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2.2 Das Modell von Bruce und Young (1986)

2.2.1 Modellkonforme Befunde

Yarmey (1973) verwendete 50 Fotos ber¨uhmter Pers¨onlichkeiten um bei seinen Versuchspersonen das so genannte

”tip-of-the-tongue“-Ph¨anomen (TOT) aus-zul¨osen. Im Zustand des TOT ist sich der Proband sicher, die abgebildete Per-son zu kennen, kann aber den Namen dieser PerPer-son nicht nennen, obwohl er buchst¨ablich

”auf der Zunge liegt“. Auf das Modell von Bruce und Young (1986)

¨ubertragen, bedeutet dies, dass ein erfolgreicher Zugriff auf den Personidentit¨ ats-knoten stattgefunden hat, jedoch die Aktivierung des dazugeh¨origen Namensko-des gescheitert ist. Yarmey untersuchte, welche Strategien eingesetzt wurden, um die prim¨ar nicht abrufbaren Namen wiederzugeben. Die Analysen ergaben, dass die Probanden besonders h¨aufig versuchten, sich an den Beruf der gesuchten

Per-son oder an die Situation, in der die PerPer-son zuletzt gesehen wurde, zu erinnern.

Der Name der Zielperson konnte im Regelfall nach der gelungenen Aktivierung der bekannten semantischen Informationen genannt werden. Dieses Ergebnis spricht f¨ur die Annahme der sequenziellen Informationsverarbeitung des Modells von Bruce und Young, an deren Ende - wie oben beschrieben - die Generierung des Namens steht.

Die Kategorisierung der Tagebuchaufzeichnungen aus der Studie von Young, Hay und Ellis (1985) ergab drei typische Fehlermuster, die durch das Modell von Bruce und Young erkl¨arbar sind (vgl. auch Young, 1998):

1. Ein vertrautes Gesicht wurde nicht als bekannt identifiziert. Das Auftreten dieses Fehlers ist nachvollziehbar, wenn die Person lediglich einen gerin-gen Bekanntheitsgrad hat oder das Gesicht unter schlechten Bedingungerin-gen (Beleuchtung o.¨a.) gesehen wurde.

2. Ein bekanntes Gesicht wurde auch als solches identifiziert, weitere Details wie z.B. der Beruf oder der Name fielen den Probanden jedoch nicht ein.

Dieser Fehlertyp trat vor allem in Situationen auf, in denen eine Person (z.B. ein Kioskbesitzer) in einem unerwarteten Zusammenhang (z.B. in ei-ner Bank) auftauchte.

3. Ein vertrautes Gesicht wurde auch als solches erkannt, und einige Informa-tionen ¨uber diese Person wurden ebenfalls korrekt erinnert. Andere Details, insbesondere der Name (99% aller F¨alle), konnten aber nicht genannt wer-den. Dieser Fehler war auch zu beobachten, wenn die Zielperson einen sehr hohen Bekanntheitsgrad (Schauspieler usw.) hatte.

Young et al. (1985) betonen, dass diese Ergebnisse konsistent sind mit der An-nahme eines sequenziellen Zugriffs auf unterschiedliche Arten von Informationen, die in der Reihenfolge

”Bekanntheitsbeurteilung“ (1. Fehlertyp),

”Semantik“ (2.

Fehlertyp),

”Name“ (3. Fehlertyp) abl¨auft.

In einem Reaktionszeitexperiment zeigten Young, McWeeny, Hay & Ellis (1986) Fotos von prominenten Politikern und Schauspielern sowie Fotos von unbekann-ten Personen. In der einen Versuchsbedingung hatunbekann-ten die Probanden per Tasunbekann-ten- Tasten-druck zu signalisieren, ob sie das dargebotene Gesicht kennen oder nicht. In der

zweiten Bedingung sollte ebenfalls per Tastendruck angegeben werden, ob oder ob nicht die Person Politiker ist. Die Auswertung der aufgezeichneten Reakti-onszeiten ergab, dass die Bekanntheitsentscheidung signifikant schneller getroffen werden konnte als die semantische Entscheidung. Dies entspricht den Vorhersagen des Modells von Bruce und Young, da die eingehenden Informationen in der er-sten Bedingung nur bis zur Gesichtserkennungseinheit verarbeitet werden m¨ussen.

F¨ur das Erf¨ullen der Anforderungen in der zweiten Bedingung ist zus¨atzlich noch die Aktivierung der Personidentit¨atsknoten erforderlich, was einen nachfolgenden Schritt in der Verarbeitungssequenz darstellt.

McWeeny, Young, Hay & Ellis (1987) gingen der Frage nach, warum Namen schlechter gelernt und erinnert werden k¨onnen als Berufe. Ausgehend von der An-nahme, dass mit dem Beruf einer Person weitergehende semantische Informatio-nen verbunden sind, versuchten sie diese Einfl¨usse durch ein geschickt gew¨ahltes Versuchsdesign zu kontrollieren. Sie pr¨asentierten ihren Versuchspersonen ver-schiedene Sets von Gesichter-Namen-Berufe-Zuordnungen. Die Besonderheit die-ser Untersuchung bestand darin, dass f¨ur einen Teil der Bedingungen Namen und Berufsbezeichnungen gew¨ahlt wurden, die ambige Bedeutungen aufwiesen.

