, welche die Wahrheit aus der „Übereinstimmung der Begriffe des Subjekts und des Prädikats"

gewinnt, muß sich stets auf einen der beiden Sätze berufen, wenn sie das Subjekt als etwas setzt, wodurch ein Prädikat entweder ein- oder ausgeschlossen wird. „Jede direkte Beweisführung wird also vom Satz der Identität beherrscht werden; was [zu zeigen] das erste war." (Nova dil. 413)

die Mehrdeutigkeit des Seinsbegriffs verstrickt". (Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Teil 1, Darmstadt 1994, 2 9 7 )

Zweitens wird Kant zeigen, „daß auch beim indirekten Beweis der zweifache Satz der Identität (principium identitatis geminum) die Hauptrolle spielt, folglich [dieser und nicht der Satz des Widerspruchs] die letzte Grundlage aller Erkenntnis schlechthin ist" (Nova dil. 415). Der indirekten Schlußart werden die Sätze zugrunde gelegt: „1) alles, dessen Gegenteil falsch ist, das ist wahr, das heißt, alles, dessen Gegenteil verneint wird, das muß bejaht werden; 2) alles, dessen Gegenteil wahr ist, das ist falsch", wobei der erste Satz die bejahenden und der zweite die verneinenden Sätze zu Folgesätzen hat. In der Umformulierung in die „einfachsten Ausdrücke"

lautet der erste: „alles, was nicht nicht ist, das ist", und der zweite: „alles, was nicht ist, ist nicht. In beiden Fällen wird der „Ausdruck des Gegenteils" (oppositi) ebenso wie der „Ausdruck der Falschheit" (falsitatis s. remotionis) „durch das Wörtchen nicht [...] bezeichnet". Sofern man Kant nun zugesteht, daß im ersten Satz „das eine Wörtchen nicht anzeigt, daß das andere aufzuheben sei" (alteram esse tollendam), so kommt in der Tat nach der „Tilgung" (deleta) beider der Satz heraus: „alles, was ist, ist, und da der zweite Satz als solcher schon den zweiten Grundsatz der Identität formuliert, so kann Kant seinen doppelten Satz der Identität auch in der indirekten Schlußfolgerungsart bestätigt finden. (Nova dil. 413 f) Daß nun aber der Satz der Identität nicht in einem Satz bzw. als singulärer Satz zu formulieren ist und es insofern keinen einzigen ersten allgemeinen Satz für alle Wahrheiten gibt, sondern daß der Satz der Identität „zwei unbedingt erste Grundsätze fur alle Wahrheiten"

enthält, gleichwohl aber beide nur zusammen den Satz der Identität ausmachen, diese zweifache Bestimmung der „letzten Grundlage aller Erkenntnis schlechthin"

scheint für Kant noch kein Problem gewesen zu sein.2

2 Sollte man aber auf den Kant hier wohl ganz fernliegenden Gedanken verfallen, auch für den zweiten Satz der Umformulierung: „alles, was nicht ist, ist nicht", das Wörtchen nicht zu „tilgen", so wäre er selbst nur der erste, „alles, was ist, ist"; der Satz der Identität insofern nur einer bzw. ein einziger, der auch die negativen Wahrheiten durch die doppelte Negation in sich selbst aufgehoben hätte. An diesem einfachen Satz der Identität hinge dann „aller Scharfsinn des Geistes" in der Tat

