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Historische Aspekte der deutschen Anerkennungspolitik

Im Dokument KARLS-UNIVERSITÄT PRAG (Seite 31-35)

2. MULTILATERALISMUS UND DEUTSCHE ANERKENNUNGSPOLITIK

2.2 A NERKENNUNGSPOLITIK IM S PANNUNGSFELD DES DEUTSCHEN M ULTILATERALISMUS

2.2.2 Historische Aspekte der deutschen Anerkennungspolitik

Wie es oben bereits gekennzeichnet wurde, kann die (Nicht)Anerkennungspolitik von einem Staat gegenüber einem neu ausgerufenen Staatsgebilde erst dann erfolgreich bzw.

wirksam sein, wenn diese mit den (Nicht)Anerkennungspolitiken der Staatenmehrheit übereinstimmt, also multilateral umgesetzt wird.

Die Bundesrepublik musste sich mit diesem völkerrechtlichen Thema fast gleich nach ihrer Gründung befassen, bei dem sie ihren Alleinvertretungsanspruch umsetzten und die Souveränität des zweiten deutschen Staates abwerten vermochte. Unter den Bedingungen der bipolaren Weltordnung, in der zwei deutsche Staaten zu verschiedenen Blocken gehörten, sowie mit Rücksicht auf eingeschränkte Souveränität der Bonner Republik war es aber unmöglich gewesen, eine internationale Nichtanerkennung der DDR zu erzielen und sie dadurch außenpolitisch zu isolieren. Die Bundesrepublik versuchte zwar mit der Ende 1955 formulierten Hallstein-Doktrin,79

77Schaller, Sezession und Anerkennung, 22.

78Ibid., 18.

79Laut der Hallstein-Doktrin sollte die Bundesrepublik die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR durch Drittstaaten als einen unfreundlichen Akt gegenüber der Bundesrepublik betrachten und mit verschiedenen Maßnahmen darauf reagieren. Die Sowjetunion, die zurzeit der Annahme der Hallstein-Doktrin schon die diplomatischen Beziehungen zu Pankow aufgenommen hat, wurde als eine der Siegermächte zur einzigen Ausnahme erklärt.

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andere Staaten (aus dem Ost-Block sowie Drittstaaten) von der Anerkennung des Pankow-Regimes fernzuhalten, musste aber ihre Anwendung in Frage stellen und im Jahre 1969 mit der Regierungserklärung Brandts von „zwei Staaten einer Nation in Deutschland“ aufgeben.

Dennoch wurde die Hallstein-Doktrin im Laufe ihrer Anwendung in Form von wirtschaftlichen Sanktionen und Abbruchs diplomatischer Beziehungen mehrmals in der Praxis verwirklicht. Gerade Jugoslawien wurde zu einem der ersten Staaten, die von der Hallstein-Doktrin unmittelbar betroffen waren. Angesichts der Annäherung des blockfreien Jugoslawiens an die Sowjetunion in der Mitte der 1950er Jahre (und zugleich an Pankow) und seiner Bereitschaft, die Oder-Neiße-Grenze als rechtsmäßige polnische Grenze anzuerkennen und die Beziehungen zu Ostberlin aufzunehmen, entschloss sich die Bundesregierung unter Bezugnahme auf die Hallstein-Doktrin zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der jugoslawischen Regierung wurde nicht nur vorgeworfen, die Beziehungen „mit dem zweiten deutschen Staatswesen“

anknüpfen zu wollen, sondern auch die Erklärung Jugoslawiens kritisiert, nach der eine friedliche Wiedervereinigung auf dem Wege der Annäherung zwischen den zwei bestehenden deutschen Staaten und der Verhandlungen zwischen ihnen möglich sein sollte. Bonn betrachtete die jugoslawische Deutschlandpolitik als eine Position, die einer demokratischen Lösung der deutschen Frage widersprach. Der Außenminister von Bretano begründete den Abbruch der diplomatischen Beziehungen weiter dadurch, Jugoslawien sei mit der getroffenen Entscheidung an die Seite der „feindlichen“

Staatengruppe getreten und habe den Grundsatz der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Volkes verletzt.80 Weiter argumentierte die Bonner Republik, Jugoslawien habe seinen Schritt zur DDR-Anerkennung mit der Bundesregierung vorher nicht abgesprochen und somit gegen die stillschweigend und einseitig vorausgesetzte Basis des Vertrages von 1956,81 also gegen die Nichtanerkennung der DDR,82 verstoßen.83

Bemerkenswert ist auch, dass Deutschland in seiner Nichtanerkennungspolitik von seinen westlichen Verbündeten nicht eindeutig unterstützt wurde. Einerseits wurde

80Note des Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Heinrich von Brentano, an den jugoslawischen Botschafter Kveder vom 19. Oktober 1957 über die Beendigung der diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien (Auszug) in Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1995, 243–244.

