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1. Einleitung

1.3. Methodische Prämissen und Vorgehensweise

Die nachfolgenden Textanalysen werden nicht strikt nach einem spezifischen me-thodischen Verfahren durchgeführt. Gleichwohl richtet sich die Interpretationsar-beit an verschiedenen methodologischen Prinzipien qualitativer Sozialforschung aus.

Die Leitorientierung ergibt sich dabei aus dem Kern der Methodenlehren, die sich mit dem Label der Sozialwissenschaftlichen Hermeneutik umschreiben lassen: Es gilt, die im Text eingelassenen und versteckten Bedeutungshorizonte akribisch auszuleuchten und extensiv zu explizieren. Wie Hitzler/ Honer (1997: 23) die zen-trale Maßgabe umreißen, zielen die verschiedenen Konzepte im wesentlichen dar-auf ab, „methodisch kontrolliert durch den oberflächlichen Informationsgehalt des Textes hindurchzustoßen zu tieferliegenden (d.h. eben: in gewisser Weise ‘la-tenten’ bzw. ‘verborgenen’) Sinn- und Bedeutungschichten und dabei diesen Re-konstruktionsvorgang intersubjektiv nachvollziehbar zu machen bzw. nachvoll-ziehbar zu halten.“ Der Subtext soll in einer Weise ausformuliert werden, daß die dadurch aufgerufenen Sinnwelten dem Leser der Interpretation einsehbar und ein-sichtig werden.

Eine weitere zentrale Prämisse, die mit einem Verfahren im Sinne einer Sozialwis-senschaftlichen Hermeneutik verbunden ist, betrifft die Grundhaltung, mit der der Interpret dem auszulegenden Text gegenübertritt: Was sonst alltäglich routinemä-ßig für alle praktischen Zwecke als gewußt aufgefaßt und als bereits ‘klar’ ver-standen wird, soll in seiner Selbstverständlichkeit (durchaus langatmig) befragt und in seiner fraglos angenommenen Gewißheit (durchaus impertinent) Zweifeln ausgesetzt werden (vgl. ebd.: 24 und grundlegender Soeffner/ Hitzler 1994).

Formelhaft, in den Worten zweier prominenter ‘Väter’ der erwähnten Methoden-richtung, läßt sich das Anliegen solcherart orientierter Textanalyse auch wie folgt einfangen: Beabsichtigt ist, „[...] die Sache selbst zum Sprechen (zu) bringen, in-dem sie (die Analysen, B. S.) sich an sie anschmiegen [...]“ (so Oevermann zit.

nach Reichertz 1997: 43). Beantwortet werden soll die Frage: „[...] was wurde in dem, was gesagt worden ist, wirklich gesagt?“ (so Foucault 1990: 43) Noch in einer anders gewichteten Zuspitzung ausgedrückt: Das Verstehen des Interpreten soll die Hintergrundannahmen der Akteure ergründen, welche sie selbst nicht

ex-plizit benennen, aber auf denen ihre Rede aufbaut und die in der darin verwende-ten Sprache mitschwingen.

Zudem wird die Interpretation von einigen methodischen Anleitungen inspiriert, wie sie der Grounded Theory von Glaser und Strauss zugrunde liegen. Ein nach-folgend zu berücksichtigendes Merkmal dieses Forschungsstils besteht darin, daß der Fall als autonome Handlungseinheit in seiner Eigenlogik, in der Sprache des Falls rekonstruiert werden soll. Außerdem gilt es ebenso, jede Form von theoretischer Voreingenommenheit abzulegen (vgl. Hildenbrand in Strauss 1994:

12f.). Ausschlaggebend für die Auslegungspraxis ist bei dieser Methode jedoch vor allem der Arbeitsschritt, aus dem Text wichtige, wiederholt verwendete Be-griffe herauszulösen und als Kategorien zusammenzustellen, die auf zentrale Kon-zepte der Sprecher verweisen.11

