4 MYKOTOXIN‐RISIKOMANAGEMENT
4.3 Mykotoxin‐Risikowahrnehmung aus Konsumentensicht
4.3 Mykotoxin‐Risikowahrnehmung aus Konsumentensicht
In Bezug auf die Bewertung von Risiken besteht häufig eine Diskrepanz zwischen der Risikowahrnehmung von Laien und der Risikowahrnehmung von Experten (Raupach, 2012, Raupach und Marggraf, 2011; Slovic, 1987). Slovic (1987) führt diese Diskrepanz auf unterschiedliche Definitionen des Konstrukts „Risiko“ zurück. Dabei wird die Risikowahrnehmung von Experten oft als „objektiv“ bezeichnet, weil sie auf Fakten wie der jährlichen Todesrate (Slovic, 1987, Slovic et al. 2000a) oder dem Schadensausmaß und der Realisierungswahrscheinlichkeit einer Gefahr beruht (WBGU, 1999). Die Risikowahrnehmung von Laien kann hingegen eher als intuitiv oder auch subjektiv charakterisiert werden. Renn (2005) unterscheidet dabei zwei Klassen qualitativer Wahrnehmungsmuster:
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Elterliche Risikowahrnehmung und neue Ansätze für das Risikomanagement
• Risikobezogene Muster: Schrecklichkeit der Folgen, Gewöhnung, sinnliche Wahrnehmbarkeit, Natürlichkeit
• Situationsbezogene Muster: Freiwilligkeit, persönliche Kontrollierbarkeit, gerechte Nutzen‐ und Risikoverteilung, Vertrauen in das Risikomanagement
Die Darstellung der risikobezogenen Muster nach Renn (2005) verdeutlicht, dass die Bewertung eines Risikos durch Laien von subjektiv wahrgenommen Merkmalen der betrachteten Gefahr und situativen Hintergrundvariablen bestimmt wird. Im Vergleich zur Risikowahrnehmung von Experten beruht sie deutlich stärker auf Konstruktionsprozessen, weil Faktenwissen über die betrachtete Gefahr in der Regel nicht vorhanden ist.
Hinsichtlich der Wahrnehmung und Bewertung des Gesundheitsrisikos durch Mykotoxine muss die Gesamtgruppe der Konsumenten als Laien angesehen werden. Nach Hansen et al.
(2003) kann die Wahrnehmung eines Risikos durch Laien als ein komplexer, situations‐ und gefühlsbezogener Ausdruck des Wertesystems einer Person aufgefasst werden. Folgt man diesem Verständnis von Risikowahrnehmung, erklärt sich, warum unterschiedliche Personen dasselbe Risiko verschieden bewerten.
Zur Messung der Wahrnehmung eines Risikos aus Laiensicht hat sich das „Psychometrische Paradigma“ durchgesetzt, das von Paul Slovic und seinen Mitarbeitern (1987, 2000, 2000a) entwickelt wurde. Der Ansatz von Slovic (1987) und Slovic et al. (2000, 2000a) besagt, dass die öffentliche Wahrnehmung eines Risiko jeweils durch die spezifischen Eigenschaften der betrachten Gefahr beschrieben werden kann. Jedes Risiko besitzt entsprechend ein Muster an Charakteristika, das über seine öffentliche Wahrnehmung bestimmt. Die unterschiedlichen, subjektiv wahrgenommenen Eigenschaften der betrachteten Risiken lassen sich in der Regel zu drei Faktoren zusammenfassen (Tabelle 4).
Den größten Einfluss auf die Laien‐Wahrnehmung eines Risikos hat der Faktor „Dread“
(Slovic, 1987). Je mehr Angst ein Risiko hervorruft, desto schwerwiegender wird es empfunden. Entsprechend steigt mit dem Potential eines Risikos zur Angsterzeugung auch die Anzahl der Personen, die eine Risikoreduzierung wünschen und eine strengere Regulierung befürworten (Slovic, 1987).
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Mykotoxine und Kindergesundheit (catastrophic), schwierig zu verhindern (hard to prevent), tödlich (fatal), ungerecht (inequitable), relevant für zukünftige Generationen (threatening for future generations), nicht leicht reduzierbar (not easily reduced), zunehmend (increasing), unfreiwillig (involuntary), persönlich betreffend (threatening to the rather personally)
Anzahl der dem Risiko ausgesetzten Personen (many people exposed)
Quelle: Slovic et al., 2000, S. 141.
