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Methodische Schwierigkeiten

Im Dokument KARLS UNIVERSITÄT (Seite 8-11)

0. Einleitung:

0.2. Methodische Schwierigkeiten

Der Versuch einer Untersuchung der Epoché sieht sich mit einigen methodischen Schwierig-keiten konfrontiert. Das Grundproblem ist hierbei die Zirkularität oder anders formuliert die Frage nach dem Anfang. Die Epoché ist ein Tun oder ein Vollzug und außerhalb dessen ist sie nichts (siehe auch Ströker 1971: 173 und Depraz et al. 2003a:30). Ein Verstehen der Epoché scheint daher nur aus dem Vollzug der Epoché heraus möglich. Edmund Husserl wirft beispiels-weise die Frage auf, ob die phänomenologische Reduktion, welche die Epoché benötigt, ver-standen werden könne, ohne sie selbst vollzogen zu haben oder zumindest in eine Motivation geraten zu sein, in welcher sie sich aufnötigt (vgl. Husserl 1973: 537). Somit kann nur der Vollzug der Epoché (des Verfassers und der Leserinnen der Arbeit) den Ausgangspunkt für die Untersuchung bilden. Dies verweist auf ein generelles Problem: Die Untersuchung steht immer in der Gefahr, mit dem Ergebnis zu beginnen, das sie erst liefern wollte. Depraz et al. merken hierzu an: Es sei nur möglich zu wissen, ob der gemeinte Akt beschrieben worden sei, wenn dieser schon definiert wurde, für die Definition müsse er allerdings erlebt worden sein. Dies sei ein inhärentes Problem, gegen das Husserl sein ewiges Anfangen gesetzt habe. (Depraz et al.

1 Die in dieser Arbeit verwendeten Formen wie Lesende, Leserin oder Meditierender sind nicht als Ausdruck des biologischen oder sozialen Geschlechts zu verstehen, sondern in einem abstrakten Sinne als lesende oder meditie-rende sich leiblich verortende Subjektivierung. Im Text wird überwiegend die weibliche Form mit gelegentlichen Wechseln zur männlichen Form verwendet. Insofern die weibliche Form gegenüber der männlichen ungewöhnlich ist, bildet sie eine Einladung zum Innehalten und nachdenklich werden.

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2003a: 22f.) Epoché muss also erlebt oder vollzogen werden, um sie zu untersuchen. Um aber zu wissen, dass der erlebte Vollzug eine Epoché war, müsste schon bekannt sein, was Epoché ist. Dies zeigt sich aber erst im Vollzug. In diesem Sinne scheint die Untersuchung der Epoché den Vollzug der Epoché oder zumindest Annahmen über diesen vorauszusetzen.

Hinzu komme, dass mit dem zu seiner Beschreibung notwendigen Vollzug des Aktes sein Anfang verschwinde, da dieser schon stattgefunden habe und sich der Akt in der Reflexion zudem anders darstelle als in seinem Vollzug (vgl. Depraz et al. 2003a: 30). Dies eröffnet das generelle Problem, inwiefern die Reflexion, die als Nachgewahren eines Vollzuges diesen eben nicht als ihn selbst fassen kann, überhaupt die Epoché einholen kann.2 Dies führt zu der Frage, von welchem methodischen Standpunkt aus und mit welchem Vokabular die Epoché beschrie-ben werden kann. Elisabeth Ströker beschreibt dies in ihren Überlegungen zur husserlschen Epoché als Aporie: Zwangsläufig seien alle verfügbaren Ausdrücke des Mundanen in ihrem Wortsinn nicht geeignet eine Methode zu beschreiben, die aus der Weltlichkeit in eine trans-zendentale Dimension hinausführen soll. Zugleich sei eine Charakterisierung der Epoché als Bewusstseinsvollzug oder Akt im strengen Sinne erst nach der phänomenologischen Reduktion und somit nach der Epoché verfügbar. (vgl. Ströker 1971: 172f. siehe auch Fink 1988: §1). Das zur Beschreibung der Epoché notwendige Vokabular wird also erst durch den Vollzug der Epo-ché gewonnen oder anders formuliert, braucht die Beschreibung der EpoEpo-ché diese selbst als Methode.

