• Keine Ergebnisse gefunden

Multilateralismus-Konzept im deutschen außenpolitischen Diskurs: Inhalt und historische

Im Dokument KARLS-UNIVERSITÄT PRAG (Seite 21-24)

2. MULTILATERALISMUS UND DEUTSCHE ANERKENNUNGSPOLITIK

2.1 M ULTILATERALISMUS -K ONZEPT IN DER DEUTSCHEN A UßENPOLITIK

2.1.2 Multilateralismus-Konzept im deutschen außenpolitischen Diskurs: Inhalt und historische

Es ist kaum zu bezweifeln, dass der Multilateralismus ein Phänomen ist und den Kern der deutschen Außenpolitik bzw. einen konstitutiven Bestandteil neben Zivilmacht und Europaorientierung der deutschen außenpolitischen (Eliten-) Identität28 bildet.

Außerdem ist Multilateralismus neben einer eigenständigen EU und einer verregelten internationalen Ordnung eine Machtgrundlage für Deutschland.29 Der Begriff wird nicht nur quantitativ (die Bereitschaft zur Kooperation mit mehreren Staaten), sondern auch qualitativ (diese Kooperation soll auf dem Prinzip der Nichtdiskriminierung und Unteilbarkeit beruhen) verstanden. Verschiedene internationale Organisationen und Institutionen dienen als Plattformen, wo man sich mit den Partnern abstimmen kann.

Zugleich bildet ihre Erweiterung und Vertiefung ein Einzelziel der deutschen

24Beverly Crawford, “Explaining Defection from International Cooperation”, 486.

25Ibid., 487.

26Michael Zürn, Martin Binder und Matthias Ecker-Ehrhardt, „Politische Ordnungsbildung wider Willen“, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 14, Nr.1, (2007), 133.

27Emmanuel Adler, „Communitarian multilateralism“, 42.

28Thomas Risse, „Deutsche Identität und Außenpolitik“, in Handbuch zur deutschen Außenpolitik, hrsg.

v. Siegmar Schmidt et al.(Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007), 55.

19

Außenpolitik.30 Im deutschen außenpolitischen Diskurs kann auch ein direkter Zusammenhang zwischen den Begriffen „Multilateralismus“ und „deutsche Interessen“

verfolgt werden. Einerseits gilt eine erfolgreiche Kooperation als die zentrale Ressource zur Förderung der deutschen nationalen Interessen.31 Im Diskurs des außenpolitischen Gemeinwohls herrscht auch eine Annahme, dass sich „deutsche Interessen“

nationalstaatlich-autonom nicht mehr – oder jedenfalls nicht mehr befriedigend – verwirklichen lassen, sondern nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Partnern.32 Anderseits stellt die multilaterale Kooperation eines der Grundinteressen der deutschen Außenpolitik dar.

Die multilaterale Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland bzw. ihr Anfang ist überwiegend mit dem Namen des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und seinem Konzept der Westbindung verbunden. Das Konzept kennzeichnet ersten Schritt zu einem deutschen (sicherheitspolitischen) Multilateralismus. Diesem Konzept lag die realistische Einsicht Adenauers zugrunde, dass Deutschland durch den Nationalismus erheblich diskreditiert wurde und dass das Vertrauen seitens der Partner wiedergewonnen werden musste. Deshalb wurde die Anlehnung an die westlichen Demokratien als Voraussetzung für die als Nahziel angestrebte Partnerschaft mit den Besatzungsmächten erklärt.33 Diese Auswahl lässt sich leicht erklären. Die Souveränität Westdeutschlands hing von seinen westlichen Partnern ab, die Vorbehaltsrechte auf diesen Teil Deutschlands und auf drei Sektoren in Berlin hatten. Enge Einbindung an die westlichen Partner sollte für die Bundesrepublik nicht nur Möglichkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern vor allem Schutz für ihre Existenz anbieten.