Der Psychometrische Ansatz von Slovic (1987) wurde von Fife‐Schaw und Rowe (2000) weiterentwickelt und dem speziellen Anwendungsfeld der Lebensmittelrisiken angepasst. Es resultierte der Perceived Food Risk Index (PFRI), eine Skala, welche insgesamt zehn Items umfasst und der Messung der öffentlichen Wahrnehmung von Lebensmittelrisiken dient. Der PFRI wurde im Rahmen dieser Arbeit auf das Themengebiet „Mykotoxine und Kindergesundheit“ angewendet, um die Laien‐Wahrnehmung des Mykotoxin (DON)‐Risikos zu untersuchen. Da Kinder als direkt Betroffene aufgrund ihres kognitiven Entwicklungsstandes nicht direkt nach ihrer Einschätzung des Gesundheitsrisikos durch DON befragt werden können, muss die Erhebung der Risikowahrnehmung über Stellvertreter erfolgen. Entsprechend der Working Party on National Environmental Policy (2005) sind Eltern durch ihre emotionalen Nähe und ihre Verantwortlichkeit für die Gesundheit ihres Kindes am besten in der Lage, die Einstellungen und Präferenzen ihrer Kinder wiederzugeben6. Daher sollte die Messung über die Eltern erfolgen. Folglich wurde im Rahmen dieser Arbeit die elterliche Risikowahrnehmung von Mykotoxinen (DON) in Getreideprodukten in Bezug auf die Gesundheit von Kindern in Niedersachsen erfasst7.
Elterliche Risikowahrnehmung und neue Ansätze für das Risikomanagement
Einflussfaktoren der Beurteilung der Schwere des Risikos und der Risikoakzeptanz
Bei der Beurteilung eines Risikos durch Laien konnten bestimmte Zusammenhänge zwischen den subjektiv wahrgenommenen Merkmalen eines Risikos und der Beurteilung der Schwere der Gefahr beziehungsweise ihrer Akzeptanz beobachtet werden. Starr (1969) und Fischhoff et al. (2000) stellten diesbezüglich fest, dass Risiken, die einen großen Nutzen stiften, eher von der Gesellschaft als akzeptabel angesehen werden. Gleiches gilt für freiwillig eingegangene Risiken wie Ski‐ oder Autofahren. Auch diese werden deutlich eher toleriert als unfreiwillige Gesundheitsgefahren, welche beispielsweise durch Kontaminationen von Lebensmitteln verursacht werden können (Starr, 1969; Fischhoff et al. 2000). Desweiteren werden natürliche Risiken als weniger schwerwiegend eingestuft als unnatürliche Risiken (Fife‐Schaw und Rowe, 1996; Renn 2005). Auch die Zeitspanne zwischen Handlung und dem Eintritt eines Schadens wirken sich auf die Wahrnehmung eines Risikos aus. Je unmittelbarer sich ein Schaden realisiert, desto höher wird ein Risiko eingeschätzt (WBGU, 1999, S. 178) und desto weniger wird es von der Gesellschaft akzeptiert (Fischhoff et al. 2000).
Für die Bewertung eines Risikos sind außerdem die Eigenschaften eines Individuums entscheidend. Hier sind vor allem die Einstellung und das Verhältnis zum Risikoverursacher, das Vertrauen in die für eine Risikoregulierung zuständige Behörde und die Lebenssituation des Betroffenen (Alter, ökonomische Situation, Vorhandensein von Kindern) zu nennen (WBGU, 1999, S. 171ff.). Aber auch schlechte persönliche Erfahrungen mit einer identischen oder einer ähnlichen wie der zu beurteilenden Gefahr können zu einer hohen Risikowahrnehmung führen (WBGU, 1999, S.178).
Es ist davon auszugehen, dass die oben aufgeführten Risikoeigenschaften gemeinsam mit den persönlichen Merkmalen der betroffenen Personen auch die elterliche Risikowahrnehmung von Mykotoxinen beeinflussen. Sie bestimmen einerseits darüber, wie schwerwiegend das Mykotoxinrisiko durch die Eltern eingestuft wird. Andererseits haben sie vermutlich einen Einfluss auf die Akzeptanz des Risikos durch die befragten Eltern.
beziehen sich die Elternbefragung und alle vorgelegten Informationen zu Schimmelpilzgiften während der Befragung aber ausschließlich auf das Risiko für Kinder durch das Mykotoxin „Deoxynivalenol“ (DON).
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Mykotoxine und Kindergesundheit
4.4 Grundlagen der wissenschaftlichen Klassifizierung von Risiken entsprechend des