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Neue Momente in der kubanischen Revolution

Im Dokument Lateinamerika,eine neue Ära? (Seite 49-61)

Der 24. Februar 2008 wird ein historisches Datum in der Geschichte Kubas werden.

Seit bald einem Jahrzehnt setzt die westliche Welt auf die sogenannte Nach-Ca-stro-Zeit und meint damit: Wenn Fidel Castro nicht mehr an der Spitze Kubas steht, wird das sozialistische Kuba dem Schicksal des Sozialismus in Europa fol-gen und in kürzester Frist im Prozess einer Implosion untergehen.

Nun könnte es heißen: Da mit der Machtübergabe an Raúl weiterhin eine Ca-stro-Zeit bestehen bleibt, müsste noch etwas gewartet werden, aber dann trete das Erwartete doch ein. Doch an dieser Stelle ist Einspruch nötig.

Erstens wird Kuba, nach Höhen und Tiefen, bald den 50. Jahrestag seiner Revolution begehen. Jedes Land schaut auf Symbole seiner Geschichte, und Glei-ches gilt auch für die jüngste Geschichte Kubas. Wer die Festung von Havanna be-sucht, erlebt hier die Kolonialgeschichte des Landes. Er betritt aber auch das Ar-beitszimmer des ersten Vertreters der Revolution, des Comandante Che Guevara.

Mit der Solidarität der Sowjetunion und dem Einsatz ihrer Macht vor den Küsten der USA, um eigene Interessen zu sichern, waren Partnerschaft und Ab-hängigkeit, auch verstärkte Gefahren militärischer Bedrohung durch die USA, verbunden.

Die Sowjetunion existiert nicht mehr, der Realsozialismus in Europa ist unter-gegangen, die Revolution in Kuba jedoch nicht.

Zweitens hieß es im Jahr 1990, der Kalte Krieg sei beendet, es gebe keine Fein-de mehr. Nun gibt es jedoch wieFein-der Kriege, und Kuba steht in Fein-den USA wieFein-der bzw. weiterhin auf der Liste der Feinde. Dass eine solche Liste nicht nur von rhe-torisch-symbolischer Bedeutung ist, haben viele Länder erlebt, auch Länder in La-teinamerika. Grenada war dafür ein Beispiel. Kuba ist weiterhin bedroht.

Drittens gab es in den 1990er Jahren die »Spezialperiode in Friedenszeiten«, wie sie Fidel Castro nannte, in der sich fehlende Partnerschaften und Zusammen-arbeit am stärksten auswirkten. Erst jetzt hat Kuba die wirtschaftliche Leistung wieder erreicht, die es 1990 bereits erbracht hatte.

Der Prozess der kubanischen Revolution hat viele Etappen. Sie sind und blei-ben mit Fidel Castro verbunden.

Seit mehr als einem Jahr hat in Kuba eine Entwicklung eingesetzt, die den Er-wartungen des Westens geradezu entgegensteht. Ein kurzer Blick in die kubani-sche Geschichte macht den Vorgang noch besser verständlich. Als der Diktator Batista am 1. Januar 1959 Kuba mit dem Flugzeug verlässt, hatte ein jahrelanger,

mit militärischen Mittel geführter revolutionärer Kampf zum Sieg geführt. Keine äußere Macht hatte daran mitgewirkt, nicht wie die Sowjetunion in Mittel- und Osteuropa nach der Befreiung Europas vom Faschismus beim Aufbau einer anti-kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Die Rebellenarmee unter Führung Fidel Castros hatte den Sieg errungen. Ziel dieses Kampfes war der Sturz der von den USA abhängigen Diktatur und das En-de En-der imperialistischen Kolonialisierung Kubas gewesen. Das beEn-deutete aber, die Zuckerfabriken, Eisenbahnen, Bergwerke, den Boden, das Elektrizitätsnetz in neue Besitzverhältnisse zu bringen. Waren sie bisher mehrheitlich in ausländi-schem Besitz und von Batista geschützt, konnte die Logik der Revolution nur heißen, nicht das kubanische Kapital durch Besitzwechsel zu stärken, sondern den Weg einer sozialistischen Revolution zu gehen. Die wurde nicht umgehend ver-kündet. Was aber viele Kubaner noch selbst nicht verstanden, hatten die imperia-listischen Kräfte in den USA schon begriffen. Im März/April 1961 landeten, aus-gehend von den USA, bewaffnete Einheiten in der Schweinebucht, die von den revolutionären Kräften Kubas vernichtend geschlagen wurden. Der Prozess der Revolution in Kuba ging weiter. Was die USA vor der eigenen Haustür verhindern wollten, setzte nun erst recht ein. Dem Bestreben, den Kolonialismus mit mi-litärischer Kraft zu überwinden, folgte die Erkenntnis, dass dies nur durch einen ständigen Prozess revolutionärer sozialistischer Veränderungen geschehen kann.