„wie an einer Klippe fest" ( N o v a dil. 4 1 7 ) , denn entweder wäre die Negation bzw. alle negativen Wahrheiten vollkommen aus ihm herauszulösen, d h der Satz des Widerspruchs wäre dem Satz der Identität nicht nur nicht untergeordnet, sondern bezüglich der zu denkenden Identität gar nicht anwendbar, oder aber er behauptete seine Gültigkeit allein im Inneren des Satzes der Identität selbst, so aber, daß das durch den Widerspruch definierte Unmögliche, nämlich daß „dasselbe zugleich ist und nicht ist", nicht nur möglich, sondern jede affirmative Wahrheit selbst nur aufgrund dieses Widerspruchs zu behaupten, sie selbst also nichts anderes als die in der Identität aufgehobene Unmöglichkeit wäre. - Eine Einheit der beiden Grundsätze bzw. der durch sie begründeten Wahr-heiten, der affirmativen w i e der negativen, in ihrem wechselseitigen B e z u g aufeinander, w i e sie spätestens in Fichtes Wissenschaftslehre ( 1 7 9 4 ) thematisch werden wird, nämlich unter der Voraus-setzung, daß „A und - A, Sein und N i c h t - S e i n , Realität und Negation sich zusammendenken"

lassen, „ohne daß sie sich vernichten und autlieben" - vgl. Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer ( 1 7 9 4 ) , hrsg. v. W. G. Jacobs, Hamburg 1988, 28 - , eine solche dialektische, weil die wechselseitige Negation selbst negierende

Der Satz des Widerspruchs hingegen ist Kant zufolge „der Sache nach nur die Erklärung des Unmöglichen" und noch keine assertorische „Behauptung der Wahr-heit":

„Der Satz des Widerspruchs, der in dem Satz ausgedrückt wird: es ist unmöglich, daß dasselbe zugleich ist und nicht ist, ist der Sache nach nur die Erklärung des Unmögli-chen (re ipsa non est nisi definitio impossibilis)\ denn alles, was sich widerspricht, oder was als zugleich seiend und nicht-seiend vorgestellt wird, wird unmöglich genannt. Aber auf welche Weise kann man feststellen, daß alle Wahrheiten auf diese Erklärung wie auf einen Probierstein bezogen werden müssen? Denn es ist weder nötig, jede Wahrheit gegen die Unmöglichkeit des Gegenteils sicher zu stellen [d. h.

jede Affirmation durch die Negation der Negation zu erweisen], noch ist das, um die Wahrheit zu gestehen, an sich zureichend (ut verum fatear, hoc per se sufficit); denn einen Überschritt von der Unmöglichkeit des Gegenteils zur Behauptung der Wahrheit (non enim datur ab oppositi impossibilitate transitus ad veritatis assertionem) gibt es nur vermittels des Satzes [der Identität]: alles, dessen Gegenteil falsch ist, das ist wahr, der sich also, wie im vorausgehenden gezeigt wurde, mit dem Satz des Wider-spruchs [...] die Herrschaft teilt." (Novadil. 419)

Durch den Satz des Widerspruchs läßt sich nur erklären, warum etwas unmöglich ist, nicht aber, warum deshalb, weil etwas unmöglich ist, etwas anderes überhaupt gesetzt sein soll.3 Ein „Überschritt" (transitus) zur assertorischen Behauptung einer Wahrheit, z. B. des Daseins Gottes, ist allein durch den Satz des Widerspruchs nicht möglich. Die Unmöglichkeit, durch die gar nichts assertorisch behauptet werden kann, ist kein an sich zureichender Grund, die Möglichkeit des Gegenteils zu be-haupten; nur in Verbindung mit dem Satz der Identität kann aus der Unmöglichkeit auf die Möglichkeit von etwas geschlossen werden: Einen Übergang „von der Un-möglichkeit des Gegenteils" zur Behauptung der Wahrheit aber gibt es „nur ver-mittels des Satzes: alles, dessen Gegenteil falsch ist, das ist wahr" (Nova dil. 419).

