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5 HMI-Konzeptentwicklung und -evaluation

6.2 Mikromethodik der Kontrollierbarkeitsbewertung

Die Kontrollierbarkeitsbewertung wird auf Basis einer Studie mit normalgeübten Lkw-Fah-rern durchgeführt, um eine hohe Validität [Bor07, S. 53] zu erreichen. Zur Definition rele-vanter Testszenarien wird ein Vorgehen entwickelt, das die Auswahl auf Basis der Bewer-tungen eines multidisziplinären Expertenteams vornimmt.

Für die Studie wird ein dynamischer Fahrsimulator gewählt, um eine hohe externe Validität zu erzielen, bei gleichzeitiger Gefährdungsfreiheit der Probanden in kritischen Situationen sowie hoher Kontrolle der Versuchsbedingungen [Bre15, S. 187f; Win12, S. 47f].

Weiterhin wird die Kontrollierbarkeitsbewertung auf Basis eines „Worst-Case“-Ansatzes durchgeführt, d. h. die Kontrollierbarkeit soll ausschließlich auf Basis der kontinuierlichen Informationen der HMI-Ebene (Kap. 5.4) bewertet werden. Auf explizite Übernahmeauffor-derungen mit hoher Salienz (akustisch oder visuell auffällig) wird verzichtet.

Nachfolgend wird das Vorgehen zur Auswahl der Testszenarien (Kap. 6.2.1) und Messgrö-ßen (Kap. 6.2.2) erläutert sowie der Ansatz zur Kontrollierbarkeitsbewertung aufgezeigt (Kap. 6.2.3).

6.2.1 Vorgehen zur Auswahl der Testszenarien

Die Auswahl der Testszenarien sollte sich nach der Auftretenswahrscheinlichkeit im Stra-ßenverkehr orientieren [Bre15, S. 186]. Zur Fokussierung der Studie lässt sich eine Reduk-tion auf kritische SituaReduk-tionen mit dem „Worst Case“-Ansatz begründen [Bre15, S. 186].

Zur Auswahl der Testszenarien wird ein Vorgehen entwickelt (Abbildung 6-2), das Aspekte der FMEA sowie der ISO Norm 26262 [ISO11] aufgreift. Das erarbeitete Vorgehen basiert auf einer Liste potentiell gefährlicher Situationen, die nach Situationsähnlichkeit gruppiert sind.

Im ersten Schritt werden die Szenarien gefiltert, die das FAS sicher als Systemgrenze

er-In den nächsten Schritten werden die Parameter der in Abschnitt 2.3 erläuterten Risiko-funktion (Schadensausmaß, Häufigkeit, Kontrollierbarkeit) hinzugezogen. Nach der Bewer-tung des Schadensausmaßes werden Szenarien mit niedrigem Schadensausmaß heraus-genommen. Anschließend wird die Kontrollierbarkeit abgeschätzt und Szenarien mit hoher angenommener Kontrollierbarkeit ausgeschlossen. Im letzten Schritt wird die Häufigkeit des Auftretens bewertet. Für die Probandenstudie werden Szenarien mit hoher und niedri-ger Häufigkeit berücksichtigt. Szenarien mit nicht situationsniedri-gerechtem Automationsverhal-ten und hoher Häufigkeit lassen sich mit dem Kriterium der Relevanz [Bre15, S. 186] be-gründen. Szenarien mit einer niedrigen Häufigkeit werden ausgewählt, weil diese schwieri-ger zu kontrollieren sein können, aufgrund der Tatsache, dass das mentale Modell sowie das zugehörige Verhaltensmuster nicht angepasst bzw. eingeübt sind (Kap. 2.3).

Abbildung 6-2: Vorgehen zur Auswahl der Szenarien für die Kontrollierbarkeitsbewertung

6.2.2 Auswahl der Messgrößen

Die Messgrößen zur Gesamtbewertung (6.2.2.1) und Kontrollierbarkeit (6.2.2.2) bei nicht situationsgerechtem Automationsverhalten werden nachfolgend dargestellt.

6.2.2.1 Messgrößen zur Gesamtbewertung (P-1 und P-2)

Für die Auswahl der Messgrößen zur Gesamtbewertung nach nicht situationsgerechtem Automationsverhalten wird auf die Gebrauchstauglichkeits-Definition aus der ISO Norm 9241-210 [DIN11, S. 7] zurückgegriffen. Die Ableitung der Messgrößen erfolgt wie in Ab-schnitt 5.3.2 erläutert und wird für die vorliegenden Programmfragen folgendermaßen an-gepasst:

• Die als „Grad der Zielerreichung“ definierte Effektivität wird über den Ein-griffszeitpunkt des Fahrers bei nicht situationsgerechtem Automationsver-halten zur Übersteuerung des FAS erfasst.