Rainer Baumann weist zu Recht darauf hin, dass Westdeutschland deshalb auf einen Teil seiner Souveränität ziemlich leicht verzichten konnte, weil es sie im vollen Maße nicht hatte.34

Ein alternatives Konzept zur Westbindung stellte in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die Brückentheorie von Jakob Kaiser dar. Mit Rücksicht auf die zentrale geographische Lage Deutschlands strebte dieser führende CDU-Politiker die

29Hanns W. Maull, „Nationale Interessen! Aber was sind sie?“, Internationale Politik, Nr.10 (Oktober 2006), 75.

30Baumann, „Multilateralismus“, 445–446.

31Ulrich Roos, Deutsche Außenpolitik. Eine Rekonstruktion der grundlegenden Handlungsregeln.

(Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, 2010), 164.

32Maull, „Nationale Interessen!“, 75.

33Thomas Fischer, „Die Beurteilung der Westbindung der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung“ (Magisterarbeit, Ludwig-Maximilian-Universität München, 1995), 19.

34Baumann, Der Wandel des deutschen Multilateralismus, 27.

20

Zusammenarbeit mit europäischen Nationen an, ohne sich einem der zwei etablierten Blöcke anschließen zu müssen. Ein solches Deutschland sollte dann eine Mittlerrolle bzw. eine Brücke zwischen Ost und West spielen.35 Dieser Ansatz, der auch als ein multilaterales Konzept bezeichnet werden kann, erwies sich aber mit Rücksicht auf unüberwindliche Kontroversen zwischen der Sowjetunion und den USA sowie auf die Teilung Deutschlands als unrealistisch.

Die multilaterale Einbindung wurde unter Konrad Adenauer wirtschafts-, verteidigungs- sowie außenpolitisch ausgeführt. Der Marshall-Plan hatte nicht nur eine binnenwirtschaftliche Bedeutung für den deutschen Wiederaufbau, sondern auch diente in seiner außenpolitischen Dimension als Ausgangspunkt der Westbindung und der europäischen Integration.36 Die Bundesrepublik wurde zu einem der Gründerstaaten der Europäischen Gemeinschaft der Kohle und Stahl, der Europäischen Atomgesellschaft sowie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Außerdem fand unter Adenauer der Beitritt Deutschlands dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT (1951) und dem Internationalen Währungsfond (1952) statt. Im Verteidigungsbereich wurde das Streben nach multilateralen Handlungen durch die Unterstützung der nachfolgend gescheiterten Europäischen Verteidigungsgesellschaft, das Plädieren für die Westeuropäische Union sowie den NATO-Beitritt im Jahre 1955 charakteristisch. Diese Schritte ermöglichten Deutschland seinen Beitrag zu einem kollektiven Verteidigungssystem der westlichen Verbündeten zu leisten und aus der militärischen

„Isolierung“ auszutreten. Als Beispiel der multilateralen Einbindung auf der politischen Ebene kann der Beitritt Deutschlands am 2. Mai 1951 dem Europarat genannt werden.

Dieser außenpolitische Schritt wurde ohne große Euphorie innerhalb der deutschen Regierung angenommen. Die Oppositionsparteien gingen davon aus, dass dies mit Rücksicht auf die bis dahin ungelöste Saarfrage die Teilung Deutschlands verschärfen und die Möglichkeit der baldigen Wiedervereinigung noch unwahrscheinlicher machen könnte. Der positive Beschluss wurde jedoch mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen erzielt, und Deutschland konnte seine Treue den demokratischen Prinzipien im politischen Aufbau dadurch nachweisen und sich an den Westen politisch binden.37

35Stefan Creuzberger, Westintegration und neue Ostpolitik – Außenpolitik der Bonner Republik (Berlin-Brandenburg: be.braverlag GmbH, 2009), 28.

36Wilfried Feldenkirchen, Die deutsche Wirtschaft im 20. Jahrhundert (München: R. Oldenburg Verlag, 1998), 106.

37Hans-JürgenKüsters, „Vor 60 Jahren: Beitritt der Bundesrepublik Deutschland als assoziiertes Mitglied zum Europarat“, http://www.kas.de/wf/de/71.8253/ (letzter Zugriff: 27.03.2012).

Im Dokument KARLS-UNIVERSITÄT PRAG (Seite 21-24)