Dieser indirekte Schluß jedoch setzt, wie Kant zuvor zu zeigen versuchte, den Satz der Identität bereits voraus. Der Satz des Widerspruchs aber führt als solcher, wenn er sich nicht mit letzerem „die Herrschaft teilt", d. h. aber „bei der Unterordnung der Wahrheiten" dem Satz der Identität nicht der Vorrang eingeräumt wird, zu gar

Ineinssetzung wird von Kant nicht in Erwägung gezogen, auch wenn in der indirekten Schlußart die Negation des Negativen (die Falschheit des Gegenteils) als Affirmation des Gegenteils (des Gegen-teils) gedacht wird. Die aus der Negation (der Negation) sich ergeben sollende Einheit von Realität und Negation wäre in diesem Falle ohne die affirmative Funktion des Satzes des Widerspruchs nicht zu denken. Diesem aber wird der Anspruch, obersler Grundsatz aller Wahrheiten sein zu können, in der Nova dilucidano gerade abgesprochen.

1 Der Sache nach erklärt die Unmöglichkeit eines viereckigen Dreiecks weder die Möglichkeit des Dreiecks noch des Vierecks; die Unmöglichkeit eines unausgedehnten Körpers nicht die keit der ausgedehnten, die Unmöglichkeit, daß etwas zugleich ist und nicht ist, nicht die Möglich-keit, daß überhaupt etwas ist.

keinen wahren positiven Bestimmungen; mithin nicht aufgrund des Satzes des Widerspruchs, sondern nur unter der Voraussetzung des Satzes der Identität ist der

„Überschritt" von der Unmöglichkeit des Gegenteils zu wahren Aussagen möglich.

Und zudem: „Wem erschiene es schließlich nicht etwas hart und noch viel schlim-mer als ein Paradoxon, gerade einem verneinenden Satz den ersten Platz im Felde der Wahrheiten zu überlassen und ihn als Hauptstütze aller [Wahrheiten] zu be-grüßen, da nicht einzusehen ist, warum die verneinende Wahrheit vor der bejahen-den dieses Vorrecht genießen sollte." (Nova dil. 421)

Sofern nun aber der Übergang vom Unmöglichen zur Behauptung des (posi-tiven) Gegenteils: wie und warum nicht nur etwas unmöglich, sondern das Gegenteil überhaupt etwas bzw. nicht nicht sein kann, durch den Satz des Widerspruchs allein gar nicht zu vollziehen ist, stellt der in der rationalistischen Tradition für den ontologischen Gottesbeweis beanspruchte und durch den Satz des Widerspruchs allein schon möglich sein sollende „transitus" bereits für den vorkritischen Kant der Nova dilucidatio jene unerkannte bzw. bislang rationalistisch verkannte Untiefe dar, in der - und das ist sowohl 1755 als auch 1763 und schließlich auch noch 1781 Kants zentraler Kritikpunkt - gerade der cartesische bzw. der - von Kant zuerst so genannte - ontologische Gottesbeweis zu versinken droht, weil er dem Satz des Widerspruchs eine argumentative Beweislast aufbürdet, die dieser alleine zu tragen gar nicht in der Lage ist. Doch erst sieben Jahre später - im Einzig möglichen Be-weisgrund - wird Kant zum Zwecke eines „eigentlich" und d. h recht genetisch ge-führten ontologischen Beweises mit der Analyse des Begriffes der inneren Möglich-keit die Tiefe dieses durch den logischen Grund der UnmöglichMöglich-keit allein nicht voll-ziehbaren Übergangs ausloten; in der Nova dilucidatio beläßt er es bei der dem

„Rang" nach untergeordneten Stellung des Satzes des Widerspruchs gegenüber dem (doppelten) der Identität, ohne weiter danach zu fragen, welche Funktion der - zwei-fach, als Falschheit und als Gegenteil bestimmten - Negation bezüglich der Affirma-tion zumindest in der indirekten Schlußart zukommt.4 Sofern jedoch auch für den

4 Denn diese indirekte Schlußart müßte gerade den Zirkel vermeiden, in den Kant den Versuch von Darjes, „den Satz des Widerspruches mit Hilfe von Charakteren wiederzugeben", verstrickt sieht,