• Für die Bewertung der Effizienz wird die subjektiv erfasste Fahrerbeanspru-chung herangezogen.

• Zur Bewertung der Zufriedenheit als „positive Einstellung gegenüber der Nutzung“ wird die Usability-Bewertung aufgrund des höheren Detaillie-rungsgrades des HMIs hinzugefügt. Diese subjektive Größe wird mittels standardisiertem Fragebogen (System Usability Scale, SUS [Bro96, S. 191ff]) ermittelt. Die Messgrößen Vertrauen und Akzeptanz werden aus 5.3.2 übernommen.

Einen Überblick der eingesetzten Messgrößen zur Gesamtbewertung (P-1 und P-2) gibt Abbildung 6-3.

Abbildung 6-3: Übersicht der Messgrößen zur Gesamtbewertung (Programmfragen P-1 und P-2)

6.2.2.2 Messgrößen zur Kontrollierbarkeitsbewertung (P-3 und P-4)

Als Kriterien zur Kontrollierbarkeitsbewertung sollen mehrdimensionale, sich ergänzende Bewertungsgrößen herangezogen werden [Neu14]. Um eine Pass-Fail-Entscheidung tref-fen zu können, muss für das jeweilige Kriterium eine klare Definition der kritischen Grenze gewählt werden. Zudem ist zu beachten, dass Pass-Fail-Kriterien auf Basis subjektiver Ur-teilsbewertungen konservativere Entscheidungen hervorrufen können als die Verwendung des Unfallkriteriums [Neu08a].

Für die Programmfragen P-3 und P-4 werden folgende Messgrößen definiert:

• Subjektiv: Bewertung der Kritikalität der Fahrsituation nach [Neu08a, S. 144f; Neu08b]

• Objektiv: Fahrdaten zu Eingriffszeitpunkt und Geschwindigkeit sowie das Unfallkriterium

Für die subjektive Bewertung der Kritikalität der Fahrsituation wird eine hierarchisch aufge-baute Kategorienskala mit eindeutiger Toleranzschwelle nach [Neu08a, S. 144f; Neu08b]

eingesetzt (Abbildung 6-4). Die Probanden werden in Skala und Toleranzschwelle (≥ Wert 7

„Gefährlichkeit“) eingewiesen und üben die Bewertung dieser während der Eingewöh-nungsfahrt. Die Skala steht den Probanden auf dem Lenkrad angebracht permanent zur Verfügung.

Aufgrund der Bedeutung des Eingriffszeitpunkts in der Aufgabenanalyse (Kap. 4.3.2) zur Überwachung der automatisierten Längsführung wird diese als zentrale, objektive Größe gewählt. Die Definition einer klaren Grenze (Pass-Fail-Kriterium) ist situationsspezifisch und wird bei der Szenarienbeschreibung definiert (6.3.1). Auf die vom Eingriffszeitpunkt abgeleiteten Größen Geschwindigkeit oder Unfallkriterium wird situationsspezifisch zurück-gegriffen (6.3.1).

6.2.3 Vorgehen zur Kontrollierbarkeitsabschätzung

Zur Bewertung der Kontrollierbarkeit wird ein mehrstufiges Vorgehen in Anlehnung an [Neu08b; Neu13, S. 52f] eingesetzt. Dieses wird gewählt, aufgrund der Kombination der subjektiven Urteile zur Kontrollierbarkeit mit objektiven Kenngrößen.

Abbildung 6-5: Vorgehen zur Kontrollierbarkeitsabschätzung in Anlehnung an [Neu13, S. 53]

Wie Abbildung 6-5 zeigt, werden zunächst die subjektiven Kritikalitätsbewertungen analy-siert. Treten keine Urteile über der kritischen Toleranzschwelle (≥ Stufe 7 „Gefährlichkeit“;

Abbildung 6-4 ) auf, so ist das nicht situationsgerechte Automationsverhalten tolerierbar.

Dieses ist nicht tolerierbar, sollten mehr als 15 % der Probandenurteile die Kritikalität über der Toleranzschwelle einschätzen.

Treten dagegen Urteile über der kritischen Schwelle bei weniger als 15 % der Probanden auf, ist die Analyse der objektiven Kriterien für die Kontrollierbarkeitsentscheidung aus-schlaggebend.

Um dieses Vorgehen für die Anwendbarkeit auf die Programmfragen P-3 und P-4 zu prüfen, werden die definierten, multidimensionalen Messgrößen zur Kontrollierbarkeitsbewertung (6.2.2.2) in der Ergebnisdiskussion (6.5) miteinander verglichen.