81Gemeint wird Vertrag vom 10. März 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung.

82Friederike Baer, Zwischen Anlehnung und Abgrenzung. Die Jugoslawienpolitik der DDR zwischen 1948 und 1968 (Köln-Weimar-Wien: Böhlau Verlag, 2009), 161.

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das Recht der Bundesregierung, allein für ganz Deutschland zu sprechen, von allen NATO-Mitgliedern anerkannt und in den Pariser Verträgen sowie in der gemeinsamen NATO-Erklärung bestätigt. Anderseits hat man sich nach eigenen realpolitischen Interessen und Vorstellungen im Verhältnis zu Ostberlin orientiert. Bereits im Jahre 1965 wurde in einem Spiegel-Artikel der französischen Regierung vorgeworfen, hinter dem Rücken Bonns den Weg zur De-facto-Anerkennung der DDR tatsächlich zu betreten. Zu dieser Zeit funktionierte in Frankreich schon ein Freundschafts-Verein mit dem ostdeutschen Staat (1958 gegründet), es fanden mehrere Besuche der französischen Parlamentarier in die DDR statt und die Vorgespräche über einen neuen Handelsvertrag fingen an. In Frankreich wurden diese Position dadurch erklärt, dass die Existenz eines Staatswesens mit 20 Millionen Einwohner aus europäischem Realismus anerkannt werden muss.84Auch bei der Umsetzung der Hallstein-Doktrin, wie im Falle von Jugoslawien, wurden die diplomatischen Demarchen Bonns von keinem der Verbündeten gefolgt, umgekehrt nach der Genfer Konferenz 1958 sowie nach den Erfahrungen aus der Berlin- sowie Kuba-Krisen wurde der Alleinvertretungsanspruch Bonns und seine Nichtanerkennungspolitik als Gefahr für den partiellen Interessenausgleich zwischen den USA und der Sowjetunion wahrgenommen.85

Diese Konfrontation wurde mit dem Grundlagenvertrag 1972 und dem nachfolgenden UNO-Beitritt beider deutschen Staaten ein Jahr später stillgelegt. Mit dem Vertrag verzichtete die Bundesrepublik auf ihren Alleinvertretungsanspruch und erkannte die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der DDR in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten an. Damit wurde die DDR zwar staatsrechtlich anerkannt, aber nicht als Ausland.

Das vereinte Deutschland regelt sich in seiner Anerkennungspolitik nach dem Grundgesetz. Laut dem Art. 59 Abs.1 wird die völkerrechtliche Anerkennung von neuen Staaten durch den Bundespräsidenten vollzogen, der mit einer Note an das Oberhaupt des neuen Staates die Anerkennung formell ausspricht. Der Beschluss der Bundesregierung gilt dabei als politische Entscheidung. Laut dem Art. 25 des Grundgesetzes sind allgemeine Regeln des Völkerrechtes Bestandteil des deutschen Bundesrechtes und gehen den Gesetzen vor. Der Entscheidung der Bundesregierung über die Anerkennung sollen also folgende völkerrechtliche Dokumente zugrunde

83Die diplomatischen Beziehungen mit Belgrad wurden 1968 wiederaufgenommen.

84„Freunde in Frankreich“. Der Spiegel vom 03.03.1965, S.46-50.

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liegen: UN-Charta, Erklärung über freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten, Helsinki-Schlussakte sowie Charta von Paris. Diese Dokumente haben aber für die Entscheidungen über die (Nicht)Anerkennung von neuen Staaten durch die Bundesregierung keine verpflichtende Rechtswirkung. Neben den oben genannten Dokumenten scheint in der Regel die Position der wichtigsten Verbündeten bzw. der Staatenmehrheit zu einem bedeutenden Faktor für die außenpolitischen Entscheidungsträger zu sein. Die deutsche Anerkennungspolitik ist also multilateral verankert. Außerdem wird die völkerrechtliche Anerkennung als ein adäquates Mittel zur Konfliktlösung (vor allem zur Lösung der nationalistischen Konflikte) wahrgenommen. Die Anerkennung wird auch als spezifisch deutsches diplomatisches Druckmittel betrachtet, unter anderem weil es jahrelang im Zentrum der bundesdeutschen Politik gegenüber der DDR stand.86

85Get-Joachim Glaeßner, Politik in Deutschland (Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, 2006), 48.

86Eric A. Witte, „Die Rolle der Vereinigten Staaten im Jugoslawienkonflikt und der außenpolitische Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschlands (1990-1996)“, Mitteilungen des Osteuropa-Instituts München, Nr. 32 (2000): 84.

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