„indem er den bejahenden Begriff durch das Zeichen + A, den verneinenden durch das Zeichen - A ausdrückte, woraus die Gleichung + A - A = 0 hervorgeht, d. h. dasselbe zu bejahen und zu verneinen ist unmöglich oder nichts (impossibile s. nihil)". Kant sieht in diesem Versuch eine

„petitio principii": „Denn legt man dem Zeichen des verneinenden Begriffs die Kraft (vim) bei, den ihm verbundenen bejahenden aufzuheben (tollat), so setzt man offensichtlich den Satz des Wider-spruchs voraus, in dem festgestellt wird, daß entgegengesetzte Begriffe einander aufheben. Unsere Darstellung des Satzes jedoch: alles, dessen Gegenteilfalsch ist, das ist wahr, ist von diesem Fehler frei. Denn da er in den einfachsten Ausdrücken abgefaßt so lautet: alles, was nicht nicht ist, das ist, so tun wir, wenn wir die Wörtchen nicht aufheben (tallendo), nichts anderes als ihrer einfachen Bedeutung nachgehen, und es ergibt sich, wie es sein mußte, der Satz der Identität: alles, was ist.

Satz der Identität wenigstens in der indirekten Schlußart: „alles, dessen Gegenteil falsch ist, das ist wahr", nicht nur die Falschheit des Gegenteils, sondern selbst die assertorische Wahrheit des Gegenteils (des Falschen) nur aufgrund des Wider-spruchs zu behaupten wäre, so wäre damit der Vorzug des Satzes der Identität wieder in Frage gestellt: Der Widerspruch selbst wäre in diesem Falle der einzige Grund der Wahrheit, die allein durch die Negation (die Unmöglichkeit) der Negation (des Gegenteils) affirmativ zu behaupten wäre. Dies aber, daß die Unmöglichkeit des Gegenteils, mithin der Widerspruch zur Voraussetzung jeder assertorischen Bestim-mung zu machen wäre, wird in der Nova dilucidatio durch die Untauglichkeit des Satzes des Widerspruchs, Wahrheiten positiv begründen zu können, ausgeschlossen.

Durch die „Erklärung des Unmöglichen" ist „der Sache nach" noch kein „Über-schritt" zur „Behauptung der Wahrheit" gemacht. Wenn dem Satz des Widerspruchs die „Gültigkeit [...] eines Se/mgesetzes"5 zukommen können soll, dann nur in Ver-bindung mit dem unabhängig von diesem gültigen Satz der Identität. Das Wider-spruchsprinzip als solches erklärt weder die Möglichkeit noch die Wirklichkeit der Dinge. Soll aber das „Kontradiktionsprinzip als Definition des Unmöglichen nicht primär ein logisches, sondern ein ontologisches Prinzip bedeute[n]", dann darf das Unmögliche auch nicht allein durch den logischen Widerspruch, das „impossibile nicht [nur als] ein contradictorium"6 definiert sein. Der „eigentliche Hebel" des Be-weises des Daseins Gottes kann „nicht das bloße Identitäts- und Widerspruchs-prinzip sein, sondern darüber hinaus [muß] entscheidend das Prinzip des Grundes mit ins Spiel komme[n]. ,Der reine Begriff der Möglichkeit ist in Wirklichkeit der Ausgangspunkt, aber es ist zweifelhaft, ob die Prinzipien der Identität und des Widerspruchs, die ihn regieren, hinreichen, den Beweis zu tragen. Gott hat in der Tat seine ratio cognoscendi in dem Faktum, daß er notwendig ist, das Mögliche denkbar

ist " (Nova dil. 417 f) - Mit der Äquivokation des Wörtchens „nicht" sowohl als Ausdruck des Gegenteils (ist nicht) und als Ausdruck der Falschheit oder der Aufhebung (ist falsch = ist nicht) begibt sich Kants Argumentation in der Nova dilucidatio jedoch selbst auf schlüpfrigen Boden, wenn er die umformulierten Sätze der indirekten Schlußart: „alles, was nicht nicht ist, das ist", und