Immer mehr Menschen schlossen sich der Idee der Revolution an, womit der Re-aktion der Boden entzogen wurde. In Kuba wuchsen aus einem revolutionär-de-mokratischen Kampf gegen Diktatur und imperialistische Abhängigkeit die Ziele einer sozialistischen Revolution.

Als sich dieser Prozess entfaltete, tobte der Kalte Krieg in Europa schon in viel-fältiger Weise. Die USA, führende Kraft in diesem Kalten Krieg, setzten alle Mit-tel ein, um den revolutionären Prozess in Kuba zu beenden. Der militärischen Nie-derlage in der Schweinebucht folgte die am 3. Februar 1962 von Präsident John F.

Kennedy verkündete totale Wirtschaftsblockade gegen Kuba. Die Kuba-Krise zwischen den USA und der Sowjetunion im Sommer 1962 wird wohl zu Recht als Höhepunkt im Kalten Krieg bewertet. Wie Dokumente belegen, wurden buch-stäblich zehn Minuten vor einem atomaren Krieg von Chruschtschow und Ken-nedy die Bremsen gezogen und der Abschuss atomarer Raketen verhindert.

Alle diese Tatsachen wurden zu Erlebnissen von Generationen in Kuba, lösten sozialistische Überzeugungen aus, die über Jahrzehnte bewahrt wurden.

So ist es auch noch heute berechtigt, worauf mich mein Freund Oscarito 2008 verweist: »Bei allen Problemen unserer Revolution in der Gegenwart waren wir nie wie die DDR und sind wir heute nicht wie China. Wer mit uns über unsere Ge-genwart und Zukunft sprechen will, darf nicht versuchen, uns von unserer eigenen revolutionären Geschichte zu trennen.« Ein berechtigter Hinweis und zugleich die Herausforderung, das Kuba von heute genauer zu betrachten, die gegenwärtigen Formen imperialer Politik gegenüber Kuba nicht zu vergessen und die Solidarität

mit Kuba zu stärken. Letzteres fällt auch manchem Linken schwer und hängt ge-wiss vom Standort im eigenen politischen Umfeld und innerhalb der eigenen po-litischen Geschichte ab.

Jede Generation muss ihren eigenen Weg finden und gehen, als Sozialistin und Sozialist wird niemand geboren. So werden Betrachtungen meiner Generation, die mit jungen Jahren schon im politischen Leben stand, als die kubanische Revoluti-on begann und die bis heute in uneingeschränkter Solidarität mit Kuba verbunden ist, anders ausfallen als die nachfolgender Generationen. Über fast vier Jahrzehn-te verbinden mich durch direkJahrzehn-te Begegnungen mit Kuba. Und immer wieder hat-te ich Neues zu entdecken. Der jüngshat-te Besuch im Februar 2008 könnhat-te zur Zeit einer Zäsur in der revolutionären Geschichte Kubas erfolgt sein. So jedenfalls ist meine Wahrnehmung aktueller Erlebnisse, aus denen sich die folgenden Überle-gungen ergeben. Ob es mir dabei gelingt, den notwendigen Abstand zu wahren und bei der engen Verbundenheit mit Kuba nicht nur subjektiven Wünschen ver-haftet zu bleiben, wird sich zeigen.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird wieder über Sozialismus diskutiert, und es werden Realitäten für eine solche Entwicklung in Lateinamerika entdeckt. Hu-go Chávez hat eine solche Perspektive zum Ziel seiner Politik erklärt und unter-nimmt große Anstrengungen für die Bildung einer Partei, die ein solches Ziel zum Programm erheben soll. Wenn Ernesto Kroch, ein engagierter Linker aus Urugu-ay, schreibt »Eine neue Ära hat begonnen« und seinen Blick auf Stand und Per-spektiven linker Regierungen in Lateinamerika richtet, hat er damit gewiss Recht.

