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2.2 Die Lingualtechnik

2.2.2 Vor- und Nachteile

Die Ästethik ist ein wichtiger positiver Aspekt der Lingualtechnik und für den Patienten sehr bedeutsam. Die festsitzende Apparatur wird von Außenstehenden nicht wahrge-nommen und erscheint nahezu unsichtbar. Dies führt dazu, dass sich gerade Erwachsene für eine kieferorthopädische Behandlung entscheiden (Madsen, 2012).

Die lingual applizierten Brackets bieten außerdem den Vorteil, dass Behandlungsergeb-nisse sowohl für den Patienten als auch für den Behandler sofort sichtbar werden,

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rend vestibuläre Apparaturen zunächst die Sicht verwehren und nur das Multiband und weniger den ausgeformten Zahnbogen zeigen (Wang et al., 1993). Dies kann durchaus psychologisch effektiv sein und sich positiv auf die Motivation und Mitarbeit des Pati-enten auswirken (Creekmore, 1989; Wang et al., 1993). Allerdings kann auch eine hö-here Erwartungshaltung die Folge sein – ein Aspekt, der eher die Kontraseite bestärkt (Rummel et al., 1999).

Zudem bleiben durch ihre Anwendung die vestibulären, sichtbaren Zahnflächen unver-sehrt. Sie werden weder bei der Bracketentfernung beschädigt, noch kommt es in die-sem Bereich zu Entkalkungen, sogenannten „Whitespots” (Gorelick et al., 1982; Lacey et al., 1998; Hohoff et al., 2004). Der gingivale Zahnfleischsaum wird nicht in Mitlei-denschaft gezogen, was wiederum die Ästhetik bestärkt (Wang et al., 1993).

Die lingualen Zahnflächen sind ferner weniger empfänglich für Karies, was den Einsatz trotz vielleicht bestehender Läsionen an den Bukkalflächen möglich macht (Gorelick et al., 1982; Lacey et al., 1998; Hohoff et al., 2004).

Diese Technik bietet im Vergleich zur labialen auch einen Vorteil hinsichtlich des Interbracketabstandes. So weist das linguale System ein größeres und somit günstigeres Verhältnis zwischen freier Drahtlänge und Gesamtbogenlänge auf (Fuck et al., 2005).

Auch der Kraftansatz solcher Lingualbrackets kann näher an das Widerstandszentrum des Zahns gebracht werden (Diedrich, 2000).

Als letzter Punkt ist noch der oben bereits erwähnte Extraktionsfall anzusprechen. Hier erleichtert die Lingualtechnik den Lückenschluss.

2.2.2.2 Nachteile

Nach dem Einsetzen der Apparatur sind anfangs im Rahmen der Eingewöhnungszeit – bedingt durch die Einengung des Zungenfunktionsraumes – Sprechbehinderungen mög-lich. Darüber sollte der Patient unbedingt vor Beginn der Behandlung in einem Bera-tungsgespräch aufgeklärt werden. Die Dauer der Eingewöhnungszeit kann bei jedem Patienten unterschiedlich lang ausfallen (Sinclair et al., 1986; Miyawaki et al., 1999) und es ist durchaus möglich, dass diese Sprachveränderungen auch während der kom-pletten Behandlungszeit präsent sind (Diedrich, 2000).

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Aufgrund der lingualen Lage der Brackets kann es weiterhin zu Zungenirritationen kommen, wobei dieses Problem durch stetige Modifikationen der Bracketform weitest-gehend kompensiert wurde (Diedrich, 2000). Dennoch müssen sich die meisten Patien-ten oft erst daran gewöhnen, dass die Zahninnenflächen nicht mehr glatt sind (Madsen, 2012). Als besonders unangenehm werden hierbei v.a. die Oberkieferfront- und die Unterkieferseitenzahnbrackets empfunden. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die oral befestigten Brackets die Kau- und Abbeißfunktion stören (Miyawaki et al., 1999).

