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New York – Berlin

Im Dokument Michael Wedel Ort und Zeit (Seite 87-90)

Dass es in Die Sonnengöttin um ästhetische Modulationen von Gefühlszu-ständen und subjektiven Wahrnehmungen gehen wird, legt bereits die prägnante Titelsequenz des Films nahe. Richard besucht zusammen mit seiner Mäzenin (Marie Soranno), die ihn beim anschließenden Abendessen mit einem Stipendium für seine Arbeit am Murnau-Buch und die notwendige Forschungsreise nach Berlin ausstatten wird, ein Konzert. Begleitet von zwei Bogenglocken, entlockt ein Musiker (Robert Rutman) mit intensiven, von der Kamera geduldig beobachteten Bewegungen seinem Stahl-Cello fremdartig anmutende Klänge, die sphärisch nachhallen und in ihren tonalen Mustern fließend ineinander übergehen. Varia-tionen eines Themas bietet denn auch der erste Teil des Films, der in einer nahezu symmetrischen Spiegelkonstruktion die Situation in Richards New Yorker Ap-partement mit der in Marthas Berliner Wohnung verschränkt.

Bei Richards Rückkehr vom Abendessen wartet eine junge Frau (Susan Chesler), mit der er eine Woche zuvor eine Nacht verbracht hat, vor seiner Woh-nungstür auf ihn. Er trägt die beim Warten Eingeschlafene in seine Wohnung und legt sie aufs Sofa, stellt die von ihr mitgebrachte Rose in einer Vase auf den Ka-minsims und setzt sich dann zum Schreiben an den Schreibtisch. Die junge Frau wacht auf, entkleidet sich und bittet um einen Gutenachtkuss. Sichtlich in sei-ner Arbeit gestört, kommt er ihrem Wunsch nach einem richtigen Kuss auf den Mund nach, belässt es aber dabei und stellt klar, dass er noch arbeiten müsse und sie jetzt schlafen soll. Als er wieder am Schreibtisch sitzt, ruft Martha an. Zunächst seufzt Richard über die erneute Störung, ist aber erfreut, als er feststellt, dass es Martha ist, und kündigt seinen Besuch in Berlin für die nächste Woche an.

Während er im Bildhintergrund mit Martha telefoniert, sehen wir die junge Frau auf dem Sofa, wie sie die Augen aufschlägt und dem Gespräch folgt. Sie nimmt dabei eine ähnliche Haltung ein wie Matahi auf dem Verleihplakat für Murnaus Tabu, das im Hintergrund der Einstellung sichtbar ist (Abb. 4.1).

Kurz bevor sich Richard von Martha mit einem„I love you“verabschiedet, wechselt die Kameraperspektive und schließt die junge Frau von unserem Blick aus. Nachdem er aufgelegt hat, springt die Perspektive in die vorherige zurück:

Rudolf Thome: Traurige Tropen. In: Hans Helmut Prinzler (Hg):Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Melancholiker des Films.Berlin 2003, S. 217–218, hier S. 217.

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„Do you call every woman‚Baby‘?“, fragt die junge Frau. Man hört Richard wieder seufzen, dann bricht die Szene ab.

Mit der nächsten Einstellung sind wir in Marthas Berliner Atelierwohnung, in der sie ihre auf dem Boden liegenden und an die Wand gelehnten Bilder be-trachtet, dann das Fenster öffnet, als von draußen eine Sirene zu hören ist. Vom Fenster geht sie in den abgegrenzten Schlafbereich des Zimmers, in dem ein junger Mann (Markus Weiß) gerade erwacht. Sie teilt ihm, an den Raumteiler zum offenen Küchen- und Badebereich gelehnt, in knappen Worten mit, dass ihr Freund aus Amerika nach Berlin komme und er deshalb ausziehen müsse. Kur-zer stummer Blickwechsel.„Immediately?“, fragt er.„Yes“, sagt sie. Sie müsse jetzt einkaufen, und es wäre schön, wenn er nach ihrer Rückkehr nicht mehr da wäre. Auf seine Bemerkung, sie sei ganz schön hart, folgt ein längerer stummer Blickwechsel, bevor noch geklärt wird, dass er den Schlüssel auf dem Tisch hinterlassen und seine Schallplatten nicht vergessen soll. Eine kurze, halb ver-söhnliche Umarmung beendet die Szene. Nach ihrer Rückkehr vom Markt findet Martha einen Brief von Franz (denn so heißt der junge Mann), in dem er ihr mitteilt, dass er an seinem Rausschmiss schwer zu knabbern habe, die vier Wo-chen mit ihr jedoch nicht bereue. Sie zerreißt den Zettel und wirft ihn in den Müll.

Zurück in Richards Appartement in New York. Es ist Morgen. Die junge Frau erwacht auf dem Sofa, geht ins Bad und legt sich dann unbekleidet zu Richard Abb. 4.1:Richard, Tabuund die junge Frau auf dem Sofa in Die Sonnengöttin.

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ins Bett, schmiegt sich zärtlich von hinten an. Schnitt und Zeitsprung. Er bucht telefonisch seinen Flug, sie macht Frühstück. Die junge Frau isst mit großem Appetit, hat lange nichts gegessen. Richard, der erkennt, dass sie mittellos ist, kündigt an, er werde ihr etwas Geld geben und sie könne in seinem Appartement bleiben, bis sie etwas Eigenes gefunden hat. Sie:„If I become a star, I pay you all back. Maybe then you write a book about me, too.“

Wieder in Berlin bei Martha, die am Boden ihres Ateliers an einem archaisch wirkenden Tierporträt malt, dessen Augen noch einen Moment die Kamera zu fixieren scheinen, nachdem sie die Einstellung verlassen hat. In New York fährt Richard mit der jungen Frau, deren Namen wir nicht mehr erfahren werden, im Taxi zum Flughafen. Sie sagt, sie würde für den Rückweg in die Stadt den Bus nehmen und könne ihn abholen, wenn er sie wissen lasse, wann er wieder in New York ankomme. Sie schaut ihn lange an. Er sagt nichts. Bei seiner Ankunft in Berlin erwartet ihn Martha am Flughafen. Sie umarmen sich ausgiebig. Auf dem Weg nach Hause machen sie noch einen Abstecher zum Brandenburger Tor. Sie gehen gemeinsam hindurch und Martha macht die eigenwillige Bemerkung:„The greatest men in all of Europe’s history have walked through this gate. Napoleon, Kaiser Wilhelm, Hitler and Stalin. Shall we go home?“

Die folgenden Szenen in ihrer Wohnung–Martha und Richard in der Bade-wanne, im Bett, am Frühstückstisch–variieren thematisch das zuvor mit ande-ren Partnern in ihrer Wohnung und seinem Appartement in New York Gesehene (Abb. 4.2).

Wie Mosaiksteine scheinen sie als Liebeshandlungen in die Ellipsen zu pas-sen, die zuvor bewusst gelassen wurden. Mit dem Unterschied, dass Martha und Richard deutlich weniger miteinander zu sprechen brauchen, um einander nahe zu kommen, dafür aus dem Off von Jazzmusik begleitet werden–von einer Sa-xophon- und einer Pianomelodie sowie von einem Perkussionsthema, das in ei-nem kurzen szenischen Einschub auch Marthas großflächige Bewegungen beim Abb. 4.2:2 x Frühstück.

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Malen rhythmisch akzentuiert. Das Gespräch am Frühstückstisch klingt deutlich an die Frühstücksszene in New York an, kaum weniger deutlich markiert es die Differenz zu Marthas Umgang mit Franz, dem ein letztes gemeinsames Frühstück verwehrt geblieben war. Vor allem aber thematisiert das Gespräch den Bezug zwischen dem, was Martha und Richard tun, und dem, was (und wie) sie lieben.

Richard spricht davon, dass für ihn mit der Möglichkeit, ein Buch über Murnau zu schreiben, ein Traum wahr geworden sei, habe er seine Filme doch immer schon geliebt. Er habe intensive Tage vor sich, wolle täglich zwei Murnau-Filme im Ar-chiv sichten. Die Frage, ob sie ihn begleiten wolle, bejaht sie enthusiastisch:

Natürlich wolle sie das, sie wolle jede Sekunde, die er in Berlin sei, mit ihm verbringen. Im nächsten Augenblick kommt sie darauf zu sprechen, wie schwierig es anfangs für sie in Berlin gewesen sei. Sie habe sogar mit dem Malen aufgehört.

Ob es andere Männer gegeben habe, erkundigt sich Richard. Erst später, erwidert Martha, er sei ihr noch zu nah gewesen. Ob sie sie geliebt habe, fragt er. Sie verneint:„Not like I love you. It was different.“

Worin diese Differenz der Liebe besteht, führt der nächste Teil des Films vor Augen. Er tut dies, indem er die Spiegelkonstruktion langsam auflöst, die Bezie-hung zwischen Martha und Richard behutsam von den bis dahin etablierten Folien abzieht und in Konstellationen rückt, in denen die–libidinös besetzten– Interessen und Tätigkeiten der Figuren ihren Gefühlen füreinander nicht im Wege stehen und sie von ihnen wegführen, sondern zu ihnen hin. Die Orte, an denen diese Bewegung exemplarisch inszeniert wird, sind das Kino, der Friedhof und das Museum.

Im Dokument Michael Wedel Ort und Zeit (Seite 87-90)