Zu den »radikalen« Regierungen in Lateinamerika gehört in seiner Aufzählung auch Kuba. Was in seinen Betrachtungen dazu offen geblieben ist, soll hier ergänzt werden.

Es lässt sich über Sozialismus im 21. Jahrhundert scheinbar leichter diskutie-ren, wenn Kuba und China außen vor bleiben und die Geschichte des realen So-zialismus in Europa als eine Kette von Fehlern, Irrtümern und Verbrechen gilt.

Der Höhepunkt dieser Betrachtungen ist dann erreicht, wenn die DDR als die zweite deutsche Diktatur im 20. Jahrhundert bezeichnet wird. Wer sich dem deut-schen Zeitgeist beugt, wird weder an einer konstruktiv-kritideut-schen Sozialismus-De-batte teilnehmen können, noch den Mut finden, nicht nur berechtigt über Fehler bis hin zu Verbrechen zu diskutieren, die es im Realsozialismus gab, sondern auch Erfahrungen, Erkenntnisse und Errungenschaften zu benennen, die mit ihm ver-bunden waren und die für eine sozialistische Perspektive im 21. Jahrhundert be-deutsam sein könnten.

In Lateinamerika wird eine neue Ära auch mit Personen verbunden, die linken Regierungen vorstehen. Das gilt für Kuba gleichermaßen. Am 24. Februar 2008, nach Ortszeit gegen 16 Uhr, ergreift der neue Präsident Kubas, Raúl Castro, in der Nationalversammlung das Wort zu seiner ersten Regierungserklärung im höchsten Amt des Landes. Bereits am 31. Juli 2006 hatte Fidel Castro wegen einer schwe-ren Erkrankung seine Funktionen in Staat, Partei und Militär interimistisch auf

seinen fünf Jahre jüngeren Bruder übertragen. Auch wenn formal die Funktion des Generalsekretärs der Partei noch bei Fidel Castro verblieben ist, Raúl führt die Partei auch als 2. Sekretär.

Bei Gesprächen mit Funktionären der KP wurde bezüglich jüngster Entschei-dungen und Orientierungen immer auf die Initiative des 2. Sekretärs verwiesen.

Was im Staat mit der Wahl vollzogen wurde, ist auch in der Partei Realität. Raúl hat die Verantwortung übernommen. Entgegen den Erwartungen in der westlichen Politik ist mit der Übergabe der Funktion von Fidel auf Raúl Castro kein Macht-vakuum und in Kuba keine Instabilität entstanden. Abgesehen davon, dass Raúl von Beginn an nicht einfach neben seinem Bruder Fidel stand, sondern immer ei-ne wesentliche Stütze der Macht war, hat er in den letzten anderthalb Jahren mit seiner Politik und seinem Auftreten zunehmend Vertrauen im Volk und in der Par-tei gewonnen und so zur Festigung der Stabilität im Land beigetragen. Auch wenn es an der engeren Spitze keine Veränderungen gab, wurden über 40 Prozent der Mitglieder des Staatsrates am 24. Februar neu gewählt. In seinen inzwischen sehr bekannten »Reflexionen« hat sich Fidel Castro am 28. Februar mit Fingerspitzen-gefühl zu den Personalentscheidungen geäußert. So warb er um Verständnis für die Wahl des 1. Stellvertreters des Präsidenten und Ministerpräsidenten, Machado Ventura, der nun der zweite Mann in Kuba ist, 76-jährig wie Raúl und wie dieser eng mit der Revolution von Anfang an verbunden. Carlos Lage, seit vielen Jahren Stellvertreter des Ministerpräsidenten, ist 56 Jahre alt und gehört weiter dem eng-sten Führungskreis an, ebenso der 42-jährige Außenminister Felipe Pérez Roque.