Die sehr geringen Abstände zwischen der Gingiva und den Brackets und damit die er-schwerte Reinigungsmöglichkeit, erfordern zudem große Geschicklichkeit von Seiten der Patienten (Miyawaki et al., 1999). Es besteht ein erhöhtes Risiko für Schmelzschä-den, Plaqueansammlung und infolgedessen Gingivitis und Karies. Dies wird auch durch eine mangelnde Selbstreinigung, bedingt durch die mechanische Behinderung der Zun-ge, Speichel und Muskulatur (Zachrisson und Zachrisson, 1971; Shannon, 1981; Gore-lick et al., 1982), begünstigt.

Durch eine Verbesserung der Mundhygiene ist es Patienten möglich, all diesen negati-ven Aspekten entgegenwirken. Eine mangelnde Mitarbeit kann eine Weiterbehandlung nicht nur verzögern, sondern sogar unmöglich machen (Diedrich, 2000; Kahl-Nieke, 2010).

Weitere Untersuchungen belegen, dass es allgemein bei der Behandlung mit festsitzen-den Apparaturen zu einem sogenannten „bacterial shift“ der oralen Umgebung kommt.

Das bedeutet, dass die Streptococcus-mutans- und die Lactobazillenwerte während dem Zeitraum der Multibandbehandlung bis um das Fünffache der Normwerte erhöht sein können (Shannon, 1981; Davies et al., 1991).

Aber auch die Kieferorthopäden müssen bei Anwendung der Lingualtechnik mit einem anspruchsvolleren Behandlungsablauf rechnen, der mehr Zeit in Anspruch nimmt und ergo auch die Kosten in die Höhe schießen lässt (Lacey et al., 1998). So müssen nicht nur die Brackets so exakt wie möglich auf den Lingualflächen positioniert werden, was meist durch die eingeschränkte direkte Sicht und den geringen Interbracketabstand auf der Zahnbogeninnenseite erschwert sein kann. Auch die Adhäsivtechnik kann durch die oft feuchteren lingualen Verhältnisse, bedingt durch den Wasserdampf aus der Atem-luft, negativ beeinflusst werden (Madsen, 2012).

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Die Behandlung mittels lingual befestigter Brackets, und dabei explizit die indirekte Methode, ist kostenintensiver als z.B. das Multiband oder das Invisalign. Die Ursache liegt in den externen, hohen Laborkosten begründet (Polzar, 2012). Eine derartige Be-handlung ist nicht Bestandteil des Leistungskatalogs von gesetzlichen Krankenversiche-rungen.

Ein weiterer Nachteil, der je nach Behandlungsweise allerdings auch als Vorteil ausge-legt werden kann, ist, dass Lingualbrackets häufiger die Okklusion stören als bukkal applizierte. Dies kann z.B. dazu genutzt werden, dass die Zähne aus ihrer Verzahnung mit dem Gegenkiefer gelöst werden und sich so leichter bewegen lassen, da sie nicht bei jedem Zusammenbeißen der Zähne in die ursprüngliche Ausgangssituation zurückge-führt werden (Harzer, 1999).

Doch gerade durch den Aufbiss der Unterkieferzähne auf die Apparatur des Oberkie-fers, kann es zu einer erhöhten Verlustrate der Brackets kommen (Wiechmann et al., 2003). Ein erneutes Befestigen der Brackets führt jedoch häufig zu geringeren Haftwer-ten, was die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Verlustes stark ansteigen lässt.

Ansonsten finden sich bei dieser Technik dieselben Nachteile, die Multiband-Bracket-Apparaturen im Allgemeinen aufzeigen (Kahl-Nieke, 2010):

 Eine geringe, aber dennoch andauernde Kraftapplikation kann zu Belastungsschäden in Form von Wurzelresorptionen oder Gingivarezessionen führen, die sich meist erst spät röntgenologisch oder klinisch bemerkbar machen.

 Außerdem kann es bedingt durch gelockerte Brackets zu Demineralisationsstörun-gen der Zahnhartsubstanz kommen.