Dieses Problem der Zirkularität zeigt sich gleich in zweifacher Weise. Da die Epoché nur als Vollzug oder Geschehen erfasst werden kann, setzt sie sich selbst als Vollzug voraus, was wiederum Annahmen über sie voraussetzt, um sie im Vollzug überhaupt zu erkennen. Dieser erste Zirkel ist mit einem zweiten verwoben, denn die Untersuchung eines Vollzuges, dessen Kern unter anderem eine Enthaltung gegenüber Annahmen und Urteilen beinhaltet, kann ihrem Gegenstand nicht gerecht werden, wenn sie ihrerseits mit Annahmen beginnt. Insofern dann aber der Ausganspunkt die Zurückhaltung von Annahmen oder die Enthaltung einer Aussage über die Epoché ist, folgen sie dem methodischen Anspruch der Epoché und setzen diese somit als Methode voraus.

Verwandte methodische Schwierigkeiten mögen sich ebenso bei anderen Untersuchungs-gegenständen offenbaren, insoweit diese Vollzüge sind und über den reflexiven Zugriff verän-dert werden. Bezüglich der Epoché erweitern sich die Schwierigkeiten allerdings noch, denn

2 Über das Problem und die Grenze der Reflexion geben beispielsweise die Untersuchungen Ludwig Landgrebes Aufschluss. Siehe: Landgrebe 1982: 42f., 76 und 85.

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diese lässt sich als Grenz- oder Randphänomen fassen, da sie ein Übersteigen des Lebensvoll-zuges beinhaltet, jedoch ohne diesen zu verlassen. In ihrem Vollzug begegnen selbst Grenzen, zum einen insofern sie aus einer Konfrontation mit Unvorhergesehenem, Sinnlosem, Unerfass-barem und Unverständlichem hervorgeht und zum anderen insofern sie den Übergang von einer Einstellung in eine andere (beispielsweise bei Husserl von der natürlichen in die phänomeno-logische), in einer extremen Variante sogar einen Übergang von der Dualität in die Non-Dua-lität (siehe Kapitel 3.), darstellt. Dieser Übergang ist jedoch nicht als Wechsel zwischen zwei unverbundenen Sphären zu verstehen, sondern bildet gerade die Schnittstelle zwischen diesen Sphären. So schreibt Hans Rainer Sepp, durch die Epoché könne das Leben sich in der Welt auf der Scheitellinie von Welt bewegen, mithin sei sie ein radikales Selbstverhalten des Lebens, in dem dieses sein Hineingehaltensein in die Differenz erfahre (vgl. Sepp 1997: 310) Die Epo-ché sei somit Verbindung zwischen mundaner Sphäre und transzendentaler Sphäre und fungiere ebenso als Bindeglied zwischen philosophischer und außerphilosophischer Einstellung (vgl.

Sepp 1997: 18f.). Des Weiteren könne die Epoché, wie die Phänomenologie Husserls zeige, genutzt werden, um eine Theorie, nämlich die phänomenologische, zu fundieren. Sie könne dann aber nicht selbst Teil der Theorie sein oder müsse genauer gesagt einen Sinn vor und außerhalb der Theorie haben. Sie müsse also ohne jeden Theoriebezug und in diesem Sinne universal zum Thema gemacht werden können. (vgl. Sepp 2003: 199ff.)

Aus dem Grenzcharakter erwächst ebenso ein Problem für den Vollzug der Epoché selbst:

die Frage nach ihrem Anfang oder ihrer Motivation. In Frage steht, wie eine Modifikation des Lebensvollzuges aus diesem selbst motiviert sein kann oder wie die Freiheit, welcher sich Epo-ché bei der Modifikation bedient, selbst befreit wird. (vgl. Luft 2002a: 79ff., Fink 1988: §5, Sepp 2010a: 35ff. und Landgrebe 1982: 21ff.) Neben den genannten methodischen Zirkeln of-fenbart sich ein diesem offenbar zugrunde liegender Zirkel im Vollzug: Das Erleben von Epo-ché setzt die andere Einstellung voraus, aber zum Erreichen dieser ist EpoEpo-ché notwendig. Die Frage nach einem Standpunkt, von dem aus die Epoché untersucht werden kann, einem metho-dischen Ausgangspunkt für die Untersuchung, wird daher noch verschärft, insofern die Epoché der Wandel einer Einstellung, die Modifikation eines Bezuges oder der Übergang von einer Sphäre in eine andere ist. Denn die Epoché ist somit nicht aus der ersten Einstellung allein fassbar und da sie notwendig ist, um die zweite zu erreichen, müsste sie wiederum bereits voll-zogen sein, sollte die zweite der Ausganspunkt sein. Angesichts der methodischen

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keiten muss festgehalten werden, dass es zunächst keinen adäquaten Ausgangspunkt der Un-tersuchung oder einen möglichen theoretischen Zugriff gibt, mit dem die Epoché untersucht werden kann. Dies heißt jedoch nicht, dass es keinen Weg gibt.

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