So tauchte beispielsweise

”Cook“ in der einen Bedingung als Name der Person und in einer anderen als Beruf der Person auf. Ihre Hypothese, der zufolge un-ter diesen experimentellen Bedingungen Namen und Berufsbezeichnungen gleich gut erlernt und erinnert werden k¨onnen, ließ sich allerdings nicht aufrechterhal-ten. Die Resultate belegten, dass die Namen unabh¨angig von ihrem ambigen bzw.

nicht-ambigen Charakter generell schwieriger wiederzugeben waren als die Berufe.

Weitere Erkenntnisse, die auch f¨ur den empirischen Teil dieser Arbeit relevant sind, tragen Cohen und Faulkner (1986) bei. Sie konstruierten biographische Beschreibungen zu sechzehn fiktiven Pers¨onlichkeiten, die als Targets Vor- und Nachnamen der Person, den Namen einer Stadt, eine Berufsbezeichnung und ein Hobby enthielten. Alle Biographien wurden auf Band gesprochen und den Probanden in randomisierter Reihenfolge pr¨asentiert. Nach jeweils einem Block, bestehend aus vier Biographien, hatten die Versuchspersonen die Targetinforma-tionen in einem L¨uckentext schriftlich zu erg¨anzen. Den Vorhersagen des Modells von Bruce und Young entsprechend wurden signifikant weniger Vor- und

Nach-namen erinnert als andere semantische Informationen (St¨adtename, Berufe und Hobbies). Ein im Hinblick auf den GPT-K aufschlussreiches Ergebnis lieferte die Analyse der von verschiedenen Altersgruppen gezeigten Leistungen. Es ergab sich hierbei, dass die Probanden der beiden ¨alteren Gruppen (60 bis 70-J¨ahrige und 71 bis 80-J¨ahrige), signifikant weniger Begriffe reproduzieren konnten als die Teil-nehmer der beiden j¨ungeren Gruppen (20 bis 39-J¨ahrige und 40 bis 59-J¨ahrige).

Ein detaillierterer Posthoc-Test zeigte zudem einen signifikanten Alterseffekt zwi-schen den beiden Gruppen der ¨alteren Versuchspersonen. Die 71 bis 80-J¨ahrigen konnten weniger Informationen wiedergeben als die 60 bis 70-J¨ahrigen. Da Pahlke (1998) diesen signifikanten Leistungsabfall bei ¨uber 60-J¨ahrigen in Bezug auf das Personenged¨achtnis bei ihrer Stichprobe auch beobachten konnte, Flitter (2001) jedoch nicht, soll diesem Aspekt im empirischen Teil besondere Beachtung zuteil werden.

Einen erg¨anzenden Befund aus dem Bereich der klinischen Neuropsychologie steu-ern Flude, Ellis und Kay (1989) bei. Ihr Patient (im Artikel E.S.T. genannt) litt nach der Resektion eines Gehirntumors unter ausgepr¨agten Wortfindungsst¨ orun-gen, die sich im Wesentlichen als Verlust der F¨ahigkeit, bekannte Personen und Objekte zu benennen, darstellten. In einer Testaufgabe sollte der Patient die Namen und Berufe bekannter Pers¨onlichkeiten, von denen ihm Bilder gezeigt wurden, angeben. Die Bilder wurden auf der Grundlage einer zuvor erfolgten Bekanntheitsbeurteilung zwei Kategorien (hoher vs. niedriger Bekanntheitsgrad) mit jeweils 20 Fotos zugeordnet. Zu den Personen, die er kannte (17 sehr bekannte und 13 weniger bekannte), konnte E.S.T. umfangreiche Angaben machen. Durch die Nennung einer Reihe von Details in der Art

”ist Politiker der Partei ...“,

”seit ... im Amt“,

”ist ... Jahre alt“ belegte er eindrucksvoll, dass ihm die jeweils ge-zeigte Person gut bekannt ist. Seine Leistungen in dieser Aufgabe unterschieden sich nicht signifikant von denen einer Vergleichsgruppe. Demgegen¨uber standen die drastisch schlechteren Leistungen des Namensabrufs. Nur insgesamt drei Na-men der Prominenten (alle aus der Stimuligruppe mit hohem Bekanntheitsgrad) konnte E.S.T. nennen. Dieses Ergebnis war signifikant schlechter als das der Ver-gleichsgruppe, die im Mittel 16.25 bzw. 9.39 Namen erinnerte. Flude et al. (1989) res¨umieren daher, dass die von E.S.T erbrachten Leistungen zu den Vorhersagen des Modells von Bruce und Young (1986) passen.

Insgesamt gesehen belegen diese hier angef¨uhrten Befunde die Annahmen des Modells von Bruce und Young (1986), nach denen Berufe und Namen im Ver-lauf eines sequenziellen Prozesses von unterschiedlichen Komponenten verarbeitet bzw. generiert werden.