Gerade diese Maßgabe, Kernbegriffe des jeweiligen Falles aufzufinden, erweist sich als hilfreich, um die Analyse der umfangreichen Textkorpi der Pressemittei-lungen der Gesellschaft für bedrohte Völker und von Cap Anamur strukturieren zu können. Was in verschiedenen Texten der einzelnen Akteure wiederholt auf-taucht, kann so unter einem Aspekt zusammengefaßt werden, der zentrale Rele-vanzen des Sprechers selbst widerspiegelt. Die folgenden Fallstudien sind somit in Kapitel untergliedert, die für die Analyse verschiedene Textstellen zu einem verwandten Sinnzusammenhang zusammenführen. Daneben stehen auch einige Abschnitte, die ausführlich wesentliche Textpassagen interpretieren und die ent-haltenen Bedeutungshorizonte zu entfalten versuchen, ohne allerdings unmittelbar an andere Interpretationen anzuschließen und sie zu einer gemeinsamen, umfas-senderen Schlüsselkategorie zu verdichten. In dem Bemühen, eine Vielzahl wich-tiger Textstellen extensiv zu interpretieren, führt diese Arbeitsweise mitunter dazu, daß bestimmte Topoi wiederholt verhandelt werden und sich Redundanzen ein-schleichen. Bei den Fallstudien soll es jedoch zunächst primär darum gehen, die Bandbreite ‘der Sache zur Sprache zu bringen’; eine systematische, verdichtende Zusammenschau der jeweiligen Ergebnisse wird im Schlußkapitel vorgelegt.

Bezogen auf die hier herangezogenen Fälle heißt das: Für die Interpretation der Pressemitteilungen von Cap Anamur und der Gesellschaft für bedrohte Völker werden Textpassagen zu bestimmten Kategorien zusammengestellt und einzelne Schlüsselstellen ausgiebig analysiert. Angesichts des Umfangs von jeweils knapp 20 Dokumenten erscheint dieser selegierende Zugriff sinnvoll. Demgegenüber ver-fährt die Interpretation der Pressemitteilung der Bischofskonferenz zunächst se-quentiell; analysiert wird vom Textanfang an Satz für Satz, dann Absatz für Ab-satz, bevor manche Sachverhalte noch textübergreifend thematisiert werden. So

11 Für eine ausführliche Beschreibung einzelner Arbeitsschritte vgl. Strauss (1994: 44-50). Für das Verfahren der Sequenzanalyse, die hier bei einigen Textstellen anzuwenden versucht wird, vgl. Hitzler/ Soeffner (1994: 117ff.).

zu verfahren bietet sich hier an, sofern von diesem Akteur nur ein Text vorliegt, welcher entsprechend auch eingehender betrachtet werden kann.

Dabei erfolgt die Präsentation der folgenden drei Fallstudien nach einem gleich-bleibenden Aufbau: Im „Organisationsprofil“ werden knapp und bündig zumeist auf der Basis von Selbstdarstellungen wichtige Informationen über die jeweiligen Organisationen vermittelt. Die Angaben über Entstehungsgeschichte, zentrale Le-gitimationsbestände, Aktivitäten und Finanzierungsformen etc. ermöglichen es, sich ein Bild der institutionellen Hintergründe der jeweiligen Akteure zu machen.

Im Anschluß daran beleuchtet ein Kapitel „Präsentationsstil“ auffällige Merkmale etwa des Erscheinungsbildes und der sprachlichen Formen der Pressemitteilun-gen. Insofern sich darin eine bestimmte Haltung gegenüber dem Mediensystem herauslesen läßt, können so erste Hinweise auf das Selbstverständnis der jeweili-gen Akteure gewonnen werden.

Im abschließenden Kapitel werden nach analytischen Dimensionen, wie sie zuvor schon angedeutet wurden, die drei Fälle verglichen und in ihren typischen Mu-stern fallübergreifend kontrastiert. Die rekonstruierten Muster verdichtend und zuspitzend, werden schließlich Profile dreier Sozialtypen moralischer Akteure skizziert.