Das spricht für die Beibehaltung des Kurses, im Zusammenwirken unterschiedli-cher politisunterschiedli-cher Erfahrungen in der Führung alle Generationen in den revolu-tionären Prozess einzubinden.

Raúl Castro bat um Verständnis, dass er nach der Wahl der Nationalversamm-lung noch nicht entsprechend der kubanischen Verfassung den Vorschlag zur Zusammensetzung der Regierung unterbreitet hat. Es brauche noch Zeit, um die Inhalte der künftigen Politik, eine entsprechende Struktur der Ministerien im In-teresse einer größeren Effizienz ihrer Tätigkeit zu erarbeiten. Die Interimszeit soll also nicht einfach fortgesetzt werden, sondern mit ausgereiften Konzeptionen und geeigneten Personen sollen die anstehenden Probleme gelöst werden.

Die Frage, ob es in Kuba um Entwicklungen innerhalb des bestehenden Sy-stems gehen oder Veränderungen am Sozialismus in Kuba vollzogen werden sol-len, ist gewiss nicht als Spitzfindigkeit abzutun. Sie gehört zu den Debatten linker Kräfte in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, die speziell in Venezuela auf eine Politik für einen Sozialismus im 21. Jahrhundert ausgerichtet ist. Es geht in diesen Debatten und auch in der Politik nicht um den Sozialismus des 21. Jahr-hunderts, nicht um ein vorzugebendes Modell. Überlegungen, die auf ein solches allgemeingültiges Modell abzielen, gehen an den Erfahrungen des Sozialismus im 20. Jahrhundert vorbei und entsprechen schon gar nicht den sehr unterschiedli-chen Realitäten Lateinamerikas, von Europa ganz zu schweigen.

Kuba geht in das 50. Jahr seiner Revolution und hat nie aufgehört, diese Ge-schichte als einen ständigen Prozess zu verstehen, in dem Erfolge erzielt und Feh-ler gemacht wurden, wie Raúl Castro am 24. Februar betonte, auch im Guten wie im Schlechten Angleichungen an sozialistische Länder Europas erfolgten.

Besuche und Gespräche in unterschiedlichen Bereichen der kubanischen Wirt-schaft und GesellWirt-schaft bestätigen diese Betrachtung von Raúl Castro. Gewiss ha-ben spätere Generationen nicht die Erlebnisse und Erinnerungen wie jene, die an der Revolution teilnahmen oder sie erlebten. Aber Geschichte hebt sich nicht auf.

Als Fidel Castro nach dem gescheiterten Sturm auf die Moncada-Kaserne in San-tiago de Cuba 1953 vor Gericht stand und sich als Rechtsanwalt selbst verteidigte, enthielt seine berühmte Rede »Die Geschichte wird mich freisprechen« schon wich-tige Programmpunkte und Ziele der Revolution: »Das Problem der Landreform, das Problem der Industrialisierung, das Wohnungsproblem, das Arbeitslosenproblem, das Erziehungsproblem und das Problem der Volksgesundheit, das sind die sechs Probleme, deren Lösung wir sofort in Angriff nehmen werden, ebenso wie die Wie-derherstellung der Grundrechte und der politischen Demokratie.«

Nicht alle Probleme sind so gelöst, dass die Ergebnisse mit Befriedigung be-trachtet werden können. Auf allen genannten Gebieten haben sich jedoch große Veränderungen vollzogen, und neue Probleme treten folglich auf, die neue Lö-sungen erfordern.

Immer wieder erklärten meine Gesprächspartner: Wir haben an der großen Volksaussprache vor der Wahl teilgenommen; unsere Ideen, Vorschläge, Erwar-tungen sind auch unter den 1,2 Millionen, die dabei insgesamt unterbreitet wor-den sind.