„alles, was nicht ist, ist nicht", plausibel machen will, ohne ebenfalls den Satz des Widerspruchs dabei schon vorauszusetzen. Denn beide Ausdrücke: die Negation als Aufhebung und als Ausdruck des Gegenteils, müßten wohl geschieden bleiben, wenn der Satz der Identität weiterhin die Haupt-rolle spielen und der „Satz der Identität: alles, was ist, ist" (Nova dil. 419), nicht das nur durch den Satz des Widerspruchs denkbare Resultat der gegenseitigen Aufhebung der „Wörtchen nicht" sein soll. Soll der Satz des Widerspruchs auf die „Erklärung des Unmöglichen" beschränkt bleiben, so muß er sich aus dem doppelten Satz der Identität ergeben; nicht darf umgekehrt der Satz der Identität selbst von dem des Widerspruchs abhängig sein. Im Beweisgrund wird Kant das Problem der Negation so zu lösen versuchen, daß er den logischen Grund der Möglichkeit oder Unmög-lichkeit von dem realen Grund der MögUnmög-lichkeit streng unterscheidet.

5 Josef Schmucker, Die Ontotheologie des vorkritischen Kant, Berlin/New York 1980, 42.

'· Ebd., 49.

zu machen; aber das, wodurch man von dem Möglichen zu Gott gelangt, ist nicht ein Nexus der Identiät oder des Widerspruchs; es ist evident ein komplizierter Zu-sammenhang des bestimmenden Grundes'."7

Im zweiten Abschnitt der Nova dilucidatio gibt Kant eine Erklärung „des bestim-menden, gemeinhin zureichend genannten Grundes". Daß Kant das principium rationis sufficientis umformuliert zum principium „rationis determinantis" (Nova dil.

426), dient - eigenen Angaben zufolge - der größeren Präzisierung dessen, was mit diesem metaphysischen Grundsatz gemeint ist. Denn ob ein Grund zureichend ist oder auch nicht, das bleibt schon Crusius zufolge, auf den Kant sich beruft

-„zweideutig, weil nicht sofort ersichtlich ist, wie weit er zureicht; bestimmen aber heißt, so zu setzen, daß jedes Gegenteil ausgeschlossen ist, und bedeutet daher das, was mit Gewißheit ausreicht, eine Sache so und nicht anders zu begreifen" (Nova dil. 427). Zugleich aber ist die in Prop. IV eingeführte Differenzierung zwischen den zu unterscheidenden Weisen bzw. Bedeutungen der Gründe des Bestimmens für die Kantische Argumentation von zentraler Bedeutung, sofern durch die Unterscheidung des ,,Grund[es] des Seins oder Entstehens" vom „Grund [...] des Erkennens" die Voraussetzung für einen Beweis der Existenz Gottes geschaffen wird, der dieses Dasein (ens necessarium) als ein absolutes, d. h. als Sein ohne einen ihm selbst vorhergehenden Grund mit Gewißheit zu erkennen erlauben soll. Der zweite Abschnitt beginnt mit der „Erklärung" (Prop. IV) dieser Differenz der Gründe der Bestimmung:

„Bestimmen heißt ein Prädikat mit Ausschluß seines Gegenteils setzen. W a s ein Subjekt in B e z i e h u n g auf ein Prädikat bestimmt, nennt man den Grund. M a n unter-scheidet einen vorgängig und einen nachträglich bestimmenden Grund. Vorgängig

„Bestimmen heißt ein Prädikat mit Ausschluß seines Gegenteils setzen. W a s ein Subjekt in B e z i e h u n g auf ein Prädikat bestimmt, nennt man den Grund. M a n unter-scheidet einen vorgängig und einen nachträglich bestimmenden Grund. Vorgängig