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5 HMI-Konzeptentwicklung und -evaluation

5.1 Mikromethodik der HMI-Konzeptentwicklung und -evaluation

Zur Konzeptentwicklung wird ein Szenario-basierter Ansatz eingesetzt. Grundsätzlich kön-nen Szenarien folgende Informatiokön-nen beinhalten: „(…) actors, background information about them, and assumptions about their environment, their goals or objectives, and se-quences of actions and events” [Go04, S. 118].

Der Szenario-basierte Ansatz erlaubt es, bereits in einer frühen Konzeptphase einen Ein-druck des HMIs im zukünftigen Nutzungskontext zu bekommen [Sta13, S. 505ff]. So kön-nen mögliche Probleme schnell und einfach identifiziert und das Konzept optimiert werden [Sta13, S. 505ff]. Mögliche Nachteile können unpräzise und unvollständige Szenarien so-wie eine fragliche Reliabilität sein, falls relevante Szenarien nicht betrachtet werden [Sta13, S. 507]. Das Vorgehen zur Auswahl der hier eingesetzten Szenarien ist in Anhang C erläu-tert.

Für die HMI-Konzeptentwicklung werden verschiedene Mikromethoden angewandt. Die HMI-Konzepte werden iterativ erarbeitet, d. h. die kontinuierlich weiterentwickelten (evolu-tionären [Bud12, S. 39]) Prototypen werden verschiedenen Evaluationsmethoden unterzo-gen (Abbildung 5-1).

Prototypen lassen sich nach [Bea09, S. 122] definieren als "a concrete representation of a part or all of an interactive system. A prototype is a tangible artifact, not an abstract descrip-tion that requires interpretadescrip-tion. Designers, as well as managers, developers, customers and end users, can use these artifacts to envision and reflect upon the final system."

Erste Konzeptentwürfe („Skizzen“ vgl. [Bux07, S. 111ff]) werden zu Papierprototypen

wei-Abbildung 5-1: Übersicht der Mikromethodik zur HMI-Konzeptentwicklung und -evaluation

Die erzielten Erkenntnisse werden in die nachfolgenden Videoprototypen eingearbeitet, die in der zweiten analytischen Expertenstudie evaluiert werden (Kap. 5.1.1).

Auf Basis dieser Ergebnisse werden die HMI-Konzepte weiterentwickelt und als implemen-tierte Prototypen für den Fahrsimulator optimiert (Kap. 5.1.2).

Folglich werden für die iterativ entwickelten Prototypen unterschiedliche Methoden der for-mativen Evaluation eingesetzt, um verschiedene Arten von Usability Problemen zu finden [Nie93, S. 226]. Die fortschreitende Reife des FAS sowie des zugehörigen HMI erlaubt den Einsatz von weiteren Methoden, welche die Interaktion im späteren Nutzungskontext simu-lieren können und den Probanden Systemerfahrung ermöglichen. Nachfolgend wird die ein-gesetzte Evaluationsmethodik der analytischen Expertenstudien sowie der formativen Fahrsimulatorstudie mit Lkw-Fahrern aufgezeigt.

5.1.1 Methodik der analytischen Expertenstudien

Zunächst wird auf analytische Expertenevaluationen zurückgegriffen. Diese sind ohne fertig implementierten Prototyp schnell und kostengünstig einsetzbar [But14, S. 132; Dix04, S. 319]. Zudem wird der mögliche Lösungsraum an HMI-Konzeptentwürfen eingeschränkt [Wic04, S. 58]. Weiterhin können Nutzer als „seltenes Gut“ für nachgelagerte Fragestellun-gen aufgespart werden [Dix04, S. 320; Nie93, S. 107].

5.1.1.1 Heuristische Walkthrough Analyse

Im ersten Evaluationsschritt sollen mögliche Probleme im Anordnungsschema der Informa-tionseinheiten im Gesamtkonzept identifiziert werden. Hinsichtlich der Darstellungsform sol-len verschiedene Visualisierungsvarianten der einzelnen Informationseinheiten bewertet werden. Hierfür wird die Methode der heuristischen Walkthrough Analyse [Sta13, S. 486ff]

auf Basis der Papierprototypen gewählt. Diese Methode stellt eine Kombination aus der

„Cognitive Walkthrough“-Analyse sowie der heuristischen Evaluation dar [Mah10, S. 744].

Bei der heuristischen Evaluation bewertet eine kleine Gruppe von Evaluatoren die Benut-zerschnittstelle auf Basis definierter Usability Prinzipien (den „Heuristiken“) [Nie93, S. 155].

Die schnelle und ressourcensparende Anwendbarkeit steht einer subjektiven und wenig strukturierten Art gegenüber: „both intra- and inter-analyst reliability for the technique [heu-ristic evaluation] are questionable, due to its unstructured nature“ [Sta13, S. 428ff].