Eine Landreform wurde schon 1959 durchgeführt. 850.000 ha Land wurden enteignet, davon 420.000 ha an Kleinbauern verteilt. Bei der Fortsetzung der Re-form blieb privater Landbesitz zum Teil bestehen, ein Teil wurde genossenschaft-lich bearbeitet, die größeren Staatsfarmen erhielten den größten Stellenwert. Es vollzogen sich damit gewaltige Veränderungen, die die USA mit einer Wirtschafts-blockade sofort auf den Plan riefen. Mehr als die Hälfte des Bodens war in den Händen ausländischer Eigentümer gewesen, und die Zuckerrohrproduktion in Ku-ba erfolgte unter dem Dach großer US-Unternehmen.

Die Sowjetunion vereinbarte 1961 mit Kuba vertraglich, jährlich eine Mio. t Zucker zu importieren, und Präsident Eisenhower strich den Import von 700.000 t Zucker aus Kuba. Das setzte damals deutliche Zeichen. Das Bild, das man heute als Besucher erhält, mag in vielen Punkten oberflächlich sein, und doch macht es vielfältige Probleme deutlich, auf deren Lösung Raúl Castro am 24. Februar die Aufmerksamkeit richtete. Nach der Revolution war die »Zafra«, die Ernte des Zuckerrohres, die größte Wirtschaftskampagne in Kuba. Das höchste angestrebte, aber nie erreichte Ziel waren zehn Mio. t Zucker im Jahre 1970. Heute machen rund zwei Mio. t den Jahresertrag aus. Brasilien bringt 18 Mio. t Zucker auf den Markt und ist als Konkurrent heute überlegen.

Die Versorgung in Kuba erfordert gegenwärtig Lebensmittelimporte im Wert von 1,6 Mrd. US$. Die privaten Kleinbetriebe erbringen die Hälfte der Versor-gung. José Luis Rodriguez, der Minister für Wirtschaft und Planung, sieht nur den einen Ausweg: Kuba muss und kann seine eigene Versorgung sichern. Flächen, die wie in anderen Ländern Lateinamerikas auch in Kuba brachliegen, müssen zu landwirtschaftlichen Nutzflächen werden. Und Mittel, die durch zusätzliche Er-träge frei werden, sollen zum großen Teil in die Modernisierung der Land-wirtschaft fließen, unter anderem in die Bewässerung, um höhere Erträge bei Obst und Gemüse zu erreichen. Der Maisanbau soll so entwickelt werden, dass er über den direkten Anteil an der Ernährung auch in der Milch- und Fleischproduktion höhere Leistungen ermöglicht.

Das steht im Zusammenhang mit einem Thema, dem sich Fidel Castro schon 2007 in einer der »Reflexionen« mit einer grundsätzlichen Betrachtung widmete.

Er bezog sich auf die Entwicklung in Brasilien, wo der Mais in wachsendem Um-fang nicht mehr für die menschliche Ernährung eingesetzt, sondern zu Bio-Kraft-stoff verarbeitet wird. Die Menschen hungern, und die großen Produzenten ma-chen gewaltige Profite. Aber der Kreislauf geht noch weiter. Die Konkurrenz macht den Maisanbau für Kleinbauern unrentabel und steigende Preise für Mais-fladen sind im Ursprungsland des Maises, in Mexiko, für immer größere Teile der Bevölkerung bei sinkendem Einkommen nicht mehr bezahlbar. Der globale Kapi-talismus zeigt auch in dieser Form seine zerstörerischen Auswirkungen. Raúl Ca-stro greift das Problem in seiner Rede unter kubanischen Gesichtspunkten auf.

Zentrale Regelungen würden Initiativen vor Ort noch häufig bremsen. Inzwischen seien Gemeinden dabei, die Milchversorgung mit eigenem Aufkommen zu si-chern. So konnten mehr als 6.000 t Milchpulver im Wert von 30 Mio. US$ einge-spart werden. Die regionale Versorgung ereinge-sparte dazu den Einsatz von 600.000 Li-ter Benzin.

Der Besuch im Projekt Valle del Perú, welches von »Cuba Sí« solidarisch be-treut wird, zeigte, wie eine große Staatsfarm um höhere Produktivität in der Milchproduktion ringt. »Milch für Kubas Kinder« heißt das Ziel der Solidarität.

Auf dieser Farm war zu erleben, wie groß ihre Wirkung ist. Die sozialen Fragen rücken auch auf dieser Farm nach der genannten Volksaussprache stärker in den Mittelpunkt. Die Wohnungsfrage, Versorgungsprobleme, Personennah- und Fern-verkehr, alles kommt zur Sprache; aber im Mittelpunkt der Debatten bleibt das Engagement für die Milchproduktion mit gesunden Kühen und hoher Milch-leistung.

Welche Einrichtungen des Gesundheitswesens wir auch besuchten, ob die Au-genklinik, die Gesundheitszentren in Havanna oder eines in den Bergen bei Cien-fuegos, wir konnten uns vom hohen Niveau der medizinischen Betreuung über-zeugen, sei es nun für Schwangere oder für Senioren. Und immer begleitete uns der Hinweis auf die umfangreiche solidarische Hilfe, die Kuba in vielen Entwick-lungsländern leistet. Es sind etwa 25.000 Ärzte und Schwestern dort im Einsatz.

Ei-nen besonderen Platz nimmt Venezuela ein, wobei auch der beiderseitige Nutzen enger Beziehungen eine Rolle spielt. Etwa 15. 0 00 Kräfte des Gesundheitswesens und auch viele Lehrerinnen und Lehrer sind dort tätig und helfen, das Programm der Chávez-Regierung zur Überwindung des Analphabetentums zu verwirklichen.

Die gemeinsame spanische Sprache lässt dabei keine Barrieren entstehen.

Auch wenn Kuba heute schon 46 Prozent seines Energieverbrauches durch Er-döl und Erdgas aus eigenem Aufkommen sichert, ist in Cienfuegos sichtbar, wie wichtig die solidarischen Vereinbarungen mit Venezuela für Kuba sind. Im dorti-gen Hafen wird gerade ein Öltanker aus dem befreundeten Land abgepumpt.

Und beim Besuch der Lateinamerikanischen Universität zur Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten aus über 30 Ländern war eine andere Seite kubanischer So-lidarität zu erleben. Der Campus dieser Universität war einst die Militärakademie zur Ausbildung von Offizieren der kubanischen Marine. Manche von ihnen haben an den Aktionen der kubanischen Armee im Befreiungskampf des Volkes von Angola in den 1970er und 1980er Jahren teilgenommen. Das mag ein strittiges Thema sein. Es gehört jedoch zum politischen Verständnis dieser Zeit und die mi-litärischen Auseinandersetzungen in Afrika waren ein Ausdruck der aus dem Ko-lonialsystem hervorgegangenen Konflikte auf diesem Kontinent. Es war den USA nicht möglich, eine Verurteilung Kubas für diese Solidarität mit Angola in die Ver-einten Nationen zu tragen.

Das Andenken an jene, die in diesen Kämpfen ihr Leben gelassen haben, wird in Kuba hoch gehalten und bewahrt, wie Fidel Castro in seiner Rede 2001 beim Treffen des Forums São Paulo in Havanna betonte. Kuba verfolgte in Angola kei-ne Ziele kei-neuer Kolonialisierung und hinterließ keikei-ne kubanischen Garnisokei-nen zur Sicherung eigener Interessen, wie das beispielsweise Frankreich noch heute in

Das Andenken an jene, die in diesen Kämpfen ihr Leben gelassen haben, wird in Kuba hoch gehalten und bewahrt, wie Fidel Castro in seiner Rede 2001 beim Treffen des Forums São Paulo in Havanna betonte. Kuba verfolgte in Angola kei-ne Ziele kei-neuer Kolonialisierung und hinterließ keikei-ne kubanischen Garnisokei-nen zur Sicherung eigener Interessen, wie das beispielsweise Frankreich noch heute in

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