Dagegen liegen der „Cognitive Walkthrough“ Methode kognitive Modelle (z. B. [Nor86;

Pol90]) zu Grunde, auf deren Basis die Interaktion eines fiktiven Nutzers schrittweise ana-lysiert und mögliche Probleme dokumentiert werden [But14, S. 133; Mah10, S. 742]. Dies führt zu einer detailreichen Analyse und zu hoher Komplexität [Mah10, S. 743f].

Die gewählte heuristische Walkthrough Analyse bietet mehr Struktur (und kann so mitunter die Reliabilität erhöhen) als eine heuristische Evaluation, bei geringerer Komplexität im Ver-gleich zur „Cognitive Walkthrough“-Analyse [Sea97, S. 213]. Sie wird wie folgt angewandt:

Die Evaluatoren werden angewiesen, ihre Gedankengänge auszusprechen („Think Aloud“

[Nie93, S. 195f]). Gleichzeitig macht ein neben dem Versuchsleiter anwesender Protokol-lant Notizen zu den genannten positiven und negativen Aspekten („Plus-Minus-Methode“

[Bek11, S. 15f]). Nach [Nie93, S. 156] sind für heuristische Evaluationen drei bis fünf Eva-luatoren empfehlenswert. Für diese Studie wird ein multidisziplinäres Evaluationsteam aus Human Factors Entwicklern, Designern und Funktionsentwicklern gewählt, weshalb die An-zahl der Evaluatoren auf sieben erweitert wird.

Die Analyse wird auf Basis ausgewählter Szenarien aus der Fahrsimulatorstudie zur Anfor-derungsdefinition (Kap. 4.4) durchgeführt.

Die Erkenntnisse der heuristischen Walkthrough Analyse fasst Abschnitt 5.2.1 zusammen.

5.1.1.2 Validierungsstudie mittels Videoprototypen

Die weiterentwickelten Konzeptentwürfe werden in einem nächsten Iterationsschritt als Vi-deoprototypen umgesetzt. Diese haben den Vorteil, dass sich die zeitliche Dimension dar-stellen lässt [But14, S. 128].

Zielsetzung des zweiten Evaluationsschrittes ist die Analyse der HMI-Konzepte hinsichtlich konzeptioneller Schwachstellen im realen Nutzungskontext. Mittels Videoprototypen lassen sich die entwickelten HMI-Konzepte in reale Verkehrssituationen im zeitlichen Verlauf auf ihre Anwendbarkeit und intuitive Verständlichkeit prüfen.

Um den zukünftigen Nutzungskontext abzubilden, werden Videos aus Fahrerperspektive herangezogen. Diese bilden Fahrten auf Autobahn, Bundesstraße und stadtnahen Arterien auf reinen Kraftfahrzeugstraßen sowie mit Mischverkehr ab (Anhang D). Die auf Basis der heuristischen Walkthrough Analyse weiterentwickelten Prototypen werden digitalisiert und situationsspezifisch animiert.

Die Validierung findet durch Experten aus den Bereichen Human Factors und Funktions-entwicklung statt. Die Erkenntnisse der Validierungsstudie mittels Videoprototypen fasst Abschnitt 5.2.2 zusammen.

5.1.2 Methodik der formativen Fahrsimulatorstudie

Die weiterentwickelten HMI-Konzepte werden schließlich in implementierte Prototypen überführt, die in Realfahrzeug und Fahrsimulation einsetzbar sind. Diese werden einem weiteren Evaluationsschritt unterzogen.

Nachteil der durchgeführten analytischen Expertenstudien ist, dass gefundene Probleme möglicherwiese nicht die späterer Nutzer sind, „(…) sondern Artefakte der verwendeten Evaluationsmethode“ [But14, S. 132]. Aus Gründen der Validität sind folglich Probanden-versuche mit späteren Nutzern anzustreben [Bre15, S. 185].

Deshalb werden die beschriebenen Expertenstudien ergänzt durch eine kostenintensivere Nutzerstudie mit Lkw-Fahrern. Um ausgewählte Situationen gezielt und reproduzierbar her-beiführen zu können, wird die Fahrsimulation gewählt [Bre15, S. 187f; Win12, S. 47f]. Zu-dem müssen Daten- und Funktionsebene (Kap. 3.2.1) der kraftstoffeffizienten, automati-sierten Längsführung noch nicht fertig implementiert vorliegen, sondern können im Fahrsi-mulator prototypisch umgesetzt werden.

Allerdings kann die Übertragbarkeit der Erkenntnisse eingeschränkt sein [Bre15, S. 187f].

Zur Validität von Fahrsimulatorstudien liegen nach [Win12, S. 48] bisher unzureichende Er-kenntnisse vor. Auch gibt es nach [Bla96, S. 52] nicht ausreichende Belege dafür, dass dynamische Fahrsimulatoren allgemein bessere Erkenntnisse liefern als statische Fahrsi-mulatoren, sondern dies abhängig vom Untersuchungsziel ist. Jedoch ist bekannt, dass die Meinung der Nutzer durch die „simulator fidelity“ beeinflusst werden kann [